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Handwerk als prekäres Unternehmertum

Soloselbstständige zwischen Autonomie und radikaler Marktabhängigkeit

AutorPhilipp Lorig
VerlagCampus Verlag
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl311 Seiten
ISBN9783593438580
FormatPDF
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis41,99 EUR
Immer mehr soloselbstständige Handwerker bieten ihre Dienstleistungen auf Internetportalen an. Für ihre Teilnahme am Arbeitsmarkt zahlen sie einen hohen Preis: unsichere Lebensplanung, radikale Marktabhängigkeit und Konkurrenzdruck. Sie kommen aus dem Niedriglohnbereich nicht raus und haben keine Aussicht auf eine staatliche Altersvorsorge. Das Ideal der Selbstverwirklichung verkehrt sich in sein Gegenteil. Letztlich bringt das postfordistische Produktionsmodell, wie Philipp Lorig in seiner Studie zeigt, ein neues Tagelöhnertum hervor, das auf längst überwunden geglaubte Arbeitsformen zurückgreift.

Philipp Lorig ist Soziologe und hat an der Universität Trier promoviert.

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Leseprobe
Einleitung 'Es hängt daher auch nicht von dem Verhältnis überhaupt, sondern von der natürlichen, besondren Qualität der Dienstleistung ab, ob der Soldempfangende Taglohn erhält, oder Honorar, oder eine Ziviliste - und ob er vornehmer oder geringer erscheint, als der den Dienst zahlende. Unter der Voraussetzung des Kapitals als herrschender Macht werden allerdings alle diese Verhältnisse mehr oder minder entehrt werden. Doch dies gehört noch nicht hierher - diese Entgötterung der persönlichen Dienstleistungen, welchen erhabnen Charakter Tradition etc. ihnen immer angedichtet haben mag.' (Marx 1974: S. 372) Selbstständigkeit ist wieder en vogue. Im selbstständigen Unternehmertum mit oder ohne Beschäftigte scheinen sich Kapital und Arbeit anzunähern, um einen vermeintlichen 'Freundschaftspakt' in einer Person zu schließen. Ist die Selbstständigkeit für die Einen der adäquate Ausdruck einer gelungenen Integration in einen Arbeitsmarkt, der in zunehmendem Maße auf die Eigenverantwortung und die Fähigkeit zur Flexibilisierung der Beschäftigten rekurriert, ist es für die Anderen die Vorstellung einer Möglichkeit, selbstbestimmt und als 'eigener Herr' ihr Autonomiebestreben mit Erwerbsarbeit vereinen zu können. Die Attraktivität der Selbstständigkeit und innerhalb des Selbstständigenfeldes, besonders die der Soloselbstständigkeit oder sogenannter Ein-Personen-Unternehmen, spiegelt sich in den Zahlen zum Anstieg soloselbstständiger Arbeitsformen wider. Laut Daten des Statistischen Bundesamtes und des Mikrozensus sind mittlerweile knapp zwölf Prozent aller Erwerbstätigen in Deutschland selbstständig (Brenke 2013: S. 4), die Soloselbstständigen haben die Selbstständigen mit Angestellten längst überholt und stellen mittlerweile knapp 57 Prozent aller Selbstständigen (Mai/Marder-Puch 2013: S. 485). Ein genauerer Blick zeigt recht schnell, dass das Feld der Soloselbstständigkeit äußerst heterogen ist und unter dem Begriff die verschiedensten Ausprägungen soloselbstständiger Arbeit subsumiert sind. Arbeit in Vollzeit, Teilzeit, Männer- und Frauenarbeit, hohe Einkommensunterschiede und verschiedene Gründungsmotivationen zeichnen diese - in der soziologischen Forschung lange Zeit vernachlässigte - Erwerbsform aus. Sie kann allerdings über ihre konkreten Arbeitsinhalte hinaus als Seismograph für Veränderungen in der gesamten Arbeitsgesellschaft gelten. Denn es ist davon auszugehen, dass in den Anforderungen an die Arbeit von Soloselbstständigen gesellschaftlich diskursiv vermittelte Anrufungen an Unternehmertum, Selbst-Ökonomisierung und Marktgängigkeit ihren Ausdruck finden. Gerade die Gründungsmotivationen zum Schritt in die Selbstständigkeit, instruktiv durch Dieter Bögenholds Unterscheidung in eine 'Ökonomie der Selbstverwirklichung' und eine 'Ökonomie der Not' formuliert, gilt es vor dem Hintergrund eines aktivierenden Sozialstaats und damit verbunden insbesondere eines sich ausweitenden Niedriglohnsektors zu analysieren. Zu fragen ist folglich nach dem Spannungsfeld zwischen Autonomiebestreben und ökonomischen Abhängigkeiten der soloselbstständigen Arbeitssubjekte, nach den zu internalisierenden Regeln des Spiels innerhalb einer Arbeitswelt, die sich Stück für Stück zu einem 'System permanenter Bewährung' (Boes/Bultemeier 2008) transformiert. Dies setzt voraus, das prekäre Potenzial dieser spezifischen Arbeitsform vor dem Hintergrund allgemein gesellschaftlicher Prekarisierungsprozesse herauszuarbeiten. Auch wenn das Feld der Dienstleistungsarbeit, in dem ein Großteil der soloselbstständigen Arbeit seinen Platz hat, keine Terra Incognita der Arbeitssoziologie mehr ist - dies zeigt die spezifische Forschung der letzten Dekaden - gibt es weiterhin blinde Flecken. Denn bei genauerer Betrachtung zeigt sich, dass der Blickwinkel der Forschung zumeist auf soloselbstständige Arbeit in der Kreativwirtschaft, auf IT-Dienstleistungen oder hochqualifizierte personale Dienstleistungen fokussiert ist. Vernachlässigt wurde das Feld 'traditionaler' Berufe, vor allem der Handwerks-Dienstleistungen. Doch gerade in diesem Bereich ist davon auszugehen, dass aufgrund hoher Konkurrenz und starkem Preiskampf das Prekaritätsrisiko höher ist als in anderen Bereichen des Niedriglohnsektors und weit in den Lebensalltag der soloselbstständigen Handwerker hineinragt. Stehen sich im Betrieb Kapital und Arbeit gegenüber, sind es in diesem zu erforschenden Feld unmittelbar der Markt in der Person des Kunden und ihm gegenüber die Soloselbstständigen, ohne die betriebliche Organisation im Rücken. Zu fragen ist, wie sich diese besondere Form des Verkaufs der Ware Arbeitskraft im direkten Kundenkontakt auf die Soloselbstständigen auswirkt, ob Autonomiegewinne oder radikale Marktabhängigkeit und die damit verknüpfte Kundenorientierung den Arbeits- und Lebensalltag bestimmen. Daran schließt sich die Frage an, wie sich Subjektivierung von Arbeit und neue Formen der Selbstrationalisierung und Kontrolle in der Arbeit der Soloselbstständigen in besonderer Weise widerspiegeln, ob sich Charakteristika dieser Arbeitsform finden lassen, die sich von anderen Formen subjektivierter Arbeit unterscheiden. Diese wachsende Gruppe innerhalb des Niedriglohnsektors, die im Zuge dieser Arbeit explorativ erforscht werden soll, nutzt immer häufiger das Internet auf speziellen Plattformen zur Auftragsakquise und zur Angebotsdarstellung der eigenen Arbeitskraft. Der Marktführer für handwerkliche Dienstleistungen in Deutschland ist das Portal MyHammer.de. Neben einer Vorstellung der Abläufe auf diesem Internetportal