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Finanzen und Fiktionen

Grenzgänge zwischen Literatur und Wirtschaft

VerlagCampus Verlag
Erscheinungsjahr2011
Seitenanzahl287 Seiten
ISBN9783593412566
FormatPDF
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis41,99 EUR
Im Zuge der Finanzkrise von 2009 ist die Virtualität der Geldwirtschaft zunehmend in den Fokus der Öffentlichkeit geraten - und damit auch die Fiktionalität der Finanzwelt. In der Wirtschaftspresse sowie in einschlägigen Publikationen ist von einer Entkoppelung der internationalen Finanzmärkte die Rede, das Verhalten mancher Propheten der Finanzwirtschaft ähnelt eher dem von Magiern und Taschentrickspielern. Dominierten in der interdisziplinären Forschung zum Thema »Literatur und Wirtschaft« bisher Ansätze, die sich für die Darstellung ökonomischer Sachverhalte in der Literatur interessierten, so ist es nun der fiktionale Charakter der Ökonomie selbst, mit dem sich der Band auseinandersetzt.

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Leseprobe
Während sich eine kulturkritische Auseinandersetzung mit ökonomischen Theorien und Modellen in der anglo-amerikanischen Forschung bereits in den 1990er Jahren unter dem Stichwort New Economic Criticism formierte (vgl. Osteen/Woodmansee 1999: 3), begannen die Geistes- und Kulturwissenschaften im deutschsprachigen Raum sich erst seit Beginn des neuen Jahrtausends intensiver für wirtschaftliche Themen und Zusammenhänge zu interessieren. Vorreiter waren hier insbesondere der Literatur- und Medienwissenschaftler Jochen Hörisch, der sich bereits seit den 1990er Jahren in zahlreichen Publikationen dem Zusammenhang von Sprache, Literatur und Geld gewidmet hat (vgl. u.a. Hörisch 1996; 2004; 2011), und der Kulturwissenschaftler Joseph Vogl, der zunächst mit seiner Poetik des ökonomischen Menschen (2002) die kulturellen und anthropologischen Grundlagen der Figur des homo oeconomicus anhand einer Lektüre einschlägiger literarischer Texte des 18. und frühen 19. Jahrhunderts untersuchte, um 2010 mit dem Band Das Gespenst des Kapitals eine grundsätzliche Kritik an den wissenschaftlichen bzw. wissenschaftstheoretischen Grundlagen der Wirtschaftswissenschaften aus kulturwissenschaftlicher Perspektive vorzulegen. Dass sich die Finanzkrise zugleich als eine 'Krise der Wirtschaftswissenschaften' (Honegger/Neckel/Magnin 2010b: 31) darstellt, ist inzwischen von vielen Seiten bestätigt worden (vgl. Wetzel 2010: 295 und auch den Beitrag von Max Otte im vorliegenden Band). Im Gegensatz zu Hörisch und Vogl, die sich in ihren Studien besonders mit den fiktiven, imaginativen und virtuellen Aspekten von Geldtheorie und Finanzwirtschaft beschäftigen, konzentriert sich die Mehrzahl der bisher vorliegenden Beiträge im interdisziplinären Forschungsbereich Literatur und Wirtschaft im deutschsprachigen Raum darauf, die Darstellung ökonomischer Themen und Zusammenhänge in literarischen Texten zu untersuchen (vgl. u.a. Blaschke 2004; Fulda 2005; Schößler 2009; sowie die Beiträge in Hempel/Künzel 2009). Das mag zum einen damit zusammenhängen, dass das Interesse an einem interdisziplinären Austausch zunächst in einem stärkeren Maße von den Literatur- und Kulturwissenschaften ausging und sich die Analysen daher entsprechend vorrangig auf literarische Texte konzentrierten (vgl. Horvath in diesem Band). Der Ökonomik, sprich: der wissenschaftlichen Lehre der Volkswirtschaft wird dagegen bis heute ein mangelndes Bewusstsein für Aspekte des Fiktiven, der semantischen Konnotationen ihrer Begrifflichkeit und der Mythologisierung bestimmter Konzepte vorgeworfen, mit denen die Wirtschaftswissenschaften im Allgemeinen relativ unkritisch operieren: 'economics continues to lag behind other disciplines in questioning its own assumptions' (Osteen/Woodmansee 1999: 28). Dietmar J. Wetzel bezweifelt, dass die Wirtschaftswissenschaft 'sich selbst und ihre dunklen Flecken aufzuklären' (Wetzel 2010: 299) vermag. Er plädiert daher dafür, 'Erkenntnisse aus anderen Fächern, wie etwa Soziologie, Anthropologie, Psychologie und Neurowissenschaften' (ebd.: 300) einzubeziehen - leider versäumt er es, die Kultur- und Literaturwissenschaften in diesem Kontext zu nennen. Ganz in diesem Sinne zieht Michael Horvath in seinem hier vorliegenden Beitrag eine