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Der Abriss von Herrenhäusern und Schlössern im Land Thüringen infolge des SMAD-Befehls Nr. 209

Zwischen landespolitischer Konformität und lokalem Widerstand?

AutorRico Kurschat
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl100 Seiten
ISBN9783668619890
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis34,99 EUR
Masterarbeit aus dem Jahr 2016 im Fachbereich Geschichte Europa - Deutschland - Nachkriegszeit, Kalter Krieg, Note: 1,15, Universität Erfurt (Philosophische Fakultät), Sprache: Deutsch, Abstract: Der Befehl Nr. 209 der Sowjetischen Militäradministration vom 9. September 1947 sah zur materiellen Sicherung der 1945 durchgeführten Bodenreform in der sowjetisch besetzten Zone (SBZ) den Bau von 37.000 Neubauernhöfen vor. Vorgeblich zur Gewinnung von Baumaterialien wurde gleichzeitig der Abriss enteigneter Schlösser und Herrenhäuser angeordnet, welche führenden Kommunisten und der sowjetischen Besatzungsmacht als unliebsame Überbleibsel der enteigneten Großgrundbesitzer galten. Die Arbeit beschäftigt sich mit den Auswirkungen des Befehls für die Herrenhäuser und Schlösser im Land Thüringen. Dabei werden der konkrete Ablauf und Umfang des Abrissgeschehens nachvollzogen sowie zentrale Akteure und Institutionen im Land auf ihre Rolle hierbei näher untersucht.

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Leseprobe

2. Land Thüringen


 

Da sich die Arbeit explizit mit der Situation in Thüringen auseinandersetzen möchte, ist es hilfreich und ratsam, die durchaus ungewöhnliche Evolution des Landes als solches Revue passieren zu lassen. Auch wenn die Darstellung hier natürlich nur kursorisch erfolgen kann, ist sie nicht unwesentlich zum Verständnis der spezifisch thüringischen Situation nach 1945.

 

2.1 Staatsrechtliche und territoriale Entwicklung bis 1952


 

„Thüringen“ existierte über Jahrhunderte hinweg nur als vager und unklar definierter geografischer Begriff, der sich ungefähr auf das Gebiet des vorchristlichen Reiches der Thüringer und auf die im späten 15. Jahrhundert endgültig untergegangene Landgrafschaft bezog. Das Gebiet des heutigen Freistaates Thüringen unterstand, auch begünstigt durch die Nichteinführung des Prinzips der Primogenitur in der ernestinischen Linie der Wettiner, einer derartigen Vielzahl wechselnder Herrschaften, dass der „Thüringer Flickenteppich“ als sinnbildlich für die Zersplitterung des ganzen Reiches galt. Selbst zum Zeitpunkt der Gründung des preußisch-deutschen Kaiserreiches 1871 bestanden auf der vergleichsweise kleinen Flächen von weniger als 17.000 km² noch ganze acht Staaten, die gemeinhin als „thüringisch“ bezeichnet wurden, der preußische Regierungsbezirk Erfurt und kleinere Enklaven nicht mitgerechnet.[38] Diese Zersplitterung begünstigte wiederum die Entstehung einer äußerst vielfältigen Architekturlandschaft, da jede Herrschaft ihr eigenes Repräsentationsbedürfnis mit prächtigen Residenzen zu befriedigen wusste.

 

Erst das Ende der Monarchie als Folge der Niederlage im Ersten Weltkrieg 1918 ermöglichte die Gründung eines Thüringischen Einheitsstaates. Sieben der acht ehemaligen Fürstentümer schlossen sich 1920 zum Land Thüringen als Gliedstaat des Deutschen Reiches zusammen. Einzig der aus dem Herzogtum Sachsen-Coburg hervorgegangene und fränkisch geprägte Freistaat Coburg entschied sich für eine Angliederung an den Freistaat Bayern. Die Einbeziehung des Regierungsbezirkes Erfurt und der Enklave Schmalkalden, aus den preußischen Provinzen Sachsen und Hessen-Nassau scheiterte am Widerstand aus Berlin. Das Land blieb territorial stark zersplittert.[39]