gilt es demnach auch zu explizieren, welche Besonderheiten der Arbeitskraftverkauf bzw. die Arbeitskraftvermittlung über das Medium einer solchen Plattform aufzeigt, nach welchen Kriterien Aufträge auf Werkvertragsbasis hier vergeben werden und vor allem, welchen Kontrolleinfluss das System der Kundenbewertungen zum einen auf das Verhältnis zwischen Kunden und Soloselbstständigen, zum anderen auf den Arbeitsprozess hat. Denn es ist davon auszugehen, dass durch die Bündelung der Kundenbewertungen die Soloselbstständigen unter starkem Druck einer öffentlich sichtbaren Kontrolle stehen, der sich in Machtasymmetrien in der Beziehung zum Kunden und einer erhöhten Selbstkontrolle im Arbeitsprozess äußert. Hintergrund dieser Arbeit ist somit die folgende Forschungsfrage: In welcher Form bestimmt das Spannungsfeld von selbstständigem Unternehmertum, radikaler Marktabhängigkeit, Rekommodifizierung der Ware Arbeitskraft und existenzsichernder Erwerbsarbeit, vermittelt über den Kundenkontakt auf MyHammer.de, den Lebensalltag der Beschäftigten auch über den Erwerbszusammenhang hinaus? Wie ist die subjektive Wahrnehmung der Lebenslage und welche Bewältigungsstrategien eröffnen sich für die Beschäftigten? Um diese Forschungsfrage hinreichend beantworten zu können bedarf es einiger 'Umwege', die gegangen werden müssen, wollen die Ursprünge des Gegebenen erklärt und das spezifische Forschungsfeld verstanden werden. Zugrunde liegt der Herangehensweise die Überzeugung, dass die Mechanismen konkreter gesellschaftlicher Erscheinungen nicht unabhängig von den Bewegungsgesetzen der übergeordneten Strukturen zu betrachten sind. Demnach ist die Vorgehensweise, die Dichotomie zwischen allgemeinen Tendenzen und deren Ausprägungen im Besonderen zu überwinden, ihr Spannungsverhältnis zu denken und im empirischen Material zu durchdringen konstitutiv für diese Forschungsarbeit (Anderson 1979: S. 9). Diesen Anspruch ernst nehmend, dienen die kapitalistische Dynamik und die sich daraus ergebenden Wandlungen der Arbeits- und Beschäftigungsverhältnisse - vermittelt über die Begriffsbestimmung der Verschiebung der Marktgrenzen (Ulrich Brinkmann) - als Grundlage, um über die betriebliche Vermittlung hinaus auf die gesellschaftliche Vermittlung zu kommen, die sich in den im Feld der Soloselbstständigen vorherrschenden Leitbildern und Marktzwängen manifestiert. Dadurch wird der Möglichkeit Raum gegeben, auf neue Tendenzen innerhalb der Arbeitsgesellschaft hinzuweisen, die in ihrem Rückfall hinter jahrzehntelang gültige Standards der Arbeitsbeziehungen negativ über sie hinausweisen und als programmatisch angesehen werden können. Denn sie geben ein Muster dafür ab, wie Arbeitsbeziehungen zukünftig generell wieder aussehen könnten. Auf der Grundlage einer Analyse der Entwicklungslinien kapitalistischer Vergesellschaftung durch Erwerbsarbeit und des Prozesses der Prekarisierung von Arbeit und Lebensalltag lassen sich daraufhin die subjektiven Umgangsformen der Soloselbstständigen mit ihrer Arbeits- und Lebenslage, ihre zu ermittelnden Erklärungen und Sinnstrukturen anhand eines empirischen Zugangs über ihre Biographie ergründen. In der Erzählung der eigenen Lebensgeschichte, der Herausarbeitung des objektiven und subjektiven modus operandi der Erwerbsbiographie als sozialweltliches Orientierungsmuster im