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E-Book

Zum Weinen ist die Zeit zu schade

Diagnose Creutzfeldt-Jakob-Erkrankung

AutorBarbara Ludwig
VerlagVirulent
Erscheinungsjahr2013
Seitenanzahl251 Seiten
ISBN9783864740817
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis4,99 EUR
Für ihren Urlaub auf Fuerteventura hat sich Barbara einiges einfallen lassen, um ihrem eingerosteten Eheleben etwas Pepp zu verleihen. Ihr Mann Jürgen zieht nicht mit. Selbst die Fitnessbemühungen seiner Frau strengen ihn - eigentlich ein sportlicher Typ - eher an. Er fühlt sich schlapp und ausgelaugt, und das gleißende Sonnenlicht der Kanaren empfindet er als unangenehm. Eines Tages versagen ihm beim Wellensurfen die Beine und er ertrinkt fast. Nur ein einmaliger Vorfall? Die Eheleute ahnen nicht, dass es ihr letzter gemeinsamer Urlaub sein wird. Ebenso wenig, welche Kraft ihnen in den folgenden zwölf Monaten abverlangt werden wird. Denn die Diagnose lautet: Creutzfeldt-Jakob-Erkrankung! Zu dem Zeitpunkt lebt Jürgen schon in seiner eigenen Welt. Barbara muss alleine mit allem fertig werden. Doch sie weiß: Zum Weinen ist die Zeit zu schade! Barbara Ludwig beschreibt die abenteuerlichen, traurigen und oft auch komischen Erlebnisse des Krankheitsverlaufes sowohl aus ihrer Sicht als auch der ihres Mannes. Das lässt dem Leser viel Spielraum für eigene Überlegungen. Mit einem Nachwort von Prof. Dr. Hans A. Kretschmar, Leiter des Zentrums für Neuropathologie und Prionforschung der Ludwig-Maximilians-Universität München.

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Leseprobe
 

TEIL 1
MORGEN GEHT ES SICHER WIEDER BESSER


 

Juli 1998
Jürgen


 

Die Welle rollt auf mich zu, türmt sich meterhoch vor mir auf, ihr Sog zerrt an meinen Füßen, gleich werden ihre Wassermassen sich auf mich stürzen. Mein Körper strafft sich, in meinem Bauch dehnt sich das Kribbeln aus, ich zwinge mich zu warten - die Sekunden dehnen sich - bis ich mich mit den Beinen kräftig abstoße und in die Welle hineinspringe, so hoch wie möglich dem Kamm entgegen, um ihre Dynamik zu nutzen und in rasender Fahrt ans Ufer zu gleiten.

Ich glitt nicht. Der Sprung fand nicht statt. Der Befehlsimpuls meines Gehirns erreichte mein Bein nicht, das perfekte Zusammenspiel von Muskeln und Sehnen versagte. Mein Bein knickte unter mir weg. Die sich überschlagende Welle übernahm die Gewalt. Die Wassermassen erschlugen, erdrückten und verschlangen mich. Mein Körper wurde ihr Spielzeug, sie warfen mich wie einen Ball auf den Sand, gaukelten mir einen kurzen Augenblick Sicherheit vor, bevor sie ihr Spiel fortsetzten und mich erneut mit ihren riesigen Fangarmen hochhoben, herumwirbelten und mich von einer Welle zur anderen schleuderten. Ich war ihnen ausgeliefert, jede Orientierung verlor sich in dem raschen Wechselspiel des Oben und Unten.

Der raue Sand schürfte meinen Körper schmerzhaft auf, erfolglos versuchte ich, auf die Beine zu kommen, den Kopf wieder über Wasser zu bringen. Die Welle siegt, dachte ich in diesem Moment resignierend, das Salz des Meeres wird meinen Körper auflösen, und ich werde auf ewig in den Wellen schaukeln. Okay, dann lasst mich ein Teil von euch werden, ihr Wellen.

Mein Bein, was war an jenem Tag mit meinem Bein los? Wie Wackelpudding ist es unter mir weggewabbelt! Warum?

