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An unsere Freunde

Nautilus Flugschrift

AutorUnsichtbares Komitee
VerlagEdition Nautilus
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl192 Seiten
ISBN9783960540809
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis13,99 EUR
Die Aufstände sind gekommen - das Unsichtbare Komitee ist zurück, mit einem Bericht über eine Welt in Bewegung und einer Anleitung zur Revolution. Der kommende Aufstand entfachte eine breite und kontroverse internationale Debatte. Seitdem haben die Mitglieder und Freunde des Unsichtbaren Komitees weiter gekämpft, sich organisiert, sind in alle Ecken der Welt gereist - dorthin, wo sie Feuer fing - und haben mit Freunden aus vielen Ländern diskutiert: in Tunesien, Griechenland, der Türkei, Syrien, Quebec, Brasilien, Schweden, Israel, England, in Deutschland usw. An unsere Freunde ist unmittelbar aus dieser Bewegung heraus geschrieben. Die Worte kommen aus dem Herzen der Unruhen und richten sich an jene, die noch stark genug an das Leben glauben, um zu kämpfen. 'An unsere Freunde' ist ein Bericht über den Zustand der Welt und der Bewegung, ein wesentlich strategischer und offen parteiischer Text. Sein politischer Ehrgeiz ist maßlos: Er will eine von unserer gesamten Epoche geteilte Verständlichkeit schaffen, trotz der gegenwärtigen äußersten Verwirrung.

Nach der Sabotage an einer Eisenbahnstrecke, auf der im November 2008 ein Castortransport mit radioaktivem Material geplant war, wurde die erste Publikation des Unsichtbaren Komitees, Der kommende Aufstand, von der französischen Regierung als ein 'Handbuch des Terrorismus' beschlagnahmt und war Vorwand für die skandalöse, z.T. monatelange Inhaftierung von neun Menschen aus dem Dorf Tarnac. Die Polizei in Frankreich hat im Zuge der 'Terrorismusbekämpfung' viele Spekulationen angestellt, wer dazugehören mag, aber die Identität der Autoren wurde nie bekannt.

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Leseprobe

Die Aufstände sind also gekommen. In so schneller Abfolge, seit 2008, und in so vielen Ländern, dass das ganze Gefüge dieser Welt Stück für Stück auseinanderzubrechen scheint. Wer vor zehn Jahren einen Aufstand vorhersagte, setzte sich dem Hohngelächter der Runde aus; heute machen sich die lächerlich, die die Rückkehr zur Ordnung verkünden. Nichts sei unerschütterlicher, gesicherter, hieß es, als Ben Alis Tunesien, die geschäftige Türkei Erdoğans, das sozialdemokratische Schweden, das Syrien der Baath-Partei, das ruhiggestellte Quebec und das Brasilien der Strände, der bolsa família und der friedensstiftenden Polizeitruppen. Was dann folgte, haben wir gesehen. Die Stabilität ist dahin. Selbst in der Politik denkt man unterdessen zweimal nach, bevor man ein Triple-A-Rating vergibt.

Ein Aufstand kann jederzeit losbrechen, aus welchem Anlass auch immer, in welchem Land auch immer; und irgendwohin führen. Die Machthaber bewegen sich zwischen Abgründen, deren bloßer Schatten sie zu bedrohen scheint. Que se vayan todos! lautete ein Slogan, der zur Volksweisheit geworden ist – zum Basso continuo der Zeit, ein Gemurmel, von Mund zu Mund propagiert, um sich unvermittelt wie ein Beil zu erheben, gerade wenn man es am wenigsten erwartet. Die gewieftesten Politiker haben ihn sogar zu einem Wahlversprechen gemacht. Etwas anderes bleibt ihnen nicht übrig. Der heillose Abscheu, die reine Negativität, die absolute Verweigerung sind die einzigen erkennbaren politischen Kräfte des Augenblicks.

