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E-Book

Wie ich als Cowgirl die Welt bereiste ...

und ohne Land und Geld zur Bio-Bäuerin wurde

AutorAnja Hradetzky, Hans von der Hagen
VerlagDumont Reiseverlag
Erscheinungsjahr2019
ReiheDuMont Welt - Menschen - Reisen E-Book 
Seitenanzahl240 Seiten
ISBN9783616491035
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis14,99 EUR

Wie das Unmögliche möglich wird: Inspiriert von ihren Erlebnissen auf Farmen in Nordamerika und Europa, baut Anja Hradetzky ihren eigenen, artgerecht wirtschaftenden Hof auf - ohne Geld und ohne eigenes Land!

Nach ihrem Abitur bricht sie aus ihrem beengten Elternhaus aus und begibt sich auf eine einzigartige Reise. Eine Reise nicht um des Reisens willen, sondern um zu lernen. Als Cowgirl auf Farmen in Kanada entdeckt sie ihre Liebe zu Tieren, die ihr jenseits eingeschweißter Steaks aus dem Discounter-Kühlregal lange nichts bedeutet haben. In ihrem sehr persönlichem Erlebnisbericht teilt sie ihre Erfahrungen eines Lebens im Einklang mit der Natur und weckt in jedem von uns den Traum von einem selbstbestimmten, puren Leben.

Das E-Book basiert auf: 1. Auflage 2019, Dumont Reiseverlag



<p>Anja Hradetzky, geboren 1987 in Meißen, studierte Ökolandbau und Vermarktung an der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde. Nach dem Studium reiste sie mehrere Jahre als 'Cowgirl' durch Kanada sowie als Landwirtin zu 'Bio Ranches' in ganz Europa. Seit September 2013 lebt sie mit ihrem Mann, zwei Kindern, einem Hund und 30 Milchkühen in Stolzenhagen an der Oder und baut dort einen kleinen Landwirtschaftsbetrieb auf.</p>

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Leseprobe

2

Philosophieren und Pferdefreiheit

Das Verhältnis zwischen meinen Eltern und mir ließ sich leicht zusammenfassen: Sie fanden mich anstrengend und ich sie. Oft wirkte es, als stünde zwischen uns eine unsichtbare Mauer. Wir konnten uns sehen, aber nicht berühren. Nicht einmal richtig hören.

Ich weiß gar nicht, wann das anfing. Ich kannte es gar nicht anders. Meine Tante erzählte einmal, dass es früher besser war. Bis ich etwa anderthalb Jahre alt war. Da habe es einen Knick gegeben, den sich meine Tante selbst nicht erklären konnte. Jedenfalls waren beide Eltern ständig genervt – von mir, aber auch von meiner Schwester Tatjana. Das zeigte sich in vielen Details. Wollte ich Keyboard üben, hieß es: »Setz die Kopfhörer auf.« Gitarre durfte ich nur spielen, solange sie noch nicht von der Arbeit zurück waren. Beim Abendessen wurde nicht gesprochen. Da liefen Nachrichten, die bei uns wichtiger waren als das, was uns beschäftigte. Bekamen meine Schwester oder ich beim Essen mal einen Lachanfall, wie es Kinder manchmal bekommen, mussten wir den Tisch verlassen.

Meine Mutter wirkte so, als habe sie ihre Gefühle einfach abgestellt. Sie weinte nicht einmal mehr. Höchstens aus Wut. Niemanden ließ sie an sich heran, auch nicht uns Kinder. Manchmal fragte ich mich, ob sie vielleicht in jungen Jahren eine Vollkrise mit mir hatte. Und es dann später einfach nicht mehr richtig packte.

Es war an einem Weihnachtsfest, als Tatjana und ich uns ein Herz fassten. Ich kann nicht mehr sagen, aus welcher Situation heraus das geschah, aber wir fragten unsere Mama: »Warum umarmst du uns nie?«

Sie stutzte und sagte erst gar nichts. Nach langen Sekunden antwortete sie: »Seit mein Vater gestorben ist, lass ich niemanden mehr an mich ran. Seitdem muss ich klarkommen.«

Mit meinem Vater war es nicht einfacher. Während der Pubertät sprach er einmal ein halbes Jahr nicht mehr mit mir. Ja, mit gar keinem. Er lebte wie ein Geist in der Familie, aß mit uns, aber wenn ich ihn etwas fragte, reagierte er nicht. Er schaute mich nicht einmal richtig an. Quälend oft hatte ich mir überlegt, warum mein Vater nichts mehr sagte. Hatte er mich beim Tanz-in-den-Mai-Feuer rauchen gesehen? Mochte er mich deswegen nicht mehr? Fand er mich jetzt eklig? All das wurde nie in unserer Familie thematisiert. Genauso wie auch alles andere totgeschwiegen wurde: die Vorliebe meines Opas für den Alkohol. Seine Vergangenheit,  die Flucht aus Ostpreußen. Ich war meist sehr aufgedreht, heute würde man sagen: hyperaktiv. Das nervte alle, umso mehr, weil ich ständig barfuß durch die Gegend lief.

