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Geschichte Palästinas

Von der osmanischen Eroberung bis zur Gründung des Staates Israel

AutorGudrun Krämer
VerlagVerlag C.H.Beck
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl446 Seiten
ISBN9783406673740
FormatePUB/PDF
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis13,99 EUR
Die Geschichte des Heiligen Landes ist zwischen Juden und Muslimen ebenso umstritten wie der Besitz des Landes selbst. Gudrun Krämer schiebt in ihrer brillanten Darstellung den Schleier der religiösen Geschichtsbilder beiseite und erzählt ebenso fundiert wie allgemeinverständlich die Geschichte Palästinas vom Beginn der osmanischen Herrschaft im 16.Jahrhundert bis zur Gründung des Staates Israel im Jahre 1948. Dabei gelingt es ihr meisterhaft, immer wieder die Brisanz von scheinbar «harmlosen» Aussagen zur Entwicklung von Politik und Gesellschaft deutlich zu machen. Den Auftakt bilden ein Überblick über die wechselnden Grenzen und Namen Palästinas seit der Antike sowie ein Kapitel über die Heiligkeit des Heiligen Landes für Juden, Christen und Muslime. - Ein «Muß» für alle, die die Hintergründe des Nahost-Konflikts besser verstehen wollen.

Gudrun Krämer ist Professorin für Islamwissenschaft an der Freien Universität Berlin, Direktorin der Berlin Graduate School Muslim Cultures and Societies und Mitglied der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften. Sie war als Nahost-Referentin bei der «Stiftung Wissenschaft und Politik» in Ebenhausen bei München tätig (1982-1994) und lehrte u.a. in Hamburg, Bonn, Kairo, Bologna, Paris und Jakarta. Zuletzt erschienen von ihr bei C.H.Beck «Geschichte des Islam» (2005) und «Demokratie im Islam» (2011).

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Leseprobe

I.
Grenzen und Namen


Es gibt keine Unschuld der Begriffe, gerade der geographischen nicht. Über Jahrhunderte bildete Palästina, so wie es im 20. Jahrhundert unter britischem Mandat gebildet wurde, keine eigenständige geographisch-politische Einheit: Die Grenzen und Namen wechselten, und ebenso wechselte die Bevölkerung.[1] Als Teil des Fruchtbaren Halbmonds, der sich vom Mittelmeer bis zum Persisch-Arabischen Golf erstreckt und vom Taurus- und Zagros-Gebirge im Norden bis zur arabischen Wüste im Süden, war Palästina von früher Zeit an Durchgangsland und damit – freiwillig oder unfreiwillig – zugleich Ort der kulturellen Begegnung und des kulturellen Austauschs. Als untrennbarer Bestandteil des «großen» oder «historischen» Syrien weist es wenige natürliche Landmarken auf und hat vom Mittelmeer abgesehen keine «natürlichen Grenzen». Die Jordansenke als Teil des von Nordsyrien bis Zentralafrika reichenden großen Grabenbruchs und die Halbinsel Sinai boten den Bewohnern des Gebiets keinen «natürlichen» Schutz.[2] Seine Grenzen waren von Menschen gesetzt und also politische Grenzen, häufig genug nicht von der lokalen Bevölkerung bestimmt, sondern von stärkeren Nachbarn, variabel und selten präzise anzugeben. Immerhin läßt sich über längere Zeiträume eine territoriale Ordnung ausmachen, die in West-Ost-Richtung vom Mittelmeer bis zum Jordangraben reichte, je nach Stand der Besiedlung der syrisch-arabischen Wüste auch über den Jordangraben hinaus. Im Norden waren Teile des heutigen Libanon bis hin zum Litani-Fluß einbezogen, im Süden Teile des Negev, nicht aber der Sinai. Politisch gesehen war Palästina, ganz oder geteilt, die meiste Zeit Provinz innerhalb eines größeren Reichs; nur selten und für kürzere Zeiträume bildete es eine eigenständige politische Einheit.

