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Richard Oswalds 'Dreyfus' - ein Film als zeitgenössische Warnung vor Antisemitismus und Faschismus

AutorSilvia Kornberger
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2009
Seitenanzahl45 Seiten
ISBN9783640242009
FormatePUB/PDF
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis18,99 EUR
Studienarbeit aus dem Jahr 2007 im Fachbereich Filmwissenschaft, Note: Sehr Gut, Universität Wien (Institut für Zeitgeschichte), Veranstaltung: Geschichte und Perspektivenwechsel: Judendarstellung auf der Leinwand, Sprache: Deutsch, Abstract: Wilhelm Herzog beschreibt Hauptmann Dreyfus als einen in den Anschauungen seiner Kaste völlig befangenen, ziemlich naiven Menschen: 'Einer, den man plötzlich aus seiner blendenden Karriere und aus dem Glück seines Familienlebens herausgerissen hat. (...) Ein armer Kerl, der sich gegen den Justizmord natürlich aufbäumt (...), klagt und jammert, der aber von den Ursachen und Zusammenhängen seiner Affäre nicht das Geringste ahnt.' Dreyfus scheint vielleicht nicht der geborene Haudegen und strahlende Held gewesen zu sein, dennoch kämpfte die Elite der französischen Intellektuellen - allen voran Emile Zola - leidenschaftlich um seine Freiheit. Was steckt also hinter seiner Geschichte, die nicht nur in Frankreich, sondern auch jenseits seiner geographischen Grenzen die Gemüter erhitze? Warum haben sich so viele zeitgenössische, aber auch spätere Künstler mit der Affäre Dreyfus beschäftigt? Und - last, but not least - warum griff der gebürtige Österreicher, Richard Oswald dieses Thema zu Beginn der Dreißigerjahre wieder auf und wie setzte er den historischen Sachverhalt schließlich um? Ausgehend vom Kernthema des Kurses, 'Geschichte und Perspektivenwechsel: Judendarstellungen auf der Leinwand', möchte ich mich im ersten Kapitel den Ursprüngen und dem Verlauf des realen Falles widmen, um anschließend nach zeitgenössischen filmischen Reflexionen zu fahnden. Im Hauptteil beschäftige ich mich einerseits mit der Rezeptionsgeschichte und zeitgenössischen Kritiken zum Film, versuche andererseits aber auch, eine praktische Filmanalyse anhand von Beispielkadern durchzuführen. Nicht zu vergessen ist in diesem Fall die grundsätzliche Frage, was eine Affäre nun eigentlich ausmacht. Als Material für diese Arbeit dienen neben historischen Werken wie dem Tagebuch von Dreyfus auch deutsche und französische Publikationen zur Affäre Dreyfus sowie filmhistorische Nachschlagewerke wie die lose CineGraphensammlung, politisch-historische Literatur zur Zeit sowie ein Vergleich verschiedener Filmfassungen.

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Leseprobe

2. „Die Affäre Dreyfus“


 

„L’affaire Dreyfus se présente sous deux faces intimement liées l’une á l’autre: une face judiciaire – une face politique: celle-ci dominant l’autre par l’importance de ses conséquences sur les destinées politiques du pays: une évolution radicale et néfaste de la direction de la France au point de vue national.“[2]

 

2.1. Politische und gesellschaftliche Rahmenbedingungen


 


„Die Menschen meiner Generation errangen zwei Siege: in der Dreyfus-Affäre und 1918. Und nun erscheinen beide gewonnenen Schlachten wieder verloren.“[3]

 

Das Ende des 19. Jahrhunderts war für die französische Republik eine politisch stürmische Zeit, denn innerhalb von knapp fünf Jahren – zwischen 1889 und 1894 –  schlitterte sie in gleich drei große Krisen: 1889 bedrohte die nationalistische Oppositionspartei der Boulangisten die Republik, 1892 kam es zum Panama-Skandal und zwei Jahre darauf wurde auch noch der amtierende Präsident, Sadi Carnot, ermordet.[4] Der Historiker Guy Chapman charakterisiert die Lage kurz und prägnant: „In the early eighteen-nineties France was not a happy country.“[5]

 

