Im Folgenden wird ein Überblick über die Funktionsweise des Strommarktes in der liberalisierten Energiewirtschaft gegeben und auf die veränderten Wettbewerbsbedingungen eingegangen. Im Anschluss wird das aktuelle Strommarktdesign im Detail beschrieben. Darauf aufbauend werden mögliche Probleme beleuchtet, die bei einem solchen Design zum Marktversagen führen können.
Um mehr Wettbewerb im Energiemarkt zu gewährleisten, haben die EU gegen Ende der 90er Jahre und die deutsche Bundesregierung zu Beginn des letzten Jahrzehnts begonnen, eine Reihe von Richtlinien und Gesetzen zur Liberalisierung der Energiewirtschaft erlassen. Diese sollen einen fairen und unverfälschten Wettbewerb sowie günstigere Strom- und Gaspreise durch verursachungsgerechte Zuordnung der Netzbetriebskosten ermöglichen. Quersubventionen und Missbrauchsspielräume von integrierten Versorgern sollen hingegen vermieden werden. Zu diesem Zweck wurde mit dem sog. Unbundling eine Trennung von Wettbewerbs- und Monopolbereichen bewirkt. Zu den Wettbewerbsbereichen zählen die Erzeugung, der Handel sowie der Vertrieb von Elektrizität. Für den Transport von Strom und Gas ist hingegen eine Infrastruktur mit hohen Investitionskosten notwendig, deren Parallelbau volkswirtschaftlich nicht als sinnvoll erachtet wird. Aus diesem Grund werden Stromnetze als natürliche Monopole angesehen und es wird ein alleiniger Anbieter akzeptiert, da dieser durch Fixkosten-Degression geringere Durchschnittskosten aufweist und Synergien nutzen kann. Die Netzbetreiber werden jedoch staatlich reguliert, um Anreize zur Kostensenkung zu schaffen und einen diskriminierungsfreien Zugang für alle Marktteilnehmer zu ermöglichen [2].
Diese Entkoppelung ermöglicht es, auch Unternehmen ohne eigene Erzeugungs- und Transportkapazitäten am Wettbewerb teilzuhaben zu lassen, wodurch das Thema Energiehandel in Deutschland und Europa signifikant an Bedeutung gewinnt. Im Zuge dessen wurden Energiebörsen gegründet, auf denen Angebot und Nachfrage zusammengeführt werden. Der für Deutschland relevante Handelsplatz ist die European Energy Exchange (EEX), deren Preisfindung über eine zweiseitige Auktion (Double Auction) stattfindet [3]. Dabei sind sowohl Kauf- als auch Verkaufsangebote möglich. Einmal pro Tag wird über eine Aggregation aller Gebote zu Angebots- und Nachfragefunktionen ein einheitlicher Börsenpreis in stündlicher Auflösung für den Day Ahead Markt bestimmt. Dieser besitzt eine Allokationsfunktion, da die Reihenfolge, in der die Anbieter einen Zuschlag erhalten, streng nach ihrem Angebotspreis festgelegt wird. Das teuerste eingesetzte Kraftwerk zur Erfüllung der Nachfrage legt den Preis für alle anderen Kraftwerke fest. Dadurch können alle weiteren Kraftwerke mit günstigeren Erzeugungskosten die verbleibende Marge zur Fixkostendeckung einsetzen. Besonders für Kraftwerke mit einem hohen Fixkostenanteil wie Braunkohle-, Steinkohle- oder Kernkraftwerke ist dies relevant. Ein derartiges Auktionsverfahren soll bewirken, dass Anlagenbetreiber den Strom zu ihren jeweiligen variablen Grenzkosten anbieten. Die so entstehende Einsatzreihenfolge der Kraftwerke wird als Merit-Order bezeichnet. In Abbildung 2.1 ist anhand einer stilisierten Merit-Order das Prinzip der Preisfindung an der Börse und die daraus entstehende Entlohnung der Anlagen veranschaulicht.
Abbildung 2.1: Darstellung der börslichen Preisfindung anhand der Merit-Order
Die Struktur der Merit-Order, die primär durch die unterschiedlichen Erzeugungstechnologien entsteht, ist der technologischen und ökonomischen Besonderheit des Gutes Strom geschuldet. Wäre Strom kostenlos und in großem Maße lagerfähig, würde man zu seiner Erzeugung ausschließlich die Technologie mit den geringsten Durchschnittskosten nutzen [4]. Da dies jedoch nicht möglich ist, müssen Angebot und Nachfrage jederzeit im Einklang stehen. Dafür benötigt man neben Grundlastkraftwerken mit niedrigen variablen Erzeugungskosten auch Spitzenlastkraftwerke, um Saisonalitäten und Tagesschwankungen decken zu können. Solche Anlagen, wie z.B. Gasturbinenkraftwerke, zeichnen sich durch niedrigere Fixkosten und höhere variable Kosten aus. Da sich ihre Fixkosten am Markt schneller zurückverdienen lassen sind sie daher eher geeignet, in einer geringen Anzahl von hochpreisigen Stunden zu laufen. In Abbildung 2.2 ist dieser Zusammenhang schematisch dargestellt.
Abbildung 2.2: Erlössituationen für Grund-, Mittel- und Spitzenlastkraftwerke
Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an [5]
Während Spitzenlastkraftwerke nur in wenigen hochpreisigen Stunden im Bereich A in Betrieb sind, sind Grundlastkraftwerke in vielen Stunden im Einsatz und erwirtschaften im gesamten Bereich A+B+C Erlöse über ihren Grenzkosten. Diese können zur Deckung ihrer hohen Fixkosten verwendet werden. Alle nicht preissetzenden Kraftwerke sind demnach „price taker“ und profitieren mit von höheren variablen Kosten anderer Kraftwerke [6]. Hohe Preise zu Peak-Zeiten stellen somit für alle Kraftwerkstypen eine wichtige Einnahmequelle dar.
Der Einfluss der jüngsten Entscheidungen im Hinblick auf die deutsche Atompolitik, die umfangreiche Förderung regenerativer Erzeugung sowie weitere Einflüsse auf das Preisniveau und das Erzeugungsangebot im Elektrizitätsmarkt werden im Folgenden näher erläutert.
In den letzten zehn Jahren war der deutsche Strommarkt geprägt von massiven Veränderungen und regulatorischen Eingriffen in das Marktgeschehen seitens der Politik. Neben der Liberalisierung der Elektrizitätswirtschaft sind vor allem zwei weitere Faktoren zu nennen: Die vielfach geänderte Linie hinsichtlich der Atompolitk sowie die starke Förderung erneuerbarer Energien.
Der im Jahr 2000 von SPD und Grünen beschlossene und im Jahr 2002 im Atomgesetz festgehaltene Ausstieg aus der Kernenergie sah eine schrittweise Schließung der Kraftwerke entsprechend zugestandener Reststrommengen vor. Dieser Beschluss bewirkte in Erwartung der baldigen Stilllegung sämtlicher Kernkraftwerke einen signifikanten Zuwachs von Neubauprojekten. Zwei Legislaturperioden später sollten diese Entscheidungen teilweise revidiert werden. Die geplante Laufzeitverlängerung wurde jedoch nach den Unfällen im japanischen Kernkraftwerk Fukushima Daiichi wieder aufgehoben und eine „Energiewende“ in Deutschland