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E-Book

Toni Krahls Rocklegenden

AutorToni Krahl
VerlagNeues Leben
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl224 Seiten
ISBN9783355500272
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis15,99 EUR
Mit einer Beatles-Platte fing alles an. Toni Krahl ist dreizehn, als er sie hört. Die Musik packt ihn und lässt ihn nicht mehr los. Auch in der DDR ist der Siegeszug des 'yeah, yeah, yeah' nicht aufzuhalten, entstehen Gruppen, die nicht nur Hits covern, sondern mit eigenen Titeln ihre Fans begeistern. Als Frontmann von CITY spielt Toni bald in der ersten Riege - und kann berichten von unerhörten Freiheiten und absurden Grenzen, von unvergessenen Songs und dem Megahit 'Am Fenster', von Auftritten diesseits und jenseits der Mauer, von legendären Bands und Musikerkollegen. Mit Schwung präsentiert Toni Krahl in seiner Autobiografie Rockgeschichten aus dem Osten und erzählt, wie sie sich seit nunmehr fünfundzwanzig Jahren fortschreiben.

Toni Krahl, 1949 in Berlin geboren, mit seinen Eltern lebte er zeitweise in Moskau, besuchte dann in Berlin die Schule, die er verlassen musste, als er 1968 gegen den Einmarsch in Prag protestierte. Nach seiner Haftentlassung 'Bewährung in der Produktion' und als Musiker unterwegs, ab 1975 Sänger bei CITY, einer der erfolgreichsten Rockbands, die mit 'Am Fenster' den größten Hit des DDR-Rocks lieferten. Goldene Schallplatten in Griechenland und der Bundesrepublik. 1989 Mitinitiator der Resolution der Rockmusiker. 1990 Gründung der ersten unabhängigen DDR-Schallplattenfirma 'K&P Musik'. Bis heute als charismatischer Frontmann von CITY auf großen Musikevents und Bandtourneen der Publikumsmagnet. 2007 wurde die Band mit der Goldenen Henne ausgezeichnet.

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Leseprobe

DAS LICHT DER WELT, DIE BEATLES, LANGE HAARE, MOSKAU, REBELLION


Ich habe zweimal das Licht der Welt erblickt. Das erste Mal am 3. Oktober 1949. Deswegen wurde der 1990 ja Feiertag. Gut, die erzählen es anders, damit der Personenkult international nicht so auffällt. Das zweite Mal war 1963.

Das Licht von 1963 war für mich vor allem ein akustisches Licht. Sozusagen. Das waren die Beatles mit ihrer ersten Single »Please Please Me«. Ich glaube, die B-Seite war »Love Me Do«.

Ich war in den Ferien in Berlin und hatte zu diesem Zeitpunkt genau das richtige Alter erreicht, mich für Musik zu interessieren. So kam es zu der Begegnung mit dieser Platte und sie in meinen Besitz. Meine Freunde Peter und André Kahane besaßen die. Als kleine schwarze Scheibe. Im Original! Die konnte man ja nicht einfach kopieren wie ’ne Mp3 heute oder ’ne CD. Zwei Jahre lang hatten Peter und André mit mir zusammen im Kinderheim in Cöthen zusammen gelebt, und seither waren wir eng befreundet. Sie hatten halt über irgendwelche West-Kanäle – Onkels, Tanten oder so – Zugriff auf solche tollen Sachen.

Wir sehen einander heute selten, aber doch hin und wieder. Peter ist Filmemacher geworden in der DDR, hat unter anderem den Film »Ete und Ali« gemacht und dreht auch heute noch Filme. André wurde Grafiker und hatte später an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee eine Dozentur. Aber damals, als Jungs, hatten sie eben diese Platte. Und die haben sie mir geborgt. Ich habe dann beschlossen, sie ihnen nicht zurückzugeben. Also beschlossen … Sagen wir so: Irgendwie ist es mir nicht gelungen, sie zurückzugeben. Jedenfalls war mir völlig klar: Dieser Sound war für mich gemacht!

