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Zarah Leander. Das Leben einer Diva

AutorJutta Jacobi
Verlagbtb
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl288 Seiten
ISBN9783641144272
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis8,99 EUR
Ich war eine politische Idiotin.
»Kann denn Liebe Sünde sein«, »Yes, Sir«, »Davon geht die Welt nicht unter« - ihre Lieder sind Evergreens, ihre Bühnenauftritte Legende. Der Schatten ihrer Karriere: ihr Wirken im Dritten Reich. Jutta Jacobi hat bisher unbekannte Fakten zutage gefördert, die das Bild der Diva in einem neuen Licht erscheinen lassen. Es ist eine wahrhaft europäische Geschichte, und sie handelt von der Gier nach Ruhm und Geld, von großen Triumphen und vom Ausgestoßensein, von Lampenfieber, Alkohol und Depressionen, von anhänglichen Fans und gehässigen Journalisten, von nie enden wollenden Spionagegerüchten und einer grandiosen Selbstinszenierung: als Diva.

Jutta Jacobi ist Journalistin und Feature-Autorin. Die promovierte Germanistin lebt in Hamburg und Stockholm. Schwerpunkte ihres Schreibens sind Literatur und Gesang.

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Leseprobe

HINTERM VORHANG

Sie ist noch nicht dran. Sie weiß, es wird noch einige Jahre dauern. Ein Vorhang aus brokatverziertem Plüsch trennt sie von der Welt der Erwachsenen. Dahinter steht das kleine rothaarige Mädchen auf bloßen Füßen und wartet auf seinen Auftritt. Noch ist sie Zuschauerin, und die Bühne gehört den Eltern und deren Freunden.

Im Kinderzimmer liegen die Brüder in ihren weiß gestrichenen Betten und schlafen fest. Sie hat ihre tiefen Atemzüge gehört, aber das hat sie nicht beruhigt. Die Stimmen und das Gelächter der Erwachsenen von fern sind wie das Versprechen zukünftiger Vergnügungen, deren Mittelpunkt sie selber sein wird. Sie hat ihre Füße auf den gewebten Teppich neben dem Bett gesetzt, ist in geduckter Haltung, den Zeigefinger auf den Mund gelegt, aus dem Zimmer gehuscht und dann über den langen Gang in ihr Versteck im Herrenzimmer geschlichen. Das leise Knacken der Dielenböden hätte sie verraten können. Ihr Herz pocht heftig.

Auch sie möchte schöne, elegante Kleider tragen wie Mama und sich so viele Fleischstücke bei Tisch auftun dürfen wie Papa. Sie mag sich nicht herumkommandieren lassen, nicht dauernd zu hören bekommen: Zarah, davon verstehst du nichts, dafür bist du noch zu klein. Zornig pustet sie ihren Atem in den weichen Stoff vor ihrer Nase. Sie will den Mund auftun und reden, und alle sollen sie ansehen und ihr zuhören, so wie jetzt dem Onkel Victor, Papas Vetter Victor Nyman. Sie will endlich groß sein. Aber es wird noch viele Jahre dauern.

Kaiser Wilhelms Rüstungsanstrengungen und die Sorge um den Krieg waren die Gesprächsthemen der Herren bei Cognac und Zigarren. An solchen Abenden, wenn Papa und Mama ihre Freunde in der Elf-Zimmer-Wohnung in der Järnvägsgatan um sich versammelten und Zigarrenrauch über dem Raum lag wie nach einem Gefecht, pflegte ich mich anzuschleichen und zuzuhören. Stück für Stück erfasste ich die Landkarte der Erwachsenenwelt. Ich sog alles in mich auf wie ein Schwamm … niemand sah mich, wie ich mich im Nachthemd hinter den Falten der schweren Vorhänge verborgen hielt. Es gab Nächte, da hielt ich bis zum Morgengrauen aus, bis Ruth kam und mich ins Bett scheuchte.1

Sechs oder sieben Jahre alt muss Zarah Leander bei ihren Ausflügen in die Erwachsenenwelt gewesen sein. Zu den Kindheitserinnerungen, die sie in ihrem ersten Memoirenbuch »Wollt ihr einen Star sehn« für berichtenswert hält, gehören die Nächte hinterm Vorhang.

