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Migration in Großbritannien 1960 bis 1990. Analyse von Prosatexten afro-karibischer Einwanderer, den 'Black British'

AutorLukas Kroll
VerlagStudylab
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl67 Seiten
ISBN9783668177178
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis29,99 EUR
Das Thema 'Migration und Integration' ist zeitlos. Seit jeher waren mit Wanderungsprozessen auch Konflikte verbunden. Auf ein neues Fundament wurde die politische Diskussion im Rahmen der Nationalstaatsbildung im Europa des 19. Jahrhunderts gestellt. Seither gibt es mehr oder minder willkürlich gewählte, feste Definitionen der eigenen Volksnation. Deren Kulturkonzept kann zumeist als Abgrenzung gegen fremde Nationen und Kulturen verstanden werden.? Diese Arbeit betrachtet die Chancen und Probleme, die Migration und Integration mit sich bringen. Im Fokus der Arbeit stehen die Kurzprosa-Texte (novels) der afro-karibischen Einwanderer Großbritanniens, die unter dem Sammelbegriff 'Black British' zusammengefasst werden. Die afro-karibischen Einwanderer stellen, neben den asiatischen, die größte Migrantengruppe dar und betätigten sich bereits früh als Kulturschaffende. Die Analyse soll weniger literaturtheoretische Aspekte behandeln, als vielmehr die Literatur in ihrer Funktion als gestaltendes Medium für Identität erfassen. Behandelte Texte: Sam Selvon: 'The Lonely Londoners' (1956), Moses Ascending' (1975) Caryl Phillips: 'The final passage' (1985) Joan Riley: 'The Unbelonging' (1985) Bevor jedoch auf die genannten literarischen Erzeugnisse der afro-karibischen Einwanderer eingegangen werden soll, gilt es einige entscheidende und einflussnehmende Rahmenbedingungen zu erläutern, in denen die genannten kulturellen Produktionsprozesse ablaufen. Zunächst einmal wird zu diesem Zweck der Forschungsstand dargestellt, der sich primär auf die wissenschaftlichen Felder der 'Postcolonial' sowie 'Cultural Studies' bezieht, und diese auch vor dem Hintergrund des Forschungsgegenstandes kontextualisieren soll. Daraufhin soll ein kurzer Überblick über die Geschichte der Migration in Großbritannien nach dem Zweiten Weltkrieg erfolgen. Unumgänglich ist hierbei die Rekurrenz auf den Rassismus-Diskurs und die 'Riot'-Bewegung der 1980er Jahre.

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Leseprobe

3. Migration in Großbritannien – politische und gesellschaftliche Rahmenbedingungen


 

Die Migrationsbewegungen der Nachkriegsjahre in Großbritannien stehen unter dem Zeichen kolonialer Tradition. Das britische Empire sicherte jedem seiner Untertanen die volle britische Staatsbürgerschaft und somit auch das Einreiserecht in das koloniale Mutterland zu. Der Arbeitskräftemangel in den ersten Jahren nach Ende des Krieges führte zudem dazu, dass sich in Großbritannien eine Anwerbe-Industrie für ausländische Arbeiter etablierte.[40] Vor allem in der Textil-Industrie und im Gesundheitssektors wurde dabei auf weibliche Arbeitskräfte aus den Kolonien zurückgegriffen. Die übrigen Bedarfsfelder wurden aufgrund politischer Bedenken primär mit europäischen Arbeitskräften aufgestockt.[41] Bereits im Jahr 1950 wurden erste politische Initiativen ins Leben gerufen, die sich mit kolonialer Immigration auseinandersetzten. Ihnen gemein war die Annahme, dass koloniale Immigration zu sozialen und innenpolitischen Problemen führen würde und sie deshalb bereits in ihren Ansätzen stark zu limitieren sei.[42] Bereits nach Ankunft der „Empire Windrush“ und der „SS Orbita“ im Jahr 1948, die erstmals karibische Einwanderer nach Großbritannien brachten, hatte es politische Diskussionen gegeben, die aber genau wie die Debatten zu Beginn der 50er Jahre aufgrund der geringen Zahl an kolonialen Einwanderern schnell wieder abebbten.[43] Allerdings zeigen diese politischen Bemühungen deutlich die unterschiedliche Einschätzung bezüglich kolonialer und europäischer Immigration.

