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E-Book

Völkermord und humanitäre Intervention

Die Chancen innerhalb der liberalen Theorie internationaler Beziehungen

AutorLukas Schulte
VerlagDiplomica Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2009
Seitenanzahl105 Seiten
ISBN9783836627337
FormatPDF
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis33,00 EUR
Kann Völkermord verhindert werden? Oder müssen wir uns auch in Zukunft in Fällen wie Ruanda oder Darfur mit der Rolle der Zuschauers begnügen? Dass die staatliche Souveränität dort aufhört, wo Völkermord beginnt, ist inzwischen international anerkannt. Humanitäre Interventionen zur Beendigung eines Völkermords passieren jedoch nur, wenn sich die Vereinten Nationen auf ein Eingreifen einigen können. Präziser ausgedrückt: Wenn die politischen Interessen der Großen Fünf nicht gegen eine Intervention sprechen und wenn sich genügend Staaten finden, die sich an einer Intervention beteiligen. Unter diesen Umständen können Staatsoberhäupter wie Sudans Präsident al-Baschir frei schalten und walten - mit einer humanitären Intervention brauchen sie nicht zu rechnen.

Die Vereinten Nationen müssen sich daher die Frage stellen, ob objektiver und interessenunabhängiger mit diesen Verbrechen umgegangen werden kann. Diese Studie untersucht, ob ein legitimes Regime humanitärer Interventionen in der heutigen internationalen Staatengemeinschaft realisierbar ist. Ein legitimes Regime bedeutet in diesem Fall, dass eine ständige UN-Truppe nach der Feststellung eines Völkermords durch eine politisch unabhängige Kommission automatisch im Krisengebiet eingreift. Ein solcher Interventionsautomatismus hat das Potenzial, alle Staatsoberhäupter dieser Erde vom Instrument des Völkermords abzuschrecken.

Die Realisierbarkeit des legitimes Regimes wird entsprechend der Liberalen Theorie Internationaler Beziehungen von Andrew Moravcsik in zwei Schritten analysiert: Zuerst stellt sich die Frage, wie eine Staatspräferenz zur Verhinderung von Völkermord innerhalb eines Staates entsteht. Schließlich wird mit Hilfe des Neoliberalen Institutionalismus von Robert O. Keohane überprüft, unter welchen Bedingungen eine Kooperation zwischen Staaten in diesem Feld möglich ist.

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Leseprobe
Kapitel 6, Theorien der Internationalen Beziehungen

Zu Beginn gebe ich eine kurze Einführung zu Möglichkeiten, Theorien der internationalen Beziehungen (in Folge: IB) zu typologisieren. Diese Einführung beansprucht keine Vollständigkeit, sie soll ausschließlich als Grundlage dienen, die besprochene Theorie einordnen und von anderen Theorien abgrenzen zu können.

Aufgabe von Theorien

‘It is its (the theory) task to reduce the facts of experience to mere specific instances of general propositions, to detect behind them the general laws to which they owe their existence and which determine their development’.

Das Ziel, komplexe Sachverhalte auf einfache bzw. idealtypische Einsichten zu reduzieren, wird in den Theorien der internationalen Beziehungen nur bedingt erreicht. Zum einen deutet der verwendete Plural bereits darauf hin, dass wir es nicht mit einer (gültigen) Theorie der Internationalen Beziehungen zu tun haben, sondern mit vielen. Folglich stehen für jeden komplexen Sachverhalt mehrere Theorien zur Interpretation zur Verfügung. Zum anderen mangelt es in allen Theorieansätzen an empirisch gehaltvollen, generalisierend-formalisierenden und prognosefähigen Gesetzen, da die Realität der internationalen Beziehungen im Gegensatz zur Physik oder zur Chemie theorieunabhängig stattfindet. Aussagen sind demzufolge immer offen für Interpretationen, beweisbare harte Hypothesen sind den Theorien der internationalen Beziehungen fremd.

Großtheorien

Meyers bezeichnet Theorien, die neben ontologischen und epistemologischen auch normative Antworten geben, als Großtheorien. Großtheorien sind hiernach: ‘ontologisch-konstruktivistische, teleologisch-praxisbezogene kognitive Komplexe, die ihren Anhängern erlauben, Teilbereiche der erfahrbaren Realität interpretierend zu strukturieren, sich in ihnen zu orientieren (weil Großtheorien komplexe Sachverhalte auf vermeintlich einfache bzw. idealtypische Einsichten reduzieren), in ihnen bestimmte Ziele zu verfolgen und das Streben nach diesen Zielen zu legitimieren’.

Großtheorien erfüllen demnach eine Interpretations-, Orientierungs-, Zielbeschreibungs- und Handlungslegitimationsfunktion.

Neue Theorien entstehen, wenn Ereignisse oder Veränderungen als Bedrohung für die Funktionen alter Großtheorien wahrgenommen werden. Veränderungen in der Theorienlandschaft sind jedoch nicht durch Theorieablösung wie dem Paradigmenwechsel in der Naturwissenschaft gekennzeichnet, sondern durch Theorieergänzung. Jede neue Großtheorie ergänzt den Fundus an Theorien, die zur Interpretation des Fachgebietes heran gezogen werden können. Innerhalb dieser Theorieverzweigung kann der Einfluss der jeweiligen Großtheorien schwanken.

Typologisierung

Neben einer zu vernachlässigenden Diskussion über den Begriff der internationalen Beziehungen streiten sich die Theoretiker hauptsächlich über ontologische, methodologische und epistemologische Fragen.