Kreuzungsbereich objektiver Bedingungen und subjektiver Erfahrungen, kommen qua Selbstthematisierung Selbstbilder zum Vorschein, die wesentlich von den institutionellen Zusammenhängen beeinflusst sind, in denen sie konstruiert werden. Erwerbsarbeit kann unter den gegenwärtigen Bedingungen als wirkmächtiger Biographiegenerator (Alois Hahn) angesehen werden, denn einerseits strukturiert sie die Lebensläufe der Individuen, andererseits bietet sie die Möglichkeit der Selbstidentifikation und der individuellen Perspektivität qua Festhalten an kollektiv vermittelten Sinnstrukturen und Identitätsmustern vor dem Hintergrund zunehmend brüchiger Erwerbsbiographien und damit verknüpfter Kontingenzerfahrungen. Mit Hilfe der biographischen Methode kann somit nach dem gesellschaftlichen Gehalt im Sinne Jürgen Ritserts gefragt werden, nach der Vermittlung von Subjekt und Objekt durch das Empirische hindurch, genauer gesagt nach dem Latenten im Manifesten Gesucht wird dabei nicht nach den Freiräumen und der Selbstbestimmtheit in prekären Arbeits- und Lebensverhältnissen, sondern es wird versucht aufzudecken, wie diese Verhältnisse - bedingt durch die ökonomische Durchdringung aller Lebensbereiche - Autonomie und Kreativität bis in die Bewusstseinsformen zum Erliegen bringen. Der Aufbau dieser Arbeit gliedert sich dementsprechend in sechs Kapitel. Das erste Kapitel beschäftigt sich mit dem aktuell vorherrschenden (finanz-)marktzentrierten Produktionsmodell und seinen ideologischen Momenten. Zum Verständnis der kapitalistischen Dynamik dient hier das fordistische Produktionsmodell als Interpretationsfolie. Dies zum einen, um den Prozess der Verschiebung der Marktgrenzen und das Aufkommen postfordistischer betrieblicher Organisationsformen zu erklären, zum anderen, um das Aufkommen atypischer Beschäftigungsverhältnisse und deren Spezifika zu erläutern. Im zweiten Kapitel wird der Fokus auf die gesellschaftliche Praxis im Kapitalismus, den Kauf und Verkauf der Ware Arbeitskraft, gelegt. Ausgehend von der Marx'schen Annahme, dass im Kapitalismus Erwerbsarbeit das grundlegende Vergesellschaftungsmoment ist, werden in einem ersten Schritt die Spezifika kapitalistischer Erwerbsarbeit ergründet und deren Wandlungstendenzen in einen Zusammenhang mit dem Wandel des Sozialstaats gestellt. Ausgehend von einer Analyse des fordistischen Normalarbeitsverhältnisses können in Abgrenzung zu ebenjenem die Zunahme flexibler Beschäftigungsformen und ihre Nutzungsformen erklärt werden. Dies bietet die Grundlage, die Risiken atypischer Beschäftigung in der Form prekärer Arbeitsverhältnisse zu bestimmen und den Prozess der Prekarisierung zu formulieren. Auf der Ebene der Vermittlung postfordistischer Anforderungen an die Arbeitssubjekte wird sich theoretisch mit den verschiedenen Formen der Subjektivierung von Arbeit auseinandergesetzt, da davon auszugehen ist, dass sich diskursiv vermittelte Anrufungen der Persönlichkeitsmerkmale gerade in soloselbstständiger Arbeit und damit verknüpftem Autonomiebestreben im Sinne einer 'ideologisierten Subjektivität' (Kleemann u.a. 2003: S. 91) widerspiegeln. Ausgehend von Subjektivierungsformen innerhalb betrieblicher Arbeit wird der spezielle Fokus auf soloselbstständige Dienstleistungsarbeit im direkten Kundenkontakt gelegt, um deren Auswirkungen auf die Kontrolle des