Homiletischer Essay
Doris Hiller
Aussichtsreich predigen – Wider das Kleinreden der Gottesgeschichte
I Homiletischer Kleinglaube
Sie finden sich vor allem in den Schlusssätzen einer Predigt. Die Rede ist von den vielen Kleinigkeiten und dem Etwas, das doch wenigstens ein Bisschen des Göttlichen im Weltlichen erkennbar machen möge. Es handelt sich, wie im Folgenden auf der Spur biblisch-theologischer Hermeneutik entdeckt werden soll, keineswegs um ein homiletisches Problem, das nur einfach rhetorisch zu lösen wäre. Wer klein redet, glaubt klein – so die hier provokant vorangestellte Behauptung.
Zunächst einige Beispiele, die den homiletischen Kleinglauben noch einmal anschaulich machen: Gottes Gnade – ein klein wenig wird davon sichtbar, wenn wir einander freundlich begegnen. Gottes Reich – in kleinen Dingen, wie dem liebevollen Blick einer Nachbarin, können wir es erahnen. Gottes Friede – öffnen wir unsere Arme wenigstens ein bisschen und wir spüren vielleicht, wie er sein kann. Für sich gelesen, klingen diese Sätze leicht karikierend. Wer ehrlich ist – und die Verfasserin dieser Zeilen weiß sich selbst gemeint – muss zugeben: So fern der Predigtrealität ist das homiletische Diminutiv nicht.
Es mag sein, dass die rhetorische Verkleinerungsform eine unbeholfene Reaktion auf die Kritik an den großen theologischen Richtigkeiten ist, die oft und ebenfalls eher am Ende einer Predigt zu Gehör gebracht werden. Die Großbegriffe Gnade, Liebe, Rechtfertigung u.a. werden aufgerufen, »formuliert in Sätzen von überzeugender theologischer Korrektheit« (Lütze, 21), fernab jeglicher Konkretion im Erfahrbarmachen des Evangeliums. Die verkleinernde Verkleidung des Großen macht dieses nun aber auch nur scheinbar konkret. Es handelt sich lediglich um eine Phrasierung des Abstrakten, die wiederum Anlass zu homiletischer Kritik an einer »Minimierung der Botschaft« (Engemann, 93f.) gibt. Das alte Dictum Karl Barths zu bemühen, dass wir Menschen sind und als solche nicht von Gott reden können, kann auch nicht als Argument zur Rettung des Kleingeredeten herhalten (vgl. Barth). Ihm folgt nämlich bekanntermaßen als Lösung des Problems das Wissen um das menschliche Unvermögen und deshalb die Aufforderung, Gott die Ehre zu geben. Wenn aber jemandem die Ehre gegeben werden soll, dann versteht es sich von selbst, dass ihm nichts Kleinmachendes angeboten wird.
Predigen ist eine Form, dem Wort Gottes in menschlicher Sprache Gestalt und Gehalt zu geben. Zu Ehren gebracht wird dieses Wort Gottes im Predigen so, dass es beim Menschen, in seiner Wirklichkeit und in seinem Leben ankommt. Weil es in der Predigt um nicht weniger geht als um eine erfahrungsbasierte Darstellung des Verhältnisses von Gott und Mensch, dürfen Gehalt und Gestalt der Sprache nicht in ein Missverhältnis gebracht werden. Wo dies geschieht, gerät die Kommunikation des Evangeliums in Schieflage. Die Rhetorik ist ein erster Indikator für diese Schieflage. Ihr Anspruch ist zu überzeugen, indem der Rede ein gefälliger Schmuck verliehen wird. Dinge klein zu reden, schmückt nicht und überzeugt selten. Dem Rhetorischen korrespondiert das Theologische, wenn es um die sprachliche Veranschaulichung des Evangeliums geht. Zu beobachten ist allerdings, dass es viel einfacher scheint, vom Gegenteil zu reden, von den schlechten Nachrichten und dunklen Botschaften. Rhetorisch machen die Erzählvorlagen und Nachrichtenbilder nicht nur ein klein wenig von der Gewalt, der Armut, dem Leid deutlich. Sie sind drastisch, nicht nur optisch, sondern auch sprachlich. Ein Anschluss an die Erfahrungswelt der Predigthörer und -hörerinnen ist einfach hergestellt. Evangelium erzählen, Frohe Botschaft narrativ gestalten, eine Bildsprache des Guten entwerfen, von der Fülle der Freude in Gottes Welt zu reden: Darin liegt die eigentliche Herausforderung im Predigtmachen. Erzählvorlagen im Biblischen gibt es genug. Diese Erfahrungen so zu vergegenwärtigen, dass sie im Leben der Predigthörer und -hörerinnen groß werden können, braucht nicht nur rhetorisches Geschick, sondern den geistlichen Mut, aus dem sich die theologische Kompetenz der Prediger und Predigerinnen speist, verbunden mit einer hermeneutischen Fähigkeit, die nicht dem Kleinglauben das Wort redet. Es bedeutet, sich im eigenen Verkündigen der Kraft des Wortes Gottes auszusetzen, die nicht im Faktischen, sondern im Möglichen ihre Kreativität entfaltet. Und diese beginnt … im Kleinen.