Wenn es mich weit wegzog, setzte ich mich mit meiner Großcousine Sabine, die auch in dem Ort wohnte, in einen Trabbi. Mit ihm fuhren wir um die ganze Welt, in den Wilden Westen, in den kühlen Norden und den heißen Süden. Nur in den Osten zog es uns nicht so sehr. Das war die Sowjetunion. Der Trabbi konnte sogar schwimmen. Zumindest in unserer Vorstellung, denn tatsächlich war er ausrangiert und stand ziemlich eingewachsen in einer Hecke.

In der Schule gehörte ich zu den Alternativen. In den Pausen saßen wir philosophierend im Park, schauten in die Baumwipfel und träumten von Freiheit. Und weil das nicht nur eine kurze Hippie-Marotte war, gründeten wir eines Tages die philosophische Runde an unserer Schule. Einmal pro Woche lasen wir mit unserem Ethiklehrer Werke von Philosophen: Schopenhauer oder Nietzsche. Zu Hause gab es auch weniger schweren Stoff: Else Lasker-Schüler und andere literarische Expressionisten. Sie alle fassten unsere Gedanken in Worte und inspirierten uns. Auch zu Dingen, die aus Sicht der Schulleitung dann schiefgingen. Einmal veranstaltete unsere philosophische Runde eine Lesenacht, in der wir uns unsere Lieblingsausschnitte vortrugen. In der Pause hüpften wir Dissonanzen singend durch die leeren, dunklen Gänge der Schule – welche Freiheit! Der Hausmeister wusste nichts davon, und so klopfte nach der Pause in der nächsten Leserunde ein Sondereinsatzkommando in Totalmontur an der Tür. Der Hausmeister dachte, jemand sei in die Schule eingebrochen und hatte die Polizei alarmiert. Der Ethiklehrer konnte der Polizei erklären, dass wir uns mit den Fragen des Lebens beschäftigten, und wir lasen weiter.

Die Runde wurde mehr und mehr zu meinem Freundeskreis. Wir teilten alles, was uns beschäftigte. Uns einte, dass wir nicht den vorgezeichneten Weg gehen wollten: studieren, arbeiten gehen, Geld verdienen, Auto kaufen, in den Urlaub fahren. Aber was war die Alternative? Meine Freundin Anne und ich dachten viel über eine Insel nach, auf der Anarchie herrschen würde. Könnte ein Zusammenleben dort ohne Hierarchien funktionieren? Ging es überhaupt ohne äußere Zwänge? Brauchte man Geld? Konnte man es schaffen, sich unabhängig zu ernähren, die Kinder auszubilden, als Gemeinschaft zu leben, ohne dass einer das Sagen hatte? In mir entstand der Traum von einem anderen Leben.

Das Wichtigste aber waren für mich in meiner Kindheit und Jugendzeit die Pferde. Schon im Grundschulalter ging ich zum Reitstall im Dorf. Ein paar Ponys gab es dort, die gerne buckelten. Rodeo light. Auf ihnen lernte ich, oben zu bleiben und mich auf dem Tier durchzusetzen. Aber als irgendwann der Vereinsbeitrag angehoben wurde, wollten meine Eltern ihn nicht mehr zahlen. Ich machte mich auf die Suche nach einem anderen Stall und fand ihn am anderen Ende des Dorfes.

Der Stall gehörte Christoph, einem Typen mit ergrautem, dünnem Pferdeschwanz. Er trug Jeans und Stiefel und hatte den Hof Ende der Neunzigerjahre gekauft. Natürlich hätte er nie Hof gesagt, er sprach von der Blue Horse Ranch, weil er Westernpferde besaß. Die meisten von ihnen waren Blue Roans, Blauschimmel: Sie hatten einen bläulich-grauen Farbton und waren sonst fast weiß.

