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E-Book

Karl Marx

Philosoph und Revolutionär - Eine Biographie

AutorRolf Hosfeld
VerlagPantheon
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl272 Seiten
ISBN9783641224332
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis11,99 EUR
Das Werk des Philosophen Karl Marx zieht noch immer viele Tausende Leser in seinen Bann - im Jahr seines 200. Geburtstags mehr denn je. Warum ist zeitweise fast die Hälfte der Menschheit seinen Ideen gefolgt? Rolf Hosfeld bringt uns den gescheiterten Revolutionär und sein umstrittenes wie grundlegendes Werk nahe. Er wirft einen unverstellten Blick auf das unruhige Leben des Philosophen und Politikers, auf die Irrtümer und Fehleinschätzungen ebenso wie auf die bahnbrechenden Ideen.
Das Buch erschien bei Piper unter dem Titel »Die Geister, die er rief. Eine neue Karl-Marx-Biografie«.

Rolf Hosfeld (1948 - 2021), promovierte über Heinrich Heine, arbeitete als Dozent, Verlagslektor, Redakteur, Feuilletonchef der Wochenzeitung »Die Woche«, Film- und Fernsehproduzent und Regisseur sowie Chefredakteur der Buchreihe »Kulturverführer«. Er verfasste zahlreiche Bücher zu kultur- und zeitgeschichtlichen Themen. Für seine in mehrere Sprachen übersetzte Karl-Marx-Biographie »Die Geister, die er rief« wurde er mit dem Preis »Das politische Buch 2010« der Friedrich-Ebert-Stiftung ausgezeichnet. Bei Siedler erschien von ihm zuletzt die Biographie »Tucholsky. Ein deutsches Leben« (2012).

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Leseprobe

Futurismus

Die Eroberung der Erde durch die Eisenbahnen war einer der Träume gewesen, die den Grafen Henri de Saint-Simon schon sehr früh umtrieben. Ende der Vierzigerjahre konnte man davon, England und Amerika ausgenommen, erst bescheidene Anfänge erleben. Doch die Erschließung der Landschaft durch die Beschleunigung des Verkehrs hatte bereits nach dem Frieden des Wiener Kongresses mit Vehemenz eingesetzt. Schnellpostlinien verkürzten auf neuen Chausseen die Fahrzeit von Berlin über Köln nach München bald von 130 auf 78 Stunden. Berlin eröffnete 1825 den innerstädtischen Verkehr mit Pferdeomnibussen. 1847 verfügte Preußen über 3200 Kilometer Eisenbahnlinien. Tunnel bohrten sich durch Berge, Brücken spannten sich über Täler und Flüsse, und die Bahndämme gehörten bald zum Bild der Landschaft, klassisch festgehalten in Adolph Menzels Ölbild ›Die Berlin-Potsdamer Eisenbahn‹ von 1847. Wirkte der dampfende Koloss bei Menzel noch wie ein irritierender Störfaktor in waidwund geschlagener Landschaft, so war William Turners ›Rain, Steam and Speed, the Great Western Railway‹ von 1844 bereits eine vollendete Apotheose auf die neue Zeit, in der alles in die leuchtenden rötlichen Farben des neuen industriellen Feuers getaucht schien. »Der blanke Stahl steigt auf und nieder,/ Belebt zum Streben alle Glieder«, dichtete der in London lebende deutsche Harfenmacher J.A. Stumpf: »Nach einem Ziel. Der große Bau/Folgt stets des Meisters Sinn genau.«193 Die Atmosphäre der Zeit war futuristisch.

