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E-Book

Wohnwahnsinn

Warum Mieten immer teurer und Eigentum unbezahlbar wird

AutorUtta Seidenspinner
VerlagBerlin Verlag
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl208 Seiten
ISBN9783827079732
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Wie konnten deutsche Wohnungen zum Spielball globaler Investoren werden, und wer sind die Profiteure? Utta Seidenspinner kommt der Kostenexplosion der vergangenen Jahre systematisch auf die Spur. Dieses Buch handelt von ihrer Recherche im Dschungel versteckter Milliarden-Transaktionen, die komplett am Finanzamt vorbeigehen. Sie entdeckt ein Geldwäschesystem namens »Russischer Waschsalon«, die italienische 'Ndrangheta in Thüringen und trifft auf ägyptische Makler, die Berliner Wohnungen in Shopping Malls in Dubai verkaufen. Und sie findet Mieter, die in ehemals kommunalen Wohnsiedlungen in ständiger Angst vor der nächsten Mieterhöhung leben. Dort lag der Beginn des heutigen Immobilienfiebers, der Urknall, ausgelöst ausgerechnet durch ein Gesetz der rot-grünen Bundesregierung. Seit sich der Staat als Moderator zurückgezogen und allein Kapitalanlegern und Aktienmärkten das Feld überlassen hat, gilt nur noch deren Logik von Rendite und Gewinn. Ein Aufruf, Wohnraum endlich wieder als Grundbedürfnis zu behandeln.  

Utta Seidenspinner, geboren 1964, wanderte nach dem Abitur nach New York aus - die Heimat der Immobilienmogule. Dort lebte sie zehn Jahre lang, studierte Soziologie und staunte über die Kapriolen des Wohnungsmarktes. Es war der Beginn einer lebenslangen Obsession für das Thema Immobilien. Sie arbeitet als Fernsehjournalistin mit Schwerpunkt Wirtschaft und Soziales für alle großen Sender. Heute wohnt sie mit ihrer Familie in München - zur Miete.

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Leseprobe

1


Ein Home zum Preis von einem Castle – was ist hier eigentlich los?


Schon immer lebe ich in der teuersten Stadt Deutschlands. Als Teenager, als Studentin und als berufstätige Mutter, mit Geld und ohne Geld. Die Frage »Wie komme ich an eine Wohnung?« ist quasi Teil meiner DNA, von frühester Jugend an.

Der erste Umzug gestaltete sich noch einfach. Meine Eltern hatten einen sogenannten Anbau an ihrem bescheidenen Häuschen im Münchner Norden, eine winzige Einliegerwohnung ohne Küche. Das war natürlich egal, denn ein gebrauchter Herd im Flur reichte auch, Hauptsache, weg aus der elterlichen Umarmung. Mit 15 Jahren war es das absolute Paradies, auch wenn die Außenmauern schimmelten und der Fußboden nicht isoliert war.

Im Studium ereilte mich dann die Münchner Realität mit voller Wucht: Es gibt in dieser Stadt keine bezahlbaren Wohnungen, schon gar nicht für Studenten, die will nämlich niemand haben, auch damals nicht. Jeden Mittwoch- und Freitagabend standen Menschen wie ich am Marienplatz im Zentrum und warteten auf die druckfrischen Immobilienseiten der Süddeutschen Zeitung, möglichst zu zweit. Einer kaufte die Zeitung, der andere besetzte eine nahe gelegene Telefonzelle, und dann begann der Wettlauf gegen die Zeit. Nur wer als Erster zu den günstigen, maklerfreien Wohnungen durchdrang, bekam überhaupt eine Chance; am nächsten Morgen hatten die meisten Vermieter ihr Telefon wegen des Andrangs bereits ausgehängt.

