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E-Book

Subjektorientierung, Lehren und Lernen

VerlagBooks on Demand
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl212 Seiten
ISBN9783744861779
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis14,99 EUR
Das Feld der Erwachsenenbildung und Weiterbildung zeichnet sich durch eine große inhaltliche und strukturelle Vielfalt aus. Zusätzlich sehen sich die in diesem Feld tätigen stetig neuen Herausforderungen gegenüber, denen es zu begegnen gilt. In diesem Kontext nimmt der Sammelband aktuelle Entwicklungen und Diskurse in den Blick und tut dies in einer großen inhaltlichen Bandbreite. Die Subjektorientierung bildet dabei für die Autorinnen und Autoren des Sammelbandes einen Kristallisationspunkt für Forschung, Lehre und Praxis. So zeichnen sich die Beiträge durch eine Vielfalt an theoretischen, empirischen und bildungspraktischen Perspektiven aus. Sowohl Theoretiker als auch Praktiker der Erwachsenen- und Weiterbildung dürfen interessante Impulse erwarten.

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Leseprobe

Stefanie Bauer


Empirie und Normativität in der Erziehungs- und Bildungswissenschaft


1. Sind Empirie und Normativität untrennbar miteinander verbunden?

Zunächst erscheint diese Frage für das Selbstverständnis wissenschaftlicher Pädagogik überholt, denn die Unterscheidung von normativen (‚Soll‘) und empirischen Aussagen (‚Ist‘) gilt als allgemein akzeptiert. In der Erziehungsund Bildungswissenschaft werden normative Formulierungen grundsätzlich als nicht empirisch-analytisch überprüfbar angesehen, weil sie nicht als wahr oder falsch eingeordnet werden können. Diese Auffassung wird Studierenden von Anfang an bei der Erstellung eines wissenschaftlichen Textes vermittelt (‚Vermeiden Sie normative Fragestellungen und wertende Formulierungen!’). Trotzdem ist die Frage der Normativität (in) der Pädagogik nach wie vor so drängend wie ungeklärt (vgl. Meseth, 2011; Fuchs, Jehle & Krause, 2013; Vogel, 2016). Das betrifft auch die Rolle der Empirie in der Erziehungs- und Bildungswissenschaft, die immer wieder zum Gegenstand von Diskussionen und Reflexionen wird (vgl. Koch, 2004; Gauger & Kraus 2010; Schäfer & Thompson, 2014; Meseth, Dinkelaker, Neumann & Rabenstein, 2016). „Bemerkenswerterweise haben sich bis heute in der Erziehungswissenschaft (auch) keine eigenen empirischen Methodologien und entsprechende Epistemologien herausgebildet“ (Dinkelaker, Meseth, Neumann, Rabenstein, 2013, S. 13). Dies ist jedoch nicht verwunderlich, da die Erziehungs- und Bildungswissenschaft mitsamt ihren einzelnen Teilbereichen und Themenfeldern (z.B. Elementar- und Familienpädagogik, Sozialpädagogik, Erwachsenenbildung) vor einer (scheinbar) unüberwindbaren Hürde steht: Erziehungs- und bildungswissenschaftliche Forschung will einerseits Wissen liefern, das pädagogisches Handeln nützlich bzw. effektiver macht; andererseits will sie das Subjekt individuell fördern und schützen. Sie muss sich außerdem den Vorwurf gefallen lassen, dass sie durch ihre Kopplung an eine Verantwortungsperspektive – und damit an eine ethische und moralische Bewertung von Aussagen -mitunter nur mühevoll mit Forschungsprogrammen, welche auf der Basis strenger methodologischer Verfahrensregeln operieren, kompatibel ist (Thiel 1999, S. 160).

