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E-Book

Ludwig van Beethoven - Fidelio

Ein 3D-Opernführer

AutorBernd Oberhoff
VerlagBooks on Demand
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl176 Seiten
ISBN9783746007939
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Bernd Oberhoff decodiert Beethovens Oper Fidelio als ein "Drei-in-eins-Theaterstück". Es werden vom Autor drei Sinnebenen freigelegt, die jeweils eine andere Geschichte erzählen. Am Ende zeigt sich, dass alle drei Geschichten eine Ganzheit bilden, wenn man sie aus einer holographischen Perspektive betrachtet.

Bernd Oberhoff (Jg. 1943), PD Dr. phil., Diplom-Psychologe, Gruppenanalytiker, psychodynamischer Musikforscher, Privatdozent für Soziale Therapie an der Universität Kassel, Supervisor in freier Praxis in Münster. Langjähriger Leiter zweier Kammerchöre. Seit nunmehr 20 Jahren ist der Autor im Forschungsfeld psychodynamische Musikanalyse aktiv. Neben zahlreichen Sammelbänden zu dieser Thematik (zusammen mit anderen Autoren), sind in dieser Zeit die folgenden Komponisten-Monographien erschienen: Christoph Willibald Gluck (1999), Heinrich Schütz (2006), Wolfgang Amadeus Mozart (2008), Richard Wagner Ring des Nibelungen (2012), Richard Wagner inside (2016). Außerdem vierzehn kleine psychoanalytische Opernführer zu Opern von Mozart, Gluck, v. Weber und Wagner.

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Leseprobe

Fidelio I – konventionell


Der Triumph der ehelichen Liebe


1. Marzellines illusionäre Hochzeitspläne

Wenn sich nach dem Verklingen der Ouvertüre der Vorhang hebt, schaut der Zuschauer auf den tristen Hof eines Staatsgefängnisses. Diese Örtlichkeit wird in der Bühnenanweisung sehr genau beschrieben:

Im Hintergrund das Haupttor und eine hohe Wallmauer, über die Bäume hervorragen. Im geschlossenen Tore selbst ist eine kleine Pforte, die für einzelne Fußgänger geöffnet wird. Neben dem Tore das Stübchen des Pförtners. Die Kulissen, von den Zuschauern links, stellen die Wohngebäude der Gefangenen vor, alle Fenster haben Gitter, und die mit Namen bezeichneten Türen sind mit Eisen beschlagen und mit starken Riegeln verwahrt. In der vordersten Kulisse ist die Tür zur Wohnung des Gefangenenwärters. Rechts stehen Bäume, mit eisernen Geländern eingefasst, welche nebst einem Gartentore den Eingang zum Schlossgarten bezeichnen.

Es treten auf: Marzelline, die Tochter des Gefängnisaufsehers Rocco sowie Jaquino, ein junger Pförtner, der in Marzelline verliebt ist. Es wird ziemlich bald klar, das Jaquinos Liebe von Marzelline nicht (mehr) erwidert wird, und zwar seit dem Zeitpunkt, als ein junger Schließer mit Namen Fidelio in die Dienste des Vaters eintrat. Am Ende ihres Streit-Duetts wird Jaquino vom Gefängnisaufseher Rocco an die Arbeit gerufen, einem Ruf, dem dieser nur missmutig folgt. Nun hat Marzelline freie Bahn, ihren Liebesgefühlen gegenüber Fidelio in einer zweistrophigen Arie Ausdruck zu verleihen:

Nr. 2 Arie

Marzelline

O wär‘ ich schon mit dir vereint

und dürfte Mann dich nennen!

Ein Mädchen darf ja, was es meint,

zur Hälfte nur bekennen.

Doch wenn ich nicht erröten muß

ob einem warmen Herzenskuß,

wenn nichts uns stört auf Erden –

(Sie seufzt und legt die Hand auf die Brust.)

