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Wie das Staunen ins Universum kam

Ein Physiker und ein Biologe über kleine Blumen und große Sterne

AutorChristian Kummer, Harald Lesch
VerlagPatmos Verlag
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl190 Seiten
ISBN9783843607247
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis13,99 EUR
Was versetzt einen Biologen und einen Astrophysiker gleichermaßen in Staunen? In diesem Fall ist es eine unscheinbare blaue Blume. Von der Faszination durch die Traubenhyazinthe ausgelöst, machen sich die beiden die Gründe für ihr Staunen bewusst - und kommen dabei aus dem Staunen nicht mehr heraus. Mit Witz und Augen fürs Detail erklären die Wissenschaftler die Entwicklung vom Urknall über die kleine Blume bis zum komplexen Gehirn im eindrucksvollen Schnelldurchlauf. Dabei rufen sie sich und uns das Erstaunliche der evolutionären Prozesse ins Bewusstsein und feiern ganz nebenbei das Wunder des Lebens. Ein faszinierendes Buch über das Staunen, das zum Mitstaunen anregt.

Dr. Harald Lesch ist Professor für Theoretische Astrophysik an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Der evanglische Christ ist Lehrbeauftragter für Naturphilosophie an der Hochschule für Philosophie der Jesuiten in München. Dr. Christian Kummer SJ ist Biologe und Theologe. Er ist emeritierter Professor für Naturphilosophie der Hochschule für Philosophie in München und leitete dort das Institut für naturwissenschaftliche Grenzfragen zur Philosophie und Theologie.

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Das Staunen ist der Anfang von allem


Statt einer Einleitung

Zwei gestandene Wissenschaftler, ein Biologe und ein Astrophysiker, staunen. Sie staunen über eine kleine blaue Traubenhyazinthe. Ist das nicht ein bisschen übertrieben? Es gäbe da noch ganz andere Gewächse, die des Bestaunens mehr als nur würdig wären. Oder wie wäre es mit dem Sternenhimmel über uns, verlangte der nicht nach Bestaunung? Und überhaupt, wieso staunen diese beiden Wissenschaftler überhaupt? Vielleicht, weil sie ihr je­wei­liges Interesse an der Naturwissenschaft mit philosophischer Reflexion und Lehrtätigkeit begleiten. Der kontroversen Natur der Philosophie (worüber ist man sich eigentlich einig in der Philosophie?) entstammt nämlich auch ihre Zügellosigkeit. Philosophie darf, ja muss alles infrage stellen dürfen, sie setzt sich keine Grenzen. Es ist ihre eigentliche Aufgabe, nach den Hintergründen zu fragen. So steht dann sogar das Staunen, das nach Aristoteles am Anfang jeder philosophischen Betrachtung steht, unter dem Brennglas einer philosophischen Analyse: Warum staunen wir, was ist Staunen überhaupt und was sind die Bedingungen des Staunens? Da staunen Sie?

Am 18. Februar 1829 schrieb Goethe an Eckermann: »Das Höchste, wozu der Mensch gelangen kann, ist das Erstaunen; und wenn ihn das Urphänomen in Erstaunen versetzt, so sei er zufrieden; ein Höheres kann es ihm nicht gewähren und ein Weiteres soll er nicht dahinter suchen; hier ist die Grenze.«

Das vorliegende Buch ist nicht der Versuch, dem Geheimen Rat aus Weimar zu widersprechen, aber wenigstens die Grenze etwas hinauszuschieben. Die kleine blaue Traubenhyazinthe hat ihm wahrscheinlich ebenfalls gefallen, vielleicht hat er sie gemalt oder sogar ein kleines Gedicht für und über sie geschrieben und dann? Goethe ist offensichtlich nicht auf den Gedanken gekommen, sie derart zu zerpflücken, wie wir das in unserem Buch tun; das Staunen über ihre Existenz war ihm wahrscheinlich genug. Wir aber wollen nicht nur staunen, wir wollen wissen, warum wir staunen. Unsere Erkenntnisse auf diesem Weg haben wir auf zwei verschiedene Arten beschrieben: biologisch und physikalisch.

Zwei Punkte scheinen uns wichtig zu sein.

Erstens: Man staunt nicht grundlos.

Zweitens: Staunen ist dem Menschen so eigen wie Glauben und Wissen.

