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E-Book

Finger weg von unseren Daten!

Wie wir entmündigt und ausgenommen werden

AutorJan Philipp Albrecht
VerlagVerlagsgruppe Droemer Knaur
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl192 Seiten
ISBN9783426425121
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis6,99 EUR
Unbemerkt werden sie uns aus der Tasche gezogen: die intimsten und privatesten Informationen über unsere Persönlichkeit. Mit den nahezu unbegrenzten Möglichkeiten der Datenverarbeitung werden wir nicht nur zum gläsernen Menschen - wir werden ausgebeutet und entmündigt. Die technische und scheinbar unwichtige Frage des Datenschutzes wird zur bedenklichsten Angelegenheit im digitalen Zeitalter.

Jan Philipp Albrecht ist Europaabgeordneter der Grünen und Verhandlungsführer des Europäischen Parlaments für die neue EU-Datenschutzgrundverordnung. Nach dem Studium der Rechtswissenschaften in Bremen, Brüssel und Berlin spezialisierte er sich im IT-Recht. Unter anderem arbeitete er am Walter Hallstein-Institut für Europäisches Verfassungsrecht in Berlin und gab Lehrveranstaltungen zur europäischen Rechtsinformatik an der Universität Wien. Jan Philipp Albrecht war maßgeblich an der Zurückweisung des Handelsabkommens ACTA und der Untersuchung zur NSA-Affäre im Europäischen Parlament beteiligt.

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Leseprobe

Wozu überhaupt Datenschutz?


Viele Menschen fragen mich: Wozu eigentlich Datenschutz? Und nicht wenige sagen mir: Mir ist das mit dem Datenschutz nicht so wichtig, aber ich finde es gut, dass du dich darum kümmerst. Obwohl ich das geschenkte Vertrauen gerne annehme, zucke ich bei solchen Aussagen immer zusammen. Denn in meinen Ohren klingen sie, als würde jemand sagen: Mir ist es eigentlich egal, ob wir selbstbestimmt und mit Menschenwürde durch das Leben gehen. Aber schön, dass du dich um diese unwichtige Frage kümmerst. Was viele überhaupt nicht bemerken, ist, dass es in ihrem eigenen Leben im Grunde jeden Tag um die Grundfrage des Datenschutzes geht: Welche Informationen über meine Person sollen wem unter welchen Umständen zur Verfügung stehen? Wenn ich darüber nicht frei entscheiden kann, verliere ich auch Kontrolle und Einfluss in anderen Fragen. Seit Menschengedenken war es entscheidend für das Überleben und das Fortkommen einer Person, dass sie gewisse Informationen über sich publik machen oder zurückhalten kann. Dies reicht von der steinzeitlichen Notwendigkeit, körperliche Schwächen nicht preiszugeben, über die jahrhundertelang überlebensentscheidende Frage der Religionszugehörigkeit bis zur heute bereits relevanten Information über unsere Kaufkraft. Die Bewerberinnen und Bewerber für eine Arbeitsstelle werden mittlerweile nicht mehr nur auf Herz und Nieren, sondern auf ihr soziales Leben, private Vorlieben und gesellschaftliche Risikofaktoren überprüft. Es soll sogar schon vorgekommen sein, dass potenzielle Arbeitgeber nicht mehr nur die öffentlich verfügbaren Profilinformationen auf sozialen Netzwerken ansehen, sondern von den Bewerberinnen und Bewerbern das Passwort für den eigenen Account anfordern. Eine Chance auf die Stelle hatte nur, wer den Zugang zu den eigenen Nachrichten und teils intimen Informationen gewährte.