Die Hoffnung schon erfüllt die Brust

mit unaussprechlich süßer Lust,

wie glücklich will ich werden!

In Ruhe stiller Häuslichkeit

erwach‘ ich jeden Morgen,

wir grüßen uns mit Zärtlichkeit,

der Fleiß verscheucht die Sorgen.

Und ist die Arbeit abgetan,

dann schleicht die holde Nacht heran,

dann ruh’n wir von Beschwerden.

Die Hoffnung schon erfüllt die Brust

mit unaussprechlich süßer Lust,

wie glücklich will ich werden!

Der Zuschauer ahnt es bereits, dass dieser Fidelio, dem Marzellines schmachtende Liebesarie gilt, in Wahrheit eine Frau ist. Sie trägt den Namen Leonore, hat sich als Mann verkleidet und sich den Namen Fidelio zugelegt, um eine Anstellung als Schließer zu bekommen. Leonore möchte ihrem Ehemann Florestan nahe sein, der unschuldig in diesem Gefängnis einsitzt. Sie hofft insgeheim, möglichst bald zu ihren Gatten ins Gefängnisinnere hinabsteigen zu dürfen, um ihn aus seiner unglücklichen Lage zu befreien. Rocco durchschaut diese mann-weibliche Maskerade nicht und ist sogar bereit, dem Ehewunsch seiner Tochter Marzelline mit diesem Fidelio seinen väterlichen Segen zu erteilen. Doch bevor es dazu kommt, weist er nach echter Singspielart das Paar darauf hin, dass für eine Ehe nicht nur Liebe, sondern auch Geld vonnöten ist. So heißt es in der ersten Strophe seiner Arie:

Nr. 4 Arie

Rocco

Hat man nicht auch Gold beineben,

kann man nicht ganz glücklich sein,

traurig schleppt sich fort das Leben,

mancher Kummer stellt sich ein.

Doch wenn’s in den Taschen fein klingelt und rollt,

da hält man das Schicksal gefangen,

und Macht und Liebe verschafft dir das Gold

und stillet das kühnste Verlangen.

Das Glück dient wie ein Knecht für Sold,

es ist ein schönes Ding, das Gold.

Leonore spielt, so gut es ihr gelingen will, dieses illusionäre Liebesspiel mit, wird jedoch äußerst hellhörig, als Rocco auf einen im Kerkerverlies einsitzenden Gefangenen zu sprechen kommt, bei dem es sich um ihren Florestan handeln könnte. Zu ihrem Schrecken erfährt sie, dass Rocco auf Befehl des Gouverneurs Pizarro die Essensportionen für diesen Gefangenen immer mehr reduziert hat, um ihn allmählich verhungern zu lassen. Leonore bittet darum, mit ins Innere des Kerkers zu diesem Gefangenen hinabsteigen zu dürfen. Als Marzelline und Rocco bezweifeln, ob Fidelio dafür nervenstark genug ist, entgegnet sie entschieden: „Ich habe Mut und Stärke“. Alle drei singen daraufhin das folgende Terzett:

Nr. 5 Terzett

Rocco

Gut, Söhnchen, gut,

hab‘ immer Mut,

dann wird’s dir auch gelingen;

das Herz wird hart

durch Gegenwart

bei fürchterlichen Dingen.

Leonore (mit Kraft):

Ich habe Mut,

mit kaltem Blut

will ich hinab mich wagen;

für hohen Lohn

kann Liebe schon

auch hohe Leiden tragen.

Marzelline (zärtlich):

Dein gutes Herz

wird manchen Schmerz

in diesen Grüften leiden,

dann kehrt zurück

der Liebe Glück

und unnennbare Freuden.

Nach diesem munteren Terzett ist es für Rocco an der Zeit, dem Gouverneur Pizarro die Briefschaften vorzulegen.