Arbeitsprozesses und die Kundenorientierung zu durchdringen. Da für das im Mittelpunkt dieser Forschungsarbeit stehende Feld der soloselbstständigen Handwerks-Dienstleistungen die atypische Beschäftigungsform des Werkvertrages strukturleitend ist, wird in Kapitel 3 ein Exkurs zum Einsatz von Werkverträgen vorgenommen. Aufbauend auf die verschiedenen Einsatzformen von Werkverträgen und deren Konsequenzen für die Beschäftigten auf betrieblicher Ebene, werden auch in diesem Kapitel die Prekaritätspotenziale von Werkverträgen und deren Auswirkungen auf den Arbeitsprozess der soloselbstständigen Dienstleistungsarbeit fokussiert. Das vierte Kapitel beschäftigt sich daraufhin im Konkreten mit der Soloselbstständigkeit und ihren Ausdrucksformen. Dies beinhaltet nach einem historischen Abriss und der Analyse der prekären Potenziale solo-selbstständiger Arbeit im Niedriglohnbereich auch einen Ausflug in den Bereich der Zahlen und Statistiken, um das Ausmaß und die Besonderheiten soloselbstständiger Arbeit im Niedriglohnbereich adäquat herauszuarbeiten. Über den Begriff des prekären Unternehmertums (Andrea Bührmann/Hans J. Pongratz) und im Rückgriff auf weitere Studien zur Soloselbstständigkeit wird der Versuch unternommen, das allgemein vermittelte Besondere dieser Beschäftigungsform zu bestimmen. In Kapitel 5 wird die Methodologie des Verstehenden Ansatzes interpretativer qualitativer Sozialforschung vorgestellt und auf deren Grundlage die Methode des biographisch-narrativen Interviews und der Narrationsanalyse (Fritz Schütze) verdeutlicht. In der Auseinandersetzung mit der Dialektik von Individuum und Gesellschaft wird die Biographie in den Mittelpunkt der methodischen Herangehensweise gerückt und begründet. Zum Verständnis der empirischen Forschung werden der Zugang zum Feld der Soloselbstständigen und empirische Vorarbeiten dargestellt. Im Mittelpunkt dieses Kapitels stehen daraufhin die vorrangig aus den Interviews exzerpierte Vorstellung des Internetportals Myhammer.de und die Analyse der dort vorherrschenden Abläufe - dies sowohl auf objektiver Ebene in der Analyse des wirkmächtigen Bewertungssystems und des indirekten Unterbietungswettbewerbs auf Myhammer.de, aber auch in den subjektiven Umgangsformen der interviewten Soloselbstständigen mit dieser kundenorientierten und marktabhängigen prekären Erwerbsform. Prototypisch für das erforschte Feld wird die erwerbsbiographische Erzählung eines Interviewten ausführlich beschrieben und ihre objektiven und subjektiven Verlaufsformen ausgewertet, bevor in einem abschließenden Unterkapitel auch die anderen Interviewten zu Wort kommen werden. Ihre Aussagen werden unter spezifischen Gesichtspunkten und im Rückgriff auf die in den vorherigen Kapiteln ausgearbeiteten theoretischen Konzepte ausgewertet und interpretiert. Es zeigt sich, dass sich das Versprechen von Autonomie und selbstbestimmter Arbeit zumindest in dem hier erforschten Feld soloselbstständiger Arbeit in sein Gegenteil verkehrt. Prekäre Arbeit, niedriges Einkommen und eine extreme Form von Entgrenzung im Sinne einer fremdorganisierten Selbstorganisation (Hans J. Pongratz/Günter G. Voß) kennzeichnen die Inhalte der Interviewergebnisse. Vor dem Hintergrund starker Konkurrenz, dem Bewertungssystem bei Myhammer.de, absolut prekärer Arbeitsbedingungen und des ökonomischen