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Bin Ich ein Anderer? Die Krise der männlichen Identität in 'Fight Club' und 'Shutter Island'

AutorSarah Müller
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl95 Seiten
ISBN9783656603238
FormatePUB/PDF
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis27,99 EUR
Magisterarbeit aus dem Jahr 2013 im Fachbereich Filmwissenschaft, Note: 2.0, Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main (Institut für Theater-, Film- und Medienwissenschaft), Sprache: Deutsch, Abstract: 'Film als Spiegel gesellschaftlicher Zustände und Wunschvorstellungen, aber auch kollektiver Ängste: Die Deutung solcher Phänomene gelingt häufig nur mit tiefenpsychologischen Mitteln.' Shutter Island und Fight Club sind Paradebeispiele für schwierige Identitäten. Obgleich sie nicht derselben Thematik entsprechen, folgen die Filme doch ähnlichen Mustern. Der Rezipient gibt sich der Illusion der jeweiligen Identität hin, bis diese völlig überraschend enttarnt wird. Diese Arbeit möchte sich deshalb vor allem mit der Frage nach Konstruktion und Destruktion von Identität in den hier behandelten Filmen beschäftigen. Da es allerdings im Rahmen der Untersuchung nicht möglich ist, alle Aspekte der Psychoanalyse zu betrachten, bezieht sich die Arbeit auf drei entscheidende Gesichtspunkte. Im Zentrum des Interesses steht dabei der abgespaltene Teil des Ichs, welcher von dem Psychoanalytiker Otto Rank erstmals aufgegriffen und als Doppelgänger beschrieben wurde. Er geht damit auf die Doppelgängerdarstellung seines Mentors Sigmund Freud ein, welcher den Doppelgänger als Versicherung des Ichs versteht. Der Wissenschaftler Jacques Lacan führt diese Beobachtungen noch weiter aus. Es stellt sich heraus, dass sich das gespaltene Subjekt hervorragend für filmtheoretische Beobachtungen eignet. Lacan legt den Fokus dabei besonders auf das von ihm untersuchte Spiegelstadium. Aufgrund der Gedankenspiele, die die Filme mit ihren Zuschauern spielen, wird die Wendung innerhalb der filmischen Realität erst ersichtlich, nachdem die Protagonisten sich nicht mehr aus ihrem Dilemma befreien können. Doch weshalb ist dies für den Rezipienten so schwierig zu erkennen?

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Leseprobe

2. Where is my mind?


 

Filme werden häufig dazu genutzt, gesellschaftliche Zustände, Wunschvorstellungen sowie kollektive Ängste zu veranschaulichen. Der Film und die Gedankenspiele, die uns unaufhaltsam beschäftigen, dienen als Spiegel jener Ängste. Die Auslegung derartiger Erscheinungen gelingt häufig jedoch nur mit tiefenpsychologischen Mitteln. Der Psychoanalytiker Sigmund Freud führte die Ansicht an, dass alle menschlichen Handlungen, inbegriffen die Kunst des Films, unbewusste Kräfte zum Ausdruck bringen. Um jene unbewussten Kräfte verstehen zu können, sollen hier einige Ansätze der Psychoanalyse näher beleuchtet werden.

 

2.1. Otto Ranks Doppelgänger


 

Der Psychoanalytiker Otto Rank, ein Schüler Sigmund Freuds, maß dem Zusammenhang zwischen dem Medium Film und der Psychoanalyse bereits sehr früh Aufmerksamkeit bei. Sein Mentor hatte dem Film bisher recht kritisch gegenübergestanden und schien nicht in der Lage zu sein das Potenzial für psychoanalytische Studien zu erkennen. Im Jahr 1914 machte Rank die Studie des Doppelgängers zum Mittelpunkt seiner psychoanalytischen Untersuchungen. Anstoß seines Interesses war die Verfilmung Der Student von Prag[3] (Deutschland 1913). Der Psychoanalytiker interessierte sich hier vor allem für das Motiv des Spiegelbildes im Film, stellte es doch auf eigentümliche Weise einen Doppelgänger des Protagonisten Balduin dar.