Was kann ich wissen? Immanuel Kant stellt diese Frage an den Anfang seiner Philosophie. Er stellt kurz und nüchtern fest, dass sich Wissen auf eigene, unausweichliche Einsicht gründet. Dies steht im Gegensatz zum Glauben, dem »Für-wahr-Halten« aufgrund der Mitteilung einer Autorität, der man vertraut. Und Wissen besteht im echten Sinne nicht nur in der Feststellung von irgendetwas, sondern im Erkennen eines tatsächlichen Sachverhalts aus seinen Gründen. Damit ist Wissen auf Vorgegebenes gerichtet. Es bekommt seine Einstellung zum Vergangenen, das schon bereit ist, während Glauben mehr auf das Kommende schaut. Vom Vergangenen kann man im geschichtlichen Sinne wissen, vom Zukünftigen gibt es kein echtes Wissen in diesem Sinn. Kant geht von Bereichen aus, bei denen nach seiner Ein­schätzung jeder Erfahrung vorangehendes Wissen besteht, Kant nennt das Wissen apriori. Wissen also, das man nicht erst durch Erfahrung erwirbt. Das ganze große Feld der Erkenntnis aus Gründen des wissenschaftlichen Wissens aber gründet sich auf Erfahrung. Alle Naturwissenschaft ist darauf gebaut. Dem um Wissen bemühten Menschen bietet sich die gesamte Natur als Anschauungs­material an. Alles, was direkt oder durch Mittel wie Mikroskope, Fernrohre, Beschleuniger etc. den Sinnen zugänglich ist. Hier sind wir im Raum der Erfahrung dessen, was wir nachprüfen können, was sich allen Menschen auferlegt und was Voraussagen, Vorausberechnungen, also auch Blicke in die Zukunft in beträchtlichem Umfang gestattet.

Für Kant hat die Natur ihre eigene Weise, sie ist unauslotbar tief und groß und reich gegliedert. Es ist nicht vorstellbar, dass der Mensch in seiner Erforschung der Natur je zum Abschluss kommen könnte. Naturwissenschaft ist echtes Wissen über die Naturdinge, aber es ist unvollständiges Wissen über die Natur und wird immer unvollständig bleiben. Die Fülle alles dessen, was in einer Naturgegebenheit und in einem Naturgegenstand beisammen ist, kann der Mensch nie ausschöpfen. Ob Zelle oder Elementarteilchen, ob Stern oder Galaxie, die Natur ist immer noch reicher; aber der einzelne Zug aus der Fülle der Zusammenhänge und Phänomene, der vom Forscher im Experiment isoliert gefragt wird, den gibt die Wissenschaft in Treue wieder. Und so wissen wir denn im echten Sinne vieles von der Natur und erfahren immer mehr.

Aber wir erfahren nicht alles, vielleicht staunen wir deshalb, weil wir etwas verstanden haben, was wir aber nicht in Sprache verwandeln können. Staunen wir, weil wir nicht mehr nur glauben wollen, aber doch wissen, dass wir nicht alles wissen können? Komme ich aus dem Staunen nicht mehr heraus, weil es gar nicht anders geht?

Staunen ist eine Sache für sich, es ist nicht rational, es hat auch nichts Fokussierendes. Etwas zu bestaunen heißt, es nicht zu reduzieren, sondern ganz aufzunehmen, es ist eine im besten Sinne des Wortes ganz menschliche Urerfahrung. Staunen ist ein tiefes Gefühl der Überraschung, des Respekts und eben auch der Ehrfurcht vor dem Bestaunten. Vom Staunen ist man ganz ergriffen; es ist allen Menschen eigen, ob alt oder jung, Expertin oder Laie. Staunen ist auch ein Erlebnis von Grenze, anders ausgedrückt: Etwas entzieht sich unserer unmittelbaren Erkenntnis. Staunen erinnert an unsere Grenzen in Raum und Zeit, an die Grenzen unserer Möglichkeiten, an die Grenzen des Geistes. Und genau deshalb ist Staunen von grundlegender Bedeutung für die Wissenschaft, es ist manchmal der erste Fußabdruck des menschlichen Erkenntnisdrangs auf bis dahin noch völlig unbekanntem Terrain. Staunen ist ein erster Schritt, sich mit der Welt auseinanderzusetzen. Aristoteles beginnt seine Metaphysik mit dem Satz: »Denn Staunen veranlasste zuerst wie noch heute die Menschen zum Philosophieren«, und Thomas von Aquin meint: »Das Staunen ist eine Sehnsucht nach Wissen.« Ein berühmter Aphorismus von Einstein lautet: »Der Fortgang der wissenschaftlichen Entwicklung ist im Endeffekt eine ständige Flucht vor dem Staunen. Das schönste Erlebnis ist die Begegnung mit dem Geheimnisvollen. Sie ist der Ursprung jeder wahren Kunst und Wissenschaft. Wer nie diese Erfahrung gemacht hat, wer keiner Begeisterung fähig ist und nicht starr vor Staunen dastehen kann, ist so gut wie tot: Seine Augen sind geschlossen.«

