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Tarifverträge auf europäischer Ebene?

AutorGeorg Schwedt
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2006
Seitenanzahl47 Seiten
ISBN9783638497138
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis4,99 EUR
Diplomarbeit aus dem Jahr 2003 im Fachbereich Jura - Zivilrecht / Arbeitsrecht, Note: 2,5, Universität Hamburg, 57 Quellen im Literaturverzeichnis, Sprache: Deutsch, Abstract: Mit der Vollendung der Wirtschafts- und Währungsunion hat die Europäische Union einen sehr hohen Grad ökonomischer Integration erreicht. Diese Integration ist ein großer Fortschritt für die europäischen und internationalen Wirtschaftsbeziehungen. Auf Ebene der heutigen EU-Staaten ist wirtschaftlicher Fortschritt seit der Industrialisierung auch mit sozialem Fortschritt verbunden gewesen. Wichtigerer Ausdruck sind Kollektivverhandlungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern und die daraus resultierenden Tarifverträge. Es stellt sich die Frage, warum ein solcher sozialer Fortschritt nicht auch auf europäischer Ebene stattgefunden hat, namentlich, warum es keine europäischen Tarifverträge gibt, was bei dem hohen erreichten Grad der ökonomischen Integration zu erwarten wäre. Dies ist eine Frage, der sich diese Arbeit annimmt. Zuvor werden die bisherigen kollektivrechtlichen Regelungen der EU vor dem Hintergrund des deutschen Tarifrechts betrachtet. Weiterhin wird versucht, die Fragen nach der Notwendigkeit von Tarifverträgen und ihrer möglichen Verankerung auf europäischer Ebene zu beantworten. Die Betrachtung beschränkt sich dabei auf die Ebene der EU, da dort durch den hohen Integrationsgrad am ehesten Tarifverträge zu erwarten wären.

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Leseprobe

3.  Warum gibt es keine europäischen Tarifverträge?

 

3.1.           fehlender Rechtsrahmen

 

3.1.2.      Titel XI EGV

 

Eine rechtliche Grundlage für Tarifverhandlungen und -verträge könnte sich aus Kapitel 1 des Titel XI EGV zu Sozialpolitik, allgemeiner und beruflicher Bildung und Jugend ergeben.

 

Mit dem kollektiven Arbeitsrecht befassen sich die Artikel 137,139 und 140.

 

Die Ausgestaltung und Wirkung des Verfahrens nach Art. 139 ist bereits in Kapitel 2.2.1. dargestellt worden. Er bietet zwar in Abs. 1 die Möglichkeit für die Sozialpartner kollektive Vereinbarungen zu treffen, und das auch aus eigener Initiative, allerdings entfalten diese nicht die Wirkung eines Tarifvertrags i.S.d. deutschen Tarifrechts. Im Fall der Verabschiedung einer Richtlinie aufgrund einer Vereinbarung der Sozialpartner durch den Rat erlangt diese dann aber auch normative und sogar allgemeinverbindliche Wirkung. Im Fall der Durchführung nach den jeweiligen Verfahren und Gepflogenheiten der Sozialpartner und der Mitgliedsstaaten erzielt die Vereinbarung in den Mitgliedsstaaten je nach dort gültigem Tarifrecht unterschiedliche Wirkung.

 

Art.139 enthält demnach keine Grundlage für grenzüberschreitende Tarifverträge i.S.d. deutschen Tarifrechts.

 

Art. 137 bestimmt die Kompetenzen der Gemeinschaft im Rahmen der Sozialpolitik und die Entscheidungsverfahren im Rahmen diese Kompetenzen. In Abs. 1 und 5 finden sich Verweise auf kollektives Arbeitsrecht.

 

Abs. 1 billigt dem Rat eine Entscheidungskompetenz, nach Abs. 2 auf Einstimmigkeitsbasis, für „Vertretung und kollektive Wahrnehmung der Arbeitnehmer- und Arbeitgeberinteressen, einschließlich Mitbestimmung“ zu.

 

Ausdruck der Kompetenz nach Abs. 1 sind die Richtlinien über Europäische Betriebsräte und die Arbeitnehmermitbestimmung in Europäischen Aktiengesellschaften. 

