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E-Book

Volksgemeinschaft und Lebensraum

Die Neulandhalle als historischer Lernort

AutorUwe Danker
VerlagWachholtz Verlag
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl168 Seiten
ISBN9783529092091
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis12,99 EUR
Die Neulandhalle im Dieksanderkoog besaß während der NS-Zeit als Kirchenersatz im ehemaligen Adolf-Hilter-Koog eine kultische Bedeutung. Der 1935 eingeweihte NS-Musterkoog wurde als friedliche Lebensraumgewinnung gefeiert. Hier verwirklichten die Nationalsozialisten wie im Reagenzglas eine Volksgemeinschaft im Kleinen. Ausgehend von der Biografie der Neulandhalle entwickelt der Autor sein viel diskutiertes Konzept eines »historischen Lernortes Neulandhalle«. Im geplanten »Historischen Lernort Neulandhalle« können genau jene Fragen beantwortet werden, die an den Stätten der NS-Verfolgung offen bleiben müssen. Das sind vor allem Fragen nach dem »Warum?«. Es geht also um Verheißung - Verbrechen - Erinnerung.

Uwe Danker, geboren 1956 in Westerland auf Sylt, war nach einem Studium der Geschichte, Mathematik und Soziologie in Kiel 1988-1994 Pressesprecher des schleswig-holsteinischen SPD-Landesverbandes. 1994 wurde er Universitätsprofessor und Direktor am Institut für Geschichte und ihre Didaktik der Universität Flensburg sowie am Institut für schleswig-holsteinische Zeit- und Regionalgeschichte (IZRG) mit Sitz in Schleswig. Bei Wachholtz veröffentlichte er zuletzt u. a. »Schleswig-Holstein und der Nationalsozialismus« (2005) und »Filme erzählen Geschichte« (2010).

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Leseprobe

I. ZUR BIOGRAFIE EINES MARKANTEN GEBÄUDES

Nationalsozialistischer Aufstieg im »Mustergau« Schleswig-Holstein6

Es hatte so verheißungsvoll begonnen: Das revolutionäre Signal zur Gründung der Weimarer Republik, der ersten deutschen Demokratie, war aus Schleswig-Holstein gekommen. Am Ende des Ersten Weltkriegs hatten Matrosen gegen ihren »ehrenvollen Untergang« gemeutert und waren nach Kiel verlegt worden, wo die Lage schnell eskalierte: Der Matrosenaufstand entwickelte sich in Tagen zur deutschen »Novemberrevolution«, denn der Funke sprang über, am 9. November rief Philipp Scheidemann (SPD) in Berlin die »Deutsche Republik« aus, und Kaiser Wilhelm II. dankte ab. Gemäßigte Sozialdemokraten setzten sich an die Spitze der Bewegung, führten im Bündnis mit alten Mächten die Revolution teilweise auch gewaltsam in parlamentarische Bahnen. Die im Januar 1919 gewählte Nationalversammlung schuf die demokratische Weimarer Reichsverfassung.

Die neue Republik begeisterte in Schleswig-Holstein wenige, und sie verängstigte jene, die althergebrachten Ordnungsstrukturen nachtrauerten. Die Demokratie musste schwere Hypotheken übernehmen: zum Beispiel eine im Krieg zugrunde gerichtete inflationäre Währung, zum Beispiel den »Versailler Friedensvertrag«, dessen Annahme im Zerrbild rechter Propaganda als Unterwerfung Deutschlands erschien. Für Schleswig-Holstein besaß der Vertrag eine besondere Bedeutung: Nach Volksabstimmungen in der Grenzregion ging Nordschleswig an Dänemark.

Wirtschaftlich und politisch stabil verliefen auch in der Provinz nur die Jahre 1924 bis 1928, ab 1929 geriet man auch hier in den Strudel der Weltwirtschaftskrise. Einen Krisensektor gab es schon vorher: die Landwirtschaft vor allem an der Westküste und in den Elbmarschen, wo spezialisierte Bauern abhängig von Marktschwankungen waren. Einige konnten Rechnungen und Steuern nicht mehr bezahlen, Zwangsversteigerungen drohten. Protest formierte sich in der spontanen »Landvolkbewegung«. An einigen Orten griff der radikale Flügel der Bewegung zur Gewalt. Nach dem »großen Bombenlegerprozess« verlief sich die massenhafte Auflehnung. Aber die Nationalsozialisten traten das Erbe an, fanden im Milieu Anhänger und überdurchschnittlich viele Wählerstimmen.

