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E-Book

Die Minnesänger in Bayern und Österreich

AutorRichard Bletschacher
VerlagHollitzer Wissenschaftsverlag
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl288 Seiten
ISBN9783990122365
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis24,99 EUR
Richard Bletschacher hat von den zahlreichen Minnesängern aus dem bayrisch-österreichischen Raum die bekanntesten sowie bestdokumentierten ausgewählt. Sie werden mit ihrer Biographie als auch einer Auswahl ihrer Werke, die vom Autor neu übersetzt wurden, vorgestellt. Zu den im Buch versammelten zählen: Der von Kürenberg, Dietmar von Aist, der Burggraf von Regensburg, der Burggraf von Rietenburg, Albrecht von Johansdorf, Walther von der Vogelweide, Wolfram von Eschenbach, der Markgraf von Hohenburg, Neidhart von Reuental, der Tannhäuser, der von Suoneck, Hiltbold von Schwangau, Ulrich von Liechtenstein, Ulrich von Sachsendorf, der Hardegger, Reinmar von Brennenberg, Leuthold von Seven, Alram von Gresten, Gunther von dem Forste, der Litschauer, Heinrich von der Muore, der Mönch von Salzburg, Hugo von Montfort und Oswald von Wolkenstein. Das zeitliche Spektrum reicht von frühen Vertretern (ab Mitte des 12. Jahrhunderts) im Hochmittelalter bis zum letzten Nachfolger Oswald von Wolkenstein (1376-1445).

Richard Bletschacher, geboren 1936, ist Regisseur, Dramaturg, Maler und Autor zahlreicher Operntexte, Schauspiele, Erzählungen, musikwissenschaftlicher Studien. Er war von 1982 bis 1996 an der Wiener Staatsoper als Chefdramaturg tätig. Er lebt und arbeitet in Wien und Drosendorf an der Thaya (NÖ).

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Leseprobe

DIE KUNST DES MINNESANGS


Der deutsche Minnesang hat seinen Ursprung in der Epoche des Hochmittelalters, in der sich, durch verschiedenste Umstände begünstigt, die Bevölkerung nicht nur des römisch-deutschen Reiches, sondern ganz Europas so stark vermehrte, dass sie an ihrem Ende gegen 1300 doppelt so viele Menschen umfasste wie an ihrem Beginn, der etwa mit der Ergreifung der Regierungsgewalt durch Friedrich Barbarossa anzusetzen ist. Es war, als ob ein neu gewonnener Atem durch die europäischen Länder ging. Man besann sich der eigenen Sprachen. Man zog in weit entlegene Länder. Man gründete die ersten Universitäten, erbaute die großen Kathedralen und besann sich wieder einer Kunst, die man allzu lange den Kirchen und Klöstern überlassen hatte, man besann sich der Musik. Friedrich Barbarossa hatte 1156 die burgundische Landeserbin Beatrix geheiratet, eine junge Dame, die sowohl Provenzalisch wie auch Französisch sprach, sich im Saitenspiel und Gesang geübt und gewiss den einen oder anderen Troubadour im Gefolge hatte. Der Glanz und die ständig wachsende Macht des staufischen Hofes trugen dazu bei, in den Menschen im Deutschen Reich neue Hoffnungen zu erwecken. Wenn man diese Zeit der Angliederung des alten Fürstentums Burgund an das Römische Reich als einen ersten Ausgangspunkt einer neuen höfischen Kultur begreifen mag, so wird man das Jahr 1184 als einen der großen Höhepunkt der Epoche erkennen. Der neue Glanz wurde nirgends so mächtig vor aller Augen geführt wie in dem vielgerühmten Pfingstfest von Mainz, zu welchem an die 70.000 Ritter, das will wohl sagen: berittene Männer, aus allen Teilen des Reiches herbeigekommen waren, um die Schwertleite der Kaisersöhne zu feiern. Sie kamen aus dem Hennegau, aus Namur, aus den Niederlanden, aus dem Arelat, aus der Schweiz, aus Flandern, Burgund, Luxemburg, Lothringen, Brandenburg, Böhmen, Sachsen, Thüringen, Schwaben, Franken, Bayern, Tirol, Steiermark, Istrien, Kärnten und Krain. Die einzelnen Fürsten wurden von bis zu 2.000 Rittern begleitet. Sie suchten einander an Freigebigkeit zu übertreffen, um ihre Ansprüche durch ihren Reichtum vor allen zu erweisen. Bei dieser und mancher anderen Gelegenheit waren nicht nur Gaukler und Spielleute in ihrem Gefolge, sondern auch Minnesänger, um aus allen Gegenden und in allen Sprachen neue maere zu erfahren, zu verkünden und altbekannte neu zu singen. Hier trafen einander Troubadoure, Trouvères und Minnesänger.

