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Wissensproduktion im Staat

Das königlich preußische statistische Bureau 1860-1914

AutorMichael C. Schneider
VerlagCampus Verlag
Erscheinungsjahr2013
Seitenanzahl467 Seiten
ISBN9783593421063
FormatPDF
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis52,99 EUR
Die Verwaltung moderner Staaten ist ohne die Arbeit ihrer statistischen Ämter nicht vorstellbar. Am Beispiel des 1805 in Berlin gegründeten preußischen statistischen Bureaus behandelt dieses Buch die Entfaltung der Prinzipien, nach denen diese Behörde in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts immer umfassendere Datenmengen erhob. Fundamentale methodische Innovationen begründeten wichtige Modernisierungsschübe in der Tätigkeit dieser Behörde. Verbunden damit war die - letztlich enttäuschte - Hoffnung, so auch Bewegungsgesetze der Gesellschaft schlechthin freilegen zu können. Dabei geriet das Bureau immer wieder in das Spannungsfeld zwischen wissenschaftlichem Anspruch und staatlich gebundener Verwaltungstätigkeit.

Michael C. Schneider, PD Dr. phil., ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Universität Frankfurt am Main.

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Leseprobe
1 Einleitung

1.1 Thema und Fragestellung

Moderne Staaten sind wie moderne Gesellschaften ohne die Arbeit der amtlichen Statistik nicht mehr vorstellbar. Diese Feststellung gilt für alle Ebenen staatlichen Handelns, sei es für die Wirtschaftspolitik, die für ihre Prognosen und Planungen seit der Zwischenkriegszeit auf ein zunehmend ausdifferenziertes und kontinuierlich bereitgestelltes Datenmaterial ange-wiesen ist, sei es, wenn der Zuschnitt der Wahlkreise anhand der Bevölkerungsverteilung zu entwerfen ist, sei es, wenn die medizinische Versorgung der Bevölkerung mit statistischen Maßzahlen zu bemessen ist. Für das 20. Jahrhundert leuchtet diese Feststellung unmittelbar ein, und so sind statistische Ämter auf kommunaler Ebene, der Ebene der Bundesländer, der Nationalstaaten und der europäischen Ebene kaum angezweifelter, selbstverständlicher Teil einer staatlichen Wissensproduktion. Dieser gegenwärtige Zustand ist Ergebnis eines längeren historischen Prozesses, der in Europa um die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert einsetzte. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts breitete sich nachgerade ein 'statistischer Enthusiasmus' (Harald Westergaard) in Europa aus, der weite Teile der staatlichen Verwaltungen, aber auch des Bürgertums an die aufklärende Wirkung detaillierten statistischen Wissens glauben ließ und bis zur Jahrhundertmitte in vielen Staaten zur Einrichtung statistischer Ämter, aber auch privater statistischer Vereine und Gesellschaften führte.

Vor neue Herausforderungen sahen sich die statistischen Ämter in Deutschland seit der Mitte des 19. Jahrhunderts gestellt: Sie beobachteten jetzt eine Gesellschaft, die sich in tiefgreifenden Umbruchsprozessen befand. In diesen Jahrzehnten setzte sich in Preußen und Deutschland der Industriekapitalismus endgültig durch. In Verbindung mit einem anhaltend starken Bevölkerungswachstum und einer rapiden Urbanisierung - Phänomene, die die amtliche Statistik in ihrer quantitativen Dimension erst sichtbar machte - verlangte eine Fülle von neuen Problemen nach Antworten: Deren Bandbreite reichte vom Aufbau einer kommunalen Daseinsvorsorge bis zur Etablierung eines reichsweiten Sozialversicherungs-systems. Das politische System wiederum bedurfte, um diese Probleme zu bearbeiten, eines fundierten statistischen Wissens und war daher in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in besonderer Weise auf funktionsfähige statistische Ämter angewiesen.

Auf diesen Zeitraum konzentriert sich die vorliegende Studie, die damit eine zentrale Phase dieser formativen Periode bei der Etablierung statistischer Ämter untersucht. Sie fragt nach den Bedingungen und den Möglichkeiten, aber auch nach dem Eigenleben dieser Behörden, die für die Generierung staatlichen statistischen Wissens in erster Linie zuständig waren. Im Mittelpunkt der Untersuchung steht dabei das königlich preußische statistische Bureau in den Jahrzehnten von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis 1914. Die exemplarische Untersuchung dieser Behörde dient dabei gleichsam als Sonde, um die Funktionsweise der amtlichen Statistik generell zu verdeutlichen. Hierzu eignet sich das preußische Bureau in besonderem Maße, denn es beobachtete den größten deutschen Flächenstaat und gilt aufgrund der vielfältigen Impulse, die sein langjähriger Direktor Ernst Engel nach 1860 gab, als eines der einflussreichsten im deutschen Sprachraum. Hinzu kommt, dass die Quellenlage für dieses Bureau so günstig wie für kaum ein anderes eines deutschen Einzelstaates ist und an Dichte und Aussagekraft für diese Epoche auch die Überlieferungsqualität der Reichsstatistik deutlich übertrifft.

