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Vom Schraubstock zum Schreibtisch

Lebenserinnerungen

AutorHans Dominik
VerlagAbenteuerverlag Pockau
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl298 Seiten
ISBN9783744821964
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis0,99 EUR
Hans Dominik wurde 1872 in Zwickau geboren und starb 1945 in Berlin. Er war Ingenieur und Wissenschaftsjournalist, Dramaturg für Kurzfilme und arbeitete später als freier Schriftsteller. Schon bald wurde er durch seine vielgelesenen Zukunftsromane zum gefeierten Erfolgsautor. In dieser 1942, wenige Jahre vor seinem Tod erschienenen Autobiografie erzählt er detailliert von seinem Leben und Schaffen. Korrektur gelesen und in neuer deutscher Rechtschreibung.

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Leseprobe

2. Die Vorfahren


Bücher haben ihre Schicksale. Die Kirchenbücher des Dorfes Dyrotz im Osthavelland, aus dem unsere Familie stammt, sind in den Stürmen und Bränden des Siebenjährigen Krieges vernichtet worden. Wo die Urkunden fehlen, ist die Ahnenforschung mit ihrer Kunst am Ende; an ihre Stelle tritt des Öfteren die zwar unbeglaubigte, aber dafür gelegentlich umso interessantere Familiensage. Von Generation zu Generation hat sich eine solche Sage auch bei uns erhalten, und sie weiß Folgendes zu künden:

Am Ende des Dreißigjährigen Krieges, als in der entvölkerten Mark Brandenburg überall eine neue Landnahme erfolgte, soll sich einer der Kroaten Isolanis in Dyrotz angesiedelt haben. Dumnigk oder Dombnigk soll er geheißen haben, was aus dem Slawischen verdeutscht etwa Eichner oder Eichler bedeutet. Mit dem heiligen Dominikus hätte unser Name also nichts zu tun. In seinem bürgerlichen Beruf soll der sagenhafte Ahnherr unserer Familie ein Rastelbinder oder Kaltschmied gewesen sein. Aber in jenen Jahren nach dem Westfälischen Frieden ging’s nicht ums Kaltschmieden, sondern ums Warmschmieden. Hufeisen und Radreifen wurden gebraucht, um der daniederliegenden Landwirtschaft wieder emporzuhelfen, und so hat sich wohl schon dieser Zugewanderte mit dem Feuer vertraut gemacht und ist ein Hufschmied geworden.

Von 1760 an sind meine väterlichen Vorfahren in den Kirchenbüchern des Dorfes in einer ununterbrochenen Reihe als Schmiede, vielfach auch als Fahnen- und Kurschmiede aufgeführt. Die Bezeichnung Fahnenschmied bedeutet, dass der Betreffende in einem preußischen Kavallerieregiment als Schmied bei der Fahne gestanden hat. Die Kurschmiede waren die Vorläufer der heutigen Militärveterinäre. Der Schmied, der ein Pferd sachgemäß beschlagen wollte, musste eine gute Kenntnis vom Bau des Pferdehufes und -fußes haben, und ein Schritt weiter führte zu der ärztlichen Behandlung der Pferde überhaupt. So war im achtzehnten Jahrhundert der Kurschmied für die Pferde etwa dasselbe, was der damalige Regimentschirurgus für die Soldaten bedeutete. Beide waren zwar nicht studierte Ärzte, aber sie waren, jeder in seinem Fach, Leute mit tüchtigen praktischen Heilkenntnissen.

Eine Änderung in diesen Verhältnissen trat ein, als nach den Freiheitskriegen in Preußen das Veterinärwesen auf eine höhere Grundlage gestellt wurde. An die Stelle des Kurschmiedes trat jetzt der Militärrossarzt, und auch auf den Lebensweg meiner Vorfahren wirkte sich das aus. Mein Großvater Wilhelm, der 1814 als ältester Sohn des Schmiedegesellen und späteren Kurschmiedes Karl Dominik in Dyrotz geboren wurde, entschied sich für die Tierarzneikunde. Er wurde also ein „Gestudierter“ und musste naturgemäß auf die Erbfolge auf dem Dyrotzer Schmiede- und Bauerngut verzichten. Es fiel an den zweiten Sohn Karl, dessen Nachkommen es heute noch bewirtschaften.

