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E-Book

Harte Kost

Wie unser Essen produziert wird - Auf der Suche nach Lösungen für die Ernährung der Welt

AutorStefan Kreutzberger, Valentin Thurn
VerlagLudwig
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl320 Seiten
ISBN9783641143329
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis13,99 EUR
Kein Brot für die Welt
Die Weltbevölkerung wird bis 2050 auf fast zehn Milliarden Menschen anwachsen. Um sie zu ernähren, müssen wir 70 Prozent mehr Lebensmittel produzieren, prophezeien die Agrarkonzerne. Und das gehe nur mit mehr Chemie, mit Gentechnik und Massentierhaltung. Aber ist das wirklich der einzig gangbare Weg?

Journalist Stefan Kreutzberger und Filmemacher Valentin Thurn begeben sich auf eine weltweite Suche nach zukunftsfähigen Lösungen für eine Nahrungsmittelproduktion, die Mensch und Tier respektiert und die knappen Ressourcen schont. Sie besuchen Visionäre aus den zwei gegnerischen Lagern der industriellen und der bäuerlichen Landwirtschaft, treffen Biobauern und Nahrungsmittelspekulanten, besuchen urbane Gärten und Industrieschlachthöfe, Insekten- und Genlachsfarmen. Die Geschichten, die hinter unseren Lebensmitteln stehen und die die Autoren auch in einem Film präsentieren, sind oft so unfassbar, dass man den Glauben an das Gute im Menschen verlieren möchte - doch die Fülle an Gegenvorschlägen zeigt deutlich: Wir haben einen enormen Handlungsspielraum, wir können etwas verändern. Wenn wir es wollen.

Stefan Kreutzberger, Jahrgang 1961, ist freier Journalist, Autor und Medienberater mit Schwerpunkt auf Umwelt-und Verbraucherthemen. 2011 erschien der Bestseller Die Essensvernichter zusammen mit dem preisgekrönten Kinofilm Taste the Waste.

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Leseprobe

2   Das Saatgut-Monopoly          

Natürlich dachten wir bei Saatgut an erster Stelle an Monsanto. Der US-Konzern ist nicht nur der weltgrößte Saatguthersteller, sondern gilt wegen der aggressiven Vermarktung von Gensoja und Genmais als Bösewicht Nummer eins. Seine Vergangenheit als Chemiekonzern, der im Vietnamkrieg das berüchtigte »Agent Orange« hergestellt hat, sorgt für das Image eines skrupellosen Unternehmens. Wir bemühen uns um ein Interview mit dem Vorstandsvorsitzenden Hugh Grant.

Die Monsanto-Pressestelle durchleuchtet uns detailliert: Über fünf Monate gehen E-Mails hin und her, drei Telefonkonferenzen finden statt. Kommunikationschefin Carla Roeber fragt besonders misstrauisch: »In welchem Umfeld wird Monsanto präsentiert werden?« Sie will nicht nur ein Exposé unseres Films, sondern eine ausführliche Liste aller unserer Gesprächspartner mit allen Kontaktdaten. Wow, ein derartiges Ansinnen habe ich noch von keinem Unternehmen gehört. Das gab es bisher nur, wenn wir eine Drehgenehmigung in einer Diktatur beantragt haben. Wir diskutieren weiter, doch es kommt weder eine Zu- noch eine Absage, es werden nur immer neue Fragen gestellt.

Parallel dazu versuchen wir es beim Donald Danforth Plant Science Center, einem Ableger von Monsanto, das als gemeinnütziges Institut auch von der Bill-&-Melinda-Gates-Stiftung, der Buffett-Stiftung, der McDonnell-Familie und USAID (der amerikanischen Entwicklungshilfe) getragen wird. Anders als Monsanto kümmert sich das Danforth Center auch um Pflanzen, die für Kleinbauern interessant sind: zum Beispiel, indem es eine virusresistente Cassava (Maniok) entwickelt. Mit Gentechnik.

Ein Türöffner, um die Gentechnik auf dem afrikanischen Kontinent zu platzieren, wo sie fast überall noch illegal ist? Oder tatsächlich ein Projekt, das Kleinbauern hilft? Wird das Saatgut wirklich verschenkt und können es die Bauern auch selbst vermehren, oder müssen sie es jedes Jahr neu kaufen? Das wären meine Fragen, doch Studienleiter Dr. Nigel Taylor zögert: »Es ist noch zu früh, wir brauchen noch ein Jahr für präsentable Ergebnisse.« Wir führen zwei lange Telefongespräche. Ich habe den Eindruck, dass dadurch ein gewisses Vertrauen entsteht, und biete an, ihn zunächst ohne Kamera zu treffen. Er willigt ein.