Dementsprechend aufschlußreich sind die Bezeichnungen für das «palästinensische» Gebiet, die selbstverständlich von der jeweiligen Perspektive abhängen, d.h. in hohem Maß wiederum von Machtverhältnissen – vergleichbar den Begriffen «Naher» und «Mittlerer Osten», die nur von Europa aus gesehen Sinn machen (und dennoch auch in Nah- und Mittelost in den eigenen Sprachschatz übernommen wurden). Die Perspektive ist in unserem Fall eindeutig geprägt durch biblisch-historische Assoziationen, auf deren Grundlage nach dem Ersten Weltkrieg auch die Grenzen des britischen Mandatsgebiets gezogen wurden. Die Perspektive aber ist verzerrt, und diese Verzerrung prägt die Darstellung von Land und Leuten und ihrer Geschichte insgesamt: Sie blickt mit der Schrift auf das Land, identifiziert Palästina mit dem «Land der Bibel», rückt dementsprechend die Juden in den Mittelpunkt der Betrachtung und drängt alle anderen Bevölkerungsgruppen – und seien sie zu einem gegebenen Zeitpunkt auch die Mehrheit – in den Hintergrund, wenn sie sie denn überhaupt beachtet. Das gilt für die antike («biblische») Zeit ebenso wie für die moderne. Es gilt bemerkenswerterweise selbst für die arabischen Christen, über die wir, zumindest was die Neuzeit angeht, immer noch weniger wissen als über die Juden in der arabischen Welt, wenngleich hier in den letzten Jahren zumindest für Jerusalem viel geforscht worden ist.

Die «biblische» Sicht ist die dominante, und sie war und ist die geschichtsmächtige. Ihr kann sich auch die folgende Darstellung nicht entziehen. Dies gilt umso mehr, als im Zusammenhang mit dem arabisch-jüdischen Konflikt um Palästina Orte und ihre Benennung eine so zentrale Bedeutung für die Begründung eigener, aus der Geschichte abgeleiteter Rechte erlangten, und die Fähigkeit, die Namen der Dinge festzulegen, zu einem der aussagekräftigsten Kennzeichen politischer und kultureller Vormacht wurde. Der jüdische Anspruch auf Palästina als «Land Israels» (eretz yisrael) macht sich an der biblischen Geschichte fest und behauptet die ununterbrochene Präsenz und Bindung des jüdischen Volkes an dieses Land; der arabische Anspruch stellt eine kontinuierliche Anwesenheit von Juden in Frage, verweist auf die eigene, mehr als ein Jahrtausend andauernde Verwurzelung in Palästina und reklamiert gelegentlich die Kanaanäer, die noch vor den Israeliten im Land siedelten, als die eigenen Vorfahren: Beide streiten sich um den zeitlichen Vorrang (das «Recht des Erstgeborenen» gewissermaßen), beide bemühen die Archäologie, beide zeichnen Karten, beide argumentieren mit Namen. Kaum ein Ort auf der Karte Palästinas – sei es nun Jerusalem (urshalim/yerushalayim/al-quds), die nördliche, vom Mittelmeer zum Jordangraben führende Ebene (Jezreel/Esdralon/Marj Ibn Amir) oder das zentrale Berg- und Hügelland (hebr. Judäa und Samaria) – bleibt von diesem Sprachenstreit verschont. Palästina bzw. Eretz Israel bietet ein Paradebeispiel für die «Territorialisierung von Geschichte» (Nicos Poulantzas), mit der politische Ansprüche historisch vertieft und geographisch verankert werden. Bibelwissenschaftler sprechen von regelrechter «Geotheologie».[3] Zu klären sind in unserem Zusammenhang daher neben Bezeichnungen wie «Kanaan» und natürlich «Palästina» selbst auch «Eretz Israel» sowie «Gelobtes», «Verheißenes» und «Heiliges Land» – Bezeichnungen, die erst im Gefolge der israelitischen Besiedlung des bis dahin von Sumerern, Akkadern, Hethitern oder Ägyptern kontrollierten und von unterschiedlichen ethnischen Gruppen bewohnten Landes aufkamen.