 

„Ein dunkles, aber unausweichliches Gefühl, das sich des Zuschauers bemächtigt, scheint uns zu verraten, daß hier tiefe menschliche Probleme berührt werden und die Besonderheit der Kinotechnik, seelisches Geschehen bildlich zu veranschaulichen, macht uns mit übertriebener Deutlichkeit darauf aufmerksam, daß es das interessante und bedeutsame Problem des Verhältnisses des Menschen zu seinem Ich ist, welches uns in seiner Störung als Schicksal des Individuums versinnbildlicht wird.“[4]

 

Rank war fasziniert von Darstellungen aus der Romantik, welche Spiegelbilder und Schatten als losgelöste Doppelgänger zeigen. Diese werden zu einem eigenständigen Teil, spalten sich vom Ich ab, lehnen sich gegen dieses auf und bekämpfen es sogar teilweise. Laut Rank bedeutet dies, dass sich der abgespaltene Doppelgänger zu einem bestimmten Zeitpunkt, durch einen bestimmten Auslöser, dem Vorbild widersetzt. Als Grund dafür führt er an, dass jeder Mensch mit seiner Vergangenheit unausweichlich verbunden ist. Sollte das Individuum versuchen sich von ihr zu lösen, hat das, so Rank, fatale Folgen. Der Auslöser wird häufig mit der emotionalen Bindung zum weiblichen Geschlecht gleichgesetzt, woraufhin der Protagonist meist in Paranoia oder Verfolgungswahn verfallt. Laut Rank kann der vermeintliche Doppelgänger nur aufgehalten werden, indem er sich auf brutale Art und Weise selbst vernichtet. „Der Impuls, sich von dem unheimlichen Gegenspieler auf gewaltsame Weise zu befreien, gehört [...] zu den wesentlichen Zügen des Motivs und wo dem Impuls nachgegeben wird, [...] da zeigt es sich deutlich, daß das Leben des Doppelgängers mit dem der Person selbst aufs engste verknüpft ist.“[5] Das Resultat ist deshalb meist der unausweichliche Suizid des Ichs. Da diese Muster in unterschiedlichsten Werken wiederzufinden sind, geht der Psychoanalytiker im Folgenden der Frage nach, ob sich hier eine Art Erlebnisbericht der entsprechenden Autoren nachzeichnen lässt. Bei näherer Betrachtung der jeweiligen Biographien verweist er auf analoge Pathologien. „Rank ist jedoch bewusst [...], dass die pathologischen Züge der Autoren noch nicht die typisch wiederkehrenden Muster bei der Gestaltung des Doppelgängermotivs ausreichend erklären. Das Interesse eines pathologisch weniger geprägten Publikums wäre kaum nachvollziehbar.“[6] Sowohl Autor als auch Zuschauer erfahren aber einen enormen Lustgewinn durch die dargestellte Erzählung.

 

„Die pathologische Disposition zu geistigen und seelischen Störungen bedingt ein hohes Maß von Spaltung der Persönlichkeit, mit besonderer Betonung des Ichkomplexes, dem ein abnorm starkes Interesse an der eigenen Person und ihren seelischen Zuständen und Schicksalen entspricht. [...] Es sind dies die sonderbaren Darstellungen des Doppelgängers als Schatten, Spiegelbild oder Porträt, deren bedeutsame Einschätzung wir nicht recht verstehen, wenn wir ihr auch gefühlsmäßig folgen können.“[7]

 