2. Woher kommt dieser Widerspruch?

Ein Blick auf die Disziplingeschichte zeigt, dass die Auseinandersetzung mit pädagogischen Fragen schon von Beginn an eine normative Komponente aufwies (Thiersch, 1978). Das liegt darin begründet, dass die Pädagogik tief in geisteswissenschaftlichen, reflexionsorientierten Traditionen verwurzelt ist. Für die/den deutsche/n Pädagogin/en mag dies eine Selbstverständlichkeit darstellen. Ein Vergleich auf internationaler Ebene zeigt jedoch deutlich, dass Erziehungs- und Bildungswissenschaft in anderen Ländern, wie z.B. Frankreich, wesentlich nüchterner gehandhabt wird und an keinen normativen Anspruch geknüpft ist. Dort ist die Erziehungs- und Bildungswissenschaft in den empirisch-analytischen Sozialwissenschaften indigen, wodurch normative Fragen für sie keine Rolle spielen; diese werden anderen Instanzen, z.B. der Bildungspolitik, zugewiesen (Thiel, 1999, S. 160). So wird Pädagogik gar als „deutsches Syndrom“ (Schriewer, 1983) bezeichnet. Diese Besonderheit im Umgang zeigt sich auch darin, dass ‚Bildung‘ als einer der wichtigsten Begriffe in der pädagogischen Diskussion nicht in andere Sprachen übersetzt werden kann (Vierhaus, 2004, S. 508). Die Ergänzung des wissenschaftlichen Diskurses um die (sozialwissenschaftliche) Empirie führte vielmehr zu neuen Begriffen: Aus Pädagogik wird empirisch geprägte Erziehungs- und Bildungswissenschaft. Paradoxerweise (aber auch logischerweise) ist die Differenzierung zwischen den Bezeichnungen noch immer nicht trennscharf (Döpp-Vorwald, 1994; Tenorth, 2004). Die Differenz zwischen einer geisteswissenschaftlichen und einer empirischen Grundorientierung ist nicht nur eine bloße Unterscheidung, sondern führt zu Entfremdung und belastet die Entwicklung der Disziplin seit längerer Zeit (Heid, 2016, S. 71). Die Diskussion um die (begriffliche) Trennung von Erziehungs- und Bildungswissenschaft als Tatsachenforschung und Pädagogik als praktische Theorie ist nicht neu. Flitner legte bereits 1957 dar, dass durch Erziehungs- und Bildungswissenschaft „Aufschlüsse erzielt werden, die praktisch wichtig sind“ (Flitner, 1957, S. 11). Im gleichen Atemzug warnt er jedoch davor, beobachtbare Einzelfälle zu abstrahieren und aus dem Lebenszusammenhang herauszunehmen. Die durch (statistische) Methoden gewonnen Erkenntnisse können zwar pädagogisch verwertbare Ergebnisse erbringen, aber nie den Kern des Bildungsproblems erfassen. „Die Sinnfrage läßt [sic] sich aus den erzieherischen Tatbeständen nicht ausklammern; sie ist es gerade, die den Impuls zur Forschung und zum Nachsinnen erzeugt“ (Flitner, 1957, S. 13). Die bloße Abbildung eines (Ist-) Zustandes (z.B. PISA-Studie) reicht für die Disziplin nicht aus – seien die empirischen Messinstrumente auch noch so genau. Bender (2010) führt diese Kritik fort, indem er quantitative Methoden in der Erziehungs- und Bildungswissenschaft als unzureichend erachtet. Für ihn können sie dem Anspruch, etwas pädagogisch zu messen, nicht gerecht werden. Mittels quantitativ gewonnener Zahlen lassen sich die, so dringend für ein aussagekräftiges Ergebnis benötigten sozialen, kulturellen und kognitiven, Realitäten nämlich nicht abbilden (ebd., S. 68). So kommt er zu dem provokanten Fazit, dass „(v)iele im Bildungsbereich mit quantitativen Methoden erzielte Erkenntnisse [...] keine große Aussagekraft (haben)“ (ebd., S. S. 42). Das Sein (Empirie) lässt also keine Rückschlüsse auf das Sollen (Normativität) zu. Diese Frage nach den normativen Implikationen der erziehungs-und bildungswissenschaftlichen Forschung wurde im Fachdiskurs nicht weiter verfolgt (Fuchs, 2013; Hollstein & Meseth, 2016). „Eine kategoriale Vermessung des Pädagogischen vorzunehmen, die mit einer empirischen Erschließung des Pädagogischen [...] verbunden ist, kann ohne Zweifel bis heute als ein Desiderat angesehen werden“ (Dinkelaker u.a. 2016, S. 18). Darüber hinaus existieren auch bildungstheoretisch begründete Zweifel, ob ‚Bildung‘ überhaupt mess- und operationalisierbar ist (vgl. Radtke, 2003; Hörmann, 2005; Zierer, 2011; Heid, 2016).