Mitten in der 40-Grad-Sommerhitze fliege ich von Chicago nach St. Louis, unter mir die endlosen Sojafelder des Mittleren Westens. In der Werbebroschüre des Danforth Center lese ich: »Alle sechs Sekunden stirbt ein Kind an Unterernährung. Wir glauben, dass die Wissenschaft dieses Leiden beenden kann.« Das Danforth-Gebäude ist ein riesiger Kubus in Orange und liegt – wie sollte es anders sein – direkt gegenüber der Monsanto-Zentrale, beide Gebäude durch einen breiten Grüngürtel von Blicken von außen geschützt. Ich werde von Forschungsdirektor Paul Anderson empfangen. Auch er will genau wissen, wie mein Film aufgebaut ist.

Ich erkläre ihm das Prinzip: Ich will die Frage »Wie können wir die Welt ernähren?« von den möglichen Lösungen her denken. Die unterschiedlichen Lösungen sollen jeweils von einem »Macher« präsentiert werden, ohne dass sie sofort kritisch durchleuchtet werden. Erst im Kontrast zu den anderen Konzepten wird klar, wo die Unterschiede liegen. Mein Anliegen ist es, mir die Argumente beider Seiten offen anzuhören und nicht von vornherein die Welt in Schwarz und Weiß zu malen.

Paul Anderson findet meinen Ansatz zwar überzeugend, andererseits versucht er mir klarzumachen, warum das Danforth Center derzeit die Öffentlichkeit scheut: »Wir würden riskieren, dass unser Projekt in der öffentlichen Debatte zerrupft wird, ähnlich wie dies beim Golden Rice geschah – da haben die Forscher in Deutschland bereits Interviews gegeben, bevor die neue Reissorte wirklich ausgereift war.« Die Folge: eine Greenpeace-Kampagne, viele kritische Artikel und Geldgeber, die ihre Zusagen wieder zurückzogen. »Wenn wir jetzt mit unserem Cassavaprojekt vor der Zeit in die Öffentlichkeit treten würden, würden wir Ähnliches riskieren«, so Anderson. Aufgrund der feindlichen Stimmung bliebe seinem Institut gar nichts anderes übrig: »Bitte kommen Sie in einem Jahr wieder.«

Enttäuscht fliege ich wieder zurück. Und werde vor der Haustür fündig, in Monheim am Rhein, keine 50 Kilometer von meinem Wohnort Köln entfernt. Als Saatgutkonzern ist Bayer CropScience die Nummer sieben weltweit. Aber bei den Genpflanzen die Nummer eins: Kein anderes Unternehmen hält beim Europäischen Patentamt so viele Patente auf Genpflanzen wie Bayer, 2013 waren es insgesamt 206. Während sich die Presse am Bösewicht Monsanto abarbeitet, kann der sonst eher für pharmazeutische Produkte bekannte Bayer-Konzern weitgehend unbehelligt seinen Geschäften nachgehen. Der Gesamtumsatz der Saatgutsparte Bayer CropScience ist immerhin etwa halb so groß wie der von Monsanto. Wenn es um Pestizide geht, ist Bayer sogar der zweitgrößte Hersteller weltweit – mit einem Weltmarktanteil von 20 Prozent.

Ich vereinbare einen Gesprächstermin in der Konzernzentrale in Monheim. Von außen wirkt der Komplex wie ein Universitätscampus, mit viel Grün zwischen den Bürokomplexen, allerdings mit einer Pforte, die nur geladene Besucher einlässt. Während ich in der Eingangshalle warte, schaue ich mir den grünen Firmenprospekt »Farming’s Future« durch: Dort ist viel von »nachhaltiger Landwirtschaft« die Rede, eine Überschrift heißt »Kleinbauern stärken«, es könnte fast die Broschüre einer Hilfsorganisation sein.