Schatten und Spiegelbild bildeten hier die Basis für die Seelenvorstellung des Menschen. Aufgrund dessen projiziert das Ich alle physischen und psychischen Erlebnisse auf sich selbst. Es wird in dieser Vorstellung sozusagen zu einem Erlebnisträger seiner Kopie und denkt, dass es alles, was das Spiegelbild durchlebt, selbst durchleben wird. Natürlich betrifft dieses Denken in erster Linie die Angst vor Tod oder dem Verderben. Dieselbe Vorstellung betrifft den suizidalen Ausweg des Ichs. Indem der Doppelgänger nur durch eine gewaltsame Selbstzerstörung vernichtet werden kann, liegt auf der Hand, dass das Ich zwangsläufig komplett ausgelöscht wird. Es gibt also nur zwei Möglichkeiten: entweder der Doppelgänger wird zur dauerhaft gefährlichen Koexistenz oder der Mensch opfert sich selbst, um dem Doppelgänger keine Chance zum Existieren zu lassen. Während die Doppelgängerdarstellungen zunächst auf eine ungewöhnlich große Ähnlichkeit zwischen Protagonist und Doppelgänger verweisen, zeigt sich in unterschiedlichen Darstellungen der Moderne, dass die Abspaltung vom Ich durchaus andere Züge annehmen kann. So muss der Doppelgänger dem Protagonisten nicht zwangsläufig in Mimik, Gestik und Optik ähneln, sondern kann sich sogar im Gegenteil durch vollkommen andere physische und psychische Merkmale auszeichnen. Aus diesem Grund wendet sich Otto Rank im Folgenden der Darstellung des Doppelgängers zu, „die [. ] als spontane subjektive Schöpfung krankhafter Phantasietätigkeit erscheint.“[8] Das Begegnen mit dem Doppelgänger folgt einem unaufhaltsamen Klimax, welches schließlich zu einer Form der Paranoia wird: „gerade das, worauf sich die Libido beziehen will, tritt dem Individuum durch den Mechanismus der Projektion bedrohlich entgegen. Der Doppelgänger wird zum Verfolger.“[9] Grundlos behindert er das Ich natürlich nicht. Da er eine echte emotionale Bindung seines Vorbilds nicht dulden kann, korrumpiert er als Konkurrent dessen romantische Absichten auf niederträchtigste Art und Weise. Hier tritt deutlich zutage, welche selbstsüchtige und eigennützige Rolle die Abspaltung des Ichs verfolgt, um dessen etwaige Bindung zu einem anderen Menschen zu unterbinden. Häufig zeichnen sich die Charaktere durch eine Liebes- oder Bindungsunfähigkeit aus, welche durch das provokative Auftreten des Doppelgängers betont wird. Dadurch wird ihm gleichzeitig die Schuld für das eigene Versagen gegeben. Der von ihm geleistete Widerstand gegen das Ich, wird von diesem als Rechtfertigung für das eigene Versagen herangezogen.

 

„Als auffälligstes Symptom dieser Gestaltungen erscheint ein mächtiges Schuldbewußtsein, das den Helden nötigt, für gewisse Handlungen seines Ich die Verantwortung nicht mehr auf sich zu nehmen, sondern einem anderen Ich, einem Doppelgänger, aufzubürden, der entweder im Teufel selbst personifiziert ist oder durch die Teufelsverschreibung geschaffen wird oder durch die Teufelsverschreibung geschaffen wird. Diese abgespaltene Personifikation der einmal als verwerflich empfundenen Triebe und Neigungen, denen auf diesem Umweg doch verantwortungslos gefrönt werden kann, tritt in anderen Gestaltungen des Themas als wohltuender Warner [.] auf, der direkt als „Gewissen“ des Menschen angesprochen wird [.].“[10]

 

Es fällt also auf, dass der abgespaltene Teil des Ichs zum Realisator verdrängter und heimlicher Fantasien des Subjektes wird. Durch diese Funktion, die dem Doppelgänger damit innewohnt, erklärt sich seine grundlegende Ambivalenz. Es wird ihm die Aufgabe zuteil, verdrängte Neigungen und Begierden nach außen zu projizieren und somit vom Subjekt abzulenken. Hier generiert sich jedoch ein Teufelskreis, der das Subjekt in eine Falle lockt. Es kommt sozusagen zu einem Dopplungseffekt, ähnlich der Wirkweise des Spiegelbildes. Durch die Begegnung mit dem Doppelgänger wird das Subjekt wieder von außen mit seinen Fantasien konfrontiert und kann sich ihnen so nicht entziehen. Aus diesem Grund wird deutlich, weshalb das von Otto Rank beschriebene Phänomen des Doppelgängers für die Betrachtung der ausgewählten Filme so von Bedeutung ist. Bei der Frage nach einer Krise der Männlichkeit ist anzunehmen, dass die Untersuchung in Hinblick auf das abgespaltene Ich sehr aufschlussreich sein wird.

 

2.2. Sigmund Freud und das Unheimliche


 

„Das Unheimliche des Erlebens kommt zustande, wenn verdrängte infantile Komplexe [...] wieder belebt oder [...] bestätigt scheinen.“[11]

 

In seinem Essay über ,das Unheimliche‘ wendet sich Sigmund Freud gegen die verkürzte Analyse von Ernst Jentsch, welcher das Gefühl des Unheimlichen als intellektuelle Unsicherheit gegenüber Fremden und Unvertrautem definiert. Freud trifft die Aussage, dass das Unheimliche zum Schreckhaften, Angst- und Grauenerregenden zuzuordnen ist und auf das Altbekannte, Vertraute zurückgehe. Er stellt fest, dass das Wort ,unheimlich‘ nur oberflächlich betrachtet der Gegensatz zu heimlich, heimisch, vertraut sei. Er betont deshalb, dass die Unterscheidung heimlich/unheimlich alles andere als eindeutig ist. Unheimlich sei alles, was ein...

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