 

Allerdings schränkt der Zusatz „vorbehaltlich des Absatzes 5“ die Gemeinschaftskompetenz ein. Dort sind die Themen Arbeitsentgelt, Koalitionsrecht, Streikrecht und Aussperrungsrecht ausdrücklich aus dem Geltungsbereich dieses Artikels ausgenommen.

 

Es ist fraglich, ob dieser Regelungsvorbehalt bezüglich des Koalitions-, Streik- und Aussperrungsrechts eine Regelung über die Wirkung grenzüberschreitender Tarifverträge behindert. Hierzu wird einerseits die Position vertreten, dass die Gemeinschaftsorgane zu einer solchen Regelung in der Lage sind, da Kollektivverhandlungen und Koalitionsrecht getrennt werden könnten, wie dies auch in Art. 140 geschieht, und zudem das Kollektivvertrags- bzw. Tarifvertragsrecht auch nicht selbst das Entgelt regeln.[36] Andere Positionen sehen die inhaltliche Verbindung zwischen Tarifvertragsrecht und Koalitions- und Arbeitkampfrecht, also Streik- und Aussperrungsrecht, als so stark an, dass eine solche Regelung nach Art. 137 (5) EGV ausgeschlossen ist.[37]

 

Allerdings hat bisher keine Rechtsetzung seitens der Gemeinschaft zu grenzüberschreitenden Tarifverträgen stattgefunden, so dass als einzige Grundlage für Vereinbarungen der Sozialpartner weiterhin Art. 139 zu sehen ist. Ein europäisches Tarifrecht gibt es also nicht.

 

Art. 140 dient der Förderung und Unterstützung der Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten durch die Kommission insbesondere auch in Fragen der Kollektivverhandlungen und des Koalitionsrechts. Eine Rechtsetzungsbefugnis lässt sich aus diesem Artikel allerdings nicht ableiten, dagegen ist die Rede von Stellungnahmen, Untersuchungen und Vorbereitung von Beratungen seitens der Kommission.[38]

 

3.1.2.      sonstige mögliche Rechtsgrundlagen

 

Die Charta der Sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer, eine Erklärung des Europäischen Rates aus dem Jahre 1989, garantiert in Titel I, Art. 11 die Koalitionsfreiheit für Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Art. 12 erwähnt das Recht der Koalitionen auf Tarifverhandlungen, stellt aber fest, dass daraus entstehende Tarifverträge in ihrer Umsetzung den Rechtsordnungen der Mitgliedsstaaten unterworfen sind. Dies wird unterstrichen dadurch, dass nach Titel II, Art.. 27 ihre Durchsetzung durch die Mitgliedsstaaten „entsprechend ihrer einzelstaatlichen Gepflogenheiten, insbesondere von Rechtsvorschriften und Tarifverträgen“ gewährleistet werden soll. Art. 13 gewährleistet ferner das Recht zu Arbeitskämpfen einschl. des Streikrechts. [39] Sie und auch das auf ihrer Grundlage verabschiedete Aktionsprogramm der Kommission KOM (89) 568 endg. vom 29.11.1989 stellen nur Programmsätze beziehungsweise eine Absichtserklärung dar. Inhaltlich ist die Charta heute allerdings auch weitgehend durch Primär- und Sekundärrecht verwirklicht. [40]

 

Auch die am 18.12.2000 vom Europäischen Rat proklamierte Grundrechtscharta der EU garantiert in Art. 12 die Koalitionsfreiheit und in Art. 28 die Freiheit, auf den geeigneten Ebenen Tarifverhandlungen zu führen und sogar zu streiken. Eine „geeignete Ebene“ könnte auch die europäische sein, die formulierten Rechte gelten aber wiederum nur in Übereinstimmung mit dem Gemeinschaftsrecht und dem der Mitgliedsstaaten. Letztlich ist diese Charta nur eine Erklärung und damit nicht rechtsverbindlich.

 

Auch im Völkerrecht sind Garantien kollektiver Rechte zu finden.