«Kanaan» und «Palästina»


Besiedlungsspuren lassen sich auf dem Boden Palästinas bereits in frühester Zeit nachweisen, wobei sich schon in den mittleren und späten Phasen der Altsteinzeit (70.000 bis 14.000 v. Chr.) charakteristische Unterschiede zwischen der Küstenebene und den ins Landesinnere führenden Flußtälern auf der einen Seite und dem zentralen Berg- und Hügelland auf der anderen bemerkbar machten, die bis in die Moderne bedeutsam bleiben sollten und uns im Laufe der Darstellung immer wieder begegnen werden.[4] In der Bronzezeit (3000 bis 1200 v. Chr.) hatte sich eine von mesopotamischem Einfluß geprägte Stadtkultur herausgebildet, welche von einer Bevölkerung getragen wurde, die, weil sie in «Kanaan» lebte, unter der Sammelbezeichnung «Kanaaniter» oder «Kanaanäer» bekannt wurde.[5] Von ihr wissen wir wenig: Die etymologische Bedeutung von «Kanaan» ist ungeklärt, die Lokalisierung und Ausdehnung des so benannten Landstriches variiert, und unbekannt ist auch die Herkunft seiner Bewohner. Zeitgenössische Angaben zur Ausdehnung des Landes Kanaan zeigen, daß dieses im 2. vorchristlichen Jahrtausend keine feste Größe gewesen sein kann und eher bestimmte Bevölkerungsgruppen in und um einzelne «Stadtstaaten» beschrieb als ein klar umrissenes Territorium. Erst in hellenistischer Zeit wurde Kanaan einigermaßen konsequent mit Phönizien identifiziert, d.h. dem levantinischen Küstenstreifen. Wer seine Bewohner waren und woher sie stammten, geben die Quellen nicht preis. Wir wissen immerhin, daß sie, wie die Israeliten, eine westsemitische Sprache sprachen, und wir besitzen auch gewisse Kenntnisse über ihre materielle Kultur, Religion und Kunst, die mesopotamisch beeinflusst waren. Die negativen Stereotype, mit denen sie in der Bibel als barbarischgötzendienerisches Gegenüber der monotheistischen Israeliten erscheinen, mit ebensolchem Abscheu gezeichnet wie die dem Tier- und Götterkult verfallenen Ägypter,[6] sagen einiges über Selbstbild und Fremdwahrnehmung der Verfasser der biblischen Berichte aus, aber wenig über die «Kanaanäer».

Variierend und ungleichmäßig war schließlich die Herrschaft der regionalen Mächte, denen das Gebiet zu unterschiedlichen Zeiten unterstand. Von der Mitte des 16. vorchristlichen Jahrhunderts an war das Ägypten, dem es über mehr als vier Jahrhunderte gelang, zumindest Teile des Landes zu kontrollieren.[7] Zeitweise dürfte «Kanaan» dabei eine ägyptische Provinz bezeichnet haben, deren Ausdehnung sich weitgehend mit der des späteren Palästina deckte; jedenfalls scheint dies aus den Amarna-Briefen des frühen 14. Jahrhunderts v. Chr. hervorzugehen, als Pharao Echnaton seine Residenz von Theben nach Amarna verlegt hatte. Gegen Ende des 13. Jahrhunderts ist erstmals von «Hebräern» die Rede, die möglicherweise den in ägyptischen Texten genannten nomadisierenden «Apiru» oder «Habiru» zuzurechnen waren und sich entweder in einem längeren Prozeß aus der lokalen, d.h. kanaanäischen Bevölkerung herausgebildet hatten (und somit, anders als die Bibel es darstellt, keine eigene ethnische Gruppe darstellten), oder aber, wie die Bibel es will, in diesem Zeitraum nach Kanaan eingedrungen waren. Die Frage ist nach wie vor hoch umstritten. Der Name «Israel» selbst findet sich erstmals auf einer Stele des Pharaos Merenptah, die nach der sog. mittleren Chronologie um das Jahr 1210 datiert wird und auf der «Israel»...

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