Gesellschaftliche Konflikte wurden in der Weimarer Republik oft gewaltsam auf der Straße ausgetragen. Von Beginn an erschütterten revolutionäre Aufstände von links sowie Putschversuche und Mordanschläge von rechts die ungefestigte demokratische Ordnung. Die bewaffneten »Kampfverbände« von Nationalsozialisten und Kommunisten traten immer aggressiver auf. Aufmärsche, Überfälle und Mordanschläge bildeten öffentlichkeitswirksame Aktionen. In Schleswig-Holstein kamen von 1928 bis 1933 so fast 50 Personen ums Leben. Besonders gewalttätig waren die Wochen vor den Reichstagswahlen im Juli 1932. Traurigen Höhepunkt bildete der »Altonaer Blutsonntag« am 17. Juli 1932: Die NSDAP veranstaltete einen Umzug durch das »rote Altona«, das noch eine schleswig-holsteinische Stadt war. 25 Tote waren schließlich nach einem Einsatz von überforderten Polizisten zwischen den Fronten zu beklagen.

Das Ereignis nutzte Reichskanzler Franz von Papen als Vorwand, die preußische Minderheitsregierung unter Ministerpräsident Otto Braun (SPD) abzusetzen. Jetzt wechselte man im größten deutschen Land, zu dem auch die Provinz Schleswig-Holstein zählte, demokratische Verwaltungs- und Polizeispitzen gegen deutschnationale Republikgegner aus. Ein wichtiger Schritt der Zerstörung der Demokratie – und wieder ein Signal aus Schleswig-Holstein!

Verschiedene Vereinigungen organisierten rechtsextremes Gedankengut in Schleswig-Holstein, bevor die Nationalsozialisten die Meinungsführerschaft errangen. Einige Akteure unterhielten Kontakte zur bayerischen Hitler-Bewegung. Unter ihnen der aus Mühlenbarbek stammende Altonaer Bankangestellte Hinrich Lohse. Am 1. März 1925 führte Lohse in Neumünster mit nur 26 Mitstreitern die Gründungsversammlung der schleswig-holsteinischen NSDAP durch. Kurz darauf bestätigte Hitler Lohse als »Gauleiter« der »Nordmark«.

Der rasante Aufstieg setzte ein, als sich die NSDAP auf die Landbevölkerung konzentrierte, und zwar zuerst in den Geestgebieten Dithmarschens, dann ausweitend auf die Kreise Steinburg, Rendsburg, Pinneberg und wenig später auch auf Eiderstedt und Husum. 1930 existierten 272 Ortsgruppen, 1932 schon 805. Anfang 1933 führte die schleswig-holsteinische NSDAP 50000 Mitglieder, 20000 Männer »kämpften« in den bewaffneten Parteivereinigungen SA und der kleinen Eliteorganisation SS. Schleswig-Holstein galt nunmehr als ein NS-»Mustergau«.

Abb. 2Agitation in Schleswig: Aufmarsch der SA um 1930

Bereits bei der Reichstagswahl am 20. Mai 1928, bei der die NSDAP in Schleswig-Holstein insgesamt 4,1 Prozent der Stimmen erzielte und noch Splitterpartei blieb, war eine Sonderentwicklung zu bemerken: In Dithmarschen erreichte die »Bewegung« 18 Prozent der Stimmen und im Kreis Steinburg über 10 Prozent. Dithmarschen wuchs zur Kernregion der Nationalsozialisten heran. In der »Blutnacht von Wöhrden« am 7. März 1929, einer gewaltsamen Auseinandersetzung zwischen ihnen und Kommunisten, kamen zwei SA-Leute und ein Kommunist zu Tode. Kampf und Beerdigung ließen sich reichsweit propagandistisch auswerten. 1930 erhielten die Nationalsozialisten in Norderdithmarschen mehr als 50 Prozent der Stimmen, in Süderdithmarschen nur 36,3 Prozent, weil hier der Tierarzt Dr. Emil Grantz eine Abspaltung anführte. Im März 1933 erzielte die NSDAP in Dithmarschens Süden 63,7 Prozent und im Norden 68,6 Prozent der Stimmen.