Unter der Präsidentschaft des gemäßigten Republikaners Casimir-Perier versuchte die so genannte „opportunistische Regierung“[6] wieder zur Normalität zurückzukehren, jedoch ohne auf die brennenden sozialen Fragen der Zeit zu reagieren – trotz guter Konjunktur ging es vielen Franzosen schlecht.[7] Parallel zur politischen Organisation der Arbeiter, griffen einzelne anarchistische Verzweiflungstäter wie Auguste Vaillant oder Emile Henry zur „Selbsthilfe“ mittels Bombenattentaten, um auf ihr persönliches Elend aufmerksam zu machen. Die daraus resultierende öffentliche Verunsicherung auf diese „Propaganda der Tat“[8]  wurde wiederum von der Regierung genützt, um bürgerliche Demokratie und unbequeme Medien in die Schranken zu weisen.[9]

 

Die Republik stand nun auf tönernen Füßen: Der Staat war in liberal republikanische, sozialistische und monarchistische Interessensgruppen unterschiedlichster Schattierungen gespalten, wobei auch die katholische Kirche ihren Einfluss –  insbesondere im Schulwesen – wieder stärken wollte.[10] Die Niederlage im deutsch-französischen Krieg sowie die Zustimmung der Regierung zum darauf folgenden harten Friedensvertrag von Mai 1871, der eine Abtretung von Elsass und Lothringen sowie eine Forderung von fünf Milliarden Franc Kriegsentschädigung vorsah, vertieften politische Gräben und hinterließen Kratzer im französischen Nationalstolz.[11]  So wurde dieser, als Demütigung empfundene Frieden immer wieder von konservativen Kräften genutzt, um gegen die Französische Republik zu agitieren.[12]  

 

Selbst die Grande Armee, früher praktisch ein Staat im Staat[13], befand sich durch zeitgemäße Reformen in einer Phase der Verunsicherung, da die hohen Militärs um ihre Exklusivität fürchteten. Eine Institution unter vielen zu sein, noch dazu unter der Befehlsgewalt demokratisch gewählter Zivilisten war nicht nach ihrem Geschmack.[14] Demokratisierung und Modernisierung spiegelten sich im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts auch in der Ausbildung der zukünftigen militärischen Elite wider, denn die weltoffenere „Ecole Polytechnique“, welche bereits seit 1848 eine republikanische Aura umgab, konkurrierte erfolgreich mit der traditionellen Militärakademie von Saint-Cyr.[15] Diese neuen bürgerlichen Eliten verunsicherten sukzessive große Teile des traditionsbewussten, überwiegend monarchistisch-konservativ geprägten Generalstabs.[16]

 

2.2. Vom Justizirrtum zur Affäre: Versuch einer Definition


 


Affaire (Affäre):

 

Ursprünglich wahrscheinlich aus (avoir) á fair – „zu tun haben“ entstanden:

 

1.) besondere, oft unangenehme Sache; peinlicher, skandalöser Vor-, Zwischenfall

 

2.) Liebesabenteuer[17]

 

Der Begriff Affäre steht im weitesten Sinne auch im Zusammenhang mit Kontroverse, Kampf, Rivalität sowie opportunem Denken und menschlichem Fehlverhalten in hohen politischen und wirtschaftlichen Positionen, wobei folgende Aspekte von Bedeutung erscheinen:

 

ein hoher emotionaler Faktor, der sich über längere Zeit erstreckt,

 

Menschenmassen müssen mobilisiert werden können, die aktiv an Kundgebungen teilnehmen oder sich in anderer Form, etwa durch das Unterzeichnen von Petitionen, für eine bestimmte Sache engagieren,

 

große Teile der Gesellschaft müssen leidenschaftlich an die Schuld oder Unschuld eines Beschuldigten glauben,

 

es sollte darüber hinaus eine ideologische Tragweite vorhanden sein, um die Angelegenheit über einen „normalen“ Gerichtsfall zu heben.[18]

 

Die Geisteshaltung hoher Entscheidungsträger, die zum provokanten Gerichtsurteil führte, bzw. die Folgen desselben, die in der Sache weit über einen bedauerlichen Justizirrtum hinausgingen, ließen den „Fall Dreyfus“ zur bis heute bekannten „Affäre Dreyfus“ mutieren.

