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Culturstudien

Vollständige Ausgabe

AutorWilhelm Heinrich Riehl
VerlagJazzybee Verlag
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl294 Seiten
ISBN9783849633912
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis0,99 EUR
Wilhelm Heinrich Riehl war ein deutscher Journalist, Novellist und Kulturhistoriker. In seinen Werken betonte er früh soziale Strukturen und gewann so Einfluss auf die Entwicklung der Volkskunde im 19. Jahrhundert, als deren wissenschaftlicher Begründer er gilt. Dieser Band bietet seine Kulturstudien aus drei Jahrhunderten.

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Leseprobe

 


1850.

 

In topographischen Büchern der Zopfzeit kann man lesen, daß Städte wie etwa Berlin, Leipzig, Augsburg, Darmstadt, Mannheim in einer »gar feinen und lustigen Gegend« liegen, wo hingegen die malerisch reichsten Partieen des Schwarzwaldes, des Harzes, des Thüringer Waldes als »gar betrübte,« öde und einförmige oder mindestens »nicht sonderlich angenehme« Landschaften geschildert sind. Das ist keineswegs blos die Privatmeinung der einzelnen Topographen: es war die Ansicht des Zeitalters. Denn jedes Jahrhundert hat nicht nur seine eigene Weltanschauung, sondern auch seine eigene Landschaftsanschauung.

 

Zahllose Lustschlösser baute man vor hundert Jahren in kahle, langweilige Ebenen und glaubte ihnen dadurch die möglichst schönste Lage gegeben zu haben, während die alten Herrensitze in den reizendsten Gebirgsgegenden, als zu wenig »pläsirlich« gelegen, verwitterten und verfielen. Nicht nur prachtvolle Sommerresidenzen und Prunkgärten legten damals die bayerischen Kurfürsten in die öden Wald- und Moorflächen von Nymphenburg und Schleißheim an: Max Emanuel ließ sogar mitten in einem dieser Gärten, der die natürliche Wüste schon rings um seine Mauern hat, noch einmal eigens eine künstliche Wüste herstellen, Karl Theodor von der Pfalz baute zwei Stunden seitwärts von den herrlichen Heidelberger Gründen seinen Schwetzinger Garten mitten in das einförmigste Flachland hinein. Wenn nur eine Gegend recht eben und baumlos war, dann getraute man sich schon die ergötzlichste Landschaft aus ihr hervorzaubern.

 

Noch vor fünfzig Jahren hielt man den zwar keineswegs reizlosen, doch in seiner Fläche immerhin eintönigen oberen Rheingau für den wahren Paradiesgarten landschaftlicher Schönheit und schätzte die weitere Strecke des Rheinlaufes von Rüdesheim bis Coblenz mit ihrer reichen Pracht von Schluchten, Felsen, Bürgen und Wäldern mehr nur um des Gegenspiels willen. Im obern Rheingau reihte man damals Villen an Villen, die jetzt großentheils verlassen stehen, während man an der früher vernachlässigten, von den Bergen eingeengten Strecke jetzt wiederum auf jede Felsspitze ein neues Lustschloß zu kleben oder wenigstens die dort hängenden Ruinen wieder wohnlich zu machen beginnt. Unsere Väter, die in dem oberen Rheingau den schönsten Winkel Deutschlands erblickt, schmückten ihre Zimmer mit den damals so beliebten Kupferstichen nach Claude Lorrain's verwandten weithin offenen, breiten, in Friede und Anmuth gesättigten Landschaften. Wir sind von diesem klassischen Landschaftsideal wieder zum romantischen zurückgekommen und die Dome des Hochgebirgs verdrängten die Laubtempel von Claude's Götterhainen mit dem endlosen sonneglänzenden Meereshintergrund.

 

Im siebzehnten Jahrhundert galten noch die in engen, steilen Berggründen gelegenen Badeorte, deren viele jetzt ganz eingegangen sind, mehrentheils für die besuchtesten und schönsten; im achtzehnten Jahrhundert gab man den gegen die Ebene hin gelegenen den Vorzug; jetzt werden gerade die Badeorte im steilsten Gebirg, wie im Schwarzwald, in den böhmischen Bergen, in den Alpen, wegen ihrer Lage aufgesucht. Der hessenkassel'sche Leibmedicus Welcker sagt in seiner 1721 erschienenen Beschreibung des Schlangenbades, dasselbe liege zwar in einer öden, wüsten und unfreundlichen Gegend, in welcher nichts als »Laub und Gras« wachse, allein durch die kunstreiche geradlinige und kreisförmige Anpflanzung mit der Scheere zugeschnittener Bäume habe man dem Ort wenigstens etwas malerische Raison beigebracht. Heutzutage hält man umgekehrt Schlangenbad für eines der schönst gelegenen Bäder Deutschlands, das »Oede« und das »Wüste« nennen wir jetzt das Romantische und Malerische, und der Umstand, daß an diesem Orte nichts als »Gras und Laub« wächst, daß nämlich der duftige Wiesengrund vor der Thüre anhebt und das grüne Gezweig des Waldes überall zu den Fenstern hereinlugt, lockt jetzt vielleicht eben so viele Gäste dahin als die Kraft der Heilquelle.