3. Sind Empirie und Normativität unvereinbar voneinander getrennt?

Normative (‚Soll‘) und empirische (‚Ist‘) Aussagen werden in der Theorie der Erziehungs- und Bildungswissenschaft als zwei voneinander getrennte Welten behandelt. In der (pädagogischen) Praxis sind beide jedoch häufig miteinander vermischt. Nur weil wir weder vom Sein auf das Sollen noch vom Sollen auf das Sein Rückschlüsse ziehen können, folgt daraus nicht, dass es sich bei beiden um voneinander getrennte Bereiche handelt. Sie sind stattdessen in doppelter Weise miteinander verbunden: Das Wissen über die Welt wird nicht nur aus subjektiven Erfahrungen gewonnen, sondern wird wiederum durch die Perspektive geprägt, mit der wir sie betrachten. Denn „(n)ormative Aussagen beruhen immer auf empirischen Prämissen und empirische Aussagen haben ebenso oft normative Voraussetzungen“ (Peters, 2010, S. 453). Überdies kann Forschung an normativen Interessen von Auftraggebern gebunden sein, wodurch der anwendungsbezogene Nutzen über die Theorieentwicklung und kritische Reflexion gestellt wird (Bormann, 2013). Diese „normative Empirie“ gefährdet die Unabhängigkeit der Wissenschaft und Forschung von Bildungspolitik, denn dabei wird das Subjekt völlig vernachlässigt (Koch, 2004, S. 190). Umgekehrt unterliegen normative Vorstellungen auch immer empirischen Voraussetzungen. Normative Modelle können nur dann umgesetzt werden, wenn die zu regulierende Situation einschätzbar (d.h. messbar) ist. Für die Verwirklichung des noblen Grundsatzes „Bildung ist ein Menschenrecht, jeder soll Zugang dazu haben“ ist damit etwa gemeint, dass genaue Kenntnis über die Wirklichkeit (Bildungsinstitutionen, Finanzierung, Bildungsgrad u.a.) vorhanden sein muss.

4. Fazit

Peters (2000) schlägt vor, sich einer Auflösung des Widerspruchs zwischen Normativität und Empirie mithilfe qualitativer Forschung anzunäheren. Empirie soll seiner Ansicht nach nicht als in Kategorien messbare Wirklichkeit angesehen werden, sondern als ein interpretierendes Verstehen aus Sicht des Subjekts (ebd.). Diese Orientierung am Subjekt ist also „ein Denken vom Standort verantwortlicher Erzieher aus“ (Flitner, 1957, S. 18). Die Wichtigkeit dieser Perspektive wird bei der wissenschaftlichen Betrachtung des aktuellen bildungspolitischen Paradigmas des „lebenslangen Lernens“ (Kommission der europäischen Gemeinschaften 2000) deutlich. Sieht man davon ab, dass das Konzept des lebenslangen Lernens in der Bildungspolitik eine stark normative Komponente besitzt, besteht hier besonders das Problem der empirischen Beweisbarkeit (d.h. Messbarkeit)....

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