 

Die Europäische Sozialcharta (ESC) garantiert in Art. 5 das Vereinigungsrecht von Arbeitnehmern und Arbeitgebern und in Art. 6 das Recht auf Kollektivverhandlungen. Die Anerkennung internationaler Tarifverträge liegt aber im Ermessen der Mitgliedsstaaten. Die Konvention zum Schutze der Menschrechte und Grundfreiheiten von 1950 (EMRK)garantiert in Art. 11 das Recht zur freien Bildung von Gewerkschaften, das Übereinkommen der Internationalen Arbeitsorganisation  (IAO) Nr. 98 in Art. 4 ein Recht auf Kollektivverhandlungen. In beiden Fällen beziehen sich die Garantien aber nur auf die nationale Ebene. Das IAO-Übereinkommen Nr. 98 schützt durch Art. 2 und 5 die Vereinigungsfreiheit für Arbeitnehmer und Arbeitgeber und den Zusammenschluss solcher Vereinigungen zu nationalen und internationalen Verbänden. Die Existenz von europäischen Koalitionen wurde aber auch bisher nicht in Frage gestellt. Allen völkerrechtlich bindenden Vereinbarungen, der ESC, der EMRK und den IAO-Übereinkommen ist gemeinsam, dass auch sie keinen Hinweis auf die Zulässigkeit und Möglichkeiten internationaler Tarifverträge geben. Die IAO-Empfehlung Nr. 91 sieht die Möglichkeit vor, Tarifverträge zu vereinbaren, bezieht sich aber ebenfalls nur auf die nationale Ebene und ist zudem nicht rechtlich bindend.[41]

 

3.2.           Interessen- und Organisationsdivergenzen der möglichen Tarifvertragsparteien

 

3.2.2.      Gewerkschaften

 

3.2.2.1. Interessen

 

Bezüglich der Notwendigkeit europäischer Maßnahmen besteht auf Seiten der Gewerkschaften ein breiter Konsens. Der europäische Binnenmarkt würde ohne soziale Gegensteuerung letztlich zu großen Unterschieden zwischen regulierten und nicht-regulierten Zonen führen. Regionen mit weniger strikten Sozialvorschriften oder geringeren Löhnhöhen würden zu einer Verlagerung von Kapital und Arbeitskräften in diese Regionen führen, was einen Standortwettbewerb um die niedrigsten Sozialstandards zur Folge haben würde. Letztlich würde europaweit der erreichte soziale Standard abgesenkt.[42] Die Einführung der Währungsunion, die dazu führt, dass die Möglichkeit der Auf- bzw. Abwertung der eigenen Währung zur Nachfragesteuerung entzogen wird und somit der Lohn und die Lohnkosten als einzige wesentliche, weiterhin beeinflussbare, Größe zurückbleiben, wird von den Gewerkschaften als große Gefahr wahrgenommen.[43] Um diesem entgegenzutreten müssten rechtliche bindende Abkommen zwischen den Tarifparteien auf europäischer Ebene geschlossen werden.[44]

 

Bei näherer Betrachtung gibt es aber große Unterschiede in der Meinung darüber, wie genau Aktivitäten auf der europäischen Ebene aussehen sollen. Letztlich herrscht kein Konsens etwa über die Hierarchie der einzelnen Tarifebenen von der gesamt-europäischen bis hinunter zur nationalen Brachen- und Unternehmensebene und ihre Beziehung zueinander.[45]

 

Auf Seiten der nationalen Gewerkschaften bestehen vielfach Vorbehalte, Befugnisse und damit Macht auf die europäische Ebene abzugeben.[46] Gerade die stärksten nationalen Gewerkschaften, die im Rahmen europäischer Tarifverhandlungen großen Druck auf die Arbeitgeber ausüben könnten, würden auch am meisten an Macht verlieren und stehen diesem Machttransfer daher kritisch gegenüber.[47] Tarifverhandlungen und -verträge sind zu einer so wichtigen Determinante für das Selbstbewusstsein der Gewerkschaften geworden, dass es schwierig ist, die nationalen Denkmuster zugunsten eines europäischen zu...

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