Auch das ›Kommunistische Manifest‹ von 1847, das Marx und Engels in Brüssel verfassten, atmete diesen Geist des Futurismus. »Die Bourgeoisie«, heißt es da, »hat bewiesen, was die Tätigkeit des Menschen zustande bringen kann. Sie hat ganz andere Wunderwerke vollbracht als ägyptische Pyramiden, römische Wasserleitungen und gotische Kathedralen, sie hat ganz andere Züge ausgeführt als Völkerwanderungen und Kreuzzüge.« Es war eine Revolution, wie sie die Welt noch nie gesehen hatte, und sie vollzog sich unter den Augen von Zeitgenossen, die erst vor kurzer Zeit die kleinen Nischen und lieblichen Alltagsdinge der häuslichen Biedermeierwelt zu kultivieren gelernt hatten. »Die Bourgeoisie hat in ihrer kaum hundertjährigen Klassenherrschaft massenhaftere und kolossalere Produktionskräfte geschaffen als alle vergangenen Generationen zusammen«, heißt es weiter: »Unterjochung der Naturkräfte, Maschinerie, Anwendung der Chemie auf Industrie und Ackerbau, Dampfschifffahrt, Eisenbahnen, elektrische Telegrafen, Urbarmachung ganzer Weltteile, Schiffbarmachung der Flüsse, ganze aus dem Boden hervorgestampfte Bevölkerungen – welches frühere Jahrhundert ahnte, dass solche Produktionskräfte im Schoß der gesellschaftlichen Arbeit schlummerten.«194 Es war in der Tat eine Zeit, wie Marx bereits in seiner Doktorarbeit geschrieben hatte, die an Prometheus erinnerte, als er den Göttern das Feuer vom Himmel stahl.195 Es hatte fast etwas Unheimliches an sich, in welchem Maße und mit welcher Geschwindigkeit der menschlichen Welt Kräfte zugewachsen waren, die den gesamten Erdball in einen Zustand der permanenten industriellen, wirtschaftlichen und kommunikativen Revolution zu versetzen schienen.

Marx hielt diese plötzliche und geradezu überpharaonische Gewalt und Stärke des Kapitalismus für so fragil, dass er ihr keine lange Lebensdauer zutrauen wollte. »Die bürgerlichen Produktions- und Verkehrsverhältnisse«, meinte das ›Kommunistische Manifest‹, »die bürgerlichen Eigentumsverhältnisse, die moderne bürgerliche Gesellschaft, die so gewaltige Produktions- und Verkehrsmittel hervorgezaubert hat, gleichen dem Hexenmeister, der die unterirdischen Gewalten nicht mehr zu beherrschen vermag, die er heraufbeschwor.« Schon seit Jahrzehnten sei die Geschichte der Industrie und des Handels eine Geschichte der Empörung der modernen Produktivkräfte gegen die modernen Produktions- und Eigentumsverhältnisse, was in den periodisch ausbrechenden Handelskrisen besonders deutlich zu Tage trete, die immer drohender die Existenz der ganzen bürgerlichen Gesellschaft infrage stellten. In solchen gesellschaftlichen Epidemien zeige sich der ganze Widersinn der kapitalistischen Moderne. Es waren Epidemien, welche die stets unter Mangel leidende alte Welt nicht gekannt hatte und auch in ihren kühnsten Träumen nicht für möglich gehalten hätte. Es waren eben Epidemien der Überproduktion, die zu einem allgemeinen Vernichtungskrieg führten, weil aus dem ungeregelten Überfluss durch plötzliche Stockungen der Märkte ein dramatischer Mangel entstand, durch den die Menschheit unverhofft während der Wirtschaftskrisen in einen Zustand momentaner Barbarei zurückversetzt werde.196 Erst die geregelte Vernunftwelt des Kommunismus sei in der Lage, aus diesem Chaos herauszuführen und das Werk des Prometheus wirklich zu vollenden.

Marx war inzwischen Mitglied des Bundes der Kommunisten geworden. Ein misslungenes Attentat auf Friedrich Wilhelm IV. hatte abrupt seinen ersten Pariser Aufenthalt beendet. Am Morgen des 26. Juli 1844, als der preußische König und die Königin vom belebten Berliner Schlosshof zu ihrem üblichen Sommerurlaub nach Schlesien aufbrechen wollten, näherte sich ihnen der ehemalige Storkower Bürgermeister Heinrich Ludwig Tschech mit einer doppelläufigen Pistole und gab zwei Schüsse ab, die ihr Ziel jedoch knapp verfehlten. Der Pariser ›Vorwärts‹ berichtete darüber, nicht gerade pietätvoll, und die Regierung Sr. Majestät in Berlin drängte seitdem in Paris zunehmend ungehaltener auf Maßnahmen gegen die radikalen deutschen Emigranten in Paris, unter ihnen Marx. Der hatte sich Mitte August im ›Vorwärts‹ noch einmal despektierlich über Friedrich Wilhelms weihevolle Worte geäußert, Gottes Hand habe das Geschoss des Attentäters vorsorglich von ihm gewendet, und er gehe nun im Aufblick zu dem göttlichen Erretter mit fester Hand ans Werk, das Böse mit Siegesgewissheit zu bekämpfen.197 Guizot überkamen französische Skrupel, den in Berlin wegen seiner politischen Spottgedichte am meisten verhassten Heinrich Heine auszuweisen. Er zollte dessen internationalem Renommee als europäischer Schriftsteller Respekt – und »einen Voltaire«, wie man schon damals in Frankreich wusste, »verhaftet man nicht« –, doch Marx musste gehen.

