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Rainer Maria Rilke

Ein Wissender des Herzens

AutorAlfred Schütze
VerlagVerlag Urachhaus
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl151 Seiten
ISBN9783825161408
FormatPDF/ePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis14,99 EUR
Nicht zuletzt die Zeitgenossenschaft ermöglicht es Schütze, mit einem distanzlosen Blick auf den Dichter über ihn zu schreiben, wie es späteren Biografen aus der historischen Distanz nicht mehr möglich war. Aus diesem Grund haben wir uns entschieden, diese »Biografie erster Hand« dem heutigen Leser wieder zugänglich zu machen.

Alfred Schütze, geboren 1903 in Berlin, studierte Naturwissenschaften, interessierte sich aber schon früh für Literatur und philosophische Fragestellungen. 1927 wurde er Pfarrer der Christengemeinschaft und betreute die Gemeinden in Wuppertal, Stettin und Frankfurt. In seinem schriftlichen Werk beschäftigte er sich mit seelsorgerischen, philosophischen und mythischen Themen. Schütze starb 1972 in Frankfurt.

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Leseprobe

Das Wort


Denn das Wort muss Mensch werden.

Das ist das Geheimnis der Welt!

Goethe hat in jener Szene des Faust, in der sich dieser an die Übersetzung des Johannes-Evangeliums wagt, in einer bedeutsamen Weise das Verhältnis des Menschen zum Wort charakterisiert:

»Geschrieben steht: Im Anfang war das Wort!

Hier stock ich schon! Wer hilft mir weiter fort?

Ich kann das Wort so hoch unmöglich schätzen,

Ich muss es anders übersetzen,

Wenn ich vom Geiste recht erleuchtet bin.

Geschrieben steht: Im Anfang war der Sinn.

Bedenke wohl die erste Zeile,

Dass deine Feder sich nicht übereile!

Ist es der Sinn, der alles wirkt und schafft?

Es sollte stehn: Im Anfang war die Kraft!

Doch, auch indem ich dieses niederschreibe,

Schon warnt mich was, dass ich dabei nicht bleibe.

Mir hilft der Geist! Auf einmal seh ich Rat

Und schreibe getrost: Im Anfang war die Tat

Rembrandt, Faust. Rijksmuseum Amsterdam, um 1652

Man hat in diesen Versen Goethes eigene Stellung zum Worte sehen wollen, wie man ja häufig genug in naiver Weise die Faust-Gestalt mit Goethe zu identifizieren pflegt. Obendrein kommt die Zeitmeinung über das Wesen des Wortes dieser Deutung entgegen, sodass man keinen Anstand nahm, auch in den obigen Sätzen der Faust-Dichtung ein Stück jener Konfession zu sehen, wie sie im Ganzen genommen tatsächlich in seinen Werken niedergelegt ist. Man vergisst bei solcher Auslegung nur, dass Goethe im Faust einen menschlichen Entwicklungsgang darstellt, der ja auch durch zahllose Irrtümer und Tiefen führt. Wenn man sich daraufhin die künstlerische Komposition der obigen Szene genauer ansieht, wird man gewahr, wie die Szene ihre innere dramatische Spannung durch die Anwesenheit des Pudels bekommt, in dem Mephisto verborgen ist.

Wenn die obigen Ausführungen über den Logos auch nicht unmittelbar auf das menschliche Wort angewendet werden dürfen, so liegt doch ein bedeutungsvolles Geheimnis in der Tatsache, dass man glaubte, den Begriff über das Erzeugnis menschlicher Sprachfähigkeit zur Kennzeichnung des Göttlichen verwenden zu dürfen. Hier offenbart sich die instinktive Weisheit der frühgriechischen Philosophie, der ja der Logos-Begriff als Name für das göttliche Schöpferwesen entstammt. Denn im menschlichen Wort liegen die Keimkräfte zu einer Schöpferfähigkeit, die weit über das bloß Dichterische hinausgeht. Diese Größe und Heiligkeit des Wortes wird freilich heute kaum geahnt.

