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E-Book

Abschalten!

Warum mit Atomkraft Schluss sein muss und was wir alle dafür tun können

AutorCampact e.V.
VerlagS. Fischer Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2011
Seitenanzahl432 Seiten
ISBN9783104009735
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis6,99 EUR
'Abschalten!' bietet aktuelle, gut aufgemachte Hintergrundinformationen zum Thema Atomausstieg. Es bezieht klar Stellung, ermutigt zum Handeln und zeigt Alternativen auf. Das Buch macht außerdem deutlich, wie Energiekonzerne mit Tricks, Lügen und Halbwahrheiten versuchen, eine Renaissance der Atomenergie durchzusetzen, Stichwort: Laufzeitverlängerung. Hier erfährt der Leser, was er selbst für den Atomausstieg unternehmen kann - einfach und pragmatisch.

Campact e.V. organisiert seit 2004 Kampagnen, bei denen sich Menschen via Internet in aktuelle politische Entscheidungen einmischen: Sie unterzeichnen Appelle und Petitionen, informieren Freunde und unterstützen die Campact-Kampagnen durch Spenden und Förderbeiträge. Wenn Wirtschaftslobbyisten Gesetze diktieren wollen oder im Bundestag die Meinung der Bevölkerung nicht zählt, ist Campact zur Stelle. Schnelles Handeln verbindet Campact mit phantasievollen Aktionen, die Öffentlichkeit herstellen und Druck auf die Entscheidungsträger ausüben: für eine sozial gerechte, ökologisch nachhaltige und friedliche Gesellschaft.

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Leseprobe

1.3 Fukushima ist überall


Schon wenige Monate, nachdem Schwarz-Gelb die Laufzeitverlängerungen durchgeboxt hatte, wurde der Pro-Atomkurs der Merkel-Regierung radikal in Frage gestellt. Am 11. März 2011 erschütterte ein Erdbeben der Stärke 9,0 auf der Richterskala Japan. Es war eines der schwersten Erdbeben in der Geschichte des Inselstaates. Anschließend verwüstete ein gigantischer Tsunami große Teile des Landes, die Flutwelle riss Schiffe, Autos, Brücken und sogar ganze Häuser mit sich. Ersten Schätzungen zufolge forderten das Erdbeben und der Tsunami mehr als zwanzigtausend Todesopfer. Doch als wäre das alles nicht schon schrecklich genug, zeichnete sich nach der Naturkatastrophe auch noch eine Atomkatastrophe ab. Das Erdbeben löste zwar eine automatische Schnellabschaltung der Kernkraftwerke aus, doch die nukleare Kettenreaktion endet nicht sofort auf Knopfdruck. In den Reaktoren entsteht auch nach der Abschaltung eine sehr große Hitze, denn die bei der Kernspaltung entstandenen radioaktiven Stoffe zerfallen weiterhin. »Die Restzerfallswärme ist ungeheuer groß, nämlich sieben Prozent der Kraftwerksleistung«, erklärt der Atomexperte Mycle Schneider. Daher müssen die Brennstäbe nach dem Herunterfahren des Reaktors noch mehrere Monate lang gekühlt werden, sonst beginnen sie zu schmelzen und die nukleare Kettenreaktion gerät außer Kontrolle.

