Die modernen Informations- und Telekommunikationstechnologien haben längst sämtliche Branchen durchdrungen.[72] Während die Zuordnung des klassischen Einzelhandels zur herkömmlichen Wirtschaft und die Zuordnung des E-Commerce[73] zur Digitalen Wirtschaft noch gelingen mag,[74] zeigt sich die erforderliche Abgrenzung und Zuordnung in anderen Branchen deutlich schwerer bis gar unmöglich. Das „Web 2.0“, „soziale Medien“, das „Internet der Dinge“[75] bzw. die „Industrie 4.0“ begünstigen die stark zunehmende Digitalisierung und Vernetzung von und in Unternehmen aller Branchen (Transport und Logistik, Finanzen, Industrie- und Landwirtschaft, Bildung, Gesundheit, Rundfunk und Medien).[76] Anders als die Luft- und Seeschifffahrt in Art. 8 OECD-MA, lässt sich die Digitale Wirtschaft also gerade nicht als eigene Branche identifizieren und steuerlich regeln.[77] Stattdessen lassen sich Wesensmerkmale der Digitalen Wirtschaft ausmachen, die BEPS begünstigen.
Sowohl die rasant fortschreitende Internet- und Telekommunikationstechnologie, als auch die sinkenden Kosten für deren Nutzung fördern das Aufkommen neuer Unternehmen mit neuen Internet-Geschäftsmodellen.[78] Langfristiger Unternehmenserfolg verlangt nachhaltige Investitionen in die Forschung und Entwicklung neuer Produkte und Dienstleistungen sowie unter Umständen in die Akquisition junger Start-Up-Unternehmen mit innovativen Ideen,[79] bevor diese schnell selbst zu starken Mitbewerbern heranwachsen. Wie schnell ein Start-Up zum Global Player heranwachsen kann zeigt z.B. das 2008 gründete E-Commerce-Unternehmen Zalando GmbH, welches ihr Geschäftsjahr 2014 als Zalando SE mit einem Umsatz i.H.v. 2,2 Mrd. Euro und einem Jahresüberschuss i.H.v. 35,7 Mio. Euro abschloss.[80] Ein Gegenbeispiel stellt das Warenhaus-, Versandhandel- und Touristikunternehmen Arcandor AG dar, welches 2009 trotz Milliardenumsätzen Insolvenz anmelden musste.[81]
Die Ära E-Commerce begann mit der Gründung des Business-to-Consumer (B2C) Online-Versandhandels Amazon.com, Inc. im Jahr 1994.[82] 1995 folgte der Consumer-to-Consumer (C2C) Online-Marktplatz eBay Inc.,[83] welcher den zwischenzeitlichen Trend hin zur Sharing Economy[84] maßgeblich fördert. Heute wird der E-Commerce jedoch von Business-to-Business (B2B) Transaktionen dominiert.[85] Hierunter fallen z.B. die Online-Einkäufe von Großhändlern, der elektronische Bezug von Logistik-Dienstleistungen (z.B. Transport, Lagerung, Vertrieb etc.) oder sonstigen Support-Dienstleistungen (z.B. Webhosting, Software, elektronische Bezahlsysteme[86] etc.).[87] Neben dem indirekten E-Commerce (Onlineshopping von physischen Gegenständen) spielt der direkte E-Commerce (Onlineshopping von immateriellen Gegenständen bzw. elektronischen Dienstleistungen) eine zunehmend bedeutende Rolle.[88] Musik- und Video-Streaming verdrängen Musik- und Video-Downloads, welche ihrerseits bereits CDs, DVDs und Blue-Rays überflüssig machten. Online-Nachrichten, E-Books und Elektronische Zeitschriften verdrängen Printmedien. Und als Zahlungsmittel drängen bereits digitale Währungen wie Bitcoin auf den Markt.[89]
Abb. 1: B2B-E-Commerce-Umsatz in Deutschland 2007 bis 2012[90]
Abb. 2: B2C-E-Commerce-Umsatz weltweit 2012 bis Prognose bis 2018[91]
In der Werbebranche wird die Suchmaschinen- und Banner- bzw. Display-Werbung durch mobile Werbung auf Smartphones bzw. Tablet-PCs ergänzt.[92] Sowohl Anwendungssoftware, die über App Stores umsonst oder günstig heruntergeladen werden kann (App) als auch soziale Medien sind mit solcher Werbung ausgestattet[93] und/oder erfassen die Nutzerdaten der Anwender zur weiteren Kommerzialisierung.[94] Das öffentliche Interesse bzw. die Erwartungen an neue Trends, Techniken und Innovationen werden im Folgenden anhand sog. Hype-Zyklen dargestellt.[95]