Unser Deal war: Ich versorgte Christophs Pferde täglich und durfte dafür reiten, wann ich wollte. Er wurde eine Art Ziehvater, der mich aus dem Pubertätsstress rettete. Ab und an nannte er mich sogar seine Adoptivtochter, auch vor anderen Leuten. Warum nicht?! Immerhin verbrachte ich die meiste Zeit neben der Schule auf seinem Hof. Meine Eltern bekamen davon kaum etwas mit. Weil wir so wenig miteinander sprachen, wussten sie nicht, dass ich mich dort jeden Tag um sechs Pferde kümmerte.

Die Tiere kamen meinem Drang nach Freiheit sehr entgegen, denn sie glichen den öden Schulalltag aus. Jeden Tag lief ich nach der Schule den Weg bergauf durchs Dorf und überquerte am Ende eine Wiese, um zu Christophs Ranch zu gelangen. Seine Hunde rannten mir schon entgegen, sobald ich über einen kleinen Bach sprang, der dort entlangfloss. Die Pferde waren oft draußen, so konnte ich ungestört den Stall ausmisten und Futter in die Raufen füllen.

Es gab einen Roundpen, eine runde Einzäunung, in der ich frei mit den Pferden arbeiten konnte – nicht nur reitend. Ich entdeckte, dass die Tiere ganz unterschiedlich reagierten, je nachdem, wie ich ihnen entgegentrat. Ich musste dazu nicht einmal meine Stimme einsetzen. Es reichte, sich ihnen auf eine bestimmte Weise zu nähern, wenn ich wollte, dass sie stoppten oder in eine neue Richtung gehen sollten. Schwenkte ich die Arme in einer bestimmten Weise, änderten sie ihre Geschwindigkeit. Es beeindruckte mich, dass die Pferde meine Körpersprache verstanden und dass ich mit ihnen intuitiv umgehen konnte. Und natürlich übte ich das Westernreiten. Zweimal in der Woche trainierte mich Christoph auf dem Reitplatz im Dorf. Sonst ritt ich allein durch die angrenzenden Felder und Wälder. Besonders schön war es im Winter: Ohne Sattel auf dem blanken Pferderücken über die verschneiten Äcker zu galoppieren, das befreite meine Seele.

2004, kurz vor dem Abi, kam es für mich jedoch zur Katastrophe: Christoph zog nach Bayern, weil er dort mit seinen Westernpferden mehr Geld verdienen konnte. Er wusste, wie sehr mich das traf, und bot mir an, mein Lieblingspferd dazulassen, wenn meine Eltern den Unterhalt zahlen würden. Doch das war ihnen zu heikel. Warum, weiß ich bis heute nicht. Vielleicht wollten sie es einfach nicht, vielleicht konnten sie es sich nicht leisten. Oder sie nahmen an, ich würde mich nicht richtig um das Pferd kümmern. Wie gesagt, Reden steht bei uns in der Familie nicht so hoch im Kurs. Ich hatte keine Idee, wie ich das Problem lösen sollte. Und so fiel ich in ein tiefes Loch, als Christoph fort war. Es wirkte sich sogar körperlich aus: In der elften Klasse fing ich plötzlich an zu stottern. Es war richtig krass. Gewöhnlich redete ich extrem schnell. Aber nun bekam ich oft kein Wort mehr heraus. Es ging mir schon mal als kleines Kind so. Meine Eltern wollten dann, dass ich in solchen Momenten das Wort »Zitrone« sagte. Mich nervte das total, weil Zitrone ja nicht das Wort war, an dem ich mich gerade abrackerte. Die elterliche Taktik zielte lediglich darauf ab, mich von meinem »äh ... äh ... äh« abzulenken.

Dass das Stottern gerade in der elften Klasse mit so großer Wucht zurückkehrte, war sicher nicht allein dem Weggang von Christoph geschuldet. Hinzu kam, dass genau zu dieser Zeit auch die Kurse in der Oberstufe anders eingeteilt wurden. Die neuen Mitschüler waren ein Problem für mich. Zumindest dann, wenn ich etwas sagen musste. Auch die Lehrer taten sich schwer, mit dem Stottern umzugehen. Vor allem im Mathe-Leistungskurs setzte mich der Lehrer unter Druck: »Was willst du denn jetzt sagen? Was ist denn nun? Du hast dich doch gemeldet! Sag mal jetzt!«, drängte er mich. Da wurde es erst recht schlimm. Die anderen lachten, und ich konnte gar nichts mehr herausbringen. Es ging schnell bergab mit mir: Ich verstummte regelrecht, zog mich zurück. Auch daheim fehlte mir ein Ventil. Meine Eltern schickten mich zur Logopädin, aber die konnte mir nicht weiterhelfen: Bei ihr stotterte ich...

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