Doch die Kühlsysteme eines Reaktors benötigen Strom, der die Kühlmittelpumpen antreibt. Beim Reaktor Fukushima 1 hatte das Erdbeben die externe Stromversorgung zerstört. Wie die deutschen Atomkraftwerke verfügen auch die japanischen Meiler für einen solchen Fall über Diesel-Notstromaggregate. Die sprangen nach dem Erdbeben zunächst auch an, doch dann kam der Tsunami und schwemmte die Dieseltanks regelrecht davon: Fukushima 1 liegt direkt am Strand, das ganze Kraftwerksgelände stand unter Wasser. Den Kraftwerkstechnikern gelang es zwar, Notbatterien zu schalten, doch die sind eigentlich nur dafür gedacht, ein paar Minuten zu überbrücken, und reichen höchstens für ein paar Stunden. Der Kühlwasserstand im Reaktordruckbehälter sank immer tiefer, die Brennstäbe sollen bis zur Hälfte aus dem Wasser geragt haben. Dadurch liefen sie immer heißer und begannen schließlich zu schmelzen. Da der Druck und die Radioaktivität immer weiter stiegen, wurde radioaktiver Dampf in die Umwelt abgelassen. Trotzdem kam es zu einer Wasserstoffexplosion, bei der Teile des Reaktorgebäudedachs weggesprengt wurden. Auch der Sicherheitsbehälter (Containment) um den Reaktordruckbehälter wurde bei mindestens zwei der sechs Reaktoren in Fukushima 1 beschädigt. Sollte dieser zerbersten, könnte das radioaktive Inventar aus dem Reaktorinneren komplett an die Umwelt gelangen. Zudem bestand die Gefahr, dass sich der schmelzende Reaktorkern zunächst durch den Boden des Reaktordruckbehälters und dann durch den Boden des Sicherheitsbehälters fressen und das Erdreich sowie das Grundwasser radioaktiv kontaminieren könnte. In ihrer Not griffen die japanischen Ingenieure zu einer verzweifelten Maßnahme, die in keinem Handbuch vorgeschrieben ist: Sie fluteten den Sicherheitsbehälter von außen mit Meerwasser, das mit Bor versetzt wurde. Was genau im Reaktor vor sich ging, wussten die Kerntechniker längst nicht mehr: Die unvorstellbare Hitze im Inneren hatte alle Messinstrumente zerstört, der Reaktor befand sich im Blindflug. Unterdessen gelangten immer neue Schreckensmeldungen aus anderen Atomreaktoren an die Öffentlichkeit, gleich in mehreren Reaktoren war die Kühlung ausgefallen und die Kernschmelze hatte begonnen.

Nachdem immer neue atomare Hiobsbotschaften aus Japan Deutschland erreichten, versuchten die Atomkraftwerksbetreiber zu beschwichtigen: In Deutschland gebe es weder Erdbeben dieser Stärke und auch keine Tsunamis. Die deutschen Atomkraftwerke seien die sichersten der Welt. Genau das hatten japanische Politiker ihrer Bevölkerung auch immer erzählt. Doch in Deutschland würden einige der älteren Meiler schon bei einem viel leichteren Erdbeben, wie sie auch hierzulande vorkommen, in Schwierigkeiten geraten. Und Tsunamis sind hierzulande zwar unwahrscheinlich, doch Hochwasser und Sturmfluten bedrohen auch deutsche Atommeiler. Das Problem in Japan war außerdem nicht das Erdbeben oder der Tsunami, sondern der Stromausfall. Bei einer Zerstörung der Stromversorgung und der Notstromaggregate eines Atomreaktors durch eine Naturkatastrophe, einen Brand, eine Explosion oder einen Terroranschlag wäre eine Kernschmelze auch in deutschen Reaktoren nicht mehr zu verhindern.

Das Design der Unglücksreaktoren in Fukushima Daiichi ähnelt sehr stark dem der deutschen Siedewasserreaktoren der sogenannten Baulinie 69, die fast genauso alt sind. Diese deutschen Reaktoren waren zwar eine Eigenentwicklung von AEG und Siemens, doch als Vorbild dienten dabei die von General Electric gebauten Siedewasserreaktoren, zu denen auch Fukushima Daiichi gehört. Block 1 der Anlage sollte ursprünglich Anfang 2011 stillgelegt werden, doch die japanische Regierung verlängerte die Laufzeit um zehn Jahre.