Die Aufstände sind gekommen, nicht die Revolution. Selten konnte man in den letzten Jahren, in so komprimierter Zeit, so häufig erleben, wie ein offizieller Regierungssitz im Sturm erobert wurde, von Griechenland bis Island. Bald wird es ein elementarer politischer Reflex sein, Plätze mitten in den Stadtzentren zu besetzen, Zelte oder behelfsmäßige Hütten aufzustellen, Barrikaden und Kantinen zu errichten und Versammlungen abzuhalten, so wie man gestern einen Streik ausrief. Offenbar hat die Zeit sogar ihre eigenen Gemeinplätze hervorgebracht – allen voran dieses All Cops are Bastards (ACAB), das eine eigenartige Internationale fortan nach jedem neuen Ausbruch von Revolten auf den bröckelnden Mauern der Städte zurücklässt, ob in Kairo oder Istanbul, Rom, Paris oder Rio.

Doch wie groß auch immer die Unruhen unter dem Himmel sind, die Revolution scheint überall im Stadium des Aufruhrs zu ersticken. Im besten Fall besänftigt ein Regimewechsel einen Moment lang das Bedürfnis, die Welt zu verändern, bevor er sofort wieder in dieselbe Unzufriedenheit mündet. Im schlimmsten Fall dient die Revolution nur jenen als Trittbrett, die sie zwar im Mund führen, aber eigentlich nur abwürgen wollen. Mancherorts, wie in Frankreich, bahnt das Fehlen ausreichend selbstbewusster revolutionärer Kräfte jenen den Weg, die sich darauf spezialisiert haben, Selbstbewusstsein vorzutäuschen und es als Spektakel zu inszenieren: den Faschisten. Die Ohnmacht verbittert.

An diesem Punkt müssen wir Revolutionäre unsere Niederlage eingestehen. Nicht, weil wir die Revolution seit 2008 als Ziel nicht erreicht hätten, sondern weil sich die Revolution als Prozess fortlaufend von uns losgelöst hat. Wenn man scheitert, kann man die ganze Welt dafür verantwortlich machen und sich, gestützt auf tausend Ressentiments, alle möglichen Erklärungen zurechtlegen, selbst wissenschaftliche Erklärungen; oder man kann darüber nachdenken, was in uns selbst dem Feind einen Ansatzpunkt bietet, sodass wir nicht zufällig, sondern häufig scheitern. Vielleicht könnten wir fragen, was zum Beispiel noch links ist an den Revolutionären und sie nicht nur scheitern lässt, sondern einem allgemeinen Hass aussetzt. Ein gewisser Anspruch auf moralische Hegemonie, die sie sich gar nicht leisten können, ist ein Fehler, den sie von der Linken geerbt haben. Ebenso die unhaltbare Anmaßung, die richtige Lebensweise vorschreiben zu wollen – die wirklich fortschrittliche, aufgeklärte, moderne, korrekte, dekonstruierte, einwandfreie. Eine Anmaßung, die Mordgelüste in allen weckt, die sich dadurch unwiderruflich ins Lager der Reaktionären-Konservativen-Obskurantisten-Engstirnigen-Rüpel-Altmodischen gestoßen fühlen. Die leidenschaftliche Rivalität der Revolutionäre mit der Linken befreit sie mitnichten von dieser, sondern hält sie auf deren Terrain zurück. Ziehen wir Leine!

Seit Der kommende Aufstand erschienen ist, haben wir uns dorthin begeben, wo die Epoche in Aufruhr geraten ist. Wir haben gelesen, wir haben gekämpft, wir haben mit Genossen aller Länder und Strömungen diskutiert, sind mit ihnen gegen die unsichtbaren Hindernisse der Epoche gestoßen. Manche von uns sind gestorben, andere waren im Gefängnis. Wir sind hartnäckig geblieben. Wir haben nicht aufgegeben, weder Welten zu errichten, noch die bestehende anzugreifen. Was wir von unseren Reisen mitgebracht haben, ist die Gewissheit, dass wir es nicht mit unsteten, getrennten Revolten zu tun haben, die nichts voneinander wissen und erst miteinander verbunden werden müssten. So wird es von der Echtzeitinformation mit ihrer kalkulierten Wahrnehmungssteuerung in Szene gesetzt. Das ist das Werk des Gegenaufstands, der schon auf dieser untersten Ebene beginnt. Was wir erleben, sind nicht vereinzelte Revolten, sondern eine einzige globale Welle von Aufständen, die unmerklich miteinander kommunizieren. Ein universeller Drang danach zusammenzukommen, der sich nur durch die universelle Trennung erklären lässt. Ein genereller Hass auf die Polizei, der von der klaren Absage an die allgemeine Vereinzelung zeugt, die diese überwacht. Überall verbindet sich dieselbe Unruhe, dieselbe grundlegende Panik, die mit denselben Ausbrüchen von Würde (dignité) – nicht Empörung (indignation) – beantwortet wird. Was seit 2008 in der Welt vor sich geht, ist keine unzusammenhängende Reihe skurriler Ausbrüche in geschlossenen nationalen Räumen. Es ist eine einzige historische Abfolge, die sich, von Griechenland bis Chile, in einer strengen Einheit von Raum und Zeit abspielt. Deren Bedeutung lässt sich nur durch einen deutlich globalen Standpunkt erfassen. Wir können das angewandte Denken dieser Abfolge nicht allein den Thinktanks des Kapitals überlassen.