Da ich zu diesem Zeitpunkt, außer in den Ferien, mit meinen Eltern in Moskau lebte, lief diese Initialzündung bei mir nicht über das Radio oder Fernsehen, sondern nur über diese eine Platte. Mein Vater arbeitete als Auslandskorrespondent für das »Neue Deutschland«, und in Moskau war mit Beatmusik im Radio überhaupt nichts los.

Der Beat war eine Steilvorlage für mich. Ich merkte sofort: Alles andere war dagegen antiquiert, angestaubt, altmodisch. Mit den Beatles kam auch, eben weil es eine Band war und kein Einzelinterpret wie Elvis oder Chuck Berry, so eine soziale Komponente dazu. Das waren vier Freunde, die sich verschworen hatten gegen die Welt und für sie, die neue Musik machten, neue Töne. Der alte Mief wurde weggeputzt. Für mich waren sie eingeschworene Freunde; Freunde zählen für einen Dreizehn-, Vierzehnjährigen viel. Viel mehr als alles andere.

Es gehörte für uns DDR-Bürger zu den Besonderheiten des Systems, dass es zu verschiedenen Zeiten verschiedene Kulturpolitiken und -verträge und also auch verschiedene Platten von West-Künstlern zu kaufen gab. Oder auch nicht. Und so erschien nach meiner Erinnerung irgendwann in Moskau auch eine Beatles-Platte mit kyrillischen Buchstaben für die Titelangaben. Ich hatte aber eben nur diese Platte von den Kahanes.

Es ging dann weiter in kurzen Schritten. Schnell kamen die Rolling Stones, The Kinks, The Who und wie sie alle hießen an mein Gehör, und zwar schon in Moskau. In meinem Freundeskreis dort war eine Beatles-Single ein wunderbarer Einstieg, um geadelt zu werden. Man traf sich, und da waren andere, die hatten auch Schallplatten. Zum Beispiel brachte ein Diplomatensohn welche aus Jugoslawien mit. Der wohnte wie ich mit vielen anderen Ausländern in einem Wohnblock, wie es ihn für die diplomatischen, Handels- und ähnliche Vertreter gab, extra abgeschottet und bewacht. Wir wohnten eben nicht im DDR-Wohnblock, sondern in einem internationalen. Der befand sich auf dem Prospekt Mira. Prospekt nennt man im Russischen sehr breite, repräsentative Straßen. Wie die Champs Élysée, nur viel breiter, länger, größer. »Mir« heißt Frieden. Also wohnten wir auf der Allee des Friedens.

Übrigens nannte man die Beatles damals in Moskau Schutschki, also Käferchen. Offenbar war es zu einer Falschübersetzung des Namens der Combo gekommen, die der neuen Richtung ein wenig die Brisanz nahm. Ob nun versehentlich oder als vorsorgliche List durch und gegen wen auch immer: Aus martialischen Schlägern (Beatle) wurden possierliche Käferchen (Beetle), ins Russische übersetzt eben Schuk oder Schutschok, im Plural Schutschki.

Das Beatfieber hatte sich rasant weltweit verbreitet und auch vor Moskau nicht halt gemacht. Für mich keine Frage: Das ist was Neues, der Aufbruch. Und ich bin dabei! Und dieses damals Neue hat mich bis heute musikalisch geprägt und auch mein ganzes ästhetisches Empfinden. Bis hin zu der dazugehörigen Mode. Was relativ einfach zu erledigen war: Man ist einfach nicht mehr zum Friseur gegangen, schon hatte man die Haare so, dass sie ein bisschen über die Ohren standen. So richtig durfte das aber nicht zu sehen sein, sonst wurde man sofort angezählt.

Natürlich kam diese Attitüde aus dem Westen. Was heute meist vergessen wird: Auch im Westen war das alles zunächst nicht gern gesehen. Beim Establishment und auch beim Fußvolk. In Ablehnung und Akzeptanz unterschieden sich Ost und West mal um Wochen, mal um Monate. Jedenfalls haben die Erwachsenen, glaube ich, Herpes bekommen, wenn sie uns ertragen mussten. Unser Aussehen, unseren Musikgeschmack, »das ewige yeah, yeah, yeah«, das war ja nicht nur Ulbricht, das hätte genauso gut von Ludwig Erhard sein können. Auch Elvis war wohl angepisst, auch wenn das nicht groß propagiert wird. Geheuer war ihm das alles nicht, zumal die Beatles ihn vom Thron geschubst haben, damals.

