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E-Book

FILM-KONZEPTE 51 - Rudolf Thome

Verlagedition text + kritik
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl121 Seiten
ISBN9783869167336
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis17,99 EUR
Seit 1964 hat Rudolf Thome 28 Spielfilme und sechs Kurzfilme gedreht. In den Umbrüchen des Neuen Deutschen Films gestartet, doch stets abseits von Oberhausen realisiert, besitzt sein Werk innerhalb des (bundes-)deutschen Kinos eine 'Kontinuität, die zu den absoluten Ausnahmefällen im deutschen Film zählt' (Bert Rebhandl). In den 1960er Jahren noch Teil der Münchner Gruppe, die dem deutschen Film ein spezifisch europäisches Flair hinzufügte, drehte Thome seit Mitte der 1970er Jahre Filme in und über Berlin, ehe er Ende der 1990er Jahre die Räume der Stadt gegen die Weite des Landes eintauschte. Dabei kehrte er immer wieder, selbst in seinen expliziten Genrearbeiten, zum eigentlichen Kern seiner Geschichten zurück: der Erkundung und der Entfaltung der Beziehung zwischen Mann und Frau. Im Blick auf Thomes Filme lässt sich, so das Ziel dieses Hefts, deutsche (Film-)Geschichte in neuen Perspektiven lesen.

Tobias Haupts ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Seminar für Filmwissenschaft der Freien Universität Berlin. Promotion an der Universität Siegen mit einer Arbeit zur Geschichte und medialen Praxis der Videothek. Forschungsschwerpunkte: (deutsche) Medien- und Filmgeschichte, Genreästhetik und -geschichte, Distributionsformen des Films u. a.

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Leseprobe

Rudolf Thome: Werk und Kontext


Eine Einleitung

»Woody Allen dreht und dreht und dreht. Und macht mich eifersüchtig«,1 twitterte Rudolf Thome am 24. Oktober 2017 anlässlich der gerade begonnenen Dreharbeiten des zum Zeitpunkt der Meldung 81-jährigen US-amerikanischen Filmregisseurs. Im (gar neidischen) Blick des vier Jahre jüngeren Thomes auf den weiterhin produktiven Kollegen und in dem damit verbundenen Offenlegen einer inneren Befindlichkeit stellt sich die Frage nach dem eigenen Werk, dem eigenen Schaffen und Aktivsein, selbst wenn zuvorderst nicht von ihm selbst die Rede ist. Denn auch Thome will drehen und drehen und drehen, will weitermachen, sich mitteilen, gehört und, mehr noch, gesehen werden. Thomes letzter Spielfilm, INS BLAUE,2 feierte 2012 seine Premiere, weitere Projekte, an denen es ohnehin nie mangelte, scheiterten bislang. Thome zog sich auf das Verfassen seiner Autobiografie zurück, auf das Rückschau-Halten, darauf, das (eigene) Leben in eine Form, in ein Narrativ zu bringen.

Thomes Werk allerdings wurde bereits vorher zusammengefasst: Bis auf wenige Ausnahmen liegen seine 28 Langfilme kaufbereit auf DVD vor,3 sein Werk kann komplett digital gestreamt werden.4 Und auch die Literatur schaut auf das Œuvre: Im 2010 von Ulrich Kriest herausgegebenen Band Formen der Liebe5 versammeln sich alte und neue Texte zum und vom Regisseur, kommen er und andere Weggefährten zu Wort. Kriest und seine Autoren erkunden in ihren Beiträgen die oftmals widersprüchlichen Beobachtungen in den Filmen des Regisseurs, beschreiben Thome als einen »Ethnograf(en) des Inlands«6 und attestieren seinen Filmen trotz dieser Zuschreibung immer wieder einen märchenhaften Blick auf die (meist bundesdeutsche) Welt. Jedoch wird der Widerspruch schnell offensichtlich, wenn die Texte Adjektive wie realistisch oder gar magisch benutzen, die zunächst, wenn man Thomes Filme nicht kennt, kaum zueinander passen wollen, gar dichotomisch im harten Gegensatz zueinander stehen.