Natürlich musste der junge Rilke erst durch innere Wandlungen hindurchgehen, ehe er die volle Bedeutung seines Auftrags bewusst ergreifen konnte. Selbst die Versuchung, wie Faust das Wort zu unterschätzen, blieb ihm nicht erspart. In den »Dramaturgischen Blättern«, einer Beilage zum »Magazin für Literatur«, schrieb der 23-jährige Rilke in einer Antwort auf einen Beitrag über die Berechtigung des Monologs im Drama:

»Aber man wird einmal aufhören müssen, ›das Wort‹ zu überschätzen. Man wird einsehen lernen, dass es nur eine von den vielen Brücken ist, die das Eiland unserer Seele mit dem großen Kontinent des gemeinsamen Lebens verbinden, die breiteste vielleicht, aber keineswegs die feinste. Man wird fühlen, dass wir in Worten nie ganz aufrichtig sein können, weil sie viel zu grobe Zangen sind, welche an die zartesten Räder in dem großen Werk gar nicht rühren können, ohne sie nicht gleich zu erdrücken. Man wird es deshalb aufgeben, von Worten Aufschlüsse über die Seele zu erwarten, weil man es nicht liebt, bei seinem Knecht in die Schule zu gehen, um Gott zu erkennen …«2

Für den Freund menschlicher Schicksalszusammenhänge ist es nicht ohne Reiz, die Antwort des damaligen Herausgebers des »Magazin für Literatur«, Rudolf Steiner, darauf zu lesen:

»… Es scheint mir nämlich, als hätte es einen Künstler gegeben, der Rilkes Worte unterschrieben hätte: ›Aber es gibt etwas Mächtigeres als Taten und Worte.‹ ›Diesem Leben Raum und Recht zu schaffen, scheint mir die vorzügliche Aufgabe des modernen Dramas zu sein.‹– Dieser Künstler ist Richard Wagner. Und er hat das von Rilke aufgeworfene Problem in einer ganz bestimmten Weise zu lösen gesucht. Er meinte, dass dasjenige, was von diesem Leben in Worten nicht ausdrückbar ist, die Sprache der Musik suchen muss. Der Verfasser des obigen Aufsatzes dagegen lässt die Frage, die er aufwirft, unbeantwortet. Ich glaube aber auch noch, dass er die Ausdrucksfähigkeit des Wortes unterschätzt. Im Grunde lässt das Wort noch mehr ahnen, als es klar und deutlich zum Ausdrucke bringt. Und wenn man sich an diesen tieferen, durch Ahnung zu erreichenden Sinn des Wortes hält, dann kann es − nach meiner Meinung − bis zu den verborgensten Tiefen des Seelenlebens hinweisen. Man darf es dem Worte nicht zum Vorwurfe machen, dass es von den meisten Menschen nicht tief genug genommen wird. Es ist nicht eigentlich selbst eine grobe Zange, sondern eine feine Zange, die zumeist von groben Händen gehandhabt wird. Rilke scheint mir einer von den Kritikern des Wortes zu sein, die dem Worte zurechnen, was eigentlich den − Ohren der Hörenden abgeht.«3

Rilke erwiderte hierauf:

»Ihre Bemerkungen zu ›Der Wert des Monologs‹ sind treffend. Sie beschäftigen mich. […] Es scheint in der Tat, als ob ich dem ›Worte‹ arg unrecht getan hätte. Man darf nicht vergessen: Ich habe nicht an jene einsamen Worte gedacht, in welche gehüllt große Vergangenheiten unter uns leben wie Zeitgenossen. Das Wort des Verkehrs, das kleine, tägliche, bewegliche habe ich beobachtet, das im Leben wirkt oder doch zu wirken scheint …

