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Die Wahrnehmung des Islams in Deutschland

Religionsmonitor - verstehen was verbindet

AutorKai Hafez, Sabrina Schmidt
VerlagVerlag Bertelsmann Stiftung
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl80 Seiten
ISBN9783867936538
FormatePUB/PDF
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis12,99 EUR
Der Islam ist heute die zweitgrößte Religion in Deutschland und durch Moscheen wie auch andere religiöse Symbole in der Öffentlichkeit präsent. Zugleich ist sein Bild in weiten Teilen der Bevölkerung ungewöhnlich negativ geprägt. Diese Ablehnung lässt sich in einer zunehmend pluralistischen und multireligiösen Gesellschaft nicht als Randerscheinung abtun. Vielmehr werden damit zentrale Fragen des gesellschaftlichen Zusammenhalts aufgeworfen. Die vorliegende Publikation untersucht vor diesem Hintergrund die besonderen Facetten des Islambildes und die Wahrnehmung der Muslime hierzulande. Die Autoren Kai Hafez und Sabrina Schmidt setzen sich intensiv mit dem Einfluss von Stereotypen auseinander und analysieren die Entstehungsursachen der verbreiteten Islamfeindlichkeit. Dabei gehen sie auch dem Zusammenhang zwischen politischer Einstellung, sozialem Hintergrund sowie persönlichen Kontakten und dem Islambild nach. Das Buch möchte Vorurteilsstrukturen aufbrechen und Argumente für eine unvoreingenommene Begegnung und sachorientierte Auseinandersetzung liefern.

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Leseprobe

2.Ursachen und Kontexte der Islamfeindlichkeit


Der Religionsmonitor enthält zahlreiche Daten, die zur Erklärung der Entstehungsbedingungen des deutschen Islambildes aufschlussreich sind. Durch uni- und bivariate Analysen lassen sich statistisch signifikante Zusammenhänge zwischen dem Islambild und verschiedenen Lebensbereichen der Bürger aufzeigen. Es können repräsentative Trends in der Bevölkerung aufgezeigt werden, zumal viele Fragen des Religionsmonitors die klassischen Ursachenkomplexe der Fremdbildforschung reflektieren.

»Quantitative Verfahren
haben den Vorzug,
repräsentative Trends
in der Bevölkerung aufzuzeigen.«

Islamfeindlichkeit ist ein Teil des Islambildes, und durch ihre stereotype Prägung gerät sie in das Blickfeld nicht nur der Sozialpsychologie, sondern auch der Rassismusforschung und der integrativen Untersuchungsansätze zur gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit. Gleichwohl lässt, wie bereits erwähnt, Islamfeindlichkeit keineswegs zwangsläufig auf einen voll entwickelten Rassismus bei den Betroffenen schließen. Unterschiedliche Theorien der Sozialforschung beschäftigen sich mit den Entstehungsbedingungen von religiösen Fremdbildern und rassistischen Einstellungen. Unterscheiden lassen sich »kulturelle« und »soziale« Ursachenfaktoren. Zu den kulturellen Faktoren zählen sowohl Werte als auch Ideologiebezüge des Menschen (wie politische Einstellungen), zu den sozialen Faktoren hingegen sozioökonomische und sozial-integrative Aspekte, der interpersonelle Kontakt sowie der Status der formalen Bildung. Vier zentrale Einflussfaktoren sollen in den folgenden Unterkapiteln näher untersucht werden.

•Beim Islambild ist es wichtig, nicht nur dessen Inhalte, sondern auch seine soziale Genese und den Prozess der Sozialisation im Blick zu behalten. Politische Einstellungen spielen hierbei eine bedeutsame Rolle. Weltbilder vermitteln sich über primäre Bezugsgruppen wie die Familie ebenso wie über andere soziale Kontakte (peer groups), über Schule und Medien. Es ließe sich die These aufstellen, dass gerade bei »fernen Thematiken« wie dem Islam für den Aufbau eines differenzierten Islambildes ebenso wie für Negativbilder des Islams ein Zusammenspiel zwischen primären und sekundären Sozialisationsinstanzen außerordentlich wichtig ist. Kernwerte werden über Familien und Freunde angelegt, diese formen sich mit fortschreitendem Bewusstsein zu Weltbildern oder Ideologien aus.

»Kernwerte werden über
Familien und Freunde
angelegt, diese formen sich
mit fortschreitendem Bewusstsein
zu Weltbildern oder
Ideologien aus.«

•Ebenso wesentlich für die Entwicklung des Islambildes sind sozio-ökonomische Faktoren. Schon der Antisemitismus in der Bismarck-Ära fand seinen Ausdruck auch als Ideologie der Benachteiligten in der Industriegesellschaft, nach dem Motto: »Die soziale Frage ist die Judenfrage« (Herzig 2006, S. 189 f.). Werte, die auf Koexistenz und Ausgleich zwischen sozialen Gruppen zielen, finden in der »Mitte« der Gesellschaft so lange eine Heimat, wie sozialer Abstieg ein seltenes und individuell begründbares Phänomen bleibt (Decker et al. 2010, S. 44). In der modernen Forschung geht man keineswegs mehr davon aus, dass primär Armut oder Arbeitslosigkeit Rassismus begünstigen, sondern es geht um relative Deprivation. Wichtig ist nicht, auf welcher Stufe der sozialen Leiter jemand steht oder wie abgesichert er oder sie tatsächlich ist, sondern ob er oder sie meint, es drohe ein sozialer Abstieg. Es geht also um Wohlstandsängste ebenso wie um die Wut längst ausgegrenzter Schichten.

