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E-Book

Greisengemurmel

Ein Rechenschaftsbericht

AutorGregor von Rezzori
Verlaghey! publishing
Erscheinungsjahr2013
Seitenanzahl287 Seiten
ISBN9783942822251
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis4,99 EUR
'Ich bitte um Verständnis. Dies ist ein Rechenschaftsbericht. Ein höchst persönliches Dokument. Dem Leser steht es frei, darin auch ein Stück Literatur in der Fortentwicklung der Konfessionen des Kollegen Jean-Jacques Rousseau zu sehen.' 'Greisengemurmel' nennt Gregor von Rezzori seine Erinnerung aus fast acht Jahrzehnten: die Kindheit in einer Provinz Rumäniens, damals noch der k.u.k. Monarchie zugehörig, die schriftstellerischen Anfänge in Berlin, die ersten literarischen und journalistischen Erfolge. Gregor von Rezzori erdichtet Landschaften eines Lebens.

Gregor von Rezzori, 1914 in Czernowitz in der Bukowina geboren, wuchs in Rumänien und Österreich auf und lebte bis zu seinem Tod 1998 in der Toskana. Seine 'Maghrebinischen Geschichten' oder die 'Denkwürdigkeiten eines Antisemiten' gehören zu den bedeutenden Werken der europäischen Literatur. (Foto (C) by GettyImages)

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Leseprobe

Und als er näher herankam, fand er einen Palast, gebaut aus schwarzen Steinen und belegt mit Eisenplatten, und einer der Flügel des Tores stand weit offen, während der andere geschlossen war.

