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Jüdisches Leben in Tirol im Mittelalter

Jüdisches Leben im historischen Tirol

AutorKlaus Brandstätter
VerlagHaymon
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl164 Seiten
ISBN9783709973394
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis14,99 EUR
'Jüdisches Leben in Tirol im Mittelalter' ist ein Auszug aus dem dreiteiligen Sammelwerk 'Jüdisches Leben im historischen Tirol'. Die Geschichte des jüdischen Lebens im historischen Tirol, welches das heutige Trentino, Süd-, Nord- und Osttirol sowie über ein Jahrhundert lang auch Vorarlberg umfasste, ist über 700 Jahre alt. Dieser Auszug des Sammelwerks befasst sich unter anderem mit den Grundzügen der Geschichte der Juden im mittelalterlichen Europa. Eine Minorität, die als einzige nichtchristliche Bevölkerungsgruppe toleriert wurde und einen gewissen Schutz vor Missionierung oder Zwangstaufe genoss. Nach und nach wurde das Judentum aber zu einer Art Sündenbock und stieß auf Ablehnung und Diskriminierung. Neben den Grundzügen der Geschichte beleuchtet das vorliegende Werk auch die jüdische Siedlungsgeschichte, die Herkunft und Migration, die rechtliche Situation zu dieser Zeit sowie die beruflichen und wirtschaftlichen Aktivitäten, die das jüdische Volk im Mittelalter ausübte. Der vorliegende Titel schließt mit ersten Anfeindungen, Vertreibungsabsichten sowie dem Beginn der Ritualmordprozesse ab.

Klaus Brandstätter, geboren 1961 in Innsbruck, Studium der Geschichte und Romanistik an der Universität Innsbruck, Mag. phil. 1987, Dr. phil. 1993, Assistent am Institut für Geschichte der Universität Innsbruck seit 1990, Habilitation in Mittelalterlicher Geschichte 2001. Er ist mittlerweile der Spezialist für die Geschichte der Juden in Tirol im Mittelalter. Publikationen (Auswahl): Tirol ? Österreich ? Italien. Festschrift für Josef Riedmann zum 65. Geburtstag, hg. mit Julia Hörmann, Innsbruck 2005; ?Dom- und Kollegiatstifte in der Region Tirol ? Südtirol ? Trentino in Mittelalter und Neuzeit / Collegialita ecclesiastica nella regione trentino-tirolese dal medioevo all?eta moderna, hg. mit Hannes Obermair und Emanuele Curzel, Innsbruck 2006; Ratsfamilien und Tagelöhner. Die Bewohner von Hall in Tirol im ausgehenden Mittelalter, Innsbruck 2002.

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Leseprobe

Diffamierung, Vertreibungsabsichten, Ritualmordprozesse


Zunehmende Diffamierung im ausgehenden Mittelalter

Obwohl für die Zeit der Großen Pest keine Verfolgungen von Juden im Alttiroler Raum in eindeutiger Weise festzustellen sind, so dürften die hier ansässigen Juden trotz ihrer geringen Zahl zu jedem Zeitpunkt jenen Anfeindungen ausgesetzt gewesen sein, die andernorts festzustellen sind. Insgesamt nahm die Diffamierung der Juden im gesamten römisch-deutschen Reich im Laufe des späten Mittelalters deutlich zu. Dafür seien einige Beispiele genannt: Äußerst entwürdigend war vielfach bereits die Ableistung des Judeneides. So hatten die schwörenden Juden nach dem 1275/1276 verfassten, im bayerisch-schwäbischen Raum verbreiteten Schwabenspiegel auf einer blutigen Haut einer Sau zu stehen und dabei die rechte Hand in die Thorarolle zu legen, was zweifellos als Verhöhnung ihrer religiösen Bräuche gedacht war.485 Diese bewusste Diskriminierung und Demütigung, die selbstverständlich auf das jüdische Verbot des Schweinefleisch- und Blutgenusses gemünzt ist und die etwa das Nürnberger Stadtrecht nach den Verfolgungen während des Schwarzen Todes übernahm486, kennzeichnet besonders gut die sich verschlechternde Stellung der Juden im späten Mittelalter. Darstellungen von Juden in Verbindung mit einer Sau finden sich bereits seit dem 13. Jahrhundert, die sich in ihrer menschenverachtenden Tendenz bis hin zum Typ der „Judensau“ steigerten.