Ohne dass ich schon die Ambitionen hatte, selber in die Saiten zu greifen, diese Art zu leben und des Protests und das auch nach außen zu zeigen: Das war’s für mich. Bisschen wilder ging es dann mit den Rolling Stones zu, alles ruppiger, provokanter, und trotzdem: Die Wegbereiter, auch in mein Herz, waren eben die Beatles.

Als ich 1965 zurückkam nach Berlin, gab es in meiner Klasse an der Alexander-von-Humboldt-Schule und anderswo immer so Lager: Beatles oder Stones. Aus Moskau kannte ich das nicht. Ich habe diese Alternative nie akzeptiert und mich in beiden Lagern wohlgefühlt, habe mich da nie entscheiden wollen und auch nicht entscheiden müssen. So schlimm allerdings, dass man sich auf die Schnauze gehauen hätte, war es an meiner Schule nicht.

Meine ersten Versuche, so einer zu werden, ein Beatnik, absolvierte ich mit dem Federballschläger vor dem Spiegel: Posen, Blicke, die wild und provokant sein sollten … Was mir offenbar ein wenig gelang. Die Erwachsenen haben schon reagiert auf die Ergebnisse dieser Übungen: »So sieht man nicht aus, geh mal wieder zum Friseur und lass dir die Haare schneiden!«

Mit fünfzehn, sechzehn dann Rollkragen, Parker-Kutte, Kletterschuhe und all diese Dinge. Ja, eine echte Ami-Kutte. Und Jeans. Ich hatte außerdem – das war besonders chic – anstatt einer Schultasche so einen kleinen antiquarischen Hebammenkoffer. Da passte zwar nicht alles rein und die Hefter sahen immer ein bisschen gerollt aus, aber damit lag ich ganz weit vorn. Diese Köfferchen waren ein alternatives Ausstattungsmerkmal bis in die achtziger Jahre hinein, als die DDR-Jugendlichen den Blues- und anderen Bands landesweit hinterhergereist sind.

Was in den Sechzigern auch nicht fehlen durfte und ein Erkennungszeichen war: die Ostermarsch-Rune, das Peace-Zeichen. Das war verhasst bei den Funktionären, auch bei Lehrern und ganz besonders bei den Genossen unter den Lehrern. Die witterten dahinter sofort die pazifistische Haltung, die man tatsächlich auch ausdrücken wollte. Über dieses Symbol und was es bedeuten sollte, gab’s immer Diskussionen. Also, man war erst mal glücklich, wenn man so ’n Ding besaß, und zwar im Original und nicht nachgemacht. Einen Button aus dem Westen. Man hat man schon erkannt, dass er nicht selbstgemalt war. Und ich hatte so ’n Ding. Dass das logisch nicht zueinander passte – Ami- und also Krieger-Kutte und Peace-Zeichen –, interessierte uns nicht, das haben wir nicht großartig hinterfragt. So lief man im Osten und im Westen rum. Und in Berlin war man ja sehr, sehr nah am Westen dran, mit Hörfunk und mit Fernsehen, und auch die familiären Bande waren in Berlin deutlich enger als vielleicht in Mecklenburg.

Aber ich hatte keine Westverwandtschaft, eigentlich überhaupt keine Verwandtschaft außer Mutter, Vater und Schwester. Was ja nicht ganz untypisch war für Familien mit ähnlicher Geschichte wie der meinen. Ich hatte also keine wirklichen Bezugsquellen aus erster Hand, musste das alles immer irgendwo tauschen, abhandeln. Man kannte jemanden, der wen kannte … Was man haben musste, hat man schon irgendwie gekriegt.

Ich war aus Moskau zurück- und in die neunte Klasse gekommen. In Moskau hatte ich die achte abgeschlossen und mich allein dadurch, dass ich in der Sowjetunion zur Schule gegangen war, für die EOS, die Erweiterte Oberschule, qualifiziert. Wer es auf die EOS schaffte, war auf einer gehobenen Schule. Auf die Alexander-von-Humboldt-Schule in der Oberspreestraße gingen, auch dadurch bedingt,...

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