Dass uns die weltliche Dichtung des Minnesangs, auch wenn wir von der Gestalt und dem Klang seiner musikalischen Ergänzung kaum etwas Rechtes wissen, so sehr mit Staunen, Verwunderung und oft sogar mit stolzer Freude erfüllt, liegt an der Morgenstimmung des erwachenden Selbstbewusstseins, an der Keuschheit und Unbefangenheit ihrer ersten Blüte und der Bemühung um eine spirituelle und sittliche Reifung aller in ihrem Umkreis Versammelten, Teilhabenden und Betroffenen. Es liegt aber auch an der zumindest in den adeligen Kreisen erwachenden Neubesinnung auf die Würde und Anmut der Frauen. Die Haltung, die wir heute noch Höflichkeit oder Ritterlichkeit nennen, hat ihren Urspung im höfischen Frauendienst des hohen Mittelalters und der wiederum ist geeignet, dem Manne ebensoviel an Ansehen zurückzugeben, wie er der Frau an Achtung erweist. Dies war und blieb noch lange Jahrhunderte danach das Richtmaß allen sittlichen Verhaltens in unseren Ländern.

Dass diese Neubesinnung aber in einer Epoche geschah, als sich die Kirche in ihren führenden Vertretern, Bischöfen, Äbten und Predigern anschickte, das Sexual- und Eheleben durch Beichtbefragungen zu durchleuchten und mit inquisitorischen Mitteln die Unterwerfung der Frau unter die Herrschaft des Mannes – und vor allem des Priesters – zu betreiben, macht sie nur umso bemerkenswerter. Und so wie auf der politischen Ebene die geistliche Macht des Papstes gegen die weltliche des Kaisers zum Kampf um die Vorherrschaft angetreten war, so suchten die Reformatoren in den Klöstern, die Inquisitoren in den Gemeinden und die Prediger an den Fürstenhöfen über das innerste Gewissen der Gläubigen Gewalt zu gewinnen. Zu keiner Zeit der Geschichte stellte sich die Kirche lebensfeindlicher dar. Während sie einerseits die Heereszüge der Kreuzfahrer forderte und den, der sich fügte, von Sünden freisprach und manchen, der sich weigerte, mit dem Bann belegte, suchte sie andererseits in die innersten Verhältnisse der Menschen einzudringen. Es ist das 12. Jahrhundert die Epoche, in welcher Sündenprediger die Schreckensvision des Fegefeuers erfanden, von der in den Büchern des Testaments und der Kirchenväter bislang keine Rede war. Es ist das 12. Jahrhundert, in dem Inquisitoren durch Höllendrohungen und Foltern Bekenntnisse erzwangen, die sie zu den furchtbarsten Strafen zu berechtigen schienen. Ehe und Beichte wurden in dieser Zeit von einer sich neuer Macht bewussten Kirche zu Sakramenten erklärt, um sich durch Belehrung und Überwachung in das alltägliche Leben einzudrängen. Indem sie alle fleischliche Lust zur Beschmutzung einer unsterblichen Seele erklärte, machte sie alle Gläubigen zu Schuldigen. Diese Vergewaltigung der Gemüter weckte Widerstand eben zu einer Zeit, als diese sich öffnen wollten für neue Lebensentwürfe und Hoffnungen. Und so muss uns die weltliche Dichtung wie der Versuch einer Befreiung erscheinen und als Einspruch gegen die Sünden- und Bußmoral der Geistlichkeit. Die Entscheidung, sich in der Landessprache gegen die bisher waltende Übermacht der lateinischen Präskriptionen zu wenden, fiel an den Höfen der Adeligen und in den Häusern der Patrizier, die sich des Lesens kundig erwiesen, als es galt, das Wort zu ergreifen, um sich zur Wehr zu setzen. Und dass dies mit den friedlichen Mitteln der Poesie geschah und den Lohn der Liebe verhieß, ließ die Drohungen der Bußgebote, des Kirchenbanns und der ewigen Verdammnis als sich überhebende Anmaßung der Geistlichkeit erscheinen. Der Umstand, dass einzelne besitzlos umherziehende Männer sich gegen die tausendjährigen Institutionen der römischen Kirche wandten, um sich in den Dienst der Liebe zu stellen, gewann ihrer Kunst die Herzen. Es wäre von keinem geringen Interesse, die aus religiösen Zwängen sich befreiende Liebeslyrik Blatt für Blatt neben die Bußbücher und Erbauungsbriefe der Klostervorsteher und Hofprediger zu legen. Dies ließe deutlich erkennen, in welchen Zwiespalt die Gemüter in der Zeit der Kreuzzüge und der Heldenepen geraten waren und welchen Akt der Befreiung aus dumpfer Ergebenheit in die geistliche Bevormundung der Minnesang für die gebildeten Menschen bedeuten musste. Auch darf ein Hinweis nicht fehlen, dass durch die Kreuzzüge die Lepra in Europa eingeschleppt worden war und eine Aussonderung der Betroffenen aus der menschlichen Gemeinschaft zur Folge hatte. Vor allem das 12. Jahrhundert war eine Epoche der heftigsten Gegensätze von höfischer Sitte, religiösem Fanatismus, nationaler Selbstbesinnung, sozialem Elend, städtischem Freiheitsstreben und der künstlerischen Blüte des Kathedralenbaus. Da ein solcher Diskurs jedoch, je ertragreicher er würde, umso weiter abführen müsste von dem Gegenstand, der hier gewählt wurde, sollen die gesellschaftlichen Zusammenhänge von Kunst, Religion und Alltagsleben in der Folge nur am Rande hin und wieder beachtet werden, ohne sie ganz zu vergessen. Das Hauptaugenmerk dieser Betrachtung soll nicht der sozialen und politischen Geschichte der Stauferzeit gelten, sondern den Dichtern des Minnesangs und der Kunst, die sie schufen. Wie man bald erkennen wird, wird auch das Feld, auf das wir so gelangen werden, sich weitläufiger erweisen, als unsere Augen reichen.