Ich habe es nie geschafft, auf diesem Wege eine Bleibe zu finden. Stattdessen zog ich nach New York, die Stadt, in der jeder, aber wirklich jeder, dauernd über Immobilien spricht. Sei es, weil er keine Wohnung findet, gerade rausgeworfen wurde, seine Bleibe mit zu vielen Mitbewohnern und Kakerlaken teilen muss oder die Miete horrend gestiegen ist. Wer auch nur ein bisschen Eigenkapital besitzt, jammert über verpasste Chancen zum günstigen Einstieg (damals in den Siebzigerjahren! Neunzigerjahren! Nach der Finanzkrise!) oder träumt von sagenhaften Gewinnen in der Zukunft, und jeder kennt jemanden, der seinen Einsatz mit einer Eigentumswohnung mindestens verdreifacht hat. Es ist eine Krankheit, deren Fieber mich schon sehr bald erfasste. Zum einen, weil ebenso wie in München für Studenten kaum Wohnraum zu finden war und ich mich also zwangsläufig mit allen Tricks auf dem Weg dorthin befassen musste. Zum anderen aber auch, weil Real Estate in den USA ein normales Konsumgut ist.

Das Kaufen von Immobilien gehört zum guten Ton, es ist ein Zeichen des Erwachsenwerdens und – ähnlich wie in Deutschland das Auto – keine einmalige Anschaffung. Man kauft erst etwas Kleines, tauscht das gegen die erste Familienwohnung, dann gegen das Haus, das größere Haus und schließlich vielleicht wieder gegen die Seniorenbleibe. Das Gleiche taten mein Mann und ich. Wir kauften uns eine Wohnung in einem unspektakulären, von Fabrikgebäuden aus Backstein gekennzeichneten Stadtteil von Queens, direkt an einer Bundesstraße, aber mit fabelhaftem Blick auf das Empire State Building. Unsere monatliche Belastung war ab jetzt geringer als die Miete, obwohl wir nur wenig anzahlen konnten. Wir mussten uns nie wieder dem demütigenden Prozess der Mieterauswahl unterziehen, die Nachbarn waren nett, und das Viertel wurde immer beliebter. Als wir nach acht Jahren nach Deutschland umzogen, weil wir ein Kind erwarteten, hatte sich der Wert unserer ersten Immobilie verdoppelt.

Zurück in München begann die Suche nach einem ähnlichen Objekt, nach etwas, dessen Preis in einem vernünftigen Verhältnis zur Rendite stand, alias Mieten minus Finanzierungskosten. Aber egal, wie ich rechnete, in München schien es immer günstiger zu mieten und dann nie wieder auszuziehen. Unser Geld war auf dem Sparkonto offenbar besser angelegt, denn eine Eigentumswohnung in der Größenordnung, die uns vorschwebte, konnten wir uns nicht leisten. Trotzdem gab ich die Suche nie wirklich auf.

Seit 2003 beobachte ich den Markt nun mit Argusaugen. Ich gehe regelmäßig auf Wohnungsbesichtigungen zum Kauf, begleite Freunde und Bekannte auf Wohnungsbesichtigungen zur Miete, lese jede Statistik zu dem Thema und wälze Immobilienseiten. Zu meinem Erstaunen steigen die Preise unaufhörlich, obwohl die Menschen, die das alles bezahlen müssen, nicht so viel mehr verdienen als früher, was jeder Logik widerspricht. Und fast, ja fast schon fühlt sich München an wie New York, denn mittlerweile redet auch hier jeder und immer über Mieten und Wohnungsnot und überhaupt den ganzen »Wahnsinn mit den Immobilien«. Wer kann das denn bitte schön bezahlen? Was ist da los?

Mein Eigeninteresse verwandelte sich in eine generelle Obsession, als ich aus anderen Städten ähnliche Geschichten hörte. Warum entstanden plötzlich überall Luxusbauten? Wohnte man überhaupt noch irgendwo günstig? Gab es weniger Wohnungen oder mehr Menschen als früher? Ich wollte den Markt verstehen, den Zusammenhang zwischen Kaufpreisen und Mieten erkunden, die Auswirkung von Zinsen vorhersehen, wissen, wer eigentlich warum kauft und dann was damit macht. Egal, wohin mich meine Arbeit als Journalistin verschlägt, sehe ich mir seither die Schaukästen der Maklerbüros an und verwickle jeden in ein Gespräch über seine Wohnung – sei es auf dem platten Land in Niedersachsen, in traurigen Fußgängerzonen im Ruhrpott, herausgeputzten Nordseebädern, verwaisten Geisterorten in Sachsen-Anhalt, bayerischen Luftkurorten oder glitzernden Großstädten. Und fast überall, so scheint es, steigen die Preise, ob zum Kauf oder zur Miete.