 

In der Weimarer Republik galt Thüringen den Nationalsozialisten als „Trutzgau“. In der Tat gelang der NSDAP in Thüringen mit der Baum-Frick-Regierung 1930/31 die erste Beteiligung an einer Landesregierung und führte diese gar nach ihrem Sieg bei den Landtagswahlen 1932 an. Auch die Ergebnisse bei den beiden entscheidenden Reichstagswahlen 1932 lagen über dem Reichsdurchschnitt. Nach der Machtübernahme auf Reichsebene prägten thüringische NS-Funktionäre, hier in erster Linie der äußerst umtriebige und seit 1927 amtierende Gauleiter Fritz Sauckel, in Analogie zum „Trutzgau“[40] das Schlagwort vom „Mustergau“, welches auch heute noch reproduziert wird,[41] in der Forschung allerdings nicht unumstritten ist.[42] Der NS-Gau Thüringen stimmte territorial allerdings nicht mit den Grenzen des zwar gleichgeschalteten, aber de jure noch existenten Landes Thüringen überein. Die NSDAP hatte ihre Gaue 1925 nach den 1920 eingeführten Reichstagswahlkreisen ausgerichtet. Zu Reichstagswahlkreis Nr. 13 (ab 1924 Nr. 12) und damit auch zum NS-Gau Thüringen gehörten neben dem Land Thüringen noch der preußische Regierungsbezirk Erfurt und die Herrschaft Schmalkalden aus der Provinz Hessen-Nassau.[43]

 

Gauleiter Sauckel, der zwar das 1933 neu geschaffene Amt des Reichsstatthalters von Thüringen bekleidete, anders als sein sächsischer Amtskollege Mutzschmann (seit 1935) aber nicht gleichzeitig den Ministerpräsidentenposten auf sich vereinigte, war bis zuletzt energisch darum bemüht, eine Zentralisierung und Vereinheitlichung der Strukturen des Landes und des Gaues oder gar Ausweitung desselben unter seiner Führung zu erreichen. Das beinhaltete auch eine Arrondierung der Landesgrenzen, also zumindest eine Angleichung derer an die des NS-Gaues. Beim Versuch seine Macht so als „Provinzfürst“ über ein „Großthüringen“ auszubauen, stieß er allerdings früh auf heftigen Widerstand. Hermann Göring, preußischer Ministerpräsident, kanzelte derartige Ansinnen Sauckels noch im Juli 1933 bei einem Besuch im preußischen Erfurt mit dem Satz ab: „Wir werden keinen Fußbreit preußischen Bodens abtreten!“[44] Erst kurz vor Kriegsende konnte Sauckel sein Ziel verwirklichen. Am 1. Juli 1944 teilte Hitler per Führererlass die preußische Provinz Sachsen in die neuen Provinzen Magdeburg sowie Halle-Merseburg und unterstellte den Regierungsbezirk Erfurt sowie den Kreis Schmalkalden aus der ebenfalls aufgelösten Provinz Hessen-Nassau dem Reichsstatthalter von Thüringen, also Sauckel. Damit bestand erstmals ein in sich geschlossener thüringischer Verwaltungskörper in ziemlich genau den heutigen Grenzen des Landes. In der Praxis blieben diese Änderungen angesichts des nahen Kriegsendes und dem fehlenden staatsrechtlichen Charakter des „Führererlasses“ (es fehlte insbesondere die formale Zustimmung Preußens) aber weitgehend bedeutungslos. Zumal der NSDAP-Gau Thüringen im unübersichtlichen Institutionengefüge des NS-Reiches längst bedeutsamer war als die Behörden des Landes.[45]

 

