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E-Book

Die Angst ist dein größter Feind

Polizistinnen erzählen

Verlagdotbooks GmbH
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl194 Seiten
ISBN9783958244641
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis5,99 EUR
Wenn dein Beruf dein ganzes Leben beeinflusst: 'Die Angst ist dein größter Feind', hrsg. v. Volker Uhl, jetzt als eBook bei dotbooks. Frauen in 'Männerberufen' - ein schwieriges Thema, selbst 90 Jahre, nachdem die erste Frau den Polizeidienst antrat. Wenn eine Frau im Polizeieinsatz - trotz Selbstverteidigungstraining und bester körperlicher Fitness - gegen einen 150 Kilo schweren Messestecher oder einen durchgedrehten Ex-Soldaten kämpfen muss, ist die Gefahr für sie größer als für ihre männlichen Kollegen. Das bedeutet aber nicht, dass sich Frauen ihrem Dienst nicht stellen. Ganz im Gegenteil: Seite an Seite stehen sie mit ihren Kollegen bei schwierigsten Einsätzen in vorderster Linie. In diesem eBook berichten Polizistinnen offen und schonungslos von ihren persönlichsten Einsätzen in sozialen Brennpunkten und von ihrem Kampf gegen Vergewaltiger, Pädophile und Mörder. Jetzt als eBook kaufen und genießen: 'Die Angst ist dein größter Feind', hrsg. v. Volker Uhl. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks - der eBook-Verlag.

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Leseprobe

Todessehnsucht


von Jasmin Brunner, Offenbach

»Brems!«, schreie ich Jürgen an und kralle mich in den Beifahrersitz und den Türgriff neben mir. Gerade noch können wir einem anderen Auto ausweichen, welches uns trotz des Blaulichts und Martinshorns übersehen hat. In vollem Tempo und mit quietschenden Reifen fahren wir weiter Richtung Einsatzort. Wir sind der einzige einsatzbereite Funkwagen in der Stadt.

Der Notruf lautete: »Schlägerei bei einer Cocktailbar. Eine männliche Person dreht durch und bedroht mehrere Unbeteiligte.«

Beim Eintreffen am Einsatzort sehen wir eine größere Gruppe auf der Straße stehen. An einem dunklen Fiat ist die Seitenscheibe eingeschlagen.

Zwar schlägt sich niemand, aber alle sind aufgeregt und reden auf uns ein, als wir aus dem Streifenwagen steigen.

»Stopp, nicht alle auf einmal!«

Nachdem kurz Ruhe eingetreten ist, ergreift einer das Wort und fängt zu erzählen an. »Der Typ kam aus der Cocktailbar. Also, der kam direkt auf mich zu. Ich glaube, der war besoffen. Der brüllte mich an und schlug sofort auf mich ein. Ich konnte noch abhauen. Dann ist er auf meine Kumpels losgegangen. «

»Ja, genau, der hat ein Messer gezogen und rumgeschrien, dass er uns aufschlitzt. Der hat dann mit der bloßen Faust die Scheibe am Auto eingeschlagen. Da hat er selbst ganz schön geblutet.«

»Wo ist er dann hingegangen?«, frage ich nach.

»Der ist über die Straße in das Haus dort gerannt.« Einer der Männer zeigt auf ein Mehrfamilienhaus.

»Ich hab's auch gesehen. Und kaum war er drinnen, ging im zweiten Stock das Licht an«, ergänzt ein anderer.

»Den holen wir uns!«, schreit die Meute. »Das lassen wir uns nicht bieten, wir stürmen die Bude!«

Nur mühsam können wir die Helden der Nacht davon abbringen, eine Dummheit zu begehen. Lynchjustiz steht bei allen groß auf die Stirn geschrieben.

Wir fordern umgehend Verstärkung an, doch keine weitere Streife ist frei. Als wir Schreie und lautes Brüllen aus dem Haus hören, müssen wir handeln. Die mutige Horde lassen wir mit dem Auftrag zurück, den beschädigten Fiat zu sichern und die Einweisung der nachrückenden Streifen vorzunehmen. Dass zunächst keine weiteren Streifen kommen werden, sagen wir allerdings nicht. Als die Leute mit diesen zwei wichtigen Aufträgen betraut sind, werden die Schreie nach Rache leiser.