 

2.3. Herkunft und beruflicher Werdegang von Alfred Dreyfus


 


„(…) Meine Karriere lag glänzend und vielversprechend vor mir, die Zukunft stand unter den besten Vorzeichen. (…) Alles im Leben schien mir freundlich gesonnen.“[19]

 

Bereits aufgrund seines Geburtsortes und seiner Herkunft schien Alfred Dreyfus nicht das einfachste Los gezogen zu haben, denn seine Familie war nicht nur jüdischer Abstammung, sondern überdies im heiß umkämpften deutsch-französischen Elsass ansässig.

 

In der jüngeren Vergangenheit hatten viele jüdische Familien, darunter auch die Vorfahren von Alfred Dreyfus, mit Hilfe des Emanzipationsediktes von 1791 einen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Aufstieg errungen, um sich in Frankreich eine gutbürgerliche Existenz zu schaffen. Das familiäre Idyll wurde jedoch bereits in der Kindheit des Alfred Dreyfus getrübt: „Mein erstes trauriges Erlebnis, das mir immer schmerzlich in Erinnerung blieb, ist der Krieg 1870. Mein Vater entschied sich nach dem Friedensschluss für die französische Nationalität, wir mussten daher das Elsass verlassen. Ich begab mich nach Paris, um dort meine Studien fortzusetzen.“[20] Nationale Loyalität, wie die der Familie Dreyfus war jedoch keine Ausnahme, sondern stellte eher die Regel dar.

 

Durch das vermögende Elternhaus finanziell abgesichert, besucht der junge Dreyfus die Ecole Polytechnique, um eine Offizierslaufbahn einzuschlagen.[21]  Für Franzosen jüdischer Herkunft – wie Alfred Dreyfus – bot die Armee jedoch nicht nur militärische Aufstiegschancen, sondern ebenso die Chance, Patriotismus zu demonstrieren. Dreyfus war wiederum „nur“ einer unter vielen, da die Ecole Polytechnique bei Söhnen jüdischer Familien sehr beliebt gewesen sein dürfte, wie die Statistik zeigt: 1894 befanden sich mehr als 300 Offiziere jüdischer Herkunft im Dienste der Grande Armee und stellten damit im Vergleich zum sehr geringen Anteil an der französischen Gesamtbevölkerung stolze 1 Prozent des gesamten Offizierkorps.[22]

 

2.4. Der Prozess


 


„Die unbefangene öffentliche Meinung wird immer nur feststellen können, dass der Hauptmann Dreyfus vom Augenblicke seiner Verhaftung an … nicht als ein Angeklagter, sondern ein überführter Verbrecher behandelt worden ist.“[23]

 

Die Entwicklung des Prozesses mit seinen zahlreichen Wendungen im Kampf um Wahrheit und Gerechtigkeit hat bis heute nichts von ihrer Brisanz verloren. Der Fall Dreyfus, schon aus zeitgenössischer Sicht als „Affäre“ bezeichnet[24], war jedoch mehr als ein „gewöhnlicher“ Prozess. Spannend wie ein moderner Thriller ging es dabei um wesentlich mehr: Inwiefern sind alle Staatsbürger in einer demokratischen Republik gleich – oder sprechen bereits Herkunft und/oder Glaubensbekenntnis für die Schuld eines Angeklagten?

 

Der deutsche Militärattaché Oberstleutnant Max von Schwartzkoppen sollte im Auftrag seines Generalstabes Infiltrationsmöglichleiten auskundschaften, wobei dies auch der französischen Seite bekannt sein musste, denn man reagierte darauf: Schwartzkoppens Korrespondenz sollte mit Hilfe einer, als Putzfrau getarnten Agentin diskret abgefangen werden.[25] Alfred Dreyfus wurde unfreiwillig und unwissend in diesen „Krieg der Spione“[26] involviert, weil er sich mehr oder weniger zur falschen Zeit am falschen Ort aufhielt.

 

Im Rahmen des planmäßigen Durchlaufs durch alle Abteilungen des Generalstabes war er seit Beginn des Jahres 1894 zufällig in der „Statistischen Sektion“ – dem Nachrichtenbüro – tätig, das sich durch besonders hohe Spionage- und...

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