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E-Book

Leo (Jonas Leib) Stern

Ein Leben für Solidarität, Freiheit und Frieden

AutorGerhard Oberkofler
VerlagStudienverlag
Erscheinungsjahr2019
Seitenanzahl292 Seiten
ISBN9783706552561
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis24,99 EUR
'Zur Wahrheit gehört nicht nur das Resultat, sondern auch der Weg' - dieser Satz von Karl Marx trifft auf Leben und Wirken von Leo (Jonas Leib) Stern (1901-1982) zu. Aus einer ostjüdischen, in der k. k. Bukowina ansässigen Familie stammend, geht er zum Studium nach Wien und beginnt, nach einigen Jahren sozialdemokratischer Bildungsarbeit, sich ab Februar 1934 als Internationalist und Kommunist im ideologischen und bewaffneten Kampf für Solidarität, Freiheit und Frieden einzusetzen. Als Oberst der 3. Ukrainischen Front nimmt Stern an der Befreiung von Wien teil, bleibt dort als Jude und Marxist jedoch ein unerwünschter Eindringling. So nimmt Stern 1951 eine Berufung als Universitätsprofessor an die Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (DDR) an, um am Aufbau eines friedlichen Deutschlands mitzuwirken und Grundfragen der Deutschen Geschichte marxistisch aufzubereiten. Die Stationen seines Lebens spiegeln sein im wahrsten Sinne des Wortes grenzenloses Engagement wider: Woloka - Czernowitz - Salzburg - Cern?u?i (Czernowitz) - Wien - Prag - Moskau - Madrid - Moskau - Stalingrad - Taliza / Sibirien - 3. Ukrainische Front - Wien - Halle a. d. Saale. Diesen Stationen folgend, geht Gerhard Oberkofler zusammen mit Leo Sterns Sohn, Manfred Stern, dieser außergewöhnlichen europäischen Biographie des 20. Jahrhunderts nach, ergänzt durch sechs Schlüsseltexte von Leo Stern, die vollständig und im Original in diesem Buch nachzulesen sind.

Gerhard Oberkofler, Univ. Prof. i. R., Wissenschaftshistoriker, war lange Zeit als Universitätsprofessor an der Universität Innsbruck und als Leiter des dortigen Universitätsarchivs tätig. Manfred Stern, Mathematiker und Fachübersetzer (Ungarisch, Finnisch, Französisch, Italienisch, Russisch, Amerikanisch), ist der Sohn von Leo Stern.

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Leseprobe

IV. Studium der Staatswissenschaften an der Alma Mater Rudolphina. Schüler von Othmar Spann in Wien (1921 bis 1926)


Porträtfoto von Jonas Leib (Leo) Stern um 1925 (Familienarchiv)

Seit 1919 wurde an der Wiener Universität ein sechssemestriges staatswissenschaftliches Studium angeboten. Otto Glöckel (1874–1935) hat es 1919 ohne viele Rückfragen bei den stockkonservativen Juristenfakultäten installieren lassen, nachdem frühere Initiativen gescheitert waren. Das neue Studium sollte irgendwie mithelfen, für die junge Republik einen bürgerlich fortschrittlichen Beamtenapparat heranzubilden. Das war eine der vielen Illusionen von Sozialisten, mit solchen Bildungsreformen die Grundstrukturen des bürgerlichen Staates transformieren zu können.39 War Wien der richtige Studienort für Jonas Leib Stern? Am 14. November 1918 war in der von Jonas Kreppel (1874–1940) herausgegebenen jüdischen Korrespondenz („Wochenblatt für jüdische Interessen“) zu lesen, dass die „Volksrepublik Deutschösterreich“ auf seine jüdischen Bürger „jederzeit“ rechnen könne. Deutschösterreich müsse „im wahren Sinne des Wortes ein Volksstaat“ sein. Zur Zeit der Übersiedlung von LSt nach Wien war in der Republik Österreich der Kampf um die politische Macht zugunsten der Bourgeoisie entschieden. Die sozialdemokratische Parteiführung hat es während der Novemberrevolution geschickt verstanden, ihren zentristischen Kurs der Arbeiterklasse dank der für die Bourgeoisie notwendig gewordenen Zugeständnisse als revolutionär zu verkaufen. Die am 3. November 1918 gegründete Kommunistische Partei Österreichs wurde seit ihrer Gründungsphase als „eine Partei der Verwirrung“ diffamiert.40 „Der Krieg ist aus, der Kampf beginnt“ – wie dieser Klassenkampf zu führen war, das wusste der weit links stehende Vertreter des Austromarxismus Max Adler (1873–1937) auch nicht so recht.41 Die Illusion des Austromarxismus, dass die Bourgeoisie mit in Krisenzeiten abgerungenen Zugeständnissen an die Arbeiterklasse ihre Herrschaft letztendlich verlieren werde, endete im Desaster.