 

Wer – wie bereits viele Millionen Menschen nahezu ausschließlich – im Internet Waren und Dienstleistungen konsumiert, wird heute automatisiert von Versicherungen, Banken und Auskunfteien durchforstet nach Hinweisen auf mögliche Zahlungsausfall-Risiken. Ganz unbemerkt bekommen unterschiedlich zahlungskräftige Kunden auch unterschiedliche Angebote und Zahlungsmöglichkeiten angezeigt. Sogar die Preise können derweil unterschiedlich ausfallen, je nachdem, wie die zur Verfügung stehenden Informationen bewertet werden. So hatte das Wall Street Journal im Sommer 2012 aufgedeckt, dass beim Online-Reiseportal »Orbitz« den Apple-Nutzern zunächst ein höherer Preis angezeigt wurde als den Windows-Nutzern. Orbitz hatte aufgrund von Nutzeranalysen die Erkenntnis, dass die Nutzer von Apple-Produkten in der Regel bereit sind, mehr auszugeben als die Windows-Nutzer. Durch die steigende Verfügbarkeit personenbezogener Daten und die immer präziser werdenden automatisierten Analyseverfahren wird die Bewertung von uns Menschen zum neuen Unterscheidungsmerkmal unserer Gesellschaft. Während früher die Zugehörigkeit zu Clans, Adel oder gehobenem Bürgertum über unsere Chancen im gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Leben entschieden hat, übernimmt nun die Big-Data-Analyse per Score-Wert (eine Zahl, die aufgrund der Berechnung zum Beispiel die Zahlungskräftigkeit eines Kunden darstellen soll) die Aufgabe dieser Trennung zwischen Spreu und Weizen. Und zwar nicht generell, sondern in jedem einzelnen Lebensschritt, von der Krippe über die Schule und Ausbildung zum Job und den Selbstverwirklichungsmöglichkeiten unserer modernen Welt. Jede einzelne Information über uns kann unser ganzes Leben nachhaltig verändern. Wann hat am Morgen der mit dem Internet verbundene Smartphone-Wecker geklingelt? Welcher Wasserverbrauch und welche Heizungstätigkeit wurde durch das »Smart Metering«-System registriert, mit dem sekundengenau der Energiebedarf einer Wohnung mitgeschrieben und analysiert wird? Welchen Weg haben wir zur Arbeitsstelle und den Tag über mit dem jederzeit in der Nähe von WLAN-Netzen befindlichen Smartphone oder mit unserem GPS-gesteuerten Fahrzeug zurückgelegt? Wie schnell sind wir von der einen Maut-Station zur nächsten gefahren? Mit welchen Menschen haben wir telefoniert oder Nachrichten ausgetauscht? Wie häufig, wann und wie lange surfen wir auf welchen Webseiten? Welche Bücher und Magazine kaufen wir? Allein aus diesen Informationen lässt sich – auch ohne unseren Namen zu wissen – binnen kürzester Zeit ein komplettes Personenprofil erstellen, das unter all den sieben Milliarden Menschen auf der Welt nur auf uns alleine zutreffen kann. Und das mehr über uns sagt, als wir selbst den engsten Freunden so ohne weiteres präsentieren würden. Derjenige, der diese Informationen in die Hände bekommt, könnte dagegen unser Leben von heute auf morgen auf den Kopf stellen. Während es früher nur selten den Aufwand gerechtfertigt hatte, das Leben des Gegenübers auf Unstimmigkeiten und Auffälligkeiten zu durchforsten, wird dies mittlerweile als Dienstleistung für wenige Euros angeboten. Die Nachfrage nach solchen individuellen Kundenanalysen ist enorm. Viele Unternehmen im Versandhandel, Versicherungs- und Bankenwesen nutzen diese Dienste bereits in dem Moment, wo ein Kunde überhaupt Interesse an einem Produkt zeige. In wenigen Sekunden ist das Profil beziehungsweise der Score-Wert des Interessenten verfügbar. Das Wachstumspotenzial für die Datenanalyse sprengt jeden Rahmen. Wer heute Big Data macht, ist morgen Big Business. Und wir sind nicht mehr die Kunden, sondern die Ware.

