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Erzählen über Liebe

Die Konstruktion von Identität in autobiografischen Interviews

AutorAlexandra Kofler
VerlagCampus Verlag
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl230 Seiten
ISBN9783593412856
FormatPDF
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis24,99 EUR
Was hat Liebe mit Identität zu tun? Alexandra Kofler geht anhand von Interviews der Frage nach, wie einzelne Personen ihre biografische Identität im Licht ihrer Liebeserfahrungen erzählerisch gestalten. Dabei verbindet sie philosophische Theorien der Identität und Narrativität mit Methoden der neueren Biografie- und Sozialforschung. Identität erweist sich in dieser Perspektive nicht nur als ein Produkt sozialer Beziehungen, sondern vor allem als eine praktische Aufgabe biografischer Selbstreflexion.

Alexandra Kofler, Dr. phil., erhielt für ihre Dissertation den Michael-Mitterauer-Preis für Gesellschafts-, Kultur und Wirtschaftsgeschichte. Sie lebt und arbeitet als freie Wissenschaftlerin in Wien.

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Leseprobe
In einer Aussendung des Centre interdisciplinaire d'études et de recherches sur l'Allemagne (CIERA) vom Juni 2009 wird von einem Wiederaufleben der Erzählung berichtet. Es ist die Rede vom Aufkommen eines 'postklassischen Erzählens', von einer 'Rückkehr der großen Erzählungen' und dem 'Eintritt in ein neues narratives Zeitalter'. Das Storytelling habe als zentrale Strategie in Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Therapie und im Privaten einen Wechsel vom Begründen zum Erzählen herbeigeführt. Mehr als Fakten und Argumente zähle heute die gute Story, wenn es darum geht, Wahlerfolge zu erzielen oder Produktbindungen herzustellen. Tatsächlich legt schon ein kurzer Blick auf die gegenwärtige Bekenntnis- und Selbstinszenierungskultur (Burkart 2006) die Vermutung nahe, dass gerade heute mehr denn je erzählt wird. Das (außer­­literarische) Erzählen bildet ein favorisiertes Mittel der Selbstdarstellung im Alltag. Überall wird erzählt, werden Selbsterzählungen geliefert - in Blogs, Talkshows, im psychotherapeutischen Kontext, in life-writing-workshops u.s.w. In gleicher Weise übersteigen auch im wissenschaftlichen Kontext die vielfältigen Bezugnahmen auf das Erzählen und die Erzählung mittlerweile den Rahmen der Darstellbarkeit.


Diese Neuentdeckung mag aber erstaunen, bedenkt man, dass es sich beim Erzählen um eine zentrale Praxis menschlichen Lebens handelt:


'Außerdem findet man die Erzählung in diesen nahezu unendlichen Formen zu allen Zeiten, an allen Orten und in allen Gesellschaften; die Erzählung beginnt mit der Geschichte der Menschheit; nirgends gibt und gab es jemals ein Volk ohne Erzählung; alle Klassen, alle menschlichen Gruppen besitzen ihre Erzählungen. [...] Die Erzählung schert sich nicht um gute oder schlechte Literatur: sie ist international, transhistorisch, transkulturell, und damit einfach da, so wie das Leben.' (Barthes 1988: 102)


Erzählen ist eine universelle Kulturpraxis, wie Roland Barthes deutlich macht. Sie beschränkt sich nicht auf den Bereich professionalisierten Erzählens, sondern sie findet sich in jedem Bereich des Lebens. Der enge Zusammenhang zwischen Kultur und Erzählen hat die Erzählung mitunter zu einem Gradmesser kultureller Einschätzungen gemacht: Die These vom Verlust des Erzählvermögens im Zeitalter der Massenmedien erscheint etwa bereits bei Walther Benjamin als Untergang der Kultur. Dennoch bildet das Erzählen nach wie vor ein zentrales Medium der Selbst- und Welterkenntnis. Vielmehr erlangt es angesichts erhöhter Anforderungen biografischer Sinnstiftung und Orientierung neuerliche Dringlichkeit. Das gegenwärtige Interesse am Erzählen lässt sich somit auch als ein Indiz für gesellschaftliche Veränderungen und Verluste verstehen. Vor allem sozial­psychologische Konzeptionen weisen dem Erzählen angesichts sozialer Differenzierung, Individualisierung und Fragmentierung die Funktion subjektiver Identitätsbildung zu: Nur die Erzählung vermöge jene Einheit wiederherzustellen, die gesellschaftlich bereits unmöglich geworden sei. Erzählen stiftet Identität und Zugehörigkeit - eine Funktion, die besonders in Zeiten biografischer Brüchigkeit an Bedeutung gewinnt.