Die Ableistung des Judeneides im Alttiroler Raum war anscheinend nicht derart entwürdigenden Regelungen unterworfen, wie sie im Schwabenspiegel gefordert wurden. Für Trient geht zumindest aus den Prozessakten hervor, dass nur die einfache Form des Judeneides verlangt wurde (der Schwörende hatte eine Hand auf die Thora zu legen), ohne jegliche demütigende Elemente.487 Aufgrund der für Juden recht günstigen Bestimmungen einzelner Privilegien wird man auch für die Territorien Tirol, Brixen und Görz einen einfachen Schwur auf die Thora annehmen dürfen. Vermutlich ähnelte die Eidesleistung der in einem Schnalser Sammelkodex des ausgehenden Mittelalters beschriebenen Vorgangsweise:488 „Item ein jud wann er einen ayd sweren sol, so sol er sweren auf Moyses pucher mit selichen wortten, als im got helff by der e, die got gab auf dem perg Synay, und nit anderst.“

Einen deutlichen Hinweis auf auch in Tirol verbreitete, extrem judenfeindliche Tendenzen geben aber die Bestimmungen in einer um 1500 erlassenen Zollordnung für den Fernstein: „Wenn ain jud da fürget oder reit und sich nit ansagt, ist er ferfallen leib und gut, sagt er sich aber an, so sol er zollen als viel als ein schwein, das ist 1 fierer und würffel.“489 Neben der Androhung einer unverhältnismäßig hohen Bestrafung erfolgt die verhöhnende Gleichsetzung mit einem Schwein. Außerdem kommt in der geforderten Abgabe von Würfeln ein weiteres antijüdisches Stereotyp zur Sprache. Der von Juden erzwungene Würfelzoll ist erstmals zum Jahr 1378 für Mainzer Juden bezeugt; neben den Erzstiften Mainz und Trier ist diese besondere Form der Verzollung insbesondere für das Gebiet der heutigen Schweiz im 15. und 16. Jahrhundert belegt.490 Die Gründe für diesen Würfelzoll sind letztlich nicht ganz klar, möglicherweise hängt seine Entstehung mit christlichen Ansichten zusammen, dass Juden um das Gewand Christi gewürfelt hätten; zudem galt das Würfelspiel „vor allem in den Augen der Kirche als sündhaft, und der Würfelzoll war unbestreitbar auch geeignet, die angebliche Nähe der Juden zum Teufel […] zu akzentuieren. Schließlich war der Teufel nach einer im Mittel-alter verbreiteten Anschauung der Erfinder des Würfelspiels“.491 Mit der Abgabe von Würfeln allein war es freilich nicht immer getan, denn auch willkürliche „Würfelzollerpressung“ kam seit dem 15. Jahrhundert häufig vor, indem jüdische Reisende „vor allem durch junge, übermütig-rohe Christen“ belästigt und zur Abgabe von Würfeln gezwungen wurden.492

Schikanös waren vielfach auch städtische Bestimmungen zum Kauf von Waren, insbesondere zum Fleischkauf. Bereits hingewiesen wurde auf die Bestimmungen der Bozner Stadtordnung und der Kitzbüheler Metzgerordnung, die diesbezüglich zwar nicht allzu schwerwiegende, aber doch entehrende Regelungen enthielten.493

Die im 15. Jahrhundert so beliebten Passionsspiele begnügten sich nicht damit, die Juden als verstockt und als Mörder Christi vorzuführen. Vielmehr wurden sie durchgängig mit habgierigen Wucherern gleich gesetzt; vom ersten Moment an wurde der Eindruck erzeugt, dass „die Juden nur einem Gott dienen – dem Mammon“.494 So durfte Judas nicht ohne Geldbeutel495 auf der Bühne erscheinen, und im Bozner Abendmahlspiel wurde ausführlich gezeigt, wie kleinlich er sogar noch um den Lohn für seinen Verrat feilschte.496 In besonders drastischer Weise stellte ein 1514 in Bozen aufgeführtes Himmelfahrtsspiel dem christlichen Vaterunser ein jüdisches gegenüber, in dem Gott mit Geld gleichgesetzt wird:497

„Vater vnser, der dw pist,

Verporgen in des kunigs kist,

Dein nam der phenning haist …

Dein wil geschech zw allen zeiten,

Das wir nur genueg haben pey den lewtten …

Fur vns frum iuden nit in versuech,

Sunder mer vns vnser wucher vnd gesuech.