Pressesprecher Richard Breum führt mich erst einmal durch einen riesigen Glasdom, in dessen Mitte Urwaldpflanzen gedeihen, in einen künstlichen Sprühregen eingehüllt. Drumherum sitzen die Angestellten an Tischen und essen – es ist die Kantine. Ich werde in ein Zimmer geleitet, wo uns sein Chef Steffen Kurzawa und ein dreigängiges Menü erwarten. Auch Bayer ist misstrauisch, doch mein letzter Film Taste the Waste stimmt sie vorsichtig positiv. Obwohl er kritisch die Lebensmittelverschwendung anprangert, hatte ich darauf verzichtet, einseitig die Konzerne als einzige Verantwortliche abzustempeln.

Ich mache den beiden Pressesprechern klar, dass ich keinen Film pro oder kontra Gentechnik machen, sondern zeigen will, warum Bayer glaubt, dass ihr modernes Saatgut den Hunger bekämpft. Da Bayer aufgrund des negativen öffentlichen Klimas die gentechnische Forschung in Deutschland aufgegeben hat, müssen wir an einem der Bayer-Forschungszentren im Ausland drehen.

Ganz besonders interessiert uns Reis – für die Hälfte der Menschheit das Grundnahrungsmittel. Bayer ist beim Reis bereits heute Weltmarktführer und längst dabei, weitere Hochertragssorten zu entwickeln, mit und ohne Gentechnik. »Die Bauern können mit unserem Hybridreis 20 Prozent mehr ernten«, so Breum, »auch und gerade für Kleinbauern ist das lohnend.«

Zwei Monate später ist es so weit, wir haben einen Termin in der Bayer-Forschungszentrale in Gent, Belgien. In der Morgendämmerung sieht das orange leuchtende Gewächshaus auf dem Dach der Fabrikhalle wie ein UFO aus, das mitten im Gewerbegebiet von Gent gelandet ist. Direkt daneben noch ein Gewächshaus auf dem Dach eines Bürogebäudes – das gehört zum Konkurrenten Syngenta. Vielleicht ein Sicherheitsfeature, so kann kein Greenpeace-Trupp je die Gewächshäuser stürmen. Nach dem Sicherheitscheck an der Bayer-Pforte empfängt uns Dr. Johan Botterman. Eine weitere Sicherheitspforte, bevor wir ins Gewächshaus kommen. Hier gilt ein strenges Sicherheitsprotokoll: Die verschiedenen Gewächshäuser dürfen nur mit Schutzanzug betreten werden und nur in einer vorgeschriebenen Reihenfolge, damit sie nicht mit unerwünschtem Genmaterial »verunreinigt« werden. Am Eingang der Gewächshäuser stehen Schilder wie: »Experimentelle Saatgutproduktion. Nach dem Besuch dieser Abteilung darf keine andere mehr betreten werden.« Der glatte Betonboden ist klinisch sauber. Als die Sonne höher steigt, fährt ein Motor automatisch die Beschattung über dem Gewächshaus aus.

Bei den Reispflanzen sind die einzelnen Samenstände mit Tüten abgedeckt. Dr. Botterman erklärt: »Hier entwickeln wir eine neue Genreissorte, die 2016 auf den Markt kommen soll. Mit den Tüten wollen wir jede Vermischung des Genpools vermeiden.« Es geht bei den neuen Reissorten vor allem um Resistenzen gegen Krankheiten wie den Bakterienbrand. »Es gibt immer mehr Druck, höhere Erträge auf weniger Ackerfläche zu erzeugen«, so der Reisexperte. »Und das auch noch nachhaltig und unter den Bedingungen des Klimawandels. Das ist eine gigantische Herausforderung für die Gesellschaft und unser Unternehmen.«

Im Gewächshaus nebenan wird gerade Soja geerntet. Hier geht es ebenfalls um Resistenz – aber nicht gegen Krankheiten, sondern gegen Unkrautvernichtungsmittel. Monsanto dominiert den Weltmarkt mit einer Gensoja, die gegen das Herbizid Glyphosat resistent ist. Für die Bauern bedeutet das weniger Arbeit beim Unkrautjäten. »Heute gehört das zur Grundausstattung bei Soja, da muss auch Bayer mitziehen, sonst brauchen wir gar nicht erst am Markt antreten«, erläutert Botterman. »Aber weil sich inzwischen Superunkräuter entwickelt haben, die auch gegen Glyphosat resistent sind, müssen wir jetzt noch stärkere Unkrautvernichtungsmittel entwickeln. Und entsprechend Pflanzen, die dagegen resistent sind.«

Botterman redet nicht lange um den heißen Brei herum: »Wir verkaufen den Bauern ja nicht nur das Saatgut, sondern auch die passenden Pestizide und Fungizide, schließlich...

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