II Biblische Miniaturen
Schon ein kleiner Blick in die große Erzählung der Gottesgeschichte trägt zur Bestimmung des homiletisch zu gestaltenden Größenverhältnisses bei. Sich in seiner Größe klein zu machen, gebührt Gott selbst. Ein einziger Name genügt, um sich ansprechbar zu machen. Das Kürzel von vier Zeichen birgt seine ganze Geschichte mit den Menschen (Ex 3,14). In der letztmöglichen Gottesbewegung in die Welt hinein gewinnt Gottes Größe Gestalt, verortet in einer kleinen Stadt (Mi 5,1). Das Kind in der Krippe macht anschaulich: Gottes Anfänge sind klein, aber nicht niedlich. Wenn Predigt davon kommt, »dass Gott sich dem Menschen zeigt« (Engemann, 79), dann kann dies schlechterdings nicht so verstanden werden, dass der Mensch sich nun noch kleiner macht. Gott hat ihn so groß wie möglich geschaffen und das ist nur ein wenig niedriger als er selbst (Ps 8). Das gilt auch für den, der klein von Gestalt war (Lk 19,3), und für die Kinder sowieso (Mk 10,14f.). Sprechen die Evangelien davon, dass der erhöht wird, der sich selbst erniedrigt, dann deshalb, weil sich Menschen, seien es die Schriftgelehrten oder die Jünger selbst, im Göttlichen verstiegen haben (Mt 18,4; Mt 23,12).
Gottes Offenbarung dient dazu, den Menschen groß zu machen, indem er ihn aufrichtet, weil er ihn von Anfang an auf Augenhöhe geschaffen hat. Auch wenn die Menschheitsmythen am Anfang der Bibel davon sprechen, dass menschliches Tun mühevoll sein wird. Vom eigentlichen Schöpfungsauftrag, die Erde zu bebauen und zu bewahren, wird nicht abgerückt. Es gilt, auch jenseits von Eden nicht nur ein bisschen zu bebauen und ein wenig zu bewahren. Wer bebaut und bewahrt, der zeigt nicht nur ein klein wenig von Gottes Schöpfungswillen. Er ist in göttlichem Sinne kreativ. Vor diesem Hintergrund erhält auch das Gleichnis von den Talenten eine schöpferische Dimension. Der Kritik ausgesetzt ist der, der zu gering von sich denkt bzw. der sich noch nicht einmal am Minimum des Ertrags orientiert. Weil Kleines nicht klein bleiben soll, predigt Jesus vom Wachstum, das alle Dimensionen sprengt. Dafür steht das kleinste unter den Saatkörnern, das sich zum größten Strauch auswächst (Mk 4,30–32). Doch auch dieser botanische Superlativ reicht nicht, um den darin angelegten göttlichen Mehrwert zu entfalten. Das Kleinste tendiert zum Nichts und dieses ist das, zu dem Gott ruft, dass es sei (Röm 4,17), womit ein neuer, lebensorientierter Anfang gesetzt ist.
Diese göttlichen Miniaturen zeigen, dass vom Kleinen durchaus lebensweltlich orientiert zu predigen ist. Erkennbar ist aber auch: Es ist ein großer Unterschied, ob etwas klein ist oder verkleinert bzw. kleingeredet wird. Trägt man die hier beispielhaft aufgerufene Sprachkraft der biblischen Bilder in die sprachliche Gestaltung eines Gottesdienstes ein, wird die Notwendigkeit einer Hermeneutik der Kommunikation des Evangeliums noch einmal deutlicher: Im Psalmgebet öffnen sich weite Räume, die Lieder schlagen in ihren Texten selten leise Töne an. Niemand käme auf die Idee, die Gemeinde mit ein bisschen Frieden und ein wenig Segen zu entlassen. »Weniger ist mehr« mag zwar gelegentlich als Kritik an der Länge einer Predigt berechtigt sein, nicht aber bezüglich ihrer Botschaft und dem Kommunikationsgeschehen eines Gottesdienstes überhaupt. Dieses ist getragen von jenem Mehrwert, der in jedem Erzählen der Gottesgeschichte angelegt ist. Warum aber formelhafte Verkleinerungen, oft am Ende einer Predigt produziert, wenn am Anfang die Fülle des Gotteswortes steht und bis dahin starke Bilder und große Worte gemacht wurden?
III Vom Diminutiv zur Metapher
Meine These zum »Warum« formelhafter Verkleinerungen, die zunächst bei der Sprachgestalt ansetzt, ist: Was im Predigen minimalistisch daherkommt, ist ein misslungener bzw. nicht zu Ende gedachter Wort Versuch, biblische Gleichnisrede aufzunehmen. Gleichnisse sind sprachlich über Vergleichsformulierungen gebaut (»ist wie«, »gleicht«), bleiben aber nicht im real-logischen Vergleichsschema stecken. Es geht Gleichnissen nicht darum, anschauliche Vergleiche aus der Lebenswelt der Angesprochenen zu finden, um diese in ihrem begrenzten Horizont zu bestätigen. Gleichnisse brechen das Reich Gottes nicht auf die Weltwirklichkeit herunter, sie brechen diese Weltwirklichkeit auf. Ihnen eignet eine Überbietungslogik und damit verbindet sich die sprachliche Gestalt mit dem zu vermittelnden Gehalt des zu Sagenden. Nicht im Vergleichswert, sondern im Mehrwert liegt die Aussagekraft. Darum funktionieren solche Texte auch noch in einer Zeit, in der die Lebenswelt eine andere geworden ist, und in Kulturen, die keine Senfbäume pflanzen.
Die Gleichnisrede ist eine Verdichtung des biblischen Sprachgeschehens, das in sich schon Kommunikation des Evangeliums ist. Hier setzen die hermeneutischen Überlegungen an und verbinden sich mit einer Predigtdidaktik, die nach der Absicht der Predigt fragt: Was willst du mit dem, was du sagst? (Vgl. Lütze, 295) Was soll ins Verstehen, in die Erfahrungswelt der Predigthörenden hineingesprochen werden?
Soll – und diese Absicht ist jedem Predigenden wohl zu unterstellen – die Überbietungslogik der...