Zwangs zum Verkauf der eigenen Ware Arbeitskraft entwickeln die Interviewten eine Kundenorientierung und selbstverleugnendes Marktverhalten, die das postfordistische Glücksversprechen freier Unternehmertätigkeit im direkten Kundenkontakt als aktuelle Kehrseite der Medaille kapitalistischer Vergesellschaftung im Zwang zum Selbstmanagement enttarnen. Schlussendlich werden in einem letzten Kapitel die Ergebnisse der empirischen Studie mit den theoretischen Ergebnissen verknüpft und in zentralen Aussagen zusammengefasst. Aus der Motivation einer Ökonomie der Not begeben sich die Soloselbstständigen Dienstleister in prekäre Erwerbsarbeit, aus der sie aus eigener Kraft nicht mehr herauskommen und die sie in ein Verharren im Niedriglohnbereich der Armutsgrenze, die Einrichtung in der Stabilität des Instabilen (Robert Castel) zwingt. Das Versprechen der Selbstentfaltung entpuppt sich als prekäre Selbsterhaltung, die eigene Subjektivität lässt sich vor dem Hintergrund der radikalen Marktabhängigkeit und der Macht der Kunden als ein dialektisches Verhältnis von Herr und Knecht charakterisieren. Anhand dieses empirischen Beispiels zeigt sich eine Traditionalisierung in der Erneuerung innerhalb des kapitalistischen Marktregimes, die sich in einer Weiterentwicklung kapitalistischer Erwerbsarbeit in den hier vorgefundenen refeudalisierten, hochgradig unsicheren und radikal marktabhängigen Arbeitsbedingungen als modernes Tagelöhnertum ausdrückt. In den Beziehungen zum Kunden und in der marktkonformen Beziehung zu sich selbst, zeigt sich in Rekurs auf Karl Marx eine neuartige Form der Entfremdung, die als Entfremdung der sozialen Beziehungen beschrieben wird. Im Räderwerk der undurchdringbaren Gegenwart des finanziellen Überlebens in einer kapitalistischen Gesellschaft, in der für die Soloselbstständigen kein anderer Platz mehr vorgesehen ist, entwickeln sie darüber hinaus latente Sinnstrukturen eines ideologischen Alltagsbewusstseins (Thomas Leithäuser), das in der Vorstellung der Gesellschaft als Naturgesetzlichkeit mit Theodor W. Adorno als notwendig falsches Bewusstsein formuliert werden kann. Die Soloselbstständigen halten aufgrund ihrer objektiven, prekären Arbeits- und Lebenslage und aufgrund ihrer entwickelten, ideologischen Sinnstrukturen an dem fest, was sie als naturgegeben hinnehmen: Dem Reich der Notwendigkeit. Im Folgenden sollen die theoretischen Hintergründe und die empirische Durchdringung des Feldes der soloselbstständigen Handwerks-Dienstleistungsarbeit in all ihren Facetten, Ausprägungen und Widersprüchlichkeiten ausgearbeitet und vermittelt werden, um Licht in das Dunkel dieser Terra incognita - die doch so charakteristisch für Arbeits- und Lebensverhältnisse im Kapitalismus des 21. Jahrhunderts ist - zu bringen.
Blick ins Buch
Inhaltsverzeichnis
Inhalt8
Dank12
Einleitung14
1 Dynamiken des Kapitalismus22
1.1 Das fordistische Produktionsmodell23
1.2 Das nachfordistische, marktzentrierte Produktionsmodell30
1.2.1 Finanzmarkt-Kapitalismus und Shareholder Value33
1.2.2 Vermarktlichung und Verschiebung der Marktgrenzen37
1.2.3 Das ideologische Moment der Marktgrenzenverschiebung43
2 Entwicklung und Wandel der Erwerbsarbeitsgesellschaft47
2.1 Arbeit und Arbeitskraftnutzung im Wandel47
2.1.1 Erwerbsarbeit als Vergesellschaftungsmoment47
2.1.2 Erwerbsarbeit und der Umbau des Sozialstaats54
