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E-Book

Von Zwanzig bis Dreißig

Vollständige Ausgabe

AutorTheodor Fontane
VerlagJazzybee Verlag
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl409 Seiten
ISBN9783849613129
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis0,99 EUR
Von Zwanzig bis Dreißig ist der Titel von Theodor Fontanes zweiter autobiographischen Schrift, die 1898 - in seinem letzten Lebensjahr - herauskam. Sie greift weit über das von ihm im Titel bezeichnete Lebensjahrzehnt hinaus. Mehrfach schließt er an seine Jugenderinnerungen Meine Kinderjahre an, deren Darstellung bis zum 12. Lebensjahr reichte, und er greift auch, ganz wie es das Bedürfnis der Schilderung seines Verhältnisses zu einer Person erfordert, bis tief in sein achtes Lebensjahrzehnt hinein. Formal schließt der Band jedoch mit seiner Hochzeit im Jahre 1850. (aus wikipedia.de)

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Leseprobe

Viertes Kapitel

 

Der Herwegh-Klub. Wilhelm Wolfsohn. Max Müller

 

Hermann Schauenburg, Hermann Kriege, Dr. Georg Günther, das waren die drei, mit denen mich der erste literarische Teeabend bei Robert Binder und Frau bekannt gemacht hatte. Diese drei waren aber nur ein Bruchteil eines literarischen Vereins, dessen geistiger Mittelpunkt Georg Herwegh war, weshalb ich denn auch diesen Leipziger Dichterverein als einen »Herwegh-Klub« bezeichnen möchte. In diesen Klub sah ich mich natürlich alsbald eingeführt und machte da die Bekanntschaft von einem Dutzend anderer Studenten, meistens Burschenschafter, einige schon von älterem Datum. Es waren folgende: Köhler (Ludwig), Prowe, Semisch oder Semig, Pritzel, Friedensburg, Dr. Cruziger, Dr. Wilhelm Wolfsohn, Max Müller. Alle haben in der kleinen oder großen Welt von sich reden gemacht. In der ganz großen Welt allerdings nur einer, der Letztgenannte. Ludwig Köhler war ein hübsches dichterisches Talent und beschloß seine Tage wohl in seiner thüringischen Heimat; Prowe wurde Gymnasialprofessor in Thorn und setzte sein Leben an die Beweisführung, daß Kopernikus kein Pole, sondern ein Deutscher gewesen sei; Dr. Pritzel – der Geistreichste und Witzigste des Kreises – war durch viele Jahre hin Bibliothekar an der Berliner Königlichen Bibliothek; Dr. Friedensburg, ein Bruder des späteren Oberbürgermeisters von Breslau, trat in den Staatsdienst über; Dr. Cruziger – in einem der reußischen oder Schwarzburger Fürstentümer zu Hause – brachte es in der stürmischen Zeit von 1848 bis zum Minister in seinem kleinen Heimatstaate. Verbleiben noch Wilhelm Wolfsohn und Max Müller, mit denen ich mich ausführlicher zu beschäftigen habe.

 