Die vorliegende Untersuchung nimmt das autobiografische Erzählen als eine Praxis der Identitätskonstruktion in den Blick. Dies erfolgt in zweifacher Hinsicht: Im Rahmen einer kritischen Auseinandersetzung mit den gängigen Positionen der Identitätsdebatte wird eine narrative Konzeptualisierung des Identitätsbegriffs vorgeschlagen. Der Frage nach der identitätskonstitutiven Bedeutung des Erzählens wird in Form einer Analyse autobiografischer Selbsterzählungen zum Thema Liebe nachgegangen. Anhand von Interviews, in denen Personen von ihren Lebens- und Liebeserfahrungen berichten, soll gezeigt werden, inwiefern Identität weder ein stabiler Tatbestand, noch ein Besitz der Person ist, sondern sich vielmehr als eine immer wieder neu zu leistende narrative Aufgabe darstellt. Auf diese Weise verbindet die vorliegende Studie eine philosophisch-hermeneutische Theorie der narrativen Identität mit einem empirisch-biografischen Forschungsansatz.

Blick ins Buch
Inhaltsverzeichnis
Inhalt6
Einleitung10
1. Identität: Ein uneindeutiges Konzept16
1.1 (Personale) Identität und Individualität22
1.2 Der sozialwissenschaftliche Identitätsbegriff29
1.3 Identität als modernes Problem34
1.4 Biografie als Lösung des Identitätsproblems?37
2. Identität in Geschichten42
2.1 Was ist eine Erzählung?46
2.2 Narrativität und die Philosophie der Geschichten51
2.3 Das Konzept der narrativen Identität56
2.4 Autobiografisches Erzählen und die Konstruktion des Selbst61
3. Selbsterzählungen über Liebe als Orte von Identitätskonstruktionen?66
3.1 Liebe als Erzählung66
3.2 Der Liebesdiskurs: Eine Skizze70
3.3 Identität(en) in Bezogenheit?76
4. Rekonstruktion narrativer Identität(en)78
4.1 Das Design der Interviewstudie78
4.2 Das narrative Interview83
4.3 Materialanalyse und Auswertung91
4.4 Fallstrukturen, Sampling und Fallvergleich96
5. Geschichten von der Liebe100
5.1 Fallgeschichte Andrea: True Romance – Eine Apologie der Liebe101
(K)eine Liebe auf den ersten Blick102
Eine geheime, verbotene Liebe105
Glaubenskampf und Säkularisierungsprojekt108
Apologie der Liebe112
Eine ganz normale Beziehung?113
Gegenwelten115
5.2 Fallgeschichte Markus: Interkulturelle Liebe – Eine Aneignungsgeschichte116
Herkunft und Aneignung117
Eine interkulturelle Beziehung?119
Ein typischer Asiate und narrativer Rollentausch121
Romantische Liebe als Rettung des Selbst125
Ernüchterung und virtuelle Liebe126
5.3 Fallgeschichte Thomas: Zwischen Bindungsehnssucht und Wahlfreiheit – Ein (männlicher)Reifungsprozess128
Männliche Lehrjahre und die Exploration des Weiblichen130
Eine Beziehung zwischen Liebe und Kalkül133
Tanja und die Anderen135
Handlungspraxis und Gedankenspiele137
5.4 Fallgeschichte Gisela: Liebe als Projekt – Eine biografische Konversionsgeschichte139
Ehe: Automatismen und Sozialisationseffekte: Eine weibliche Normalbiografie?141
Konversion: Von der Fremd- zur Selbstbestimmtheit143
Riskante Freiheiten144
Liebe, Familienleben und Karriere: Ein Spannungsfeld145
Partnertausch und Liebe als Projekt147
Eine biografische Erfolgsbilanz?148
5.5 Fallgeschichte Michael: Zwischen Nähe und Autonomie – Eine Passionsgeschichte149
Vorenthaltene Mutterliebe151
Kampfzone der Geschlechter152
Das Drama der Adoleszenz154
Sexuelle Initiation und therapeutischer Wandel157
Geschlechterkonstruktionen161
5.6 Fallgeschichte Veronika: Ein ungleiches Paar? Oder: Die narrative De-Konstruktion von Beziehung164
Das erste Treffen in zwei Versionen166
Das Milieu168
Zukunftspläne171
Bildungsunterschiede174
Resignation?176
Eine negative Bilanz?177
6. Schlussbetrachtung: Erzähle Identität(en)?180
6.1 Identitätskonstruktionen zwischen Gleichheit und Wandelbarkeit182
6.2 Biografische Schemata und kulturelle Narrative als Ressourcen der Identitätskonstruktion186
6.3 Narrative Strategien im autobiografischen Erzählen196
6.4 Identitäten in Bezogenheit? Zwischen Romantik und Ernüchterung199
Nachwort210
Literatur212
Dank230

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