 

It is extraordinary that, at a time when Irish immigration was estimated to be 60,000 per year, immigration controls should have been considered in order to prevent the entry of a mere 3,000 people who, as colonial and Commonwealth citizens, were British subjects.[44]

 

Wenig überraschend ist daher auch das erneute Einsetzen der Diskussionen um Immigrationsbegrenzungen für britische Staatsbürger des Commonwealths oder der Kolonien im Anschluss an den ‚McCarran-Walter Immigration Act‘ der USA aus dem Jahr 1952, der die Einwanderung karibischer Migranten stark reglementierte und begrenzte.[45] Die anhaltend schlechte Wirtschaftslage in der Karibik, hauptsächlich auf Jamaika, führte in Folge dessen zu einer vermehrten Migration nach Großbritannien.[46] Auf politischer Ebene wurde abermals versucht dieser Tatsache durch ein Gesetz zur Kontrolle der Immigration zu begegnen. Der Entwurf wurde am 27.Oktober 1955 vorgelegt, aufgrund der klar diskriminierenden Ausrichtung aber nicht vom Kabinett verabschiedet.[47] Stattdessen wurde eine Kommission eingerichtet, deren Aufgabe darin bestand, den aktuellen Stand der Immigration aus den Kolonien zu erfassen und daraus politische Handlungsempfehlungen abzuleiten. Das Ergebnis, das im Juni 1956 vorgelegt wurde, zeigte zwar einen deutlichen Anstieg an kolonialer Immigration, die erwarteten innenpolitischen und sozialen Probleme und Spannungen blieben jedoch – bis auf kleinere Vorfälle im Bereich der Wohnungssuche – laut Bericht aus.[48] Vielmehr zeigte sich, dass die karibischen und asiatischen Einwanderer den Arbeitsbedarf im Niedriglohnsektor und im Bereich der ungelernten Arbeitskräfte bedienten.[49] Dass sich die gesellschaftliche Reaktion auf Immigration sehr viel diffiziler gestaltete als es der Kommissionsbericht nahelegt, lässt sich bereits anhand der ersten ‚anti-black riots‘ in den Jahren 1948/49 nachweisen.[50] Wurde zunächst nur von lokalen Einzelvorkommnissen gesprochen, so änderte sich diese Sachlage im Anschluss an die ‚riots‘ 1958 in Notting Hill und Nottingham.[51] Die Dimensionen und die Brutalität der Unruhen rückte das Thema Immigration in den Fokus der Öffentlichkeit.[52] Zwar wurde die Gewalt, mit der vorgegangen wurde, strikt verurteilt, parallel setzte jedoch eine erneute politische Diskussion um die Begrenzung „farbiger“ Zuwanderung aus den Kolonien ein, die rassistische Ausprägungen aufwies.[53] George Rogers, Labour-Abgeordneter, äußerte beispielsweise gegenüber der „Daily Sketch“:

 

The government must introduce legislation quickly to end the tremendous influx of coloured people from the Commonwealth … overcrowding has fostered vice, drugs, prostitution and the use of knives. For years the white people have been tolerant. Now their tempers are up.[54]

 

Die Forderung nach Einwanderungskontrollen überschattete bald die Kritik an der Gewalt und den Motiven der ‚anti-black riots‘. Die Labour-Partei positionierte sich zwar als Gegner von Immigrationsbeschränkungen, verschiedene Meinungsumfragen zeigten aber deutlich die ablehnende Haltung der Bevölkerung gegenüber „farbigen“ Immigranten auf und machten die politische Auseinandersetzung zu einer öffentlichen Debatte, die fortan in den Medien ausgetragen wurde.[55] Während sich die konservative Fraktion des britischen Kabinetts in Kooperation mit einigen Labour-Abgeordneten, zu denen auch bereits genannter George Rogers zuzuordnen war, auf eine Kampagne zur Kontrolle kolonialer Immigration einigte, erfolgte in der Presse eine umfassende Debatte über die soziale Lage der „farbigen“ Migranten, die von seriösen Bestandsaufnahmen bis hin zu rechtspopulistischer Meinungsmache reichte.[56]

 