 

Die mittelaltrigen Maler glaubten ihren Geschichtsstücken und Brustbildern keine schönern Hintergründe geben zu können, als indem sie möglichst abenteuerliche, zackige Berg- und Felsformen einschoben, obgleich sich das neben einem milden, still verklärten Madonnenantlitz oder auch bei dem Conterfei irgend eines prosaisch ehrwürdigen reichsstädtischen Spießbürgerkopfes oft seltsam genug ausnimmt. Damals hielt man also die wild zerrissene, kahle Gebirgsnatur für ein Urbild landschaftlicher Schönheit, während man einige Jahrhunderte später solche Formen viel zu ungehobelt und regellos fand, um sie überhaupt nur schön finden zu können. Selbst alte niederländische Historienmaler, die vielleicht nie in ihrem Leben dergleichen zerklüftete Felsblöcke gesehen, nahmen sie gern in ihre Hintergründe auf. Die schroffen Bergspitzen auf manchen Bildern Hemmling's und Van Eyck's sind auch nicht in der Gegend von Brügge gewachsen. Dieser Typus landschaftlicher Schönheit wurde also herkömmlich sogar da, wo er nicht einmal vaterländisch war. Auf einem niederdeutschen Bilde, welches die Legende von den eilftausend Jungfrauen darstellt, ist die Stadt Köln als mit zackigen Felsgruppen umgeben im Hintergründe zu sehen. Das naturtreue Porträt der flachen Gegend hatte also dem Schönheitssinn des Malers nicht genügt, der doch wohl wußte, daß Köln nicht am Fuße der Alpen liegt. Dagegen würde ein Historienmaler der Zopfzeit, wenn er die wirklichen Alpen im Hintergründe eines Geschichtsbildes zu malen gehabt hätte, dieselben möglichst abgerundet, geebnet und geglättet haben.

 

Ist es bloßer Zufall, daß in der ganzen großen Epoche der Landschaftsmalerei von Ruysdael bis gegen die neuere Zeit das Hochgebirg so gar selten zu bedeutsamen landschaftlichen Compositionen ausgebeutet wurde? Auch das landschaftliche Auge hatte sich damals von den Anschauungen des Mittelalters abgewandt und sättigte sich in den milderen Formen des Mittelgebirges und des Flachlandes. Selbst wo ein Everdingen die Felsschluchten und Wasserfälle Norwegens uns vorführt, mäßigt er die abenteuerlichen Formen und sucht die nordische Alpenwelt dem deutschen Miitelgebirgscharakter möglichst zu nähern. Joseph Koch, der Sohn des Tyroler Hochgebirgs, konnte trotzdem mit der Darstellung der Alpenwelt nicht halb so gut fertig werden, wie mit den klassisch maßvollen, dem landschaftlichen Auge der Zeit weit näher liegenden Gegenden Italiens, und Ludwig Heß würde von dem Studium Claude Lorrain's und Poussin's schwerlich den Weg zu seiner eigenthümlichen Auffassung der schweizerischen Gebirge gefunden haben, wenn er nicht um Schlachtvieh für des Vaters Fleischbank einzuhandeln, zu den Sennen hätte steigen müssen, wobei er in seinem Rechnungsbuche auf der einen Seite die eingekauften Ochsen verrechnete und auf der andern dieselben skizzirte zusammt den Matten und Bergen und Gletschern. Zu derselben Zeit, wo die romantische Schule bei den Historienmalern in München sich Bahn zu brechen begann, war es auch, wo Joh. Jak. Dorner den »heroischen« Styl der Landschaft, wie man es damals nannte, verließ und zum »romantischen« überging. Das heißt, Dorner und seine Genossen, die bis dahin die Formen Claude Lorrain's  als bestes Vorbild nachgeahmt hatten, gingen jetzt in's bayerische Hochgebirg, entdeckten diese wilde, großartige Natur erst wieder für das landschaftliche Auge ihrer Zeit und führten so allmählig zu einem neuen Canon landschaftlicher Schönheit, der sich dem mittelalterlichen wieder in ähnlicher Weise näherte, wie überall die moderne Romantik zum Mittelalter zurückgriff.

 

Der Genfer Calame zeigt in seinen Alpenwildnissen so ganz und gar das landschaftliche Auge der Gegenwart, daß diese Bilder in keiner früheren Zeit gedacht werden können. In den grellen Gegensätzen mächtiger oft harter Formen und extremer Töne ersteht hier eine Gattung landschaftlicher Schönheit, die mit der plastischen Würde eines Poussin'schen Gebirgsprospektes wie mit dem stillen Frieden eines Ruysdael'schen Waldesdickichts gleich wenig gemein hat. Wie ganz anders als bei Calame wurde dieselbe schweizerische Natur von den zahlreichen Malern angeschaut, die zu Anfang dieses Jahrhunderts Alpenveduten malten! Sie suchten fast überall das Hochgebirg zum Mittelgebirg herabzudrücken und geben weit eher einen landschaftlichen Commentar zu Geßner's Idyllen als zu der Riesennatur der Alpen, wie wir sie jetzt fassen. Die Natur ist aber die gleiche geblieben, auch das äußere Auge der Menschen: aber ihr inneres Auge änderte sich.

 

Die älteren Meister nahmen den Standpunkt für den Aufbau eines Landschaftsbildes, wie heutzutage, gerne aus der Tiefe, wo sich alle Umrisse in den bestimmtesten Linien herausheben. Es war fast Regel, daß der Vordergrund scharf in's Profil gestellt war und oft so tief beschattet, daß er wie eine Silhouette, gegen die ferneren Gründe abstach. Dagegen ist es eine Lieblingsgrille der ächten Zopfzeit, Landschaften und Städteprospekte aus der Vogelperspektive zu zeichnen, wo jede Erhebung des Bodens möglichst verflacht, jede klare Sonderung der einzelnen Gründe möglichst verwischt erscheint.

 

Als Goethe von Messina nach Neapel zurückschiffte, schrieb er beim Anblick der Scylla und Charybdis: »Man hat sich bei Gelegenheit beider in der Natur so weit aus einander stehenden, von dem Dichter so nahe...

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