Die Frage nach dem Ursprung des Minnesangs hat man auf vielerlei Weise versucht zu beantworten. Man hat auf die Liebeslyrik des arabischen Hofes in Córdoba verwiesen, und man hat mit Recht vermutet, dass die Begegnung der Völker auf den Kreuzzügen viel vordem Unbekanntes weitum unter die Leute gebracht hat. Und vor allem und mit Recht hat man vorgebracht, dass die Troubadoure der Provence und bald nach ihnen die Trouvères Nordfrankreichs ein Menschenalter vor den deutschen Minnesängern mit ihren Dichtungen und Gesängen hervorgetreten waren. Auch die lateinische Liebeslyrik der spätrömischen Zeit hat man zur Vorgängerin erklärt. Das alles hat gewiss befruchtend und fördernd zusammengewirkt. Nicht erlaubt jedoch scheint es mir, den Minnesang von der im Volke wachsenden Marienverehrung beeinflusst zu sehen. Die beiden entspringen allzu verschiedenen Quellen. Der Erstere der traditionellen Achtung der germanischen Völker vor der Würde der Frau und der weltlich ritterlichen Gesinnung des Adels, die andere dem Volks- und Aberglauben, der alten Sehnsucht nach einer Muttergöttin in der Männerwelt der katholischen Kirche. Ich bin überzeugt von einer Entwicklung, die angeregt wurde von den maurischen und provenzalischen Einflüssen der Kreuzfahrerzeit. Ebenso aber glaube ich auch an eine weitere eigenständige Ausgestaltung. Die Themen und Formen des deutschen Minnesangs entfernten sich im weiteren Verlauf immer deutlicher von denen der westlichen Länder. Sicherlich haben lateinisch sprechende und singende Scholaren und Vaganten manche Anregung hin und wieder getragen. Aber der unvergleichbar eigene Ton des deutschen Minnesangs ist nicht zu überhören. Er geht uns, die wir unsere Sprache lieben, ohne andere gering zu schätzen, auch heute noch ganz unmittelbar nahe.

Zu Grunde liegt aller abendländischen Literatur des Mittelalters das christliche Weltbild, zu Grunde liegt auch die monarchische und feudale Gesellschaftsordnung, zu Grunde liegen das – wenn auch vorerst nur bruchstückhaft bekannt gewordene – antike Erbe, die keltische und germanische mündliche Überlieferung der Heldensagen und schließlich, seit längerer Zeit...

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