Vorsichtig schleichen Jürgen und ich in das Treppenhaus. Eine Blutspur weist uns den Weg zur richtigen Tür im zweiten Stock.

Das Gebrüll hat aufgehört. Wir sind uns dennoch sicher, dass es die richtige Tür ist. Wir entriegeln unsere Pistolenholster, und ich nehme das Pfefferspray in die Hand. »Dragovic« steht auf der Klingel. Ich drücke auf den Knopf. Scheint nicht zu funktionieren. Mit schnell pochendem Herzen klopfen wir an die Wohnungstür.

Eine Frau Anfang dreißig öffnet uns die Tür. Sie geht mir bis unters Kinn, und so kann ich durch den Türspalt das Wohnzimmer in gedimmtem Licht erkennen. Es fallen lange Schatten in den kleinen Flur.

»Frau Dragovic?«

»Ja, was gibt's?«

»Ist Ihr Mann gerade nach Hause gekommen?«, frage ich weiter.

»Ja.«

»Ich möchte mit ihm reden.«

»Er ist schon im Bett, aber kommen Sie rein!«

Vorsichtig und in jeden Winkel spähend betreten wir den schmalen Flur.

Die zierliche Frau führt uns in das Wohnzimmer. Plötzlich taucht der Mann im Türrahmen des Schlafzimmers auf. Mit der blutigen Hand deutet er auf uns und gibt durch sein lautes Geschrei zu verstehen, dass wir hier nicht wirklich erwünscht sind.

Ich fordere ihn auf, ruhiger zu werden, da wir mit ihm nur reden wollen. Das Pfefferspray halte ich einsatzbereit in der Hand. Er tritt aus dem dunklen Schlafzimmer in das etwas hellere Wohnzimmer. Ich kann ihn beruhigen. Es klappt, und Jürgen und ich entspannen uns.

»Herr Dragovic, brauchen Sie einen Rettungswagen für die Hand?«, frage ich.

Er ignoriert meine besorgte Frage.

Nur mit hellgrauen Boxershorts bekleidet, steht er mit geballten Fäusten und angespannten Muskeln zähneknirschend vor uns. Er hat eine Fahne. Klarer Schnaps, vermute ich.

Wir versuchen zu erkunden, warum er die Leute auf der Straße angegriffen hat. Er erklärt uns, dass er das alles nicht mehr erträgt. Er sei vor ein paar Monaten aus dem Jugoslawienkrieg zurückgekommen, und er versteht das alles nicht. Er hat Freunde sterben sehen, und hier benehmen sich alle so egoistisch. Er ist wütend auf die Menschen, da sie nur an sich und nicht an die anderen denken.

Ich rede mit ihm und versuche ihn weiter zu beruhigen. Es hilft, und ich frage weiter, wie wir ihm helfen können.

Er setzt sich auf das Sofa und fängt an zu weinen. Mit den blutigen Händen fährt er sich durch die Haare. Das Blut hinterlässt einen glänzenden Schimmer in seinen kurzen dunklen Haaren.

Ich betrachte ihn genauer und sehe an seinem durchtrainierten und sehnigen Körper unzählige Narben und ungewohnte Tätowierungen. Er ist kleiner als ich, dennoch weiß ich, dass er mich mühelos überwältigen könnte. Durch den Krieg ist er sicherlich im Kampf Mann gegen Mann erfahren. Jürgen wäre eher ein Gegner. Er ist etwa zwei Köpfe größer als Herr Dragovic und auch durchtrainiert. Aber ob er es mit einem kriegserfahrenen Nahkämpfer aufnehmen könnte? Ich habe meine Zweifel. Also setze ich aufs Reden. Es scheint zu funktionieren. Er hat sich beruhigt, wir haben uns beruhigt. Trotzdem stecke ich das Pfefferspray nicht weg.

Wir finden heraus, warum er durchgedreht ist, erfahren, wer er ist, bekommen sogar den Pass von seiner Frau, die still dabeisteht und mit uns hofft und bangt.

Er erzählt von seinen Kriegserlebnissen, und ich denke, dass ich mir nicht mal annähernd seine Gefühle vorstellen kann. Zum Beispiel, wie es ist, wenn man Menschen erschießt. Er erzählt, dass er Menschen aus seinem Dorf und dem Nachbardorf erschossen hat, weil sie plötzlich Feinde waren. Monate zuvor hatten sie noch gemeinsam Hochzeit gefeiert und zusammen getrunken. Nun erschossen sie sich gegenseitig.