Abb. 3: Gartner-Hype-Zyklus für „Digital Marketing“, Stand Juli 2014[96]
Die wichtigste Weiterentwicklung seit dem Wechsel von Großrechnern auf PCs in den 1980er Jahren heißt Cloud Computing. Hierbei handelt es sich um einen Service, der IT-Ressourcen in weitaus größerem Umfang zur Verfügung stellt, als sie ein herkömmlicher PC zur Verfügung stellen kann.[97] Als Vorreiter des Cloud Computing gelten Internetdienste wie Web.de oder Google Mail, denen Fotocommunities wie Flickr folgten.[98] Sowohl Privatanwender als auch Unternehmer legen ihre E-Mails, Fotos und Dateien zunehmend online auf den von Google, Amazon & Co. betriebenen Serverfarmen ab.[99] Den benötigten Speicherplatz stellen von Skaleneffekten profitierende Internetkonzerne als „Infrastructure-as-a-Service (IaaS)“ gegen Entgelt und/oder Überlassung von Nutzerdaten zur Verfügung. Entsprechend stellen sie in ihren Clouds auch Entwicklertools als „Platform-as-a-Service (PaaS)“ und Anwendungssoftware als „Software-as-a-Service (SaaS)“ oder ganz allgemein „Anything-as-a-Service (XaaS)“ bereit.[100]
Abb. 4: Gartner-Hype-Zyklus für „Cloud Computing“, Stand August 2012[101]
Neuen Technologien wie dem 3D-Drucken wird enormes Potential zugeschrieben.[102] Schätzungen nach soll der weltweite Jahresumsatz mittels 3D-Drucken bis 2019 auf über 6 Mrd. US-Dollar anwachsen.[103] Service und Material mit inbegriffen prognostiziert eine weitere Studie den weltweiten Jahresumsatz bereits im Jahr 2018 auf 16,2 Mrd. US-Dollar.[104] Das entspricht einem jährlichen Wachstum i.H.v. 45,7 %.[105] Schon heute werden in der Medizintechnik erfolgreich passgenaue Zahnkronen, Zahnbrücken oder Hörgeräteteile gedruckt. Darüber hinaus werden bereits ganze Autokarosserien, Möbel, bis hin zu Häusern gedruckt.[106] Wenn die 3D-Drucker in einigen Jahren reif für den Einsatz in der Serienproduktion sind und auch in die Privathaushalte einziehen, werden sich viele Wertschöpfungsketten verkürzen.[107] Statt Produkte werden dann ggf. nur noch 3D-Drucker und Produktpläne gekauft.[108]
Abb. 5: Gartner-Hype-Zyklus für „3D Printing“, Stand Juli 2014[109]
Die rasante technische Entwicklung in der Informations- und Telekommunikationstechnik ermöglicht es (IT-)Unternehmen immer kostengünstiger in entfernte Märkte einzutreten und dort Geschäfte zu tätigen.[110] Der zunehmende Vertrieb ihrer Produkte und Dienstleistungen direkt über das Internet ermöglicht es diesen Unternehmen entfernte Märkte zu bedienen, ohne dort physisch präsent sein zu müssen.[111] Hierdurch erhöhte sich der Anteil von Computer-, Informations- und Telekommunikationsdienstleistungen am weltweiten Export von Dienstleistungen von 2002 bis 2012 um 3,3 Prozentpunkte auf 9,0 %.[112]
Darüber hinaus unterstützt die Liberalisierung der globalen Märkte Unternehmen dabei, ihre Geschäftsfunktionen weltweit zu zentralisieren und im jeweils nutzenbringendsten Markt anzusiedeln.[113] Während die Abwanderung von personal- bzw. anlagenintensiven Geschäftsfunktionen in Niedriglohnländer durch die dort oft geringere Anzahl an verfügbaren Fachkräften[114] bzw. eine unzuverlässigere Infrastruktur[115] begrenzt wird, lassen sich Finanzierungsfunktionen deutlich leichter verlagern.
Ein Schlüsselmerkmal der Digitalen Wirtschaft stellt die Entwicklung und Nutzung immaterieller Werte (Intangibles) dar.[116] Für Verrechnungspreisaspekte definiert die OECD einen immateriellen Wert als Etwas, das (1.) weder einen physischen noch finanziellen Vermögenswert[117] darstellt, (2.) im Eigentum oder im Besitz eine kommerzielle Verwendung ermöglicht und (3.) dessen Nutzung oder Übertragung ein fremder Dritter vergüten würde.[118] Im Bereich der Digitalen Wirtschaft...