AUS DER DRITTEN DER TAUSENDUNDEINEN NÄCHTE

Der fragwürdige Frühling vor meinen Fenstern ist ein Geschenk des März. (Ein Lied aus Kindertagen, das mein Vater trällerte: »Die Pappeln dort auf der Chaussee wiegt schon der Märzenwind; mein Wintertraum zerfließt wie Schnee, der von den Dächern rinnt …«) In der Tat ist noch kein Monat vergangen seit das Wetter entschieden winterlich war. Entsprechend dem was hier Winter heißt: Eisregen im Nebel; manchmal zaust böser Wind die Oliven. Es hat mich nicht angefochten; ich hab' den Fuß nicht vor die Tür gesetzt. Ich klebe am Fernsehschirm. Ich klebe daran seit dem Januar 1991. Was sich damals darauf abgespielt hat (als spielte sich's hier tatsächlich vor meinen Augen ab und nicht einige Tausend Meilen ostwärts im Fabelland Arabien) war der Golfkrieg. Ein Wintertraum der Medien der nicht mit dem Schnee zerflossen ist sondern im Nebelgrau des Flimmerschirms. Die Faszination des vorgezauberten Geschehens war betäubend. Ich sagte mir: Das ist nun endlich wirkliche Wirklichkeit. (Wenngleich nicht meine hier.) Ich stürzte mich hinein. Meine Bücher ließ ich liegen. Das Reich der sieben Säulen der Weisheit war in mein Zimmer gekommen. Lawrence of Arabia's Abenteuer fanden ihre konsequente Fortsetzung vor meinen Augen. Was ich sah war welthistorisches Geschehen: Der irakische Diktator Saddam Hussein hatte Kuwait besetzt und ist (wie inzwischen jedermann sattsam weiß) nach ausgiebigem Bombardement durch Mr. Bushs »Wüstenschild« und Fünf-Sterne-General Schwarzkopfs »Wüstensturm« wieder hinausgefegt worden. Fürs Fernsehen und meine drei Tageszeitungen vier Wochenblätter und sechs Monatszeitschriften beispielhaft das was im journalistischen Fachjargon (der unsereSprache immer üppiger durchdringt) ein scoop heißt. Doch welch jämmerlich falsch gefurzter! Ich schaute mich von einer Enttäuschung in die andere. Die Bilder waren lebensmuterstickend nichtssagend. Die Kommentatoren bemühten sich den Sensationswert aufzuheizen. Geschwätz ist die gewohnte Geräuschkulisse zum bewegten Bild. Und das hätte sich verstecken müssen. Anfangs stundenlang nichts anderes als aufsteigende und landende Flugzeuge. Wie im Kino wenn man glauben soll Held oder Heldin hätten sich an einen anderen Ort begeben. Aber wenn sie dort gelandet sind geschieht gewöhnlich irgendwas. Hier nicht. Es waren Bomber, wo hatten sie ihre Bomben abgeladen? Dank CNN sah man's dann endlich: Bagdad (die Stadt des Kalifen Harun ar-Raschid) bei Nacht. Kohlpechrabenschwarze Finsternis fern gesäumt von Elmsfeuern. Na schön: das hatte unsereiner von 1940 bis 1945 an Ort und Stelle (wenn auch einige Tausend Meilen westwärts: in Berlin) unvergleichlich viel dramatischer und geräuschvoller erlebt. Wirkliche Wirklichkeit. Hier war's abstrahiert. Gelegentlich sah ich was von oben: infrarot aufgenommen ein schemenhaftes Bombenziel im Fadenkreuz der (offenbar unbehelligten) Angreifer. Mehlig grauschwarz wie auf einem unterbelichteten Negativ. Ein unbestimmtes Etwas plötzlich ausgelöscht von einem draufgepatzten Schneeball. Das – sagte mir der Kommentator – war der Bombeneinschlag. (Und was da unten lebendig gewesen war hatte a snowball's chance in hell: Ebenso wie ich um 1943 in Berlin.) Jetzt und hier blieb's ein schattenhafter Vorgang. Eine Art Graupause des Entsetzlichen. (In meinem Turmzimmer war's gemütlich: ein flottes Feuerchen brannte im Kamin und ich hielt das Glas mit meinem Abendwhisky in der Hand.) Nur einmal belebte das abstrakte Kriegsgeschehen sich putzig: ein ameisenhaft winziges Männlein das gerade noch über den letzten Zipfel einer Brücke rannte bevor auch sie unter einem draufgepatzten Schneeball verdampfte. Endlich the human touch. Das wurde denn auch fleißig wiederholt. Desgleichen ein ölverschmierter Kormoran: Zeuge der satanischen Umweltverachtung eines brutalen fremdrassigen! Zwingherrn. Sodann die ölbeschwerten Gewässer des persischen Golfs. (Sindbads See wimmelnd von juwelengleichen Fischen. Scheherezades Welt: Smaragda und Rubinien und Tale von Türkis. In Petroleum erstickt.) Dass die Macht des Unholds gebrochen und er von Gottes Erdboden gefegt werden musste war Ehrensache aller zivilisierten Nationen. Und eben das wollte ich sehen. Das war mir versprochen worden. Das wollte ich – verdammt noch mal! – augenfällig erleben. So wie seinerzeit den Bombenhagel auf Berlin. The deadly human touch. Das hier war Betrug. Das Missverhältnis zwischen angeheizter Erwartung und kümmerlich vermitteltem Geschehen war ärgerlich. Die zoologische Gattung Mensch kam ihrem Schöpfungsauftrag allzu lässig nach.

Die Medientaktiker schienen das zu spüren. Gewöhnlich tanzt die Weltstimmung auf den scoops wie ein Pingpongball auf einem Wasserstrahl; sprudelt der nicht deftig so stürzt sie ab. Mr. Bushs innenpolitische Chancen standen auf dem Spiel. Die Medien taten nicht ihr Bestes. Sie stopften die Lücken im Bild mit müßigem Geschwätz. Alle halben Stunden schalteten Kommentatoren sich ein und redeten mit ernstgefassten Mienen theoretischen Stuss. Situationsanalysen. Fachleute am abstrakten Werk. Aus ebenso fernabliegenden Orten erstatteten Reporter nichtssagende Berichte. (Man ließ sie angeblich nicht näher ran.) An runden Tischen waberte dafür der Wortbrei vollzeitlich engagierter Intellektueller: Die ethischen moralischen politischen wirtschaftlichen völkerrechtlichen völkerpsychologischen Aspekte des Ereignisses. Sie waren mir bekannt. Wo war das Ereignis? Ich sah's verschwinden in den sonnenlichtverhüllenden Wüstensandfahnen die abrasselnde Panzer hinter sich herzogen. Würden sie bald irgendwo auf Saddam Husseins mörderische Verteidigungslinien treffen? Wenn ja so blieb's mir vorenthalten. Nichts was im einschlägigen Deutsch action heißt. (Wie das gemacht wird beschreibt Ryzard Kapuscinski in seinem »Fußballkrieg«: »… Gregor Straub von NBC verlangte die Nahaufnahmen des schweißüberströmten Gesichts eines Soldaten; Rodolfo Carillo von CBS bestand auf einem Kommandierenden, der weinte, weil er seine gesamte Einheit verloren hatte;