•Man könnte annehmen, dass das Zusammenleben in einer Gesellschaft automatisch eine Erfahrungs- und Interaktionsdichte erzeugt, so dass Minderheiten für die Mehrheitsgesellschaft nicht pauschal als unbekannte Größe bezeichnet werden können. Dass dem nicht so ist, hat die Forschung zur sozialen »Kontakthypothese« längst ermittelt. Demnach ist nicht jede Form der Begegnung zwischen Individuen ein Kontakt, der geeignet wäre, negative Stereotype und Feindbilder abzubauen. Von einem Kontakt dieser Qualität spricht etwa Thomas Pettigrew erst dann, wenn gemeinsame Ziele entwickelt werden und sich dauerhafte Kooperationen oder gar Freundschaften anbahnen – und sei es auf einer ganz alltäglichen Ebene von Nachbarschaftsverhältnissen (Pettigrew 1998).

•Der letzte im Folgenden untersuchte Einflussfaktor ist Bildung. Formale Bildung durch Schule und Hochschule gilt vielfach als »Dämpfer« gegen Rassismus. Man geht davon aus, dass Bildung die Fähigkeit zu differenzierter Wahrnehmung und Reflexionsbereitschaft fördert und stereotypen Sichtweisen entgegenwirkt. Allerdings besteht Bildung nicht nur aus Wissen, sondern auch aus Werten, und deren unklare Beziehung zum Islam ist bereits erörtert worden. »Wissen« wiederum ist ein sehr offener und diffuser Begriff. Gerade zeitgenössische Paradigmen wie die »Wissensgesellschaft« sind in der Wissenschaft umstritten (Kübler 2005). Einerseits trifft es sicher zu, dass das Lernen und die Wissensaneignung in Gesellschaften, die die industrielle Produktion vermehrt in andere Länder auslagern und stattdessen Arbeitsplätze im Innovations- und Dienstleistungssektor schaffen, immer höhere Bildungsniveaus erzeugen müssen. Andererseits liegt genau hier das Problem: Bildung wird wirtschaftlichen Zielsetzungen unterworfen, wobei bestimmte Bildungsbereiche als wichtiger gelten als andere. Darüber hinaus ist der sehr selektive Blick westlicher Wissenschaft und Bildung auf Phänomene des Islams, wie er etwa im »Eurozentrismus« oder auch im »Orientalismus« zum Ausdruck kommt, kritisiert worden (Chakrabarty 2000; Said 1995).

»Auch in einer nominell
multikulturellen Gesellschaft
ist es Normalität, dass
weite Teile der Mehrheiten
keinerlei Kontakte zu
Angehörigen von religiösen
oder ethnischen
Minderheiten pflegen.«

Neben klassischen Bildungseinrichtungen wie Schulen und Universitäten spielen auch Medien eine bedeutende Rolle, und zwar nicht mehr nur die Massenmedien, sondern in wachsendem Maße auch digitale Medienformate sowie das Meta-Medium Internet. In dieses sind nicht nur alle anderen Medien integriert, es schafft zusätzlich auch neue Informations- und Kommunikationswege. Die Wissensgesellschaft ist also auch eine »Mediengesellschaft«. Medien beeinflussen das Islambild und die Einstellungen zum Islam auf vielen Wegen: Ihre Informationen bilden die Schnittstelle zwischen Werten, politischen Einstellungen und Meinungsbildung; sie beeinflussen die sozio-ökonomische Selbsteinschätzung; die von ihnen erzeugten Bilder von Minderheiten können den interpersonellen Kontakt mit prägen und sie wirken in die Bildungseinrichtungen hinein. Medien können Meinungen von Menschen jedoch nicht vollständig beeinflussen. Vor allem bei Themen, die die soziale Nahwelt betreffen, ist ihr Einflusspotenzial relativ schwach, denn hier verfügen die Rezipienten über eigene Erfahrungen und sind nicht auf die Sekundärvermittlung durch die Medien angewiesen. Die Bedeutung der Medien wächst aber mit der Wahrnehmung ferner Ereignisse und Personen, indem sie Themen zur gesellschaftlichen Diskussion zur Verfügung stellen (»Agenda Setting«) oder Diskurse durch Ein- oder Ausschluss von Argumenten formen (»Framing«). Medien beeinflussen das Islambild also in allen Bereichen. Dass sie in der vorliegenden Analyse nicht als eigene Analysedimension in Erscheinung treten, liegt daran, dass der Religionsmonitor keine Mediennutzungsdaten enthält, diese somit nicht mit dem Islambild und dessen anderen Entstehungsbedingungen korreliert werden können. Medieneinflüsse können vielfach erahnt, sie können aber mit den Daten des Religionsmonitors nicht empirisch belegt werden.

»Allerdings besteht Bildung
nicht nur aus Wissen, sondern
auch aus Werten.«

2.1Politische Einstellungen


Die Demokratie in Deutschland entwickelte nach dem Zweiten Weltkrieg einen neuen Konsens. Dazu gehört das Bekenntnis aller etablierten Parteien zu den Grundlagen der Demokratie wie freien Wahlen, Versammlungs- und Meinungsfreiheit sowie zu den Menschenrechten als Teil des Grundgesetzes. Zu Letzteren gehört auch die Gleichberechtigung aller Geschlechter, Religionen und »Rassen« (dieser Begriff steht immer noch im Grundgesetz, Art. 3 GG). Erst beide Dimensionen zusammen – demokratische Verfahren und individuelle Menschenrechte – ergeben das, was man allgemein als »liberale Demokratie« bezeichnet, im Unterschied etwa zu religiös gefärbten Demokratien, in denen einer bestimmten Religion eine Vorrangstellung als Staatsreligion eingeräumt wird.

»Allerdings war und ist
auch die...

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