Die Repolitisierung der Migrationsgesetzgebung erfolgte im Lauf der zweiten Hälfte des Jahres 1959. Steigende Arbeitslosenzahlen unter Migranten sowie technische Innovationen, geburtenstarke Jahrgänge, die Abschaffung der Wehrpflicht und die anhaltende Migration irischer Arbeiter waren die Argumente des ‚Ministry of Labour‘ für die Einführung von Einwanderungskontrollen aus Kolonialgebieten.[57] Der politische Restriktionismus, der sich im Bezug auf koloniale Einwanderung schon seit 1948 angedeutet hatte, fand 1962 im ‚Commonwealth Immigrants Act‘ (CIA) seine Umsetzung. Das Einreise- und Staatsbürgerschaftsrecht wurde derart reformiert, dass koloniale Staatsbürger zukünftig nur noch unter Nachweis einer Arbeitsstelle in Großbritannien (Kategorie A), einer Ausbildung in einem Bedarfsfeld (Kategorie B) oder über eine jährliche Quote von ungelernten Arbeitskräften (Kategorie C) einreisen konnten.[58] Zu diesem Zweck wurde auch die Staatsbürgerschaft als solche reformiert. Der ‚Commonwealth Immigrants Act‘ schafft eine Zwei-Klassen-Staatsbürgerschaft, die sich am Kriterium der pass-ausstellenden Behörde ausrichtet. Wurde der britische Pass von einer Kolonialregierung oder kolonialen Verwaltungsorganisationen erteilt, so fiel er künftig dennoch unter die bereits genannten Bestimmungen. Lediglich die Bürger der unabhängigen Commonwealth-Staaten sowie irische Staatsbürger waren von dieser Regelung ausgenommen.[59] Die künstliche Schaffung zweier klassifizierender Staatsbürgerschaften war die politische Antwort auf die Bedenken gegenüber „farbiger“ Einwanderung aus den Kolonialgebieten und dem sich daraus ergebenden sozialen und innenpolitischen Konfliktpotenzial. Formal war damit die Politisierung des „Rassen“-Diskurses erreicht. Wie sehr sich dieser politisch missbrauchen ließ, zeigte die Abgeordneten-Wahl in Smethwick zwischen Patrick Gordon Walker und Peter Griffiths im Jahr 1964. Griffiths bediente sich offen rassistischer Slogans, die er als Spiegelbild der öffentlichen Meinung rechtfertigte, und entschied die Wahl für sich.[60] Hatte sich die Labour-Partei im Nachfeld der ‚riots‘ von 1958 noch als entschiedener Gegner von Einwanderungskontrollen positioniert, so geriet diese Position nun ins Wanken. Als Harold Wilson 1964 Premier Minister wurde, entschied sich Labour für die Beibehaltung des ‚Immigrants Act‘. Stattdessen formulierte man im Folgejahr den ersten ‚Race Relations Act‘ (RRA), der gesprochene, geschriebene oder öffentliche Diskriminierung untersagte, sie aber nicht kriminalisierte.[61] Der ‚Race Relations Act‘ war der Versuch der Einhaltung eines Versprechens, das man mit der Beibehaltung des ‚CIA‘ 1962 bereits gebrochen hatte.[62] „The origins of the first Race Relations Act and its weakness can be explained by the internal and external pressures on Labour government that introduced and passed the legislation.”[63]

 

Der ‘RRA’ war somit bestenfalls eine Wohlwollensbekundung und ein Versuch enttäuschte Wähler zu beschwichtigen. Die wesentlichen Problemfelder, denen sich Migranten in Großbritannien ausgesetzt sahen, behandelt der ‚Act‘ jedoch nicht. Diese lagen immer noch schwerpunktmäßig im Bereich des Wohnraums und am Arbeitsplatz. Die Rassismus-Studie des Forschungsinstituts für ‚Political and Economic Planning‘ (PEP) aus dem Jahr 1967 lieferte eine erste Bestandsaufnahme zu diesem Thema. Ihr ist zu entnehmen, dass sich Diskriminierung primär an der Hautfarbe orientierte. Während 34 bis 44 Prozent der befragten „farbigen“ Immigranten angaben, mit Diskriminierung konfrontiert zu sein, waren es unter den Zyprioten lediglich sechs Prozent.[64] Im Bezug auf die beiden genannten Problemfelder Beruf und Wohnraum konstatiert der Bericht ebenfalls massive Benachteiligungen. Die Diskriminierung am Arbeitsplatz wurde seitens der Arbeitgeber oder Arbeitskollegen mit...

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