Am 1. Januar 1845 erhielt er seinen Ausweisungsbefehl. Am 3. Februar bestieg er die Postkutsche nach Brüssel, wo er bis zum Ausbruch der europäischen Revolution im Frühjahr 1848 bleiben würde. Jenny folgte ihm zehn Tage später. Einen Monat lang lebten sie im Gasthof Bois Sauvage, und im Mai 1845 bezogen sie ein Reihenhaus in der Verbondsstraat am Ostrand der Stadt, die damals noch französisch Rue de l’ Alliance hieß. Caroline von Westphalen, Jennys Mutter, schickte ihnen wenig später Helene Demuth, die Tochter eines Bäckers aus Trier, als Dienstmädchen ins Haus. »Lenchen« sollte von nun an bis zu Marx’ Tod den Haushalt führen.

»Brüssel wimmelte dazumal von Flüchtlingen und Emigranten aller Art«, schrieb der Schriftsteller Alfred Meißner in seinen Erinnerungen: »An problematischen Existenzen, die der Polizei Louis Philippes aus dem Weg gegangen, war kein Mangel.«198 Marx gehörte jetzt auch zu den von der Polizei Louis Philippes Vertriebenen, die sich in der Hauptstadt dieser damals freiesten konstitutionellen Monarchie des Kontinents zusammenfanden. Anfang 1847 wurde er Mitglied im Bund der Kommunisten. Der Bund war ursprünglich 1836 in Paris unter anderem Namen gegründet worden. »Während meines ersten Aufenthaltes in Paris«, erinnerte sich Marx später, »pflegte ich persönlichen Verkehr mit den dortigen Leitern des Bundes wie mit den Führern der meisten französischen geheimen Arbeitergesellschaften, ohne jedoch in irgendeine dieser Gesellschaften einzutreten.« In Brüssel aber, wohin mich Herr Guizot verwiesen, trat er in den Bund ein, nachdem man ihm das Angebot gemacht hatte, gemeinsam mit Engels das Programm des Bundes auf der Grundlage seiner eigenen Ansichten neu zu formulieren. Marx war inzwischen unter den deutschen Kommunisten im Ausland eine Autorität geworden.

Diese Tatsache verdankte er nicht unwesentlich den vielfältigen Aktivitäten, die er, meist mit Engels, in Brüssel entfaltete. »Wir veröffentlichten gleichzeitig eine Reihe teils gedruckter, teils lithografierter Pamphlets«, erinnerte er sich später, »worin das Gemisch von französisch-englischem Sozialismus oder Kommunismus und von deutscher Philosophie, das damals die Geheimlehre des Bundes bildete, einer unbarmherzigen Kritik unterworfen, stattdessen die wissenschaftliche Einsicht in die ökonomische Struktur der bürgerlichen Gesellschaft als einzig haltbare theoretische Grundlage aufgestellt und endlich in populärer Form auseinandergesetzt ward, wie es sich nicht um Durchführung irgendeines utopistischen Systems handle, sondern um selbstbewusste Teilnahme an dem unter unsern Augen vor sich gehenden geschichtlichen Umwälzungsprozess der Gesellschaft199 Marx war, wie Engels im Rückblick schrieb, deshalb davon überzeugt, dass die materialistische Geschichtsauffassung eigener, aus der Umkehrung Hegels gewonnener Prägung »von unmittelbarer Wichtigkeit für die gleichzeitige Arbeiterbewegung« war.200 Darin bestand sein erstes und wichtigstes politisches Paradigma. Es war im Grunde genommen das Paradigma einer neuen Art von absolutem Wissen. Dahinter steckte nichts weniger als...

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