 

Vielen Menschen ist nicht bewusst, dass Datenschutz untrennbarer Kernbestandteil der Menschenwürde und aller bürgerlichen Freiheiten ist, die eine freiheitliche und rechtsstaatliche Demokratie zu bieten hat. Kein Grundrecht kann ich effektiv ausüben, wenn die Kontrolle über die eigene Persönlichkeit und die personenbezogenen Informationen verlorengegangen ist. So haben wir beispielsweise die Demonstrationsfreiheit: Wenn ich damit rechnen muss, dass die Informationen über meine Teilnahme an Demonstrationen automatisch festgehalten und für Versicherer, Arbeitgeber oder Behörden aufbereitet zur Verfügung gestellt werden, bin ich dadurch in meiner freien Entscheidung über die Grundrechtsbetätigung deutlich eingeschränkt. Gleichzeitig stellt diese Beschränkung nicht nur eine Beschneidung meiner Freiheiten, sondern eine Bedrohung der Demokratie dar. Es sind ja gerade die Meinungsäußerungen der Andersdenkenden, die eine Demokratie erst lebendig funktionieren lassen. Wenn ich aber sogar in meiner Informationsfreiheit eingeschränkt bin, weil ich Angst haben muss, dass das Eingeben bestimmter Suchbegriffe in Online-Lexika oder das Ausleihen von einschlägigen Büchern – wie real geschehen – zu massiven Konsequenzen wie einer Festnahme oder Abschiebung führen, dann nimmt das Maß einer funktionierenden demokratischen Zivilgesellschaft rapide ab. Die Wahrscheinlichkeit negativer Konsequenzen auf unser Leben nimmt durch die zunehmend lückenlose elektronische Erhebung und Verarbeitung von Informationen dramatisch zu. Etwa wenn die Bewertung meines Krankheitsrisikos daran gemessen wird, dass ich regelmäßig ein ungesundes Maß an Süßigkeiten kaufe, oder wenn der Arbeitgeber eine Kündigung darauf stützt, dass meine private Lebenseinstellung dem Unternehmensbild schade.

 

Oder nehmen wir das Recht auf Meinungsfreiheit: Wer damit rechnen muss, dass bloße Meinungsäußerungen dazu führen können, dass eine lückenlose Analyse des gesamten Lebens vorgenommen wird oder die Meinungsäußerungen in allen Lebenssituationen automatisch eine Rolle spielen, der wird sich mit Äußerungen zurückhalten. Auch wer damit rechnen muss, dass eine Äußerung im kleineren Kreis stetig auch öffentlich oder den Behörden gegenüber bekannt wird, etwa durch die Möglichkeit, private Gespräche durch das schlichte Anzapfen der anwesenden Smartphone-Mikrophone mitzuhören, der wird sein Verhalten schnell anpassen. Auch Berufs- oder Religionsfreiheit können schnell ihre Grenzen finden, wenn die ständige Beobachtung und Datenerhebung dazu führt, dass aus profanen Daten über mein Leben Rückschlüsse auf mögliche Glaubensrichtungen oder Gewerkschafts- wie Parteiangehörigkeit zu erkennen sind. Die individuelle Entscheidung, bestimmte – vor allem intime – Informationen über die eigene Person zurückzuhalten, wird dann durch die Berechnung der eigenen Person anhand anderer Informationen umgangen. Niemand kann heute noch Geheimnisse oder private Vorlieben haben, ohne dass diese von anderen berechenbar oder zumindest mit hoher Wahrscheinlichkeit zu vermuten sind. Sei es die private Liebschaft, der Gang zu den Anonymen Alkoholikern, die Rot-Grün-Schwäche oder der Lieblingsplatz im Park – zu all unseren Neigungen und Verhaltensmustern lassen sich mittlerweile sogenannte Metadaten erheben, die eine ziemlich genaue Wahrscheinlichkeitsrechnung zulassen. Wer selbstbestimmt leben möchte und sich Privatsphäre bewahren will, ist gezwungen, die Kontrolle über die Verbreitung solcher Metadaten zurückzugewinnen und Spuren zu verwischen oder zumindest zu anonymisieren.

 

Es geht beim Datenschutz um den Schutz der Menschen und ihrer Selbstbestimmung. Die Regeln sollen nicht die Daten an sich schützen, sondern die Selbstbestimmung der Menschen. Um diese zu bewahren, braucht es aber mehr als bloß die Absichtserklärung, die Informationen nicht willkürlich oder »missbräuchlich« zu verwenden. Deshalb müssen wir die Kontrolle über unsere Daten haben, was heute allerdings überhaupt nicht mehr der Fall ist. Anders, als die meisten Menschen denken und ihnen von einschlägiger Seite glaubhaft gemacht wird, haben wir die Kontrolle über...

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