ein französischer Kameramann wünschte sich den Angriff einer salvadorianischen Einheit in die Flanke einer honduranischen – oder umgekehrt; ein anderer wollte einen Soldaten, der seinen toten Kameraden trug … Die Radioreporter stimmten ein. Einer verlangte die Hilfeschreie eines Verwundeten, leiser und immer leiser werdend, bis zum letzten Atemzug …«) Hier vor meinen Augen (und Ohren) nichts dergleichen. Nix Äckschn. Dieser Krieg ging entweder gar nicht oder so abseits von fesselnder Berichterstattung vor sich dass ich den Einsatz von Saddam Husseins Giftgranaten und Höllenraketen geradezu herbeiwünschte.

Irgendwas stimmte nicht an der Sache. Es waren doch die Medien – allen voran das Fernsehen – gewesen die sich den scoop dieses Wüstenzaubers aufgebaut hatten. Sie hatten uns auf den Wasserstrahl ihrer weltgeschichtlichen Neuigkeit gesetzt. (Jedenfalls hatten die irakische die saudi-arabische die israelische die amerikanische Mr. Bushs der seinen Blumenkrieg brauchte und weiß der Geier noch wessen Diplomatie sich ihrer zu diesem Zweck bedient; alle Welt war vielfach interessiert am Konflikt beteiligt.) Der Wasserstrahl war losgelassen aber leider gedrosselt; wir konnten darauf nicht tanzen. Vor meinen Augen verflüchtigte die Sensation (und vermutlich damit auch der Zweck) sich unter ungeschickten oder irgendwie gebundenen Händen. Ich bin ein alter Hase im Gewerbe. In prähistorischen Zeiten – von 1946 bis 1956 – habe ich mit dem Rundfunk herumgespielt. In Hamburg an der Elbe. Vorangegangene historische Ereignisse – die Abtretung der Bukowina an Russland der Zweite Weltkrieg und so weiter – hatten mich dorthin verschlagen. Ich wurde Rundfunkjournalist. Dort zwar nicht im beinharten Konkurrenzkampf mit anderen Sendern wie heute in der kommerzialisierten Weltberichterstattung sondern in der lauschigen Höhlenzeit des deutschen Medienwesens: Als wir noch allein waren auf dem flachgebombten Feld. Immerhin vermittelte auch das einige Einsicht in handwerkliche Geheimnisse: Wer einen scoop wittert muss ihn sich aufbauen wie ein Schwergewichtsmeister seinen Gegner in der Ringecke. Dann aber in die Fresse was das Zeug hält. (Nämlich in die Schnauze des Medienkonsumenten.) All right. Aber das Gegenteil davon war hier der Fall. Ich stand freiwillig in der Ecke und wartete vergeblich auf die hits. Irgendwie war der Laden schief. Was sich ja dann herausstellte: als die Mutter aller Schlachten mit der Sturzgeburt eines Pyrrhussieges niedergekommen war. Das war so flugs und sozusagen unter der Hand vor sich gegangen dass selbst den atemlos hinter dem Geschehen herhetzenden Kommentatoren und Runde-Tisch-Schwätzern die reale Gegenwart in eine irreale Vergangenheit entglitt. Geschehen war etwas durchaus Abstraktes. Niemand begriff recht was es eigentlich gewesen war. Sinnlich war's nicht fassbar: Ein Krieg in dem's kaum einige Dutzend eigener Toter (die Mehrzahl davon durch Verkehrsunfälle und eigenes Feuer) gegeben hatte und nur gerüchteweise mehrere Hunderttausend des Gegners. Aber von diesen hätte ich gern – verdammt noch mal! – einige angehäuft gesehen. Als Zeugen der gerechten Sache. (Wenn's das wahrhaftig gewesen sein sollte.) Handelte sich's nicht um ein ethisch und moralisch einwandfreies und von den vereinten Nationen der zivilisierten Welt gutgeheißenes und in jeder Weise (auch der des Verhungernlassens der zu...

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