Blick ins Buch
Inhaltsverzeichnis
Inhalt6
1 Einleitung10
1.1 Thema und Fragestellung10
1.2 Forschungsstand und Quellen30
1.2.1 Forschungsstand30
1.2.2 Quellen33
2. Organisation und Konzeption der preußischen amtlichen Statistik35
2.1 Das statistische Bureau zwischen Reformzeit und »Neuer Ära« (1805–1859)35
2.1.1 »Ein solches Bureau sollte den Staat nichts kosten«: Gründung und Konsolidierung des statistischen Bureaus zu Beginn des 19. Jahrhunderts35
2.1.2 Konzeption der amtlichen Statistik in der Ära Dieterici47
2.1.3 Dietericis Tod und die Suche nach einem Nachfolger 185954
2.2 Anatomie einer Behörde: Das statistische Bureau unter dem Direktorat Ernst Engels 1860–188271
2.2.1 »Statistik ist die Selbsterkenntnis des Staats«: Kritik und Neukonzeption der amtlichen preußischen Statistik71
2.2.2 Personalentwicklung und Personalprobleme82
2.2.3 Das preußische statistische Bureau nach 186796
2.2.3.1 Wachstum des Bureaus und Ausdifferenzierung der statistischen Arbeitsfelder96
2.2.3.2 Neuer Reformbedarf, Zentralisierungsbestrebungen und autopoietische Wissensproduktion102
2.2.4 Die Einbettung in den Regierungsapparat: Rolle und Bedeutung der »statistischen Centralcommission«115
2.2.5 Lehre und Nachwuchsbildung: Das »statistische Seminar«132
2.2.6 Das Verhältnis der preußischen Statistik zur Öffentlichkeit und die Folgen158
2.2.6.1 Der Konflikt zwischen Engel und Bismarck158
2.2.6.2 Die Entlassung Engels durch Puttkamer 1881/82178
2.2.6.3 Das Verhältnis zur Öffentlichkeit nach 1882183
2.3 Das Verhältnis zwischen preußischer Statistik und Reichsstatistik zwischen 1882 und 1918191
3. Die Volkszählung als Grundlegungdes methodischen Paradigmas des preußischen statistischen Bureaus202
3.1 Der wissenschaftshistorische Kontext203
3.2 Die preußische Bevölkerungsstatistik vor 1860215
3.3 Bevölkerungsstatistik und Volkszählungen in der Ära Engel224
3.3.1 Methodenentfaltung in den 1860er Jahren224
3.3.2 Methodenentfaltung und Selbstverständnis der preußischen Statistik seit Mitte der 1860er Jahre: Bevölkerungsstatistik in der Erweiterung240
3.3.2.1 Durchsetzung der »centralisirten Methode«255
3.3.2.2 Praktische Erfahrungen260
3.3.2.3 Selbstbeobachtung der Beobachtung270
4. Themenfelder der amtlichen Bevölkerungsstatistik289
4.1 Konfessionsstatistik289
4.1.1 Konfessionsstatistik in der Ära Dieterici289
4.1.2 Konfessionsstatistik nach 1860296
4.2 Sprachenstatistik und Nationalitäten304
4.2.1 Nationsbildung und Sprachenstatistik304
4.2.2 Das statistische Bureau im Sog verschärfter Nationalitätenpolitik325
4.3 Berufsstatistik344
4.3.1 Berufsstatistik vor 1870/1882344
4.3.2 Die großen Zählungen von 1882, 1895 und 1907352
4.3.2.1 Die Zählung von 1882352
4.3.2.2 Die Zählung von 1895385
4.3.2.3 Die Zählung von 1907405
5. Zusammenfassung424
6 Anhang435
6.1 Abkürzungen435
6.2 Tabellenverzeichnis437
6.3 Quellen- und Literaturverzeichnis438
6.3.1 Ungedruckte Quellen438
6.3.2 Gedruckte Quellen und Literatur439
Danksagung467

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