An jenem Tag im April - während unseres Urlaubs auf Fuerteventura vor drei Monaten - wäre ich beinahe ertrunken. Ich erinnere mich noch sehr gut an diesen Moment. Als ich wieder zu mir kam, sah ich …

.„Herr Ludwig?“ Ich blicke hoch, muss mich aus meinen Erinnerungen lösen, mich der Gegenwart stellen. Der Stationsarzt steht neben mir und drückt mir einen mehrseitigen Fragebogen in die Hand. Fakt ist, ich habe vor Wochen einen Termin für eine Untersuchung bei einem als Schlaganfallspezialisten bekannten Chefarzt ausgemacht, jetzt stehe ich in einem Krankenhausflur, vor mehreren Sprechzimmern, um vor dem ersten Behandlungsgespräch einige Untersuchungen zu absolvieren.

.„Bitte notieren Sie möglichst genau Ihre Beschwerden auf diesem Bogen. Für die Diagnose interessieren uns alle Begebenheiten, die aus dem normalen Umfeld rausfallen und füllen Sie den Fragebogen hier aus, bevor wir mit den anderen Untersuchungen anfangen.“

Ich nehme die Blätter und blicke mich um. .„Sie finden am Ende des Ganges Sitzgelegenheiten und einen Tisch. Vor dem Fenster ist ausreichend Tageslicht.“

Der Mann im weißen Kittel zeigt auf eine Sitzgruppe. Ich sehe den Kittelträger an, schätze ihn auf Anfang dreißig, mir fallen seine rotblonden, über der Stirn abstehenden Haare auf, die mit Gel auf Stand gebracht sind. Er könnte mein Sohn sein. Ich fühle mich alt. Widerwillig setze ich mich auf den hellblauen Plastikstuhl, der vor dem Tisch steht. Mein Blick fällt auf die sorgfältig in zwei Stapeln angeordneten Zeitschriften und Hinweisheftchen.

.„Jede Sekunde ist wichtig für den Schlaganfallpatienten, Rettungsdienstkette hat sich hervorragend bewährt“, lautet die Überschrift auf dem Hochglanzpapier der Broschüren. Das Cover zeigt ein Team von Ärzten und Sanitätern in roter Bekleidung lachend aus einem Hubschrauber steigend, als würden sie von einem Bergausflug zurückkehren und sich auf die gemeinsame Jause freuen.

Panik erfasst mich. Ein kurzer Fluchtimpuls durchzuckt meinen Körper. Geh einfach, sagt mir meine innere Stimme. Dann frage ich mich: Was bist du? Ein Schisser, eine Memme, ein Weichei, ein Angsthase, ein Schlappschwanz, ein Warmduscher, ein Kleinkind, oder was? -Nein, denke ich. Du bist ein Mann von 54 Jahren!

Ich lege das Papier vor mich hin, überlege. Es fällt schwer, schwarz auf weiß zu bekennen, dass einiges nicht mehr stimmt, schwieriger geworden ist. Meine Gedanken wandern zurück.

 

Rückblick
Januar 1998
Jürgen


 

Alles beginnt im Januar. Wir lassen München hinter uns und damit den Winter. Ich blicke aus dem Flugzeugfenster und lächele. Das ungeliebte Weißgrau entfernt sich. Ich hasse den Winter. Diesen mehr als die anderen. Er setzte sich bereits im Oktober mit Schnee in Szene, der sich bald in einen schmutzigen Matsch verwandelte. Wochenlang verdüsterte eine graue Nebelsuppe das Gemüt. Sonnenschein und jene klaren Tage mit Schnee in den Bergen, die wie Sahnehäubchen das schlechte Wetter erträglich machen, konnte dieser Winter nicht bieten.

Barbara gibt mir mit einem zärtlichen Stups gegen den Ellbogen zu verstehen, dass ich nicht allein unterwegs bin.

.„Ich bin neugierig, wie Achim und Sigrid sich ihr Leben eingerichtet haben“, sagt sie. .„Hörte sich spannend an, was Achim erzählte. Fast vier Jahre haben wir sie nicht gesehen. Ob Sigrid sich verändert hat?“

.„Mich interessiert, wie sie es geschafft haben, die Winter auf Fuerteventura zu verbringen. Macht mich neidisch“, erwidere ich, streiche eine verirrte dunkelbraune Locke aus Barbaras Gesicht und blicke in ihre grünen Augen, die ebenso lachen können wie ihr Mund. Mir fallen ein paar kleine Lachfältchen um ihre Augen herum auf. .„Hübsch siehst du aus“, sage ich noch. Dann drehe ich den Kopf wieder zum Kabinenfenster.