Nach Kriegsende gingen sowohl die amerikanische als auch die sowjetische Besatzungsmacht pragmatisch mit der Frage der innerdeutschen Verwaltungs- oder Landesgrenzen um. Erstere fassten Thüringen in den „Gau-Grenzen“ unter Einbeziehungen des von ihnen bis zur Mulde besetzten Westsachsens kurzerhand in einer „Provinz Thüringen“ zusammen und beließen ebenfalls die alten Kreisgrenzen. Die Sowjets gliederten lediglich die sächsischen Teile zurück und bestätigten Thüringen ansonsten ebenfalls in den „Gau-Grenzen“.[46] Darüber hinaus hatte die erste antifaschistische Nachkriegsverwaltung des Landes kein Interesse an einer Rückkehr zu einem von Enklaven durchsetzten Landesgebiet. Bis zur Auflösung des Landes im Zuge der Bezirksbildung in der DDR 1952 erfolgten nur noch kleinere Bereinigungen an der Zonengrenze und einige Änderungen in der Kreisaufteilung. Die Grenzen des nach 1990 wiedererstandenen Landes Thüringen unterscheiden sich nur geringfügig durch die Berücksichtigung von Zuschnitten ehemaliger Bezirks- und Kreisgrenzen.[47] Für diese Betrachtung relevant sind allerdings ausschließlich die Grenzen des Landes vom Juli 1945 bis 1952, im Falle der Kreise ihre Gestalt von 1946-1950 (bis 1946 fanden hier Grenzebereinigungen und 1950 erste Zusammenlegungen statt).

 

 

Abbildung 1

 

2.2 Politische Entwicklung Thüringens bis zur Bodenreform im September 1945


 

Die Amerikaner eroberten Thüringen ab 1. April binnen zwei Wochen von Westen kommend und blieben bis 1. Juli die Besatzungsmacht. Thüringen war das einzige Land der späteren SBZ, das vollständig von den Amerikanern besetzt war. In der späteren DDR Geschichtsschreibung wurde diese Episode häufig verschwiegen oder als vergeudete Zeit bei der Herstellung „antifaschistisch-demokratischer Verhältnisse“ bezeichnet.[48] Tatsächlich gingen die Amerikaner aber unmittelbar mit der Eroberung des Landes dazu über, wieder eine öffentliche Verwaltung zu errichten. Dabei stützte sie sich was Führungspositionen anbelangt überwiegend auf politische Buchenwaldhäftlinge, die, wie der erste Präsident Dr. Louis Hermann Brill (SPD)[49], in der Mehrzahl Sozialdemokraten oder wie der spätere Vizepräsident Ernst Busse (KPD/SED)[50] Kommunisten waren. Brill entfaltete mit Genehmigung der amerikanischen Militärregierung eine große politische Aktivität und verfasste einige Denkschriften zur sozialistischen Umgestaltung Thüringens und Deutschlands.[51] Die zunächst kommissarisch agierende Verwaltung der Provinz Thüringen um den am 9. Juni zum Präsident ernannten Brill nahm am 16. Juni 1945 offiziell ihre Arbeit auf.[52]

 

Ab 1. Juli rückten die Amerikaner ab und übergaben Thüringen gemäß den alliierten Vereinbarungen von Jalta an die Sowjets, welche das Land bis 5. Juli vollständig besetzten. Brill konnte sich noch 14 Tage im Amt halten. Per Befehl Nr. 5 vom 9. Juli 1945 schuf die SMAD in der SBZ regionale Militäradministrationen in den drei Ländern und zwei Provinzen, die damit auch offiziell als deutsche Verwaltungseinheiten erstanden. Befehlshaber in Thüringen wurde Generaloberst Wassili I. Tschuikow, Chef der Zivilverwaltung Generalmajor Iwan S. Kolesnitschenko.[53] Am 16. Juli schließlich enthob die neue SMATh Brill seines Amtes zugunsten des ehemaligen DDP-Politikers, aber damals noch parteilosen (später SED) Oberbürgermeisters von Gera Rudolf Paul.[54] Der Landesverwaltung gehörten außerdem an: als 1. Vizepräsident Ernst Busse (KPD/SED), als 2. Vizepräsident Georg Appell[55] (SPD/SED) und als 3. Vizepräsident Max Kolter[56] (CDU).[57] Damit folgten die Sowjets dem bereits andernorts praktizierten Muster nicht Kommunisten die pro forma höchsten Ämter zuzuteilen, sondern möglichst überparteilichen Persönlichkeiten, die den propagierten antifaschistischen Konsens repräsentieren...

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