LSt eigenhändig ausgefülltes Nationale der Wiener Universität mit dem Stempel der Quästur vom 2. Oktober 1921 gibt als Wohnadresse die Franz-Hochedlinger-Gasse 25/15 im II. Wiener Gemeindebezirk an, als Religion mosaisch, als Muttersprache deutsch und als Staatsbürgerschaft rumänisch. Als seinen Vormund bezeichnet LSt seinen Bruder Philipp Stern, der inzwischen Anwalt in der Nähe von Czernowitz in Vășcăuți (Waschkautz) war und seinen jüngsten Bruder gerne unterstützte. Von Beginn an hatte LSt nicht das Rechtswissenschaftliche Studium, sondern die Staatswissenschaften in seinem Programm, was nicht von vorneherein als „Brotstudium“ gelten konnte. LSt inskribierte die von Max Adler angekündigte zweistündige Vorlesung über Geschichte und Theorie des Marxismus, die von Friedrich von Wieser (1851–1926) angekündigten Vorlesungen über Volkswirtschaftslehre (fünfstündig) und über Finanzwissenschaft (fünfstündig) und das von Emanuel Hugo Vogel (1875–1946) angebotene Proseminar für Finanzwissenschaft. Dekan Ernst Freiherr von Schwind (1865–1932) vidierte dieses Vorlesungsprogramm mit 25. November 1921. Bis einschließlich Sommersemester 1924 war LSt Student der Staatswissenschaften, ab dem Sommersemester 1923 wohnte er im IX. Bezirk in der Porzellangasse 53/3 ab Sommersemester 1924 in der Mühlgasse 7 in Mödling bei Wien. Am 28. November 1922 stellte LS beim Wiener Magistrat das Ansuchen um Verleihung der Wiener Landesbürgerschaft. Das Bezirksamt für den 9. Bezirk war „wegen des zu kurzen Aufenthaltes und des gänzlichen Mangels von Gründen für die Gesuchsgewährung“ für die Abweisung des Gesuchs, die Abteilung 50 des Wiener Magistrats stimmte als politische Landesbehörde aufgrund der Zustimmung der Bezirksvertretung vom 12. April 1923 mit Verfügung vom 20. September 1923 für die Verleihung. Das Gelöbnis als Staatsbürger der Republik Österreich hat LSt am 2. Oktober 1923 im magistratischen Bezirksamt für den 9. Bezirk abgelegt. Das war gewiss nicht selbstverständlich, weil die Republik Österreich ihre Staatsbürgerschaft an Ostjuden sehr restriktiv verliehen wurde.

Ob LSt mit Max Adler, Sohn eines im zweiten Wiener Gemeindebezirk ansässigen kleinbürgerlichen jüdischen Händlerfamilie und Absolvent der Wiener Universität, an der er seit 1919 als Privatdozent lehrte, wirklich ein engerer persönlicher Kontakt zustande gekommen ist, bleibt offen, er hat dessen Vorlesungen nach dem ersten Semester nicht mehr besucht. Eine über die Privatdozentur hinausgehende akademische Laufbahn war für Max Adler, der 1921 den honorarfreien Titel eines außerordentlichen Universitätsprofessors erhalten hat, wegen der rassistischen und politischen Vorbehalte nicht möglich. Auch innerhalb der Sozialdemokratie wurde er da und dort hinter vorgehaltener Hand diskriminiert. Karl Renner (1870–1950) nannte ihn auf die Antisemiten in seiner Partei schielend „Feldrabbiner des Sozialismus“.42 Leo Trotzki (1879–1940) hat Max Adler als „eine ziemlich komplizierte Abart des austromarxistischen Typus“ charakterisiert: „Er ist ein Lyriker, ein Philosoph, ein Mystiker – der philosophische Lyriker der Passivität, wie Renner ihr Tagesschriftsteller und Rechtsgelehrter“.43 Der aus einer jüdischen Familie stammende Walter Schiff (1866–1950), dessen fünfstündige Vorlesung über „Volkswirtschaftspolitik“ LSt im Sommersemester 1924 besuchte, dürfte den Namen seines Hörers „Jonas Leib Stern“ mit Interesse gelesen haben, denn ein Zweig der Familie Schiff nannte sich auch Stern.44 Schiff engagierte sich mit seinem Freund Ludwig Moritz Hartmann (1865–1924) in der von diesem initiierten Wiener Volkshochschule und war in deren Vorstand.45 Schiff wird später LSt als Kursleiter empfohlen haben. Von 1931 bis 1934 war Schiff geschäftsführender Leiter des „Volksheimes Ottakring“. Zuerst Mitglied der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Österreichs war Schiff seit 1934 Mitglied der illegalen Kommunistischen Partei Österreichs, von 1930 bis 1934 Vorsitzender des „Antikriegskomitees“ und Zweiter Präsident des „Bundes der Freunde der Sowjetunion“ sowie seit 1933 im „Dimitroff-Komitee“ und in der „Rote Hilfe“ tätig. Nach den Kämpfen vom Februar 1934 wurde Schiff aus allen beruflichen Ämtern entlassen, seine Wohnung blieb bis 1938 wichtiger konspirativer Treffpunkt der illegalen Kommunisten und Revolutionären Sozialisten (illegale Sozialdemokraten und Sozialisten).