Es ist der Versuch, ein weiteres Gespräch abzubiegen. Ich weiß, wenn Barbara in ihrer realistischen Art anfängt sich zu ereifern - dann machen wir dies, dann machen wir das, wie wird das Hotel sein, sind die Koffer auch wirklich mitgekommen -, ist Schluss mit meinen Träumereien. Ich würde mich augenblicklich von den angenehmen Gedanken an Sonne und Meer trennen müssen. Dabei spüre ich geradezu die Wärme der Sonne durch den dünnen Stoff des T-Shirts auf der Haut.

.„Ich bin reif, reif, reif - reif für die Insel. Der Peter-Cornelius-Song fällt mir ein, und ich singe leise vor mich hin.

Mein ganzes Leben lang träume ich mal mehr, mal weniger davon, das normale Leben hinter mir zu lassen, auf einer Insel im Süden zu leben, aus dem Alltag auszusteigen.

Aber, wer kann sich das ohne Lottogewinn leisten? Wir nicht, unser Geld reicht nur für einen - nicht ganz freiwilligen - Teilausstieg. Mein neuer Chef wünschte sich einen neuen Manager, und ich musste meinen Platz freimachen. Zugegeben, der Abschied brachte Vor- und Nachteile mit sich. Zum Beispiel erinnere ich mich nur mit Grauen an die Zeit, in der jeder Tag fern vom Büro hart erkämpft war und mit der Angst einherging, es könnte dort während meiner Abwesenheit alles schieflaufen. Das Gefühl verursachte Schlaflosigkeit und Albträume, ließ mich nervös und gereizt reagieren. Oft gelang es mir erst in der letzten Urlaubswoche abzuschalten. Jetzt habe ich weniger Stress als in den vergangenen Jahren, aber auch wesentlich weniger Einkommen. Einziger Minuspunkt: Meine Beratertätigkeit ernährt uns nicht. Wir müssen an unser Erspartes und sind auf Barbaras Einkommen angewiesen. Auf der Habenseite steht ein vorher rares Gut: Zeit! Ich empfinde die gewonnene Zeit als unschätzbares Geschenk und bin glücklich darüber. Ich liebe Barbara dafür, dass sie ebenso fühlt.

.„Au, was ist jetzt? Lass los!“ Barbara windet ihre Hand aus meinem zärtlich gemeinten Griff.

.„Urlaub, Mädchen, Urlaub!“

.„Ist die Schweigeviertelstunde abgelaufen, sprichst du wieder mit mir?“ Lachend schüttelt sie ihre malträtierte Hand.

.„Was darf ich Ihnen zu trinken anbieten?“, fragt uns die Stewardess.

.„Zwei Glas Sekt bitte.“ Ich sehe Barbara an, und wir zwinkern uns zu. Der Sekt im Urlaubsflieger ist ein lieb gewonnenes Ritual. Wir tauchen ab in eine andere Realität, das Abenteuer kann beginnen. Alles wird möglich. Ich kann mir wie ein kleiner Junge vorstellen, mit Sven Hedin das unwirtliche Sandmeer der Taklamakan zu durchqueren, mit Heinrich Harrer die Tropeninsel Neuguinea zu erforschen oder in Gedanken Rollo Gebhardt nacheifern und als Einhandsegler durch die Südsee zu schippern. Drei Wochen im Winter auf den Kanaren sind auch nicht zu verachten, schwirrt mir durch den Kopf.

Ich nehme mein Buch aus dem Rucksack, behalte es dann, ohne darin zu lesen, auf dem Schoß und lasse mich von den Reisebildern auf den Monitoren ablenken, bis die Lautsprecheransage verkündet:

Meine Damen und Herren, wir befinden uns im Landeanflug auf Fuerteventura. Die derzeitige Lufttemperatur beträgt 20 Grad Celsius, es ist sonnig. Bitte bringen Sie nun Ihre Sitzlehnen in eine senkrechte Position, stellen Sie das Rauchen ein und schnallen Sie sich an. Bitte bleiben Sie angeschnallt, bis das Flugzeug seine endgültige Position erreicht...

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