Die NS-Bewegung speiste ihre Ansichten aus Antisemitismus, Nationalismus und Rassismus. Hier, in der protestantischen und agrarisch strukturierten Region, verfingen die Ängste vor der Moderne, vor Industrie, Verstädterung und Demokratie besonders und träumten die Menschen mehr als anderswo von einer traditionsgebundenen, die bäuerliche Scholle und ein dumpftümelndes Deutschtum feiernden Vergangenheit. Hinzu kam die »Rasse« als Kategorie menschlicher Gruppierung mit der Hierarchie des Stärkeren, »Arier« als höchste, dagegen »minderwertige« Slawen oder gar die gefährlich-bösartige »Schmarotzerrasse« der Juden. Ja die Rückführung allen Unglücks und alles Bösen auf »den Juden«: »jüdisches Weltkapital«, »jüdischer Marxismus« oder »jüdisches Parteiengezänk«, je nachdem, wie es passte, und Juden als »Verderber des deutschen Blutes«. Anfang der 1930er Jahre galten antisemitische Ansichten in rechtsbürgerlichen Kreisen als ganz selbstverständlich, allerdings bis zur NS-Machtübernahme ohne Gewaltausbrüche.

Die Dithmarscher Dichter Adolf Bartels (1862–1945) und Gustav Frenssen (1863–1845) gelten als Wegbereiter des Nationalsozialismus. Der Kritiker und Dichter Bartels zählte zur »Heimatkunstbewegung«, deren Kennzeichen Agrarromantik, Heimatliebe und ein fanatischer Antisemitismus bildeten. Er propagierte den völkischen Rassismus, literarische Qualität leitete sich für ihn allein von der Rasse ab. Bartels’ Roman »Die Dithmarscher« (1898) betonte ein Sonderbewusstsein dieses Stammes. Auch in Frenssens Bestseller »Jörn Uhl« (1901), in dem ein junger Bauer um seine Unabhängigkeit kämpft, konnten sich heimatverbundene Leser wiederfinden. Gustav Frenssen, Pastor in Barlt, Süderdithmarschen, und später außerordentlich erfolgreicher Autor, entwickelte sich ab Mitte der 1920er Jahre zum offenen Antisemiten und schließlich zum entschiedenen Anhänger des Nationalsozialismus, bis hin zur 1940 publizierten Rechtfertigung der Judenverfolgung.

Zwischen 1928 und 1930 schaffte die NSDAP den Durchbruch in der Provinz. Ihre Wahlergebnisse lagen deutlich über dem Reichsdurchschnitt: 1930 27 Prozent im Vergleich zu 18,3 Prozent auf Reichsebene, im Sommer 1932 mit sogar 51,1 Prozent das reichsweit beste Ergebnis, dort wurden im Schnitt nur 37,3 Prozent erreicht.

Der 30. Januar 1933 in Berlin: Reichspräsident Paul von Hindenburg ernennt Adolf Hitler zum Reichskanzler in einer Koalitionsregierung aus DNVP und NSDAP. Parallel zu gespenstisch feierlichen Fackelzügen forcierten die Nationalsozialisten jetzt ihren Straßenterror, und schnelle machtpolitische Weichenstellungen suggerierten eine »Machtergreifung«: Neuwahlen zum Reichstag fanden am 5. März statt, kommunale und Provinziallandtagswahlen in Preußen eine Woche darauf. Es wurde ein Wahlkampf im Übergang vom Rechtsstaat zur Diktatur. Weite und einflussreiche bürgerliche Kreise in Politik, Gesellschaft und Wirtschaft befürworteten den neuen autoritär-staatlichen Versuch alternativ zur Weimarer Demokratie. Am 27. Februar 1933 brannte der Reichstag, wahrscheinlich entzündet von einem Einzeltäter. Die NS-Spitze ergriff die Chance, das Feuer als kommunistischen Umsturzversuch zu stilisieren. Die »Reichstagsbrandverordnung« setzte bürgerliche und politische Grundrechte außer Kraft und legalisierte politische Verfolgungen. Erste Opfer wurden Kommunisten, aber auch bereits Sozialdemokraten und Gewerkschafter; später konnte es viele weitere treffen.

Abb. 31939 feiert sich die NS-Zeitung »Schleswig-holsteinische Tageszeitung« und ihren Gründer, Gauleiter...

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