In diesem ersten Band, entstanden 1958, kurz vor dem Tod der Mutter, schrieb sie einiges über das Leben in ihrer Heimatstadt Karlstad und über die beiden Frauen, die ihr als Vertraute zur Seite standen: die geliebte Großmutter, mit der sie eine Weile das Schlafzimmer geteilt hatte, und Ruth, das »Familienfaktotum«. 1973, diesmal mit Hilfe des Fernsehjournalisten Jan Gabrielsson, hat sie einen zweiten Anlauf genommen, ihr Leben zu beschreiben. Nun liegt das Schwergewicht auf dem Doppelporträt ihrer Eltern. Die Schilderung ihrer frühen Theaterleidenschaft und des elterlichen Widerstands gegen ihre Bühnenpläne nehmen in beiden Büchern gleich viel Platz ein. Natürlich muss man das auch lesen als »Selbstporträt der Künstlerin als Kind«: Das, was sie geworden ist, bestimmt ihren Blick auf das, was früher war. Trotzdem: Auffällig ist die Orientierung an den Erwachsenen und das Desinteresse an Gleichaltrigen. Sie hatte es offenbar eilig, erwachsen zu werden.

Hatte die Diva das, was man eine »glückliche Kindheit« nennt? Hat sie, lustvoll und selbstvergessen, die Tage verspielt? Hat sie mit den vier Brüdern phantasievolle Abenteuer ausgeheckt? Jedenfalls berichtet sie davon nichts, berichtet von keiner »Bullerbü-Kindheit« wie die andere berühmte Schwedin, die 1907 geboren wurde, Astrid Lindgren, sie erlebt, beschrieben und als Idealbild von Kindheit in die Welt hinausgetragen hat. Bei Zarah Leander ist von solcher Freiheit nicht die Rede, von Geborgenheit schon, aber auch von Kontrolle, vom »Müssen«, das die Mutter verkörpert, und von den kleinen Fluchten, die möglich waren. Prägend, vielleicht sogar ausschlaggebend für die künstlerische Existenz von beiden ist die Herkunft aus der schwedischen Provinz. Was Vimmerby für Astrid Lindgren, das war Karlstad für Zarah Leander. Dort wurde sie als Sara Stina Hedberg am 15. März 1907 geboren. Sara mit »S« und ohne »h«, nach der Großmutter mütterlicherseits, Sara Charlotta Sundin.

Ein »Sandwichkind«: Vor ihr kamen die Brüder Jonas (Jahrgang 1903) und Ante (1905). Ein jüngerer Bruder, der auf den Namen Sigvard Sebastian getauft wurde, starb zehn Tage nach der Geburt am 7. Juli 1909 »aufgrund allgemeiner Schwäche«. Die Arme waren so dünn, berichtet der 102-jährige Jonas Hedberg, dass der Vater seinen Ehering darüber streifen konnte. Von großer Trauer um das tote Kind habe er persönlich wenig mitbekommen. Aber vielleicht Zarah, die damals zwei Jahre alt war. 1911 und 1912 wurden zwei weitere Brüder geboren: Gustaf und Bror.

Wie unterschiedlich sich auch später das Verhältnis zu jedem der vier entwickelte – Gustaf, der Schauspieler wurde, liebte sie so, dass er seine beiden Töchter nach der großen Schwester benannte, Kerstin Zara Ingegerd die erste, Zarah Eva Susanna die zweite –, in Zarah Leanders Memoiren bekommen sie den Platz einer »unbarmherzigen« Brüderbande zugewiesen, die der Vater mit harter Hand zügeln muss. Unbarmherzig, weil sie für ihre Bühnenträume nichts als Spott übrig hatten:

Ich hatte in der Aula des Gymnasiums Jenny Hasselquist tanzen sehen. Das Erlebnis war so aufwühlend, so unerhört gewesen, dass ich mich nicht beherrschen konnte, sondern zu Hause aufgeregt verkündete: »Ich will Tänzerin werden!«

Meine abscheulichen, geliebten Brüder brüllten und bogen sich vor Lachen, bis Papa sie am Schlafittchen packte, ihre Köpfe gegeneinanderstieß und sie in eine Ecke schleuderte. »So, und Mama erfährt nichts davon! Kein Sterbenswörtchen! Vergesst das nicht, Jungs!«, drohte Papa.