Besonders die vier Atomkraftwerke in Neckarwestheim und Philippsburg gelten als erdbebengefährdet. Das Erdbeben von Basel im Jahre 1356 erreichte 6,9 auf der Richterskala. Japan bewies, dass man immer mit stärkeren Beben rechnen muss, als es sie bisher gab. Schon Erschütterungen von der Stärke des Basler Erdbebens würden die Anlagen kaum standhalten. In Neckarwestheim müsste nicht einmal die Erde beben, dort müsste nur die Erde zusammensacken. Der Geologie-Professor Hermann Behmel warnte bereits vor vierzig Jahren vor dem Bau der beiden Reaktoren in Neckarwestheim. »Der Ort ist eine geologische Zeitbombe«, sagt der mittlerweile 72-jährige Geologe. Neckarwestheim steht auf einem alten Steinbruch, der Untergrund besteht aus porösen Schichten aus Kalk und Gips, in die das Grundwasser immer neue Hohlräume spült, das poröse Gestein zerbröselt. Etwa fünf Kilometer von den beiden Atomkraftwerken tat sich im Sommer 2010 auf einem Acker urplötzlich ein 18 Meter tiefer Krater auf – ohne jede Vorwarnung. Der Kühlturm des Kraftwerks sackte bereits um 40 Zentimeter ab. Die unter der Erde liegenden Rohre des Kühlsystems könnten abreißen, wenn die Gesteinsschichten in Neckarwestheim nachgeben. Dieses Problem betrifft nicht nur den Uralt-Reaktor Neckarwestheim 1, sondern auch das jüngste deutsche Atomkraftwerk Neckarwestheim 2. Auch Professor Dr. Gerhard Jentzsch, ehemaliger Präsident der Deutschen Geophysikalischen Gesellschaft, kommt in einem Gutachten aus dem Jahr 2005 zu dem Ergebnis, dass in der Umgebung des AKW Neckarwestheim lediglich »mittelsteifer, poröser Untergrund« vorliege (Bodenklasse M). Bei einem Erdbeben bedeute dies, dass mit um 30 Prozent stärkeren Erschütterungen zu rechnen sei. Um folgenschwere Schäden zu vermeiden, müssten Bauten auf solch instabilem Grund entsprechend stabiler errichtet werden.

Andere Gefahren drohen im Norden Deutschlands: Die Atomkraftwerke Brokdorf und Unterweser gelten als besonders hochwassergefährdet. An der Nordseeküste ist zwar ein Tsunami unwahrscheinlich, doch auch Hochwasser und Sturmfluten können eine Gefahr für Atomkraftwerke darstellen. »Ein gleichzeitiges Auftreten von Sturmflut und Tidehochwasser kann dort (Atomkraftwerk Unterweser; Anmerkung des Autors) für eine Gefährdungssituation sorgen«, schreibt die Physikerin Oda Becker in einem Gutachten für den Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND). Laut einer Studie ist bei einer Überflutung des AKW-Geländes von gefährlichem Notstromfall auszugehen.

Eine noch größere Gefahr bestünde bei einem Deichbruch. Laut Aufsichtsbehörde würde der Wasserstand bei einem Deichbruch auf 3,95 Meter ansteigen. Diese Berechnungen beruhten aber zum Teil auf veralteten Analysen, so Becker. »Dieser Wasserstand ist nur fünf Zentimeter höher als die Anlagensicherheitsgrenze. Steigt das Wasser höher, ist ein folgenschwerer Kernschmelzunfall unvermeidlich«, heißt es in der BUND-Studie.

Nach der Atomkatastrophe in Japan verkündete Bundeskanzlerin Merkel ein »Moratorium« mit den Reaktorbetreibern. Die Laufzeitverlängerung wurde für drei Monate »ausgesetzt«, die sieben ältesten Reaktoren, die nach dem rot-grünen Atomkonsens im Jahr 2011 ihre Reststrommengen ausgeschöpft hätten, mussten vorübergehend vom Netz. In der Zwischenzeit sollten die Anlagen einem Sicherheitscheck unterzogen werden. Sollte auch nur einer dieser gefährlichen Schrottreaktoren jemals wieder ans Netz gehen, würde die Kanzlerin auch noch ihren letzten Rest Glaubwürdigkeit verlieren.

Über die Versorgungssicherheit mache sie sich keine Sorgen, erklärte die Kanzlerin, schließlich sei Deutschland gegenwärtig Stromexporteur. Warum wurden die Laufzeiten dann überhaupt verlängert? Hatten Politiker von Union und FDP doch immer behauptet, wenn es beim Atomausstieg bliebe, entstünde eine »Stromlücke« und man müsse Atomstrom aus dem Ausland importieren.

Die Stromimportlüge

Schon heute gibt es wegen des Booms der Erneuerbaren Energien und den Laufzeitverlängerungen für Atomkraftwerke massive Überkapazitäten auf dem deutschen Strommarkt. Horst Seehofer behauptete im Sommer 2010 dennoch, wenn es beim Atomausstieg bliebe, sei man auf Atomstrom aus dem Ausland angewiesen. Das ist eines der beliebtesten Argumente der Atomkraftbefürworter, aber mit der Realität hat es nichts zu tun, wie ein Blick in die...

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