Kriests Band wie auch die kaum freiwillige Unterbrechung von Thomes filmischem Schaffen werfen durchaus die (alte) Frage auf, wann das Werk eines Künstlers abgeschlossen ist, was Teil von ihm ist, vielleicht gar überhaupt Teil sein kann und was nicht. Doch eingebunden in die Frage nach dem jeweiligen Werk, nach dem einzelnen Film oder dem spezifischen Regisseur, steht die Frage nach dem, was es abseits dieser Instanzen bereichern kann, es leichter kommunizierbar, erklärbar, aber auch analysierbar macht, und somit den Blick für und auf die Kontexte öffnet. Denn ohne diese Kontexte würde sich auch das Werk des Regisseurs drehen und drehen und drehen, und zwar nur um sich selbst, es würde zum eigenen selbstreferenziellen (und damit meist auch geschlossenen) System (ohne Schatten) werden, zum eigenen Genre, das so zwar leichter zu vermitteln ist, jedoch auch dazu neigt, den Blick zu versperren auf jene offenen Fragen und spannenden Reibungen, die sich aus den fehlenden Kontexten ergeben.

Einer dieser Kontexte ist das Eingewobensein der Filme Thomes in die (bundesdeutsche) Filmgeschichte, das Verweisen des einzelnen Films auf eine Vielzahl von anderen Filmen, auf das Kino (aber auch das Fernsehen) als Medium, auf die Zirkulation von Bildern und letztlich auch auf große, schwere Worte wie Gesellschaft und Kultur. Dort, in den 1960er Jahren, wird dieser Kontext konkret, gar politisch, meint das Geschehen hinter der Kamera, noch ehe diese angeworfen wird, meint die Reaktionen der Oberhausener auf »Papas Kino« und die Reaktion der Münchner auf deren Versuch eines Ikonoklasmus des gängigen zeitgenössischen Kinos. Inmitten dieses westeuropäischen Umbruchs der Filmgeschichte spielt die Frage nach den Vorbildern eine große Rolle: Der Blick in die eigene Vergangenheit, der nach diesen möglichen Vorbildern Ausschau hielt, konnte nur im nicht kontaminierten Weimarer Kino fündig werden, der Blick in die zeitgenössische Gegenwart wurde es bei den französischen Nachbarn (und damit auch in deren Blick auf das US-amerikanische Genrekino), die diesen Kampf schon erfolgreich gefochten hatten. Thomes Filme, und durchaus auch die der neuen Münchner Gruppe,7 beziehen Mitte der 1960er Jahre eine Position abseits von Oberhausen, ohne sich jedoch völlig davon lösen zu können, und nehmen gerade in diesem Dazwischen eine Mittlerstelle ein, die zwischen den ernsthaften und auf manche Zeitgenossen vielleicht sogar bieder wirkenden, grauen Bildern des Jungen Deutschen Films und den farbintensiven Produktionen des bundesdeutschen Produzenten- und Unterhaltungskinos eine mögliche Synthese definiert. Hinter der Kamera nahmen Thome, Klaus Lemke und Max Zihlmann all jene Ideen auf, die die Nouvelle Vague den Oberhausenern mit auf den Weg gegeben hatte: die Liebe zum Kino, die zuerst zum Schreiben8 über den Film9 führte und dann zum unstillbaren Drang, diese Liebe umzusetzen, unabhängig von der eigenen Praxiserfahrung oder des permanent fehlenden Budgets. Auch hier: Formen der Liebe noch vor dem eigentlichen Bild.

