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E-Book

Abschottung

Die neue Macht der Mauern

AutorTim Marshall
Verlagdtv Deutscher Taschenbuch Verlag
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl336 Seiten
ISBN9783423434706
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Warum gibt es im 21. Jahrhundert mehr Mauern und Grenzen als je zuvor? Wir leben in einem neuen Zeitalter des Isolationismus und Nationalismus, in dem Mauern wieder Konjunktur haben, von der amerikanischen Mauer an der Grenze zu Mexiko bis hin zu der Firewall, mit der China sich gegen den Westen abschottet. Europa errichtet Zäune gegen Flüchtlinge, Mauern und Zäune ziehen sich durch den Nahen Osten, den Sudan, Korea, Indien. Mindestens 65 Länder der Welt, mehr als je zuvor, haben stark befestigte Grenzen. Es gibt viele Gründe dafür: Reichtum und Armut, Rasse, Religion, Politik, Angst. Tim Marshall zeigt in seiner fesselnden und scharfsinnigen Analyse, wie Abschottung unsere Gegenwart prägt. Sie steht für ein Versagen von Politik und ist eine Gefahr für die Zukunft.

Tim Marshall, Jahrgang 1959, ist renommierter Experte für Außenpolitik und internationaler Bestsellerautor. >Die Macht der Geographie<, 2015 bei dtv erschienen, wurde in 30 Sprachen übersetzt und weltweit mehr als zwei Millionen Mal verkauft. 2020 folgte mit >Die Macht der Geographie im 21. Jahrhundert< der nächste Bestseller über brisante Krisenherde der Welt.

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Leseprobe

EINLEITUNG


Die Grenzmauer zwischen Israel und demWestjordanland gehört zu den abschreckendsten und feindseligsten Grenzbefestigungen der Welt. Aus der Nähe, ganz gleich von welcher Seite, ragt sie unmittelbar vor dem Betrachter auf, bedrückend und überwältigend. Vor dieser blanken Wand aus Stahl und Beton kommt man sich winzig vor, nicht nur wegen ihrer schieren Größe, sondern vor allem wegen ihrer Aussage. Auf der einen Seite stehst du – auf der anderen »die«.

Vor 30 Jahren wurde eineMauer niedergerissen – ein Ereignis, das ein Zeitalter der Weltoffenheit und Internationalität einzuläuten schien. 1987 trat Präsident RonaldReagan ans Brandenburger Tor im geteilten Berlin und rief seinem Gegenüber in derSowjetunion jenen berühmten Satz zu: »MisterGorbatschow, reißen Sie diese Mauer ein!« Zwei Jahre später fiel die Mauer tatsächlich. Berlin, Deutschland und dann auchEuropa waren wieder vereint. In diesen aufregenden Zeiten prophezeiten nicht wenige Intellektuelle schon ein Ende der Geschichte. Allein, Geschichte endet niemals.

Seit ein paar Jahren geht der Ruf nach dem Einreißen von Mauern zusehends in der allgegenwärtigen Festungsmentalität unter. Er wird kaum noch vernommen, kommt nicht mehr an gegen die erschreckenden Ausmaße der Massenmigration, den Widerstand der Globalisierungsgegner, den wiedererstarktenNationalismus, den Kollaps des Kommunismus und all die Spätfolgen der Anschläge vom 11. September 2001. Diese Verwerfungen werden unsere Welt auf Jahre hinaus prägen.

Es ist viel die Rede von der Mauer in Israel, der Grenzmauer zwischen den USA und Mexiko und einigen vergleichbaren Projekten in Europa, aber die wenigsten nehmen wahr, dass weltweit neue Grenzmauern hochgezogen werden. Überall auf der Welt sind im 21. Jahrhundert Tausende Kilometer an neuen Mauern und Zäunen entstanden. Mindestens 65 Länder, mehr als ein Drittel aller Staaten der Welt, haben Barrieren an ihren Grenzen errichtet. Die Hälfte aller Grenzbefestigungen, die seit dem Zweiten Weltkrieg entstanden, datieren aus dem Jahr 2000 und danach.

Allein in Europa könnte es innerhalb weniger Jahre mehr Kilometer an Mauern, Zäunen und Barrieren geben als zum Höhepunkt des Kalten Krieges. Es begann mit den Grenzen zwischenGriechenland und Mazedonien,Mazedonien undSerbien, dannSerbien undUngarn, und – der Schrecken ob der neuen Stacheldrähte war kaum gewichen – es ging immer so weiter.Slowenien schloss die Grenze zu Kroatien,Österreich schottete sich vonSlowenien ab,Schweden errichtete Barrieren gegen illegale Einwanderer an der Grenze zu Dänemark. Estland,Lettland undLitauen wiederum haben allesamt begonnen, Verteidigungsstellungen an der Grenze zuRussland aufzubauen.