Staunen gilt seit Platon als wesentliches Merkmal für einen an Erkenntnis und Einsicht interessierten Menschen. Über etwas zu staunen heißt, eine Beobachtung, eine Erzählung, eine Erklärung nicht mehr als selbstverständlich anzunehmen, Skepsis gegenüber der eigenen Sinneswahrnehmung zu hegen, Fragen zu stellen, statt bisher gültige Antworten zu übernehmen, gängige Deutungen zu modifizieren oder auch radikal abzulehnen. Das Staunen ist somit verschwistert mit dem Zweifel. Alte Denkwege erscheinen oft nicht mehr gangbar, die daraus entstehende denkerische Not drängt uns dazu, neue Antworten auf alte und bisweilen auch neue Fragen zu suchen und diese Behauptungen zu begründen.

Man kann also nicht einfach so losstaunen. Es muss schon etwas da sein, was zu kritisieren, zu hinterfragen oder zu verstehen ist. Man kann sich eben auch blöd staunen. Wenn man über alles staunt, dann bleibt nichts mehr. Das Staunen vergeht einem bei andauerndem Staunen, es nutzt sich ab. Hintergründiges Staunen verlangt nach Hintergrund. Unser Hintergrund ist die Wissenschaft. Wir sind Wissenschaftler. Uns interessiert die Vernetzung der Welt, das Ineinandergreifen von ganz verschiedenen Kräften, Feldern und Zusammenhängen, von Galaxien, Sternen, Planeten, Lebewesen, Zellen, bis zu den elementarsten Teilchen. Wir möchten wissen, wie es kommen konnte, dass sich aus einem extremen, sehr heißen, sehr energetischen, fast vollständig gleichmäßigen Anfang eine derart komplizierte und komplexe Welt entwickeln konnte. Wie kam es vom Urknall bis zum Gehirn, das über eine Traubenhyazinthe staunt?

Worüber wir am meisten staunen? Wir staunen über das Glück, die scheinbar grundlose Fröhlichkeit, für die es keine Rechtfertigungspflicht gibt, die nicht erzeugt werden kann. Menschen fühlen sich beim Staunen in ihrer Welt gut aufgehoben. Da muss nichts gemacht werden, es ist schon gemacht – und wie! Ganz schlicht ausgedrückt: Wir sind gemachte Leute, gemacht für eine Welt, die von einem dem Leben gegenüber merkwürdig wohl wollenden naturgesetzlichen Fundament durchzogen ist. Dieses Fundament ist geprägt von eng miteinander vernetzten Prozessketten und Kreisläufen, die andauernd neue Möglichkeiten erzeugen und ausprobieren, aber ohne die Welt gleich aus den Angeln zu heben. Winzige Abweichungen von der Normalität probieren sich aus. Bei Erfolg verstärken sie sich. Aus den kleinen Schwankungen werden Wellen, und es treten ab einer bestimmten Stufe ganz neue Erscheinungen in Erscheinung. Die Natur ist ein Geflecht von »Werden-Können«, aber »Noch-nicht-geworden-Sein«, ein andauernder Möglichkeitsdruck, der Neues erzeugen will, aber nicht um jeden Preis. Revolutionen, die alles bisher Dagewesene in den Schatten stellen, sind sehr selten in der Natur. Es sind vielmehr die Entwicklungen der »kleinen Schritte« oder der »ruhigen Hand«, die sukzessive, peu à peu die vorhandenen Möglichkeiten an den Bedingungen der Umwelt, zunächst nur an wenigen Lebewesen, ausprobiert. Dabei entscheidet immer der unmittelbare Erfolg, aber der Normalfall ist, dass nichts Neues passiert....

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