Jeder Aufstand, so örtlich begrenzt er sein mag, weist über sich selbst hinaus und erhält eine unmittelbar globale Dimension. In ihm erheben wir uns gemeinsam auf die Höhe der Zeit, der Epoche. Die Epoche ist aber auch das, was wir tief in uns selbst finden, wenn wir uns darauf einlassen, tief einzutauchen in das, was wir leben, sehen, fühlen, wahrnehmen. Darin liegen eine Methode der Erkenntnis und ein Gesetz des Handelns; darin liegt auch die Erklärung für den verborgenen Zusammenhang zwischen der reinen politischen Intensität des Straßenkampfs und der unverstellten Selbstpräsenz des Solitärs. Die Epoche muss im Innersten jeder Situation und im Innersten jedes Einzelnen gesucht werden. Dort finden »wir« uns wieder, dort, wo sich die wahren Freunde aufhalten, in alle Himmelsrichtungen verstreut, aber auf dem gleichen Weg.

Die Verschwörungstheoretiker sind mindestens darin konterrevolutionär, als sie allein den Mächtigen das Privileg einräumen, sich zu verschwören. So offensichtlich es ist, dass sich die Mächtigen verabreden, um ihre Stellung zu halten und auszubauen, so offensichtlich ist auch, dass Verschwörung überall stattfindet – in den Eingangshallen von Gebäuden, an der Kaffeemaschine, hinter den Kebabbuden, bei Besetzungen, in den Werkhallen, beim Hofgang, auf Abendgesellschaften, in der Liebe. Und all diese Verbindungen, all diese Gespräche, all diese Freundschaften verweben sich im wechselseitigen Austausch zu einer historischen Partei, die weltweit am Werk ist – »unsere Partei«, wie Marx sagte. Tatsächlich gibt es angesichts der objektiven Verschwörung der Ordnung der Dinge eine diffuse Verschwörung, der wir faktisch angehören. Aber innerhalb derselben herrscht größte Verwirrung. Unsere Partei stößt sich überall an ihrem eigenen ideologischen Erbe; sie verheddert sich in einem Geflecht aus aufgelösten, vergangenen revolutionären Traditionen, die dennoch Respekt gebieten. Die strategische Intelligenz kommt aber vom Herzen und nicht vom Hirn, und der Fehler der Ideologie liegt gerade darin, das Denken vom Herzen abzuschirmen. Mit anderen Worten: Wir müssen uns dort den Zutritt erzwingen, wo wir uns gerade befinden. Die einzige Partei, die es aufzubauen gilt, ist jene, die bereits da ist. Wir müssen uns all des geistigen Plunders entledigen, der dem klaren Erfassen unserer gemeinsamen Lage, unserer »gemeinsamen Diesseitigkeit« entgegensteht, um mit Gramsci zu sprechen. Unserem Erbe geht kein Testament voraus.

Wie jeder Werbeslogan bezieht die Parole »Wir sind die 99%« ihre Wirkkraft nicht aus dem, was sie sagt, sondern aus dem, was sie nicht sagt. Was sie nicht sagt, ist die Identität der 1% Mächtigen. Was diese 1% kennzeichnet, ist nicht, dass sie reich sind – in den Vereinigten Staaten gibt es deutlich...

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