Sie sind hier
E-Book

Herrschen und Verwalten

Afrikanische Bürokratien, staatliche Ordnung und Politik in Tanzania, 1920-1970 (Studien zur Internationalen Geschichte, Band 16)

AutorAndreas Eckert
VerlagDe Gruyter Oldenbourg
Erscheinungsjahr2007
Seitenanzahl327 Seiten
ISBN9783486579062
FormatPDF
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis54,95 EUR

Am Beispiel Tanzanias stellt Andreas Eckert jene Afrikaner in den Mittelpunkt, die zunächst Funktionen im kolonialen Staatsapparat ausübten und dann - mit der Unabhängigkeit - das Erbe der europäischen Kolonialherren an der Spitze des Staates antraten. Die afrikanischen Verwaltungsmitarbeiter nahmen in der kolonialen Ordnung eine zentrale Rolle ein und agierten als Mittler und Übersetzer zwischen Kolonisierenden und Kolonisierten. 

Diese Position eröffnete ihnen neue Handlungsspielräume und Möglichkeiten, die weit über das hinausgingen, was die kolonialen Organigramme ihnen als Tätigkeitsfelder zuwiesen. Vor dem Hintergrund ihrer enorm heterogenen Erfahrungen, Verhaltensweisen und Handlungsspielräume schreibt der Autor eine politische Geschichte Tanzanias über einen Zeitraum von rund fünfzig Jahren.

Kaufen Sie hier:

Horizontale Tabs

Leseprobe
"V. Kontinuitäten Tanzania als unabhängiger Staat, 1960- 1970 (S. 217-218)

1. Afrikanischer Sozialismus. Politik und Ideologie in Tanzania

a) Rauhe Realitäten. Tanzania in der internationalen Ordnung

In den zwei Jahrzehnten nach der Unabhängigkeit verfolgte die Regierung Tanzanias unter Nyerere eine Politik, die unter internationalen Beobachtern wegen des nachhaltigen Engagements für Selbständigkeit und das Vertrauen auf die eigenen Kräfte und Ressourcen self reliance) gepriesen wurde.1 Andere lobten zudem die Anstrengungen, einen spezi.schen „afrikanischen Sozialismus"" zu kreieren und zu praktizieren. Nyerere selbst wurde eine weltweit bekannte Persönlichkeit, ein Fürspreche der „Ärmsten der Armen"".

Er verlangte eine neue internationale Wirtschaftsordnung, die den .nanzschwachen Staaten der so genannten Dritten Welt einen größeren Anteil am globalen Reichtu verscha.en würde. Er versuchte, die blockfreien Staaten so zu organisieren, dass sie ihre Interessen in einem gemeinsamen Programm vertreten würden. Seine langfristigen Visionen klangen in den Ohren vieler westlicher Sozialisten vertraut. Denn Nyereres Perspektive schöpfte aus den Konzepten des Fabier-Sozialismus: Der Staat besitzt die Mehrzahl der Produktionsmittel, gleicht die Einkommen an und bietet ein breites Spektrumsozialer Dienste.

Tanzania wurde zu einem der bevorzugten Empfängerländer von Entwicklungshilfegeldern. Diese Rolle verdankte es nicht zuletzt der Tatsache, dass westliche Regierungen schon aus Imagegründen darauf bedacht waren, nicht ihre gesamte Hilfe rechten, konservativen Regimen zukommen zu lassen.3 Das vergleichsweise moderat sozialistische Tanzania bot ein nützliches Korrektiv. Der „tanzanische Weg"" war jedoch voller Widersprüche: Die eingeschränkte Meinungsfreiheit, politische Gefangene, die wachsende Macht der staatlichen Bürokratie, die mit Zwangsumsiedlungen größeren Ausmaßes verbundene Agrarpolitik und die zahlreichen ökonomischen Misserfolge standen für die dunkle Seite der Entwicklung des Landes nach der Unabhängigkeit.

Nyerere genoss jedoch nicht zuletzt aufgrund seines umfangreichen Schrifttums, seiner ostentativ zur Schau getragenen Bescheidenheit und seiner für afrikanische Staatsoberhäupter eher ungewöhnlichen Fähigkeit zur Selbstkritik großen Respekt, zuweilen Bewunderung unter westlichen Intellektuellen. Er war unter Linken und Dritte-Welt-Begeisterten eine Art Kult.gur. 4 Doch bereits 1967 218 V. Kontinuitäten spottete der kenianische Politologe Ali Mazrui über die weit verbreitete „Tanzaphilie"", die oft die Form einer „Nyererephilie"" annahm. Mazrui zufolge schätzten die Intellektuellen Nyerere so sehr, weil sie in ihm einen fellow intellectual im Besitz politischer Macht sahen.5 Er bot einen Untersuchungsgegenstand, der attraktiv erschien, weil sich die Forscher aus Europa und den USA in ihm selbst begegneten, aber doch in idealer Verfremdung.6