Thomes Filmschaffen begleitet und formt die bundesdeutsche Filmgeschichte seit Mitte der 1960er Jahre kontinuierlich, und dies obgleich ihm nicht der Erfolg der früheren, wie Alexander Kluge und Edgar Reitz, oder späteren Kollegen, wie Wim Wenders oder Rainer Werner Fassbinder, zuteilwird, was auch immer eine mögliche Erklärung für das Ausbleiben dieses Erfolgs sein könnte. Doch formiert sich (eine mögliche) Filmgeschichte nicht nur aus jenen Produktionen, die hohe Einspielergebnisse vorweisen können oder (und eben nicht und) sich dem Wohlwollen der Kritik gewiss sein können, selbst wenn der maßgebliche Einfluss der Filmkritik(er) auf das Schreiben der Filmgeschichte bis heute erstaunlich groß ist, das eine hoch und das andere niedrig hält. Filmgeschichte findet im Dazwischen statt,10 zwischen den Filmen, zwischen den Künstlern und deren Eingebundensein in die historischen Abläufe und Umbrüche. So fallen in die Schaffenszeit Thomes die Unruhen der 68er-Bewegung, der Terror des Deutschen Herbstes und die Ereignisse der Wiedervereinigung des deutschen Staates, die aufsteigende Konkurrenz des Fernsehens, der Siegeszug des Videorekorders und die Dominanz digitaler Kommunikationsmittel. Zu fragen wäre für Thomes Filme daher nicht, ob seine Filme sich zu dieser Geschichte verhalten, sondern wie, und sei es lediglich ex negativo. Denn auch die Beobachtungen der Alltäglichkeit, wie sie Thome attestiert werden, können nicht aus ihrem Umfeld losgelöst werden, sind niemals ahistorisch, sondern beziehen sich immer auf jene Zeit und jene Welt, in der sie entstehen. Zu behaupten, ein Film wie Thomes LIEBE AUF DEN ERSTEN BLICK (1991) sei kein Wendefilm,11 wäre so nicht nur schlicht, sondern auch schlicht falsch.

Das genaue Hinsehen, ein Merkmal der Reihe Film-Konzepte, bezieht sich hier auch auf die (Film-)Geschichte selbst, die den Rahmen bildet und an die Fragen zu stellen sind.12 Erst diese Fragen lenken somit den Blick auf die Filme selbst und mehr noch auf ihre Bilder – und dies direkt in zweifacher Hinsicht: Wenn Thome selbst, die Filmkritik und der Zuschauer Verbindungen ziehen zur Filmgeschichte, hier Kontexte ausfindig machen und eröffnen, zu Friedrich Wilhelm Murnau,13 zu Howard Hawks, zu Éric Rohmer, zu Jacques Rivette,14 so wäre durchaus zu fragen, was es mit diesen Verweisen auf sich hat, wie die Bezüge auf das Vorhergegangene und das Nachfolgende wirken können und operationalisierbar werden.15 Bleiben sie bloße Behauptung, sind sie ein Mittel der Werbung, um Neues durch Altes zu bewerben, den Liebhaber des einen zum Liebhaber des anderen zu machen, dann haben sie dort ihren Platz und somit ihren Zweck erfüllt. Welche Aussagen über Filmgeschichte können aber getroffen werden, wenn in der Analyse nach dem Bezug der Bilder zueinander gefragt wird, danach, wie sie sich gegenseitig kommentieren, erhellen und in ihrer Zirkulation stützen? Was ergibt sich, wenn diese Vergleiche ernst genommen werden, im Bild, aber auch im zeitgeschichtlichen Kontext? Wie funktioniert der Bezug Thomes auf die Filmgeschichte und wie der Rückgriff der Filmgeschichte auf Thome?16 Bei der Konzeption galt es daher weniger, Thomes Werk in Phasen einzuteilen, über deren Eingrenzung (als Begrenzung verstanden) immer zu verhandeln wäre, sondern die Filme (und die in ihnen zu findenden Motive) an den konkreten historischen Moment und Ort des jeweiligen Films zurückzubinden.

Thomes Befürchtung, aus dem Gedächtnis der Filmgeschichte zu verschwinden,17 geäußert in Serpil Turhans Dokumentation über den Regisseur, RUDOLF THOMEÜBERALL BLUMEN (2016),18 die der persönlichen Stimmung des Rezipienten folgend als optimistisch oder melancholisch gelesen werden kann, muss so entkräftet werden. Dem Fortwirken von Thomes Bildern, und somit auch seiner Filme, kann nachgespürt werden. Man kann Fassbinders LIEBE IST KÄLTER ALS DER TOD (1969) auf Jean-Pierre Melvilles LE SAMOURAÏ (DER EISKALTE ENGEL, 1967) beziehen, doch zwischen ihnen (ent-)steht DETEKTIVE (1969). Schon in ROTE SONNE (1970) fährt Marquard Bohm19 gemeinsam mit Uschi Obermaier einen roten Käfer in den Starnberger See, bevor es ihm Hanns Zischler in Wim Wenders’ IM LAUF DER ZEIT (1976) gleichtut – es schien Mode zu sein,20 kommentiert es Michael Althen im Zusammenschnitt der beiden Szenen in der gemeinsam mit Hans Helmut Prinzler...

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