Er erzählt, wie man sich fühlt, wenn man neben seinem Freund im Blut kniet und den Kopf des Sterbenden in den Händen hält. Des einzigen Freunds, der noch geblieben war. Den er nicht selbst als »Feind« erschießen musste. Alle anderen waren jetzt Feinde. Der einzige Freund, dem das abgerissene Bein zum Verhängnis wurde.

Er erzählt weiter, wie es ist, wenn man durch die Straßen eines Nachbardorfes geht und die entstellten Kinderleichen auf dem Spielplatz liegen sieht und weiß, dass man dies verursacht hat. Sich dann einreden zu müssen, dass es ja Feinde waren – sechsjährige Kinder in ihrer Blutlache am Straßenrand.

Er erzählt mir davon, wie er Frauen, die den Angriff mit Granaten überlebt hatten, vor den Augen der Kinder und des Ehemannes schändete, weil alle im Krieg so handelten. Vom Zwang beseelt, die Familien der Feinde zu demütigen, zu foltern und sie zu erniedrigen.

Er versucht, sich in seinem eigenen inneren Krieg, der in ihm tobt, einzureden, dass er sich davor nicht drücken konnte, weil er sonst das Gesicht vor seinen Kameraden verloren hätte.

Wie kann man die Gräuel nachvollziehen, die er erlebt hat, wenn man nicht selbst so etwas mitmachen musste? Konnte ich ihn deswegen verurteilen? Nein, das steht mir nicht zu.

Seine Erzählungen klingen unglaublich, aber ich glaube ihm. Ich bin lange genug Polizistin und weiß, zu welchen Taten der Mensch fähig ist. Man kann leicht reden, wenn man nicht selbst betroffen ist, wenn man nicht in der Situation steckt. Wie hätte ich an seiner Stelle gehandelt? Ich weiß es nicht.

Wir hören weiter zu und versuchen unterdessen, das von den Zeugen genannte Messer zu finden. Wo hat er es hingelegt?

Mehrfach frage ich bei der Zentrale nach einer Unterstützungsstreife. Aber immer noch ist keine frei. Also weiter versuchen, ihm ruhig klarzumachen, was wir von ihm wollen. Da durch ihn mehrere Straftaten begangen wurden und er erheblich unter Alkoholeinfluss steht, kommen wir nicht umhin, ihm die Festnahme zu erklären. Damit hat er keine Probleme. Gott sei Dank!

Ich bitte ihn höflich, dass er sich eine Hose und ein Oberteil anzieht.

Anscheinend bin ich zu freundlich zu ihm. Er flippt total aus. Er hat erwartet, dass wir ihn für seine Taten bestrafen. In seinem Heimatland wäre er direkt nach seinem »Geständnis« hingerichtet worden. Verständnis für sein Handeln möchte er nicht haben.

Er schreit uns an und wird immer wütender. Will wissen, warum wir so nett zu ihm sind. Wir müssten ihn doch eigentlich aus der Wohnung prügeln. Er verlangt ständig von uns, dass wir ihn schlagen sollen, und versucht uns mit drohenden Gesten herauszufordern. Das Pfefferspray fester in der Hand, versuche ich weiter ihn zu beruhigen.

Er läuft hektisch in dem Wohnzimmer hin und her. Frau Dragovic ist hinter uns im Flur und versucht, uns nicht im Weg zu stehen.

Ich bin sehr froh, dass sie sich aus der Sache heraushält. Nicht auszudenken, wenn sie auch noch so durchdrehen würde.

Wir lassen ihn nicht aus den Augen und folgen ihm durch die Wohnung, die er wie ein wilder Tiger fluchend durchstreift. Zugreifen wäre jetzt ein Fehler, da hätten wir keine Chance, denn Unterstützung ist nicht in Sicht. Also weiter ruhig bleiben und den »wilden Tiger« wieder beruhigen.

Was genau ich zu ihm sage, weiß ich nicht. Ich erkläre ihm, dass er mehrere Straftaten begangen hat und dafür vor Gericht kommen wird. Deshalb müsse er mit zum Revier. Es scheint zu klappen, er kommt wieder...

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