Das folgende Kapitel über die erste Dekade des unabhängigen Tanzania will sich jedoch nicht allein auf seine Person konzentrieren, wenngleich er aufgrund seiner großen Bedeutung (und seiner außerordentlich großen Präsenz in der Literatur) immer wieder ins Blickfeld rücken wird. Im Mittelpunkt steht aber generell die Gruppe der afrikanischen Bürokraten und ihre Rolle in der staatlichen Ordnung, wobei die enge Verknüpfung von Verwaltung und Politik besondere Aufmerksamkeit verdient. Ein spezielles Augenmerk gilt zudem den Kontinuitäten zwischen der britischen Kolonialpolitik und den Strategien und Aktivitäten de politischen Führung und bürokratischen Elite.

Zunächst soll jedoch knapp die Position Tanzanias im Rahmen der von Kaltem Krieg und Systemauseinandersetzung charakterisierten internationalen Beziehungen skizziert werden.7 In den ersten Jahren seiner Existenz orientierte Tanzania seine Außenpolitik deutlich in Richtung Westen.8 Die politischen Führungspersonen bemühten zwar regelmäßig die Rhetorik der Blockfreiheit, um deutlich zu machen, dass Tanzania keineswegs von Großbritannien und den USA abhängig sei. Nyerere unternahm Reisen in die Sowjetunion und nach China. Doch die .nanziellen Quellen und die Expertise, aus denen das Land zu schöpfen gedachte, sollten vornehmlich aus dem Westen kommen. "
Inhaltsverzeichnis
Inhalt6
I. Einleitung: Auf der Suche nach „Good Governance“10
1. Das Thema10
2. Herrschaft und Bürokratie15
3. Kolonialer Staat und Kolonialismus19
4. Akteure und Eliten28
5. Tanzania32
6. Die Quellen35
7. Aufbau der Arbeit37
II. Indirekte Herrschaft, 1920- 194040
1. Das „deutsche Erbe“. Aspekte der deutschen Herrschaft in Ostafrika40
2. Die Verwaltung der „imperialen Provinz“48
3. „Education for Adaptation“. Koloniale Ordnungsvorstellungen und -strategien72
4. Afrikanische Bürokraten89
5. Zusammenfassung103
III. Koloniale Staatsbildung und Dekolonisation, 1940 - 1960106
1. Die zweite koloniale Besetzung106
2. Demokratie wagen. Versuche der administrativen und politischen Neuordnung120
3. Die Organisation des Sozialen147
4. „Education for Development“163
5. Zusammenfassung174
IV. Kulturelle Makler. Afrikanische Bürokraten und das Ende der Kolonialherrschaft176
1. Staatsdiener im Zwischenraum176
2. Bürokraten als Chiefs. Thomas Marealle188
3. Bürokraten als Politiker. Julius Nyerere203
4. Bürokraten als Gewerk- und Genossenschaftler. Rashidi Kawawa und Paul Bomani213
5. Zusammenfassung224
V. Kontinuitäten. Tanzania als unabhängiger Staat, 1960- 1970226
1. Afrikanischer Sozialismus. Politik und Ideologie in Tanzania226
2. Who’s Who? Zum Profil der Staats- und Verwaltungselite240
3. Versuche der Neuordnung252
4. Der Paternalismus der Verwalter. Ländliche „Entwicklungspolitik“262
5. Zusammenfassung268
VI. Nachbetrachtung270
VII. Danksagung276
VIII. Anhang278
1. Abkürzungen278
2. Tabora-Absolventen in höheren Staats- und Verwaltungsämtern, 1963- 1964279
3. Quellen- und Literaturverzeichnis282
4. Verzeichnis der Karten, Schaubilder und Tabellen312
5. Verzeichnis der Abbildungen312
Register314
Studien zur Internationalen Geschichte324

Weitere E-Books zum Thema: Afrika - Kultur, Politik, Geschichte

Geheime Gärten

E-Book Geheime Gärten
Die neue arabische Welt Format: ePUB/PDF

Der Nahostexperte Volker Perthes analysiert faktenreich Chancen und Probleme, Geschichte und Zukunft der arabischen Staaten.Volker Perthes, geboren 1958, ist Direktor der Stiftung Wissenschaft und…

Geheime Gärten

E-Book Geheime Gärten
Die neue arabische Welt Format: ePUB/PDF

Der Nahostexperte Volker Perthes analysiert faktenreich Chancen und Probleme, Geschichte und Zukunft der arabischen Staaten.Volker Perthes, geboren 1958, ist Direktor der Stiftung Wissenschaft und…

Geheime Gärten

E-Book Geheime Gärten
Die neue arabische Welt Format: ePUB/PDF

Der Nahostexperte Volker Perthes analysiert faktenreich Chancen und Probleme, Geschichte und Zukunft der arabischen Staaten.Volker Perthes, geboren 1958, ist Direktor der Stiftung Wissenschaft und…