Gib vns vnd vnseren schuldigneren,

Das sy vns nur vil schuldig weren,

So hab wir dan ain reichen namen.

So sprech wir mit ein ander: amen.“

Die gezielte Verspottung und Demütigung durfte auf der Bühne nicht fehlen, indem den durch spezielle Kleidung und anscheinend auch besondere Bart- und Haartracht498 kenntlich gemachten Juden ein unverständliches Kauderwelsch in den Mund gelegt wurde bzw. den Darstellern manchmal hölzerne Schüsseln anstatt der Judenhüte aufgesetzt wurden.499 Dass das Bild der „Judensau“ auch im Tiroler Raum nicht unbekannt war, zeigt eine Stelle in einem Bozner Osterspiel; dabei wendet sich der Gemeindevorsteher bzw. Rabbiner an die Gemeindemitglieder und begründet das Verbot des Schweinefleischgenusses mit der Verwandtschaft zwischen Juden und Schweinen:500

„Ir solt des nitt vergessen

Schweinen fleisch solt ir nit essen,

Das pewt ich euch pey meinem huett.

Wen wer des nicht thuett,

Der hat leib vnd leben verloren,

Das hab ich pey meinem partt geschworen.

Wen des morgens frue in einem thaw,

Da lag ein iud pey ainer saw

Vnd machat siben fercl dar an

Darumb solt ir sy leben lan

Vnd last dj saw all genesen,

Wen sy sind vnsser muemen gebesen.“

Schließlich wurden bei tatsächlichen oder vermeintlichen schweren Vergehen besonders demütigende und entehrende Bestrafungen gewählt. So kamen im späten Mittelalter spezielle Hinrichtungsformen für Juden in Übung, etwa durch Aufhängen mit dem Kopf nach unten oder zwischen beißenden Hunden501, wie dies auch im Fall der Lienzer Ritualmordbeschuldigung überliefert ist, womit also eine Art „Gleichsetzung der Juden mit wilden Tieren“ zum Ausdruck gebracht wurde.502 Nicht nur bei den Trienter Angeklagten war man mit der Folter schnell zur Hand: 1469 wurden etwa die Juden Eliezer von Worms und David von Magdeburg durch den Pfleger von Schlossberg gefangen genommen, weil sie verdächtigt wurden, dem Pfleger bei der Bezahlung des Zolls 9 falsche Kreuzer ausgehändigt zu haben (die Gleichsetzung mit Falschmünzern gehört im Übrigen auch zu den antijüdischen Stereotypen503); sie wurden gefoltert und gestanden, wurden bald darauf aber – auch wegen ihrer „jugent und ainfaltigkait“ wieder in Freiheit gesetzt.504 Im Unterschied dazu hatte man etwa einen gewissen Melchior von „Trochtelfingen“ aus Nördlingen, bei dem man 1457 falsche Münzen gefunden hatte, nur inhaftiert und dann des Landes verwiesen.505

Der verbreitete Antijudaismus zeigt sich insbesondere in Bestrebungen zur Ausweisung der Juden, wofür es seit der Mitte des 15. Jahrhunderts einige Beispiele gibt. Vermutlich besteht ein direkter Zusammenhang mit dem finanziell erstarkenden Bürgertum, das in den Juden lästige Konkurrenten sah, und in der gleichzeitig vor allem von den Franziskanern verbreiteten Kritik an Wuchergeschäften, die nicht selten zu Hetzpredigten ausarteten und zur Dämonisierung der Juden massiv beitrugen. Während seiner Legationsreise im Gebiet nördlich der Alpen 1451/1452 versuchte etwa der päpstliche Legat Nikolaus Cusanus schon früher kirchlich geforderte Bestimmungen durchzusetzen: das Wucherverbot und die Kennzeichnungspflicht.506 Als er wenig später Bischof von Brixen wurde, wurde in einer bis um 1455 entstandenen Visitations-ordnung den Visitatoren aufgetragen darauf zu achten, dass in den jeweiligen Pfarren...

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