Wilhelm Wolfsohn war in bestimmter Richtung unter uns der Tonangebende. Georg Günther, der, um mehr als ein Dutzend Jahre älter, zugleich von allgemeinerer Bildung und größerer Welterfahrung war, wäre dazu der Berufenere gewesen, aber er war nicht direkt Klubmitglied und blieb, als guter Redakteur uns nur für sein Blatt und seine Zwecke benutzend, wohlweislich ein Draußenstehender. So fiel die Führerrolle dem Nächstbesten zu, was unzweifelhaft Wolfsohn war. Er hatte Literaturgeschichte zu seinem Studium gemacht. Das allein schon würde zur Besieglung seines Übergewichts ausgereicht haben; es stand ihm aber auch noch andres zu Gebote. Wir andern waren samt und sonders junge Leute von Durchschnittsallüren, Wolfsohn dagegen ein »feiner Herr«. Hätte nicht sein kluger, interessanter Kopf die jüdische Deszendenz bekundet, so würde man ihn für einen jungen Abbé gehalten haben; er verfügte ganz über die verbindlichen Formen und das überlegene Lächeln eines solchen, vor allem aber über die Handbewegungen. Er hatte zudem, was uns natürlich ebenfalls imponierte, schon allerhand ediert, unter andern ein Taschenbuch, das, unglaublich, aber wahr, eine Art christlich-jüdische Religionsunion anstrebte. Jedenfalls entsprach das seinem Wesen. Ausgleich, Umkleidung, nur keine Kanten und Ecken. In unseren Klubsitzungen, im Gegensatz zu Gesellschaftlichkeit und Außenverkehr, trat er nicht sonderlich hervor, auch nicht als Dichter. Natürlich war er wie wir alle für »Freiheit« – wie hätten wir sonst der Herwegh-Klub sein können –, aber er hielt Maß darin, wie in all und jedem. Seine Domäne war die Gesamtbelletristik der Deutschen, Franzosen und Russen. Rußland, wenn er uns Vortrag hielt, stand mir selbstverständlich jedesmal obenan, wobei ich mir sagte: »Das nimm mit; du kannst hundert Jahre warten, ehe dir russische Literatur wieder so auf dem Präsentierbrett entgegengebracht wird.« Ich ging in meinem Feuereifer so weit, daß ich sogar Russisch bei ihm lernen wollte. Doch schon in der zweiten Unterrichtsstunde war seine Geduld erschöpft, und er sagte mir: »Gib's nur wieder auf; du lernst es doch nicht.« So ist es mir mit einem halben Dutzend Sprachen ergangen: Italienisch, Dänisch, Flämisch, Wendisch – immer wenn ich mir ein Lexikon und eine Grammatik gekauft hatte, war es wieder vorbei. Was ich beklage. Denn es ist unglaublich, wieviel Vorteile man von jedem kleinsten Wissen hat, ganz besonders auch auf diesem Gebiete.

 

Also mit der russischen Sprache war es nichts; in bezug auf russische Literatur jedoch ließ ich nicht wieder los, und vom alten Dershawin an, über Karamsin und Shukowski fort, zogen Puschkin, Lermontow, Pawlow, Gogol an mir vorüber. Ein ganz Teil von dem, was mir Wolfsohn damals vortrug, ist sitzengeblieben, am meisten von den drei Letztgenannten – Lermontow war mein besonderer Liebling –, und sosehr alles nur ein Kosthäppchen war, so bin ich doch auf meinem Lebenswege nur sehr wenigen begegnet, die mehr davon gewußt hätten.

 

Wolfsohn war mir sehr zugetan, über mein Verdienst hinaus, und hat mir diese Zuneigung vielfach bestätigt. Auch noch nachdem ich Leipzig verlassen hatte, blieb ich in persönlicher Verbindung mit ihm und später in einem zeitweilig ziemlich lebhaften Briefwechsel. Einige dieser Briefe, darin auch die Großfürstin Helene, ohne die damals in Rußland nichts Literarisches denkbar war, eine Rolle spielte, waren aus den beiden russischen Hauptstädten datiert, wohin Wolfsohn gern und oft ging, um den dortigen »deutschen Kolonien« samt einigen literaturbeflissenen Russen Vorlesungen über allerjüngste deutsche Dichter, zu denen Wolfsohn, etwas gewagt, auch mich rechnete, zu halten, woraus sich dann ergab, daß ich in Petersburg und Moskau bereits ein Gegenstand eines kleinen literarischen Interesses war, als mich in Deutschland noch niemand kannte, nicht einmal in Berlin.

 

1851, eben wieder von einer Petersburger Reise zurückgekehrt, trat Wolfsohn an die Spitze des »Deutschen Museums«, einer guten und vielgelesenen Zeitschrift, die er eine Zeitlang mit Robert Prutz gemeinschaftlich redigierte. Sein Aufenthalt war damals Dresden, in dessen literarischen Kreisen er Otto Ludwig kennenlernte. Mit Auerbach um die Wette ließ er sich das Zurgeltungbringen dieses eigenartigen, damals noch wenig gewürdigten Talentes angelegen sein und unterließ nie, wenn er, wie während der fünfziger Jahre oft geschah, als Vorleser seine Tournee machte, dem großen Publikum den »Erbförster« und die »Makkabäer« vorzuführen. Immer mehr sich einlebend in diese bedeutenden Schöpfungen, kam ihm begreiflicherweise die Lust, es auch seinerseits mit dramatischen Arbeiten zu versuchen, und er schrieb ein Drama: ›Nur eine Seele‹, das als politisches Stück eine gewisse Notorität erlangte. Dasselbe richtete sich, wie sein Titel andeutet, gegen die Leibeigenschaft und hielt sich eine Zeitlang. Als dann aber die Leibeigenschaft aufgehoben wurde, war es gegenstandslos geworden.

 

Um ebendiese Zeit, oder schon etwas früher, war es, daß sich Wolfsohn mit einer Leipziger Dame verheiratete. Diese Verheiratung war mit Schwierigkeiten verknüpft, weil Eheschließungen zwischen Juden und Christen, die eine Zeitlang statthaft gewesen waren, mit Eintritt der »Reaktion« wieder auf kirchliche Hemmnisse stießen. Immer wenn unser Brautpaar aufs neue Schritte tat, traf sich's so, daß der Kleinstaat, auf den man gerade seine Hoffnung gesetzt, just wieder den freiheitlichen Gesetzesparagraphen aufgehoben hatte. Nummer auf Nummer fiel. So kam es, daß zuletzt nur noch »eine Säule von verschwundener Pracht zeugte«. Diese Säule war Dessau. Aber auch hier sollte, mit Beginn des neuen Jahres, der entsprechende Freiheitsparagraph wieder abgeschafft werden, und so mahnte denn alles zur Eile. Noch kurz vor Toresschluß erfolgte die Trauung des jungen Paares, und aus einer gewissen Dankbarkeit, so nehm' ich an, verblieb man in Dessau. Doch nicht auf lange. Dessau war kein Platz für Wolfsohn, und so ging er denn nach Dresden zurück. Hoftheater und höfische Sitte, schriftstellerisches und künstlerisches Leben, vor allem internationaler Verkehr – das war das, was für ihn paßte, worin er Befriedigung fand. Und diese neuen Dresdner Jahre wurden denn auch seine glücklichsten; er lebte hier ganz seinen Arbeiten, vor allem den wiederaufgenommenen dramatischen, und gründete die »Nordische Revue«, die bis zu seinem frühen Hinscheiden 1865 in gutem Ansehen stand. Er war kaum fünfundvierzig Jahre alt geworden. Einer seiner Söhne – Pseudonym: Wilhelm Wolters – hat des Vaters Laufbahn eingeschlagen und ist ein guter Novellist.

 

Die eigentlich große Nummer unsres Klubs, natürlich erst durch das, was aus ihm wurde, war Max Müller. Er hätte sehr gut mit Wolfsohn auf dessen eigenstem Gebiet, dem gesellschaftlichen, konkurrieren, ihn vielleicht sogar aus dem Felde schlagen können, aber er war dazu zu jung, erst achtzehn Jahre alt. Dies einsehend, hielt er sich zurück und beschränkte sich im übrigen darauf, mit dem klugen glauen Gesicht eines Eichhörnchens unseren Freiheitsrodomontaden, beziehungsweise den Plänen »pour culbuter toute l'Europe« zu folgen. Nur dann und wann schoß er selber einen kleinen Pfeil ab. Als die »Zeitung für die elegante Welt«, die wir kurzweg »Die Elegante« nannten, ihre Redaktion gewechselt und Heinrich Laube an die Stelle von Gustav Kühne gesetzt hatte, sagte Müller in guter Laune:

 

Was sich Kühne nicht erkühnt,

 

Wird sich Laube nicht erlauben.

 

Im ganzen...

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