Das zweistündige Seminar für Allgemeine Staatslehre von Hans Kelsen (1881–1973) war für LSt eine Pflichtveranstaltung, die er im Sommersemester 1923 absolvierte, ebenso dessen zweistündige Vorlesung über die politische Theorie des Sozialismus (Sommersemester 1924). Beim Abtestat dürfte ihn Leo Strisower (1857–1931) angesprochen haben, der stammte aus Brody, war mosaisch und las vierstündig über Völkerrecht (Sommersemester 1922 und 1923). Dasselbe kann für Carl Grünberg (1861–1940) angenommen werden, der, Absolvent des Gymnasiums in Czernowitz, über Wirtschaftsgeschichte dreistündige Vorlesungen angekündigt hatte, die LSt besucht hat (Sommersemester 1923). Der als akademischer Marxist arbeitende Grünberg hat Wien schon 1924 in Richtung Frankfurt verlassen, weshalb ihn LSt nicht näher kennenlernen hat können. Den 1919 nach Wien berufenen Othmar Spann (1878–1950) und dessen zum Austrofaschismus hinführende Ideologie von der ständischen Struktur der Gesellschaft hat LSt im Winter- (einstündige Vorlesung „Geschichte und Kritik des Sozialismus“) und Sommersemester 1922/23 (einstündige Vorlesung „Einführung in die deutsche Sozialphilosophie“ und zweistündige Veranstaltung „Volkswirtschaftslehre und gesellschaftliche Übungen“) kennengelernt. Weiters hat LSt Pflichtveranstaltungen von Adolf Menzel (1857–1938) und von anderen Vortragenden belegt. Im Sommersemester 1923 hat LSt die von Othmar Spann angebotene „Einführung in die deutsche Sozialphilosophie“ (einstündig) und dessen „Volkswirtschaftliche und gesellschaftliche Übungen (zweistündig) inskribiert. Von Spann war LSt sichtlich angetan, jedenfalls sprach er sich mit ihm wegen seiner geplanten Dissertation ab. Das Werk von Spann über die Haupttheorien der Volkswirtschaftslehre auf dogmengeschichtlicher Grundlage war ein die kleinbürgerliche Studentenschaft ansprechende Lehrmeinung. Erich Kästner (1899–1974) erzählt 1931 in seiner Geschichte eines Moralisten treffsicher jenes studentische Argumentationspotential, das heute wieder bei Transform-Linken herumgeistert.46 Von seiner nationalistischen Kriegshetze im Sommer 1914 hat sich Spann nie distanziert.47 Das Dissertationsthema von LSt „Der universalistische Gedanke im Merkantilismus“ entsprach dem einsturzgefährdeten Gedankenhochhaus von Spann. Das traditionelle Handwerk, der Kleinhandel und die Bauernschaft seien bloß durch eine falsche Wirtschafts- und Sozialpolitik deklassiert worden, seine „Stände“-Theorie mit dem universalistischen Gemeinschaftsgedanke könnten das reparieren.48 „… diese Querverbindung von Klassen sei möglich, da die Jugend wenigstens die Elite, den hemmungslosen Egoismus verabscheue und außerdem klug genug sei, eine Zurückführung in organische Zustände einem unvermeidlichen Zusammenbruch des Systems vorzuziehen“ – so lässt Kästner seinen Fabian in Vorbereitung eines deutschen Universitätsseminars sprechen.49 In der Konsequenz gehörte Spann zu den Wegbereitern des katholischen Faschismus in Österreich. Hans Mayer (1879–1955), der als Nachfolger des emeritierten Friedrich von Wieser seit Sommersemester 1923 in Wien als Nationalökonom lehrte...

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