kritische Bilanz hinsichtlich der Möglichkeiten und Grenzen des interdisziplinären Dialogs zwischen Literatur-, Kultur- und Wirtschaftswissenschaften. Um eine interdisziplinäre Forschung im Bereich Literatur und Wirtschaft ernsthaft zu betreiben und voranzutreiben, bedarf es eines hohen Maßes an Offenheit und der Bereitschaft, sich tatsächlich auf die theoretischen Grundlagen und fachspezifischen Eigenheiten der jeweils anderen Disziplinen einzulassen: 'just as economists claim that literary critics use terms ignorantly, so literary critics assert that economists know too little about literary terms' (Osteen/Woodmansee 1999: 22). Auf der anderen Seite besteht die Gefahr, dass Literatur- und Kulturwissenschaftlerinnen und -wissenschaftler auf dem Gebiet der Ökonomik dilettieren. Möglicherweise bietet gerade die Auseinandersetzung mit den Ursachen und Folgen der letzten Finanzkrise einen geeigneten Anlass, literaturwissenschaftliche Theorien des Fiktiven, des Imaginären und des Virtuellen im Kontext wirtschaftswissenschaftlicher Analysen auf ihren Erkenntnisgewinn hin zu diskutieren. Auch im Rahmen der interdisziplinären Forschung geht es nicht zuletzt - auch hier dominiert eine an Theorien der Ökonomie orientierte Semantik - um eine Kosten-Nutzen-Rechnung im Hinblick auf den fächerübergreifenden Austausch auf beiden Seiten: 'The question [...] is [...] what is lost or gained in such exchanges - an economic question, after all.' (Ebd.: 18) In Zeiten, da die Geisteswissenschaften auf ihre Marktfähigkeit hin überprüft werden (vgl. Gülzow 2008), wohnt dieser Frage eine ganz besondere Brisanz inne. Bietet die Diskussion um den Börsencrash von 2008 insgesamt einen geeigneten Anlass, um die interdisziplinäre Debatte zwischen Literatur und Wirtschaft und ihren Wissenschaften zu intensivieren, so dürfte sie insbesondere dazu anregen, die Forschung in jenem Bereich zu befördern, der bisher eher vernachlässigt wurde, nämlich die Analyse der metaphorischen, fiktionalen und mythologischen Grundlagen ökonomischer Texte und Theorien. Mark Osteen und Martha Woodmansee (1999: 4f.) sprechen in diesem Zusammenhang in Anlehnung an Kurt Heinzelmans Studie The Economics of the Imagination (1980) von 'imaginative economics': 'Imaginative economics reads economics literarily' (ebd.). Willie Henderson (1995: 14) fasst diesen Ansatz unter dem Stichwort 'literary economics' zusammen, der 'a self-conscious awareness of the fictive element of economic discourse' voraussetzt. Eben dieser Ansatz ist es, der der Zusammenstellung der Beiträge in diesem Band zugrunde liegt: Es ist der fiktionale Charakter bestimmter Aspekte der Finanzökonomie selbst, der durch die Krise der Finanzwirtschaft in den Vordergrund getreten ist und hier im Zentrum des Interesses steht - das gilt auch für die Beiträge, in denen literarische Texte verhandelt werden. Die literarische beziehungsweise fiktive Qualität ökonomischer Medien und Theorien offenbart sich besonders in den Bereichen Geld- und Kreditwesen sowie in Zeiten einer Finanzkrise beziehungsweise eines Börsencrashs, da diese Bereiche und Phänomene in besonderem Maße auf gesellschaftlichem Vertrauen und Glaubwürdigkeit basieren (vgl. Magnin 2010: 240). Marc Shell (1999: 53f.) argumentiert, dass sowohl in der Geldwirtschaft als auch in der Kunst dieselben Mechanismen wirksam seien, um Kredit (von lat. credere: glauben) und Glaubwürdigkeit zu vermitteln (vgl. dazu auch den Beitrag von Anna Burgdorf in diesem Band). Somit entsprächen die ökonomischen Urteile in diesem Bereich eher einer ästhetischen Erfahrung (vgl. auch Vogl 2011: 156). Es sind Krisenzeiten, in denen die Arbitrarität, sprich: die willkürliche Setzung beziehungsweise die kulturelle Konstruiertheit von bestimmten Medien und Instrumenten der Finanzwelt ins Visier öffentlicher und wissenschaftlicher Kritik geraten. In der interdisziplinären Auseinandersetzung mit diesen Themen in der Perspektive der 'imaginative economics' sind zwei Aspekte von besonderer Bedeutung: die Ähnlichkeit zwischen sprachlichen und monetären Zeichen sowie die Nähe bestimmter Finanzinstrumente zu Phänomenen, die in literaturwissenschaftlichen Theorien als Imaginäres, Fiktives, Virtuelles oder schlicht als Spiel definiert werden.
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