An dieses Wort denke ich, wenn ich behaupte, die Seele hätte nicht Raum in ihm. Ja es scheint mir geradezu, als wären Worte solcher Art vor dem Menschen wie Mauern; und ein falsches, verlorenes Geschlecht verkümmerte langsam in ihren schweren Schatten. […]

Jedes Wort ist eine Frage, und das, welches sich als Antwort fühlt, erst recht. Und in diesem Sinn ist Ihre Bemerkung richtig, dass die Worte, unvermögend Offenbarungen zu geben, vieles ahnen lassen. Es steht also bei jedem, ein Wort weit oder eng, reich oder armselig zu fühlen …

Aber ist damit von der Bühne her, einer vielsinnigen Menge gegenüber etwas, oder sagen wir gleich − das, worauf es ankommt, nämlich die einheitliche Wirkung erreicht? − Und dann mit dem ›Ahnen‹ überhaupt: war das nicht eine arme und verlassene Welt, welche Gott ahnte hinter den Dingen? War das nicht ein müßiger Gott, ein Gott mit den Händen im Schoß, der so genügsam war, sich ahnen zu lassen? Heißt es nicht vielmehr: ihn finden, ihn erkennen, ihn tief in sich selbst schaffend, wie mitten in der Werkstatt überraschen, um ihn zu besitzen?

So glaube ich auch, dass wir uns nicht begnügen dürfen, das hinter den Worten zu ahnen. Es muss uns irgendwann sich offenbaren …

Den Raum über und neben den Worten auf der Bühne will ich für die Dinge im weitesten Sinn … Raum will ich für das alles, was mit teilnimmt an unseren Tagen und was, von Kindheit auf, an uns rührt und uns bestimmt. Es hat ebenso viel Anteil an uns als die Worte. Als ob im Personenverzeichnis stünde: ein Schrank, ein Glas, ein Klang und das viel Feinere und Leisere auch. Im Leben hat alles denselben Wert, und ein Ding ist nicht schlechter als ein Wort oder ein Duft oder ein Traum. Diese Gerechtigkeit muss auch auf der Bühne nach und nach Gesetz werden. Mag sein, dass das Leben eine Weile lang in den Worten treibt wie der Fluss im Bett; wo es frei und mächtig wird, breitet es sich über alles; und keiner kann sein Ufer schauen.

Ich stelle Ihnen, verehrter Herr Doktor, anheim, ob Sie etwas von diesen Erörterungen für Ihr gesch. Blatt verwenden. Jedenfalls danke ich Ihnen für die Anregung, die mir Ihre Notiz vermittelte, und halte mich für verpflichtet, Ihnen die Frucht derselben hiermit zu überreichen.

In besonderer Wertschätzung

Ihr ganz ergebener

Rainer Maria Rilke«4

Man kann solche Sätze nicht ohne Anteilnahme lesen, wenn man bedenkt, dass der, der sie niederschrieb, später zu einem der größten Wort-Gestalter geworden ist.

Die Worte sind nur die Mauern,

dahinter in immer blauern

Bergen schimmert ihr Sinn.

Diese Mauern zu durchbrechen und das Wort zu einem gültigen Gefäß des Geistes zu machen, es von den ihm durch eine entgeistigte Menschheit auferlegten Fesseln bloßer Konvention zu befreien, sollte ihm immer besser gelingen. Am Anfang seines Weges sieht er vor allem, wie überall das Heilige des Wortes missbraucht und entwertet wird:

Ich fürchte mich so vor der Menschen Wort.

Sie sprechen alles so deutlich aus:

Und dieses heißt Hund und jenes heißt Haus,

und hier ist Beginn und das Ende ist dort.

Wenn man so das Wort nur als Hülse für einen Begriff nimmt, dann kann man von ihm allerdings nicht »Aufschlüsse über die Seele« erwarten, dann bleibt es eine grobe Zange, die die feinen Räder des großen Werkes zerbrechen muss. Aber Rilke fühlt damals schon...

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