Schwester Löwenherz

E-Book Schwester Löwenherz
Eine mutige Afrikanerin kämpft für Menschenrechte Format: ePUB

Fadumo Korn: Eine Aktivistin mit Kopf, Hand und HerzFadumo Korn ist eine Kämpferin mit großem Herzen. Die in München sesshaft gewordene Nomadin hilft, wo sie kann, um die Lebensumstände von…

Schwester Löwenherz

E-Book Schwester Löwenherz
Eine mutige Afrikanerin kämpft für Menschenrechte Format: ePUB

Fadumo Korn: Eine Aktivistin mit Kopf, Hand und HerzFadumo Korn ist eine Kämpferin mit großem Herzen. Die in München sesshaft gewordene Nomadin hilft, wo sie kann, um die Lebensumstände von…

Schwester Löwenherz

E-Book Schwester Löwenherz
Eine mutige Afrikanerin kämpft für Menschenrechte Format: ePUB

Fadumo Korn: Eine Aktivistin mit Kopf, Hand und HerzFadumo Korn ist eine Kämpferin mit großem Herzen. Die in München sesshaft gewordene Nomadin hilft, wo sie kann, um die Lebensumstände von…

Der afrikanische Staat

E-Book Der afrikanische Staat
Problemanalyse und Lösungsansätze Format: PDF/ePUB

Essay aus dem Jahr 2009 im Fachbereich Afrikawissenschaften - Sonstiges, Note: 2,0, Universität Leipzig (Institut für Afrikanistik), Veranstaltung: Der Staat in Afrika, Sprache: Deutsch, Abstract:…

Der afrikanische Staat

E-Book Der afrikanische Staat
Problemanalyse und Lösungsansätze Format: PDF/ePUB

Essay aus dem Jahr 2009 im Fachbereich Afrikawissenschaften - Sonstiges, Note: 2,0, Universität Leipzig (Institut für Afrikanistik), Veranstaltung: Der Staat in Afrika, Sprache: Deutsch, Abstract:…

Togo zwischen 1960-1993- Demokratische Klopfzeichen

E-Book Togo zwischen 1960-1993- Demokratische Klopfzeichen
Die westafrikanische Republik Togo unter dem Diktator Gnassingbé Eyadéma (1938-2005) - zwischen der 'Macht der Ohnmacht' und 'Critical Juncture' - Zwischen staatlicher Erstarrung und der Er-Findung der Zivilgesellschaft. Format: PDF/ePUB

Studienarbeit aus dem Jahr 2005 im Fachbereich Afrikawissenschaften - Sonstiges, Note: 1,7, Universität Leipzig (Institut für Afrikanistik), Veranstaltung: Einführung in die Politik Afrikas, Sprache…

Weitere Zeitschriften

Ärzte Zeitung

Ärzte Zeitung

Zielgruppe:  Niedergelassene Allgemeinmediziner, Praktiker und Internisten. Charakteristik:  Die Ärzte Zeitung liefert 3 x pro Woche bundesweit an niedergelassene Mediziner ...

aufstieg

aufstieg

Zeitschrift der NaturFreunde in Württemberg Die Natur ist unser Lebensraum: Ort für Erholung und Bewegung, zum Erleben und Forschen; sie ist ein schützenswertes Gut. Wir sind aktiv in der Natur ...

bank und markt

bank und markt

Zeitschrift für Banking - die führende Fachzeitschrift für den Markt und Wettbewerb der Finanzdienstleister, erscheint seit 1972 monatlich. Leitthemen Absatz und Akquise im Multichannel ...

ea evangelische aspekte

ea evangelische aspekte

evangelische Beiträge zum Leben in Kirche und Gesellschaft Die Evangelische Akademikerschaft in Deutschland ist Herausgeberin der Zeitschrift evangelische aspekte Sie erscheint viermal im Jahr. In ...

Euro am Sonntag

Euro am Sonntag

Deutschlands aktuelleste Finanz-Wochenzeitung Jede Woche neu bietet €uro am Sonntag Antworten auf die wichtigsten Fragen zu den Themen Geldanlage und Vermögensaufbau. Auch komplexe Sachverhalte ...

Evangelische Theologie

Evangelische Theologie

Über »Evangelische Theologie« In interdisziplinären Themenheften gibt die Evangelische Theologie entscheidende Impulse, die komplexe Einheit der Theologie wahrzunehmen. Neben den Themenheften ...

F- 40

F- 40

Die Flugzeuge der Bundeswehr, Die F-40 Reihe behandelt das eingesetzte Fluggerät der Bundeswehr seit dem Aufbau von Luftwaffe, Heer und Marine. Jede Ausgabe befasst sich mit der genaue Entwicklungs- ...