2. Die finsteren Mordpläne
des Gouverneurs Pizarro

Zu den Klängen eines Marsches (Nr. 6) tritt der Gouverneur Pizarro auf die Bühne. Er schickt sogleich eine Wache auf den Wall, die frühzeitig durch ein Trompetensignal darauf aufmerksam machen soll, falls der Minister erscheint, um die Rechtmäßigkeit der Inhaftierung der Gefangenen zu überprüfen. Und da Florestan von Pizarro einzig aus dem Grund, weil er dessen dunkle Machenschaften aufdecken wollte, in den Kerker geworfen wurde, sieht Pizarro Eile geboten, diesen Gefangenen endgültig zu beseitigen. Er führt sich ein mit einer Rache-Arie:

Nr. 7 Arie mit Chor

Pizarro

Ha, welch ein Augenblick!

Die Rache werd‘ ich kühlen,

dich rufet dein Geschick!

In seinem Herzen wühlen,

o Wonne, großes Glück!

Schon war ich nah‘, im Staube,

dem lauten Spott zum Raube,

dahingestreckt zu sein.

Nun ist es mir geworden,

den Mörder selbst zu morden;

in seiner letzten Stunde,

den Stahl in seiner Wunde,

ihm noch ins Ohr zu schrei’n:

Triumph! Der Sieg ist mein!

Zunächst versucht der Gouverneur seinen Wärter Rocco mit Geld zu locken, den Mord an dem Gefangenen Florestan zu vollziehen. Als Rocco ablehnt („Nein, Herr, das Leben nehmen, das ist nicht meine Pflicht“), ist Pizarro schnell bereit, selbst den Mord zu verüben.

Pizarro

Dann werd‘ ich selbst, vermummt,

mich in den Keller schleichen –

(er zeigt den Dolch)

Ein Stoß – und er verstummt!

Rocco weigert sich zwar, den Gefangenen zu morden, ist aber immerhin bereit, ihm das Grab zu schaufeln. Pizarro entfernt sich.

3. Leonore beschwört den
„innern Trieb“ der Gattenliebe

Leonore hat alles mitangehört und ist entsetzt über die kaltherzigen Mordabsichten des Gouverneurs Pizarro, was sie in ihrem ersten großen Soloauftritt unerschrocken kundtut.

Nr. 9 Rezitativ und Arie

Leonore

Abscheulicher, wo eilst du hin,

was hast du vor in wildem Grimme?

Des Mitleids Ruf, der Menschheit Stimme,

(heftig) rührt nichts mehr deinen Tigersinn?

Doch toben auch wie Meereswogen

dir in der Seele Zorn und Wut,

so leuchtet mir ein Farbenbogen,

der hell auf dunklen Wolken ruht;

der blickt so still, so friedlich nieder,

der spiegelt alte Zeiten wider,

und neu besänftigt wallt mein Blut.

Komm, Hoffnung, laß den letzten Stern

der Müden nicht erbleichen!

Erhell‘ mein Ziel, sei’s noch so fern,

die Liebe wird’s erreichen.

Ich folg‘ dem innern Triebe,

ich wanke nicht,

mich stärkt die Pflicht

der treuen Gattenliebe!

O du, für den ich alles trug,

könnt‘ ich zur Stelle dringen,

wo Bosheit dich in Fesseln schlug,

und süßen Trost dir bringen!

Ich folg‘ dem innern Triebe,

ich wanke nicht,

mich stärkt die Pflicht

der treuen Gattenliebe!

(ab in den Garten)

Die Gattenliebe, der sich Leonore zutiefst verpflichtet fühlt, treibt sie offenbar zu Höchstleistungen an. Beethoven schickt die Sängerin beim Wort „Gattenbliebe“ bis zum hohen H (mit Fermate!) hinauf, so als wollte er damit ausdrücken: Wer dieses hohe H schafft, der ist auch zu anderen Großtaten fähig.

Rocco hat beim Gouverneur erwirkt, dass Leonore zu dem Gefangenen...

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