Laut aktuellem Frühjahrsgutachten der Immobilienwirtschaft zogen die Wohnungsmieten in den vergangenen acht Jahren bundesweit um 26 Prozent an. Die Kaufpreise in manchen Ballungsräumen und sogenannten Schwarmstädten, die überproportional hohen Zulauf haben, haben sich innerhalb weniger Jahre verdoppelt. Eigentlich lautet aber eine eiserne Regel: Immobilienmärkte sind lokale Märkte, daher auch die Binse »Lage, Lage, Lage«. Eine Immobilie ist nur so viel wert, wie die Menschen vor Ort bereit sind, für sie zu bezahlen, sei es zur Miete oder zum Kauf. Wie viel das ist, hängt logischerweise von der örtlichen Kaufkraft ab. Wer viel verdient, kann viel Miete bezahlen, teuer essen gehen und von früh bis spät shoppen – und umgekehrt eben nicht. Entsprechend gestalten sich die Preise von Gewerbeimmobilien und Wohnungen. Eigentlich. Doch dieser Zusammenhang gilt in Deutschland nicht mehr.

In der Zeit von 2012 bis 2017 stieg der durchschnittliche Bruttomonatsverdienst um 11 Prozent. Die Preise für Neubau-Eigentumswohnungen in großen Städten zogen im gleichen Zeitraum um 49 Prozent an, heute liegen sie in München bei 7500 Euro pro Quadratmeter (+ 40 Prozent), Stuttgart 6000 Euro (+ 75 Prozent), Frankfurt 5530 Euro (+ 55 Prozent), Berlin 5050 Euro (+ 54 Prozent), Hamburg 4700 Euro (+ 24 Prozent), Köln 4560 Euro (+ 44 Prozent) und Düsseldorf 4 830 Euro (+ 50 Prozent).[1]

Die Mieten in den Stadtregionen – und drei Viertel aller Deutschen leben dort – stiegen bis zu 30 Prozent in fünf Jahren. Schon ein Blick auf die eigene Gehaltsabrechnung genügt, um zu wissen: Das stimmt leider nicht mit den Verdienststeigerungen überein. Kaufpreise und Mieten entkoppeln sich also zunehmend von den Einkommen vor Ort.

Obwohl die Deutschen in Umfragen immer wieder den Wunsch nach einer Immobilie an oberste Stelle setzen, leben nur 45 Prozent in den eigenen vier Wänden, europaweit sind es 70 Prozent – was dazu führt, dass Deutsche bei internationalen Vermögensvergleichen regelmäßig weit abgeschlagen hinter den armen Italienern und den noch ärmeren Spaniern liegen. Und unsere Eigentumsquote ist in den vergangenen zehn Jahren sogar gesunken. Normalerweise kaufen Menschen ihre erste Immobilie, wenn sie im Beruf angekommen sind und vielleicht eine Familie gründen. Doch die Ausbildungszeiten haben sich verlängert, und viele Arbeitsverträge sind befristet. Das ermutigt weder Kreditnehmer noch Kreditgeber zu hohen Immobilienhypotheken. Erbschaften und Schenkungen können das nicht kompensieren, entgegen der allgemeinen Wahrnehmung, es handele sich hier um die Generation Erben. Vor allem in Regionen mit angespanntem Wohnungsmarkt wie Bayern, Baden-Württemberg und Hessen leisten sich immer weniger Menschen ein Eigenheim, in Großstädten schon gar nicht. Dort wird traditionell gemietet, in Berlin zum Beispiel zu 85 Prozent, in Hamburg zu 80 Prozent und in München zu 75 Prozent.

Wenn aber der jüngste Immobilienboom an den Normalverdienern vorbeigeht, wer kauft dann den Markt leer und sorgt für bundesweite Mietsteigerungen weit über der Inflationsrate? Wem gehören eigentlich unsere Wohnungen und Häuser? Wer oder was treibt den Immobilienmarkt?

Der Anfangsverdacht


Das erste Aha-Erlebnis verschaffte mir eine Münchner Maklerin im Jahre 2010. Nachdem ich wieder einmal ausgiebig die – meines Erachtens völlig überzogenen – Preise der Angebote im Fenster eines kleinen Büros der LBS studiert hatte, marschierte ich empört hinein und...

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