Großvater Wilhelm Dominik war Jahre hindurch Regimentsrossarzt bei den sechsten Kürassieren in Brandenburg, danach Kreistierarzt für den Kreis Westhavelland und praktizierte später bis zu seinem 1883 erfolgten Tod in Berlin, wo er unter anderem den Pferdebestand der Berliner Omnibusgesellschaft zu betreuen hatte. Der Vollständigkeit halber mag noch erwähnt sein, dass auch ein jüngerer Bruder meines Großvaters, Fritz Dominik, sich der Tierarzneikunde zuwandte, es bis zum Korpsrossarzt brachte und als Dozent an der Berliner Tierarzneischule vorbildlich wirkte. Ich habe ihn selbst noch erzählen hören, wie er einmal in Frack und weißer Binde vor dem Prinzen Friedrich Karl ein Hufeisen in einer Hitze passend gemacht und einem Pferd aufgelegt hat. Eine Bronzebüste von ihm steht im Garten der jetzigen Tierärztlichen Hochschule.

Ich habe diese Dinge etwas ausführlicher behandelt, weil ich glaube, dass meine Liebe für alles Technische und eine gewisse handwerkliche Geschicklichkeit wohl als Erbgut von dieser Linie meiner Vorfahren her auf mich überkommen sind. Ich bin aber nicht mir als Ingenieur, sondern auch als Schriftsteller tätig gewesen, und die Veranlagung dazu dürfte sicherlich von der mütterlichen Linie her stammen, und zwar von meinem anderen Großvater, Theodor Mügge. Der Dr. phil. Friedrich Theodor Leberecht Mügge, geboren 1802 in Berlin und gestorben 1861 ebendaselbst, war seinerzeit ein angesehener und viel gelesener Romanschriftsteller. Seine Hauptwerke wie „Afraja“, „Erik Randal“, „Der Vogt von Sylt“ und „Florian Geyer“ werden noch heute neu verlegt, gekauft und gelesen.

Anders als die väterliche sieht die mütterliche Reihe der Vorfahren aus. Dort durch fast zwei Jahrhunderte immer wieder Schmiede und Bauern, hier dagegen bessere Bürger, Kaufherren, Ratsmannen und Beamte. Alles in allem eine bereits seit vielen Generationen städtisch gewordene Ahnenreihe. Urkundlich nachgewiesen beginnt sie mit dem 1720 in Coswig a. d. Elbe geborenen Postmeister Gottfried Leherecht Mücke, und der Vorname Leberecht kehrt ständig wieder.

Weil aber „Mücke“ kein günstiger „nom de guerre“ für einen Romanschriftsteller ist, selbst dann nicht, wenn der Betreffende sechs preußische Fuß und einige Zoll misst, änderte Großvater Theodor seinen Namen in Mügge und wurde unter diesem neuen Namen auch mit meiner Großmutter getraut.

Eigenartig spiegelt sich der Geist der Zeiten in den alten Familiendokumenten wider. Urgroßvater Johann Georg Mücke, 1755 in Coswig geboren, heiratete zum ersten Mal 1789 mit kirchlicher Trauung. Das war kurz nach dem Hinscheiden Friedrichs des Großen und noch vor Ausbruch der Französischen Revolution. Dann kamen andere, freiere, oder wenn man so will, auch laxere Zeiten, und nach dem Tod der ersten Frau schloss der Urgroßvater 1795 mit Sophie Friederike Dorothea Schulz eine sogenannte Gewissensehe und ließ sich erst sieben Jahre später, als Großvater Theodor geboren wurde, kirchlich mit ihr trauen.