»Määännerrrr umschwirrn mich wie Motähän das Licht« … Das Lied gehört Marlene Dietrich, und auch Zarah Leander hat es gesungen, auf Schwedisch. Es beschreibt die Grundfigur ihrer Bühnenchoreografie von den ersten schwedischen Filmrollen an bis zu den letzten Fernsehauftritten. Das Drohnenballett der gut abgerichteten Herren im Frack umschwärmt die Diva, die ihrem Dasein Ordnung und Sinn verleiht, reagiert auf das kleinste Zeichen ihres ausgestreckten Fingers, lässt sich anlocken und fortschicken, geht in die Knie, schickt bewundernde Blicke und wartet auf ein Zeichen. Sie, die lächelnde Dompteurin, bewegt sich nur sparsam. Sie hat es nicht nötig, sich zu sehr zu verausgaben. Der Mittelpunkt ist sie in jedem Fall.

Die Brüder dachten nicht daran, sich so zu verhalten. Das Sandwichkind ist eingeklemmt zwischen den brüderlichen Hälften, notwendige Zutat des Ganzen, nicht mehr. Aber immerhin ist sie ein Mädchen, das einzige, und damit anders, angreifbar. Im Vater hat sie ihren starken Ritter. Zarah, die Vatertochter. Ein festes Band ist das gemeinsame Musizieren, der Vater auf der Flöte, sie auf dem Klavier.

Papa gab mir oft Noten: »Hier, guck mal, das ist wunderschön. Üb das heute, dann spielen wir morgen zusammen.« Und am nächsten Tag spielten wir, und mit den leichten Tönen aus der Flöte glitt sein Blick weit weg, über die Noten, den Notenständer, die Sesselschoner, Familienfotos und Zimmerpflanzen. Mir schien, als würden seine blauen Augen um noch eine Nuance heller, wenn er spielte, und ich wünschte mir, den Blick mit ihm teilen und sehen zu können, was er sah. Ich ahnte es. Die Schule war die Hölle, die Brüder konnten unerträglich sein, Mama war so, wie sie war. Aber Papa und ich feierten ein Fest in einer Welt, die nur uns gehörte. Bis Mama kam: »Was treibt ihr denn, mitten am Tag? Zarah soll doch die Palmen waschen!«

Beide zitierten Passagen – der Vater, der sich schützend vor seine Tochter stellt, und die Fluchten zu zweit in die exklusive Welt des Musizierens – sind Schlüsselszenen des Zarah-Mythos. Sie fehlen in keiner biografischen Skizze. Hinzu kommt noch eine dritte, oft und gern zitierte. Es handelt sich um einen Dialog zwischen Vater und Tochter, den die Künstlerin aus dem Gedächtnis folgendermaßen wiedergibt:

»Ich bin so anders als alle anderen, Papa. Alle anderen Mädchen sehen anders aus. Bloß ich sehe so aus …«

»Rotes Haar ist doch schön!«

»Aber ich denke auch nicht wie die anderen, ich denke anders als sie.«

»Mach du nur weiter damit, es ist nichts Verkehrtes daran, zu sein, wie man ist.«

»Ich mag nur Musik, und die anderen reden von Handarbeiten. Ich kann das nicht, ich kann nicht nähen, ich sehe ja nichts.«

»Du könntest schon, wenn du nur wolltest. Aber wenn du nicht willst, dann musst du auch nicht.«

Es ist ein überaus liebevolles Bild, das Zarah Leander von ihrem »kolossalen Papa« bewahrte. Vermutlich aus Liebe schweigt sie über das vorzeitige Ende ihrer Kindheitsidylle. Nach Berichten des Bruders Jonas beginnen sich, kaum ist der Erste Weltkrieg vorbei, die ersten Anzeichen für die bedrohliche Krankheit des Vaters bemerkbar zu machen, eine Krankheit, die zu seiner vollständigen körperlichen und geistigen Zerrüttung führen sollte. Heute, glaubt Jonas Hedberg, würde man sie »Alzheimer« nennen. Damals hatte man keinen Namen dafür. Ein großes Unglück für die siebenköpfige Familie.

Anders Lorentz Sebastian Hedberg wurde 1872 im wärmländischen Gunnarskog geboren. Die Familie war angesehen, eine alte, wärmländische Bürgerfamilie mit...

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