Die unterschiedlichen ontologischen Herangehensweisen – also die Frage nach dem zu Grunde liegenden Weltbild – und die unterschiedlichen epistemologischen Verständnisse – also die Frage nach der Legitimation der Aussagen der Theorie – bilden die sichtbarsten Trennlinien zwischen den Theorien der internationalen Beziehungen. Eine Typologisierung der Theorien entsprechend dem ontologischen bzw. dem epistemologischen Verständnis ist in der Literatur üblich. Methode und epistemologisches Verständnis

Traditionalisten und Behavioralisten bzw. Szientisten (in Deutschland Positivisten) stehen exemplarisch für den Methodenstreit, der die zweite große Debatte der IB prägte und Theoretiker seither in zwei Lager spaltet.

Ziel des Szientismus ist es, Methoden der Naturwissenschaft auf die Sozialwissenschaften zu übertragen. Hermeneutische Methoden, die sich an Geschichte und Philosophie orientieren, lehnen die Positivisten ab. Quantitative (statistische) Methoden und das formale Modellieren (z.B. Spieltheorie) sollen ähnlich harte Hypothesen wie in den Naturwissenschaften liefern. Szientistisches Vorgehen bedeutet für Moravcsik, eine übersichtliche Anzahl von Annahmen aufzustellen, aus denen Begründungen, Erklärungen und Vorhersagen über das Verhalten der Staaten in den internationalen Beziehungen hergeleitet werden können.

Traditionalisten pochen hingegen auf ihr Selbstverständnis als Geisteswissenschaftler und bedienen sich hermeneutischer Methoden. Sie lassen sich unter anderem durch politische Theorie, Ideengeschichte und Völkerrecht inspirieren. Nicht das Gesetz, sondern der Common Sense bildet die Grundlage der Theorie.
Blick ins Buch
Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis3
1 Einleitung5
Teil I8
2 Moralische Betrachtung humanitärer Interventionen8
2.1 Eingriff in die Souveränität9
2.2 Universelle Menschenrechte11
2.2.1 Völkermord13
3 Völkerrechtliche Rechtfertigung humanitärer Interventionen14
3.1 Gewaltverbot15
3.1.1 Recht auf Selbstverteidigung17
3.1.2 Kollektive Maßnahmen des Kapitels VII19
3.2 Doktrin Humanitärer Interventionen20
3.3 Aktuelle Diskussion23
3.3.1 Responsibility to Protect – Entwicklungen im 21. Jahrhundert23
3.3.2 Ein Cosmopolitan Institutional Proposal27
4 Probleme humanitärer Interventionen28
Teil II32
5 Das legitime Regime humanitärer Interventionen32
5.1 Regime32
5.2 Legitimität33
5.3 Völkermordkommission34
5.4 UN-Eingreiftruppe35
5.5 Standards für humanitäre Interventionen37
Teil III41
6 Theorien der Internationalen Beziehungen41
6.1 Aufgabe von Theorien41
6.2 Großtheorien41
6.3 Typologisierung42
6.3.1 Methode und epistemologisches Verständnis43
6.3.2 Ontologisches Verständnis43
7 Liberale IB-Theorie44
7.1 Exkurs: Traditioneller Liberalismus45
7.2 Die drei Hauptannahmen der liberalen IB-Theorie47
7.2.1 Annahme 1: Der Vorrang des gesellschaftlichen Akteurs48
7.2.2 Annahme 2: Repräsentation und Staatspräferenzen48
7.2.3 Annahme 3: Interdependenz und das internationale System50
7.3 Definitionen51
7.3.1 Akteure52
7.3.2 Präferenzen52
7.3.3 Nationales Interesse53
7.4 Drei Varianten des Liberalismus53
7.4.1 Ideeller Liberalismus53
7.4.2 Wirtschaftlicher Liberalismus54
7.4.3 Republikanischer Liberalismus54
7.5 Kritik an der liberalen IB-Theorie55
7.6 Kooperation in der liberalen IB-Theorie57
7.7 Analyse in zwei Schritten59
8 Neoliberaler Institutionalismus60
8.1 Kooperation zwischen Staaten61
8.2 Definitionen63
8.2.1 Umwelt63
8.2.2 Akteure64
8.2.3 Interessen67
8.3 Kooperation in einem herrschaftsfreien System67
8.3.1 Warum erfüllt Kooperation eine wichtige Aufgabe in der internationalen Politik?68
8.3.2 Welche Bedingungen fördern die Wahrscheinlichkeit von Kooperation?69
8.3.3 Mit welchen Problemen sieht sich Kooperation konfrontiert?70
8.4 Welche Funktionen übernehmen Regimes in der internationalen Staatenwelt?70
8.4.1 Effizienz und Regelbefolgung72
8.5 Kontroversen und Kritik74
8.5.1 Die Debatte um relative und absolute Gewinne76
8.5.2 Zusammenfassung der Kritik77
Teil IV78
9 Realisierungsmöglichkeiten des legitimen Regimes humanitärer Interventionen – Eine Analyse in zwei Schritten78
9.1 Schritt 1: Entstehung der Staatspräferenzen79
9.2 Schritt 2: Kooperation innerhalb eines Regimes80
9.2.1 Collective action Problem81
9.2.2 Erwartungsunsicherheit81
9.2.3 Transaktionskosten83
9.2.4 Spezifische Vorteile des legitimen Regimes83
9.3 Frage 1: Unter welchen Bedingungen entsteht die Präferenz der Verantwortung?85
9.4 Frage 2: Welche Argumente sprechen für bzw. gegen eine Einigung auf ein legitimes Regime humanitärer Interventionen?88
9.4.1 Die Geister die ich rief... – Angst vor einer Weltpolizei89
9.4.2 Frieden und Internationale Stabilität90
9.4.3 Das Potenzial des legitimen Regimes91
9.4.4 Kosten und Nutzen des legitimen Regimes92
10 Abschließende Bewertung93
Literaturverzeichnis96

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