Aber die Europäer sind gewiss nicht die Einzigen: Die Vereinigten Arabischen Emirate haben einen Zaun an der Grenze zum Oman gebaut,Kuwait desgleichen an der Grenze zumIrak. DenIrak trennt eine massive Grenze vomIran, dasselbe gilt für die kompletten 700 Kilometer zwischenIran und Pakistan. In Zentralasien hat sich Usbekistan, obwohl komplett landumschlossen, von seinen fünf NachbarnAfghanistan, Tadschikistan, Kasachstan, Turkmenistan und Kirgisistan abgeschottet. Die Grenze zu Tadschikistan ist sogar vermint. Und so geht es immer weiter, über die Barrieren, die Brunei von Malaysia, Malaysia von Thailand,Pakistan von Indien, Indien von Bangladesch, China von Nordkorea, Nord- von Südkorea trennen, und wo sonst noch auf der Welt.

All diese Mauern sagen uns eine Menge über internationale Politik, doch die Ängste, für die sie stehen, gehen weit über die Staatsgrenzen hinaus, an denen sie errichtet wurden. Der Hauptgrund für die Mauern, die überall inEuropa aus dem Boden schießen, ist das Aufhalten der Migrationswelle – zugleich aber sagen sie sehr viel aus über die tiefgreifende Spaltung und die Instabilität innerhalb der Europäischen Union und innerhalb der Mitgliedsstaaten selbst. Die von PräsidentTrump angekündigte Mauer an der Grenze zwischen den USA undMexiko soll Migranten aus dem Süden stoppen, nutzt jedoch auch eine tiefer liegende Furcht vor demographischen Veränderungen, die viele seiner Anhänger umtreibt.

Trennlinien prägen die Politik auf allen Ebenen – auf der persönlichen, der lokalen, der nationalen und der internationalen. Jede Geschichte hat zwei Seiten, ebenso jede Mauer. Wir müssen uns aber darüber im Klaren sein, was uns getrennt hat und uns weiterhin trennt. Nur dann können wir verstehen, was in der Welt von heute vor sich geht.

 

Denken Sie an den Anfang des Films ›2001: Odyssee im Weltraum‹, jenes Science-Fiction-Meisterwerk von Stanley Kubrick aus dem Jahr 1968. Die Sequenz ist betitelt mit ›The Dawn of Man‹, Aufbruch derMenschheit. In der prähistorischen afrikanischen Savanne hat sich eine kleine Horde Menschenaffen friedlich an einem Wasserloch versammelt, als eine andere Horde auftaucht. Unsere tierischen Urahnen teilen, was sie haben, gerne innerhalb der eigenen Gruppe – aber nicht mit dieser anderen, fremden, »neuen« Gruppe. Unter großem Gekreische entwickelt sich ein Kampf, in dessen Verlauf die neue Horde das Wasserloch erobert und die bisherigen Besitzer vertreibt.

Hätten die Neuankömmlinge zu diesem Zeitpunkt die Fähigkeit besessen, ein paar Ziegelsteine zu fertigen und etwas Zement anzurühren, wären sie in der Lage gewesen, ihren neuen Besitz mit einer Mauer vor Konkurrenten zu schützen. Da das Ganze jedoch vor ein paar Millionen Jahren spielt, bleibt ihnen nichts anderes übrig, als sich dem nächsten Kampf zu stellen, als die erste Horde, diesmal mit Knochen bewaffnet, ein paar Tage später zurückkommt, um ihr Territorium zurückzuerobern.

Wir haben uns schon immer unserer Umgebung verbunden gefühlt. Sich zu Gruppen zusammenzuschließen, durch Fremde in großer Zahl alarmiert zu sein oder auf wahrgenommene Bedrohungen zu reagieren, all dies sind zutiefst menschliche Verhaltensweisen. Wir schließen Bündnisse, die fürs Überleben wichtig sind, aber auch für den sozialen Zusammenhalt. Wir entwickeln eine Gruppenidentität, was nicht selten zu Konflikten mit anderen führt. Unsere Gruppen konkurrieren um Ressourcen, aber das Ganze hat auch Elemente eines Identitätskonflikts – die alte Geschichte des »wir« auf der einen Seite und »die« auf der anderen.

In der Frühgeschichte der Menschheit waren wir Jäger undSammler: Wir hatten uns weder irgendwo angesiedelt noch permanente, feste Ressourcen angeeignet, die Begehrlichkeiten bei »den anderen« hätten wecken können. Dann begannen in der Region, die wir heute alsTürkei und den Nahen Osten kennen, die Menschen mit der Landwirtschaft. Anstatt auf der Suche nach Nahrung weit umherzustreifen oder Vieh zu weiden, pflügten sie Felder und warteten ab, was dabei herauskam. Plötzlich (im Kontext der Evolution) sahen sich immer mehr von uns genötigt, Barrieren zu errichten: Wände und Dächer als Behausung für uns selbst und für das Vieh, Zäune zum Abstecken unseres Geländes, Festungen, in die man sich zurückziehen konnte, falls Eindringlinge das Territorium überrannten, und Wachposten zum Schutz des neuen Systems. Diese Mauern hatten einen bestimmten Zweck – den sie oft erfüllten.

Das Zeitalter der Mauern war über uns gekommen und diese eindrucksvollen Befestigungsanlagen haben für lange Zeit unsere Vorstellungswelt geprägt. Noch heute erzählen wir uns Geschichten über die Mauern von Troja, Jericho, Babylon, die ChinesischeMauer, Groß-Simbabwe, denHadrianswall, die Mauern der Inka inPeru,...

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