2.2 Vom »Normalarbeitsverhältnis« zu atypischen Beschäftigungsformen57
2.3 Prekäre Arbeit, Prekarisierung65
2.4 Subjektivierung von Arbeit: Der Zwang zur Autonomie79
2.4.1 Normative Subjektivierung von Arbeit83
2.4.2 Von der Forderung nach Subjektivität zur Anforderung an das Subjekt86
2.5 Service Work und Kundenorientierung103
3 Arbeiten auf Werkvertragsbasis113
3.1 Das Phänomen der Werkverträge113
3.1.1 Werkverträge – ein neues altes arbeitspolitisches Instrument113
3.1.2 Aufkommen und Einsatz115
3.1.3 Werkverträge als besondere Form atypischer Beschäftigung117
3.2 Erscheinungsformen von Werkverträgen118
3.2.1 Unterschiede zu Leiharbeit118
3.2.2 Outsourcing und Scheinwerkverträge119
3.2.3 Rechtliche Unterscheidungen124
3.2.4 Ergebnisorientierung und Zielvereinbarungen126
3.2.5 Werkverträge und Selbstständigkeit – Formen des Einsatzes127
3.3 Folgen des Werkvertragseinsatzes129
3.3.1 Werkverträge und Lohndumping129
3.3.2 Konsequenzen für Mitbestimmung und Organisation130
3.3.3 Werkverträge und Prekarität131
4 Selbstständigkeit im Niedriglohnbereich133
4.1 Selbstständige Arbeit im Kapitalismus133
4.1.1 Geschichte selbstständiger Arbeit133
4.1.2 Selbstständigkeit in Deutschland139
4.1.3 Soloselbstständigkeit in Deutschland142
4.2 Selbstständige Arbeit und soziale Verwundbarkeit148
4.2.1 Prekarisierungspotenziale von Soloselbstständigkeit148
4.2.2 Ausgrenzungsrisiken durch prekäre Selbstständigkeit151
4.2.3 Unsicherheit der Lebensplanung154
4.2.4 (Nicht-)Umgang mit der Unsicherheit: das unberechenbare Hin-und-Her155
4.3 Ökonomien der Not157
4.3.1 Selbstständige Arbeit als Ausweg aus finanziellen Notlagen157
4.3.2 Unternehmertum zwischen finanziellem Zwang und Freiwilligkeit: »prekäres Unternehmertum«160
5 Der empirische Zugang zur Arbeits- und Lebenswelt der Soloselbstständigen164
5.1 Methodische Ausgangslage164
5.1.1 Der verstehende, interpretative Ansatz qualitativer Sozialforschung164
5.1.2 Die Biographie als Ansatz des Verstehens170
5.1.3 Erwerbsarbeit als Biographiegenerator der heutigen Zeit175
5.1.4 Die Methode des biographisch-narrativen Interviews181
5.2 Durchführung der Interviews184
5.2.1 Feldzugang184
5.2.2 Auswahlkriterien und weiterer Feldzugang192
5.2.3 Ablauf der Interviews194
5.2.4 Auswertung der Interviews196
5.3 Dienstleistungen im Internet – das Beispiel MyHammer.de202
5.3.1 Charakteristika von MyHammer.de203
5.3.2 Abläufe von Angebot und Nachfrage205
5.3.3 Bewertungen als Struktur- und Anerkennungsprinzipien208
5.3.4 Unterbietungswettbewerb und Konkurrenzdruck212
5.3.5 Abschließende Bemerkungen215
5.4 Die erwerbsbiografische Erzählung von Herrn Esau217
5.4.1 Unterpunkt I: gerichtliche Auseinandersetzungen222
5.4.2 Unterpunkt II: prekäre Arbeit für Materialkosten224
5.4.3 Objektive Verlaufsform und subjektive Erklärungen228
5.5 Objektive Getriebenheit – subjektive Deutungsmuster231
5.5.1 Überindividuelle Prozesse und Verläufe231
5.5.2 Motoren der objektiven Getriebenheit232
6 Schlussfazit: Traditionalisierung in der Erneuerung – notwendig falsches Bewusstsein250
6.1 Radikale Marktabhängigkeit – Ökonomien der Not – Autonomie250
6.2 Traditionalisierung in der Erneuerung – modernes Tagelöhnertum255
6.3 Normalität – ideologisches Bewusstsein – Alltagsbewusstsein258
Literatur268

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