In die Kindertage von Großvater Theodor fielen die Franzosenzeit und die Befreiungskriege. Die umfangreichen Geschäfts- und Lagerräume des Urgroßvaters in der Heiligengeiststraße zu Berlin wurden von den Soldaten Napoleons geplündert und als Pferdeställe benutzt, und das Geschäft ging darüber zugrunde. Den Urgroßvater traf der Schlag so schwer, dass er 1814 starb und der eben zwölf Jahre alte Theodor Mücke in die Erziehung von Vormündern kam. Er studierte in Berlin neue Philologie, machte seinen Doktor und war danach kurze Zeit im Lehramt tätig. Aber der Geist der Reaktion, der in Preußen nach der Niederwerfung Napoleons zum Durchbruch kam, sagte ihm nicht zu. Er begeisterte sich für den Unabhängigkeitskampf der spanischen Kolonien in Südamerika und brach 1826 auf, um unter den Fahnen Bolivars für die Freiheit zu kämpfen.

Er kam zu spät, denn drüben war die Entscheidung bereits gefallen; aber seinem längeren Aufenthalt auf San Domingo verdanken seine zeitlich ersten Romane ihre Entstehung.

Von diesen seien „Toussaint Breda L’Ouverture“, der eine dramatische Schilderung des Freiheitskampfes der schwarzen Sklaven gegen ihre weißen Unterdrücker gibt, und „Der Chevalier“, der die weiteren Kämpfe auf der Insel schildert, genannt. Die in diesen Romanen ausgesprochenen politischen Anschauungen genügten, um Theodor Mügge in dem damaligen Preußen als Lehrer und Beamten unmöglich zu machen; notgedrungen wandte er sich der Journalistik und der freien Schriftstellerei zu. Eine Ehe, die er 1833 mit einer Tänzerin an der königlichen Oper schloss, fand 1841 durch den Tod der Frau ihr Ende. 1846 hat er dann meine Großmutter Pauline Kalisch in Köln am Rhein geheiratet. In die fünf Jahre, die zwischen den beiden Ehen liegen, fallen seine Reisen nach Skandinavien, deren Frucht die bereits genannten norwegischen und schwedischen Romane waren.

Neben der schriftstellerischen lief eine lebhafte politische Tätigkeit daher. Mit Gleichgesinnten gründete er im Sturmjahr 1848 die Berliner „National-Zeitung“, deren Feuilleton er bis zu seinem Tod geleitet hat. Er war achtundfünfzig Jahre alt, gesund, rüstig und im besten Aufstieg begriffen, als eine Kopfrose seinem Leben im Zeitraum von acht Tagen ein Ende setzte. Für sein Werk und für seine Familie starb er zu früh. Seine älteste Tochter Hedwig, meine Mutter, war bei seinem Tod zwölf Jahre alt. Meine Großmutter Pauline Mügge, geb. Kalisch, damals siebenunddreißig Jahre alt, die ihn vierundvierzig Jahre überleben sollte, blieb mit ihren drei Töchtern zunächst in ziemlich bedrängten Verhältnissen zurück. Sie verstand es aber, auch mit Wenigem hauszuhalten, und bald begannen die Tantiemen aus den Werken meines Großvaters zu fließen. Das hielt die dreißig Jahre, für die der Urheberschutz galt, an, sodass sie ihren Kindern im Jahre 1904 ein ganz ansehnliches Vermögen hinterlassen konnte.

Noch eine kurze Bemerkung über die Eltern der Großmutter Mügge.

Als der Königlich preußische Regierungskalkulator Gustav Karl Kalisch im Jahre 1820 in Köln heiratete, betrug sein Gehalt zweihundert Taler im Jahr. Mit einem Einkommen von vier Talern in der Woche konnte man damals einen bürgerlichen Hausstand gründen und führen. Wie das möglich war, wird verständlich, wenn man hört, dass das junge Ehepaar in Köln ein Häuschen mit einem sehr großen Garten für fünfzig Taler im Jahr mietete und in dem Garten alles, was an Vegetabilien einschließlich Kartoffeln für den Haushalt gebraucht wurde, selber gezogen hat. Die Zeiten waren damals noch billig und sind es rund ein Menschenalter geblieben. Erst 1848 fingen die Preise an zu klettern; empört kam Großmutter Mügge in jenem Jahr einmal vom Markt und...

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