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E-Book

Gebrauchsanweisung für Niederbayern

AutorTeja Fiedler
VerlagPiper Verlag
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl192 Seiten
ISBN9783492971980
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis12,99 EUR
Um es gleich vorwegzunehmen: Niederbayern hat weder Voralpenpanorama noch Fünfseenland, keine einzige Großstadt und keinen Profifußballklub. Aber den Bayerischen Wald und die Donauschleife. Die Herzogsstädte Passau, Deggendorf und Straubing. Die Landshuter Fürstenhochzeit, den politischen Aschermittwoch und das Scharfrichterhaus, die Wiege des bayerischen Kabaretts. Haindling mit seiner Wallfahrtskirche. Das Bäderdreieck Füssing, Griesbach und Birnbach sowie die heilige Dreifaltigkeit. Barocke Opulenz und frommen Klassizismus, Schafkopfen und sinnenfrohes Watten, Fahnenweihen, Volksfeste mit handfesten Raufereien und echten Blaskapellen. BMW, modernste Unternehmen und Privatbrauereien im Überfluss. Und den kleinsten ICE-Bahnhof Deutschlands, den großzügigsten Marktplatz und die besten »Weiberl«, womit keine Frauen gemeint sind ...

Teja Fiedler, 1943 geboren und in Niederbayern aufgewachsen, studierte in München Geschichte und Germanistik. Als Stern-Korrespondent berichtete er viele Jahre aus Rom, Washington, New York und zuletzt aus Mumbai/Indien. Zu seinen erfolgreichen Buchpublikationen gehören »Die Geschichte der Deutschen«, die »Gebrauchsanweisung für Niederbayern«, »Heydrich. Das Gesicht des Bösen« (als Koautor) und der biografische Roman »Die Zeit ist aus den Fugen. Vom Kaiserleutnant zum Vertriebenen. Das Leben meines Vaters«. Teja Fiedler lebt mit seiner Frau in Hamburg.

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Leseprobe

Fahnenweihe

Nein, das hätte keiner geglaubt, daß es der Stieglbauer Heidi so aus der Feder fließen täte, auch wenn sie auf der Kreissparkasse arbeitet:

»Heut ist für unsere Wehr ein großer Tag, vergessen ist die ganze Müh und Plag. Vom Herrgott gesegnet, vom Priester geweiht, soll dieses Band euch begleiten, für die Jahre und die Zeit.«

Da mußte die Mama vor Rührung schnell ein paar Tränen aus dem Augenwinkel wischen, bevor sie hinuntergelaufen wären in den imposanten Ausschnitt ihres Festtagsdirndls. Mei Tochta, dachte sie zärtlich bewundernd. Der Herr Pfarrer nickte wohlgefällig ob der Erwähnung des unbedingt nötigen himmlischen Beistands für die Fahne der Freiwilligen Feuerwehr von Oberhinterbach und für diese selbst.

Dann stimmte die Blaskapelle »D’Hinkofer Wuidschützn« einen frohen, wenn auch, den Umständen angemessen, getragenen Marsch an. Das Band der Festdamen, überreicht von der Stieglbauer Heidi, wurde den übrigen bunten Bändern beigefügt, die das neue Fahnentuch der Feuerwehr für die Jahre und die Zeit begleiten sollten.

Vom Himmel, der so wolkenlos war wie auf einem CSU-Wahlplakat, strahlte die Augustsonne nicht weniger als das Gesicht des Schirmherren, der als direkt gewählter Bundestagsabgeordneter in Niederbayern unweigerlich der Regierungspartei angehörte. Eine geglückte Fahnenweihe, dachte Josef Wurmbauer und rechnete sich irgendwie das schöne Wetter als Verdienst an: hatte er doch seine Zusage zur Schirmherrschaft unter einem weißblau gerauteten Regenschirm gegeben mit der funkelnden Bemerkung: »Möge er nur gegen Strahlen, nicht gegen Tropfen schützen müssen!«

Wie fast alle Teilnehmer an der Fahnenweihe der Freiwilligen Feuerwehr Oberhinterbach anläßlich ihres 125jährigen Bestehens fühlte er trotz des erhebenden Festgottesdienstes in der frisch renovierten St. Leonhardskirche eine gewisse Mattigkeit. Das machte ihn leicht schuldbewußt. Da erbat der Herr Pfarrer nach altem christlichen Brauch den Segen von oben für das Oberhinterbacher Brandkorps, und ihm brummte leise der Schädel wegen der drei Maß Bier, die er gestern abend im Festzelt beim gemütlichen Zusammensein getrunken hatte, die strafenden Blicke seiner Gattin nicht achtend angesichts der hübschen Dirndlausschnitte diverser Festjungfrauen an seinem Tisch und des Popularitätszuwachses, den ein so volksnaher Auftritt sicherlich bedeuten würde.

Immerhin hatte er schon auch seinen Teil dazu beigetragen, dem Festakt die angebrachte Weihe über das Vorspiel zu einem weiteren gemütlichen Zusammenhocken im Bierzelt hinaus zu verleihen, indem er das Engagement der freiwilligen Feuerwehrmänner lobte »gerade in einer Zeit von um sich greifendem Individualismus und Egoismus«. Da hatten alle beifällig genickt, selbst die, die wo ihn nicht verstanden.

In diese Kerbe schlug dann auch der Herr Pfarrer, natürlich etwas mehr ins Christliche gewendet. Hochwürden erinnerte die Männer an der Spritze daran, daß ihr Kampf gegen die irdische Feuersbrunst im Sinn des Gebots der Nächstenliebe und des traditionellen Feuerwehrmottos: »Gott zur Ehr, den Menschen zur Wehr« in gewisser Weise auch die Flammen der Hölle eindämme. Zu Recht ziere die neue Fahne daher auch ein gesticktes Bild des hl. Florian, der aus einem Eimer Wasser über ein lichterloh brennendes Haus gieße, was sinnbildhaft zeige, wie Dies- und Jenseitiges Hand in Hand gehe.

Niemand in Oberhinterbach konnte sich der Bedeutung und Feierlichkeit dieser großen Stunde im Leben eines kleinen Dorfs entziehen. Selbst ein so Hartgesottener wie der Altbürgermeister Karl Ertl schlug bei seiner Ansprache geradezu lyrische Töne an. Er sprach vom »Wohl und Wehe« der Gemeinde, um die sich »gar manche Stunde« die Feuerwehr tätig sorge, »wo sich derweilen andere auf die Hausbank setzen oder vom Wirtshaus aus zuschauen«.

Nicht nur er fand die richtigen Worte zur richtigen Zeit, nicht nur der Pfarrer, der Abgeordnete und die Stieglbauer Heidi hatten das getan. Nein, jeder, der mit der neuen Fahne auch nur irgendwie in Berührung war, schien sie poetisch hochzuhalten, auch wenn er sonst Saatgut verkaufte oder nach Dingolfing zur Arbeit bei BMW pendelte.

Stolz flatterte sie im Wind der vier Zeilen, mit denen dem Patenverein aus dem Nachbarort Moosschwaige gedankt wurde: »Wenn auch des Festes frohe Klänge verrauschen bald in des Alltags Wind, so erinn’re Euch stets unser Band an der Fahne, daß wir in Freundschaft verbunden sind.« Und sie wurde in Trauer gesenkt zum Gedenken an die verstorbenen Wehrkameraden: »Was bleibt, ist die Erinnerung an Stunden voller Licht – seid ihr auch längst gegangen, vergessen seid ihr nicht.« Wobei etwas im dunklen blieb: ob die Stunden voller Licht für die Einsätze im Feuerschein brennender Scheunen stand oder metaphorisch für das helle Leuchten der Freundschaft an vielen langen Kameradschaftsabenden.

Wer das Ritual der Fahnenweihe kennt, weiß, daß der Festakt selbst nur die Spitze des Eisbergs ist (wenn dieses Bild bei einer so wenig eisigen Sache wie der Feuerwehr erlaubt ist). Zuvor muß so viel passieren. Als erstes wird eine Struktur benötigt, und dazu bedarf es einer Galionsfigur. Sie heißt Fahnenmutter oder Festfrau und ist meist die Gemahlin des Bürgermeisters oder des Vereinspräsidenten. In Oberhinterbach war sie die Gattin des Feuerwehrkommandanten. Kommandant und Präsident sind bei einer Freiwilligen Feuerwehr nicht identisch, sie stehen zueinander wie Bundespräsident und Bundeskanzler. Der eine hält Festreden und verleiht Orden, der andere bestimmt die Richtlinien der Löschpolitik, wenn es brennt.

Da ihr Mann sowieso auch Vorsitzender des Fahnenweihe-Festausschusses war, bot sich das Amt an. Einerseits brachte die Schauer Helga genügend Reimtalent ein, wie bei der Fahnenweihe ihr Zweizeiler unter Beweis stellte: »So nehmt nun hin aus meiner Hand, von mir dieses Festfrauband.« Andererseits konnte sie mit ihrem Franze bei Tisch und Bett etwa rasch klären, welche der Jungfrauen von Oberhinterbach für die flankierende Aufgabe einer Festdame geeignet wäre und wieviel die Brotzeit höchstens kosten dürfe, mit der die Festfrau traditionell alle Beteiligten zu bewirten hat.

Als Festfrau drängt man sich übrigens nicht auf. Man läßt sich bitten. Und vorher durchblicken, daß man – natürlich nur aus Sorge ums Gemeinwohl – zur Verfügung stehe, falls es gar nicht anders ginge.

Also traten an einem trüben Novembertag die Spitzen der Freiwilligen Feuerwehr, unterstützt vom Bürgermeister, den Bittgang zu den Schauers an, brachten ihr Anliegen unerbittlich in gereimter Form, begleitet von einem Freßkorb und Blasmusik, vor, kriegten überraschend eine positive Antwort und hätten den ganzen Abend Stunden voller Licht im Kameradenkreis bei Schauers verbracht, wäre nicht eine zweite, größere Aufgabe zu erledigen gewesen: einen Schirmherrn zu verpflichten.

Dies war besagter Josef Wurmbauer. Als Bundestagsabgeordneter mit der Ambition, von seiner Partei wieder aufgestellt zu werden, konnte er sich einer Bitte aus seinen Herzlanden nach seiner schirmenden Hand nicht verschließen. Noch dazu sie von der eben gekürten Festdame Helga in der Form eines schelmischen Lächelns und dann, nach dem unvermeidlichen Blaskapellen-Intermezzo von Helgas Gemahl in der ebenso unvermeidlichen Gedichtform geäußert wurde. Wurmbauer sagte freudig und kräftig »ja«, hatte den weißblauen Schirm und sein schon zitiertes Bonmot parat und durfte dann die erfreuten Gäste bewirten, was für ihn nach mehreren Stunden mit der Einnahme von zwei Aspirintabletten endete. Das brachte den zukünftigen Schirmherrn einigermaßen über den nächsten Tag.

Festfrau und Schirmherr, das sollte wohl genügen für den würdigen Rahmen einer Fahnenweihe. Weit gefehlt, lieber Leser, der Du das nur annehmen kannst, wenn Du einer protestantisch-nüchternen Welt entstammst. Keine Fahne in Niederbayern schafft es zum kirchlichen Segen, falls nicht ein Nachbarverein Pate steht, dessen einzig erkennbare Rolle im Stiften eines Ehrenbandes besteht. Es wird nicht mehr sonderlich überraschen, daß sich auch die Anwerbung des Patenvereins in rituellen Bahnen bewegt, vor Launigkeit strotzt und mit Stunden voller Licht unter Gleichgesinnten ausklingt.

Nun war es schon Frühling, und zur Patenbitte fuhr die gesamte Freiwillige Feuerwehr. Angeführt von Festfrau, Festleiter, Bürgermeister, Blasmusik und als Neuzugang Schirmherr Wurmbauer. Man war sich sicher, daß der Nachbarverein Moosschwaige sich der Bitte – natürlich wieder gereimt, diesmal aber in Mundart – nicht entziehen würde. Schließlich hatte man zwanzig Jahre zuvor bei den Moosschwaigern Pate gestanden bis zum Umfallen, und jetzt waren eben die anderen dran.

Sie zierten sich, so will es die Tradition. Die Oberhinterbacher mußten ihr Anliegen kniend vortragen. »Scheitlknian« sagt der Niederbayer zu dieser demütigen Haltung, da sie eigentlich mit den Knien auf kantigen Holzscheiten stattfindet. In sinniger Abwandlung der Methode verwendeten die Moosschwaiger jedoch einen Feuerwehrschlauch als Unterlage für die Knie ihrer Gäste.

Die Nachbarwehr machte ihr Mitwirken vom Bestehen einiger Aufgaben abhängig. Der Herr Abgeordnete und der Feuerwehrpräsident mußten zusammen einen Baumstamm zersägen, um ihre Harmonie zu testen. Sie mußten auf einem Fahrrad fahren, bei dem der Lenker dort war, wo sonst der Sattel ist, und umgekehrt. Das hatte was mit der richtigen Richtung zu tun, und der Wurmbauer bemerkte, kurz bevor er auf die Nase fiel, daß er keinesfalls nach links abdriften werde. Beifall.

Prüfung bestanden. Patenverein gesichert. Wurmbauer durfte ein Faß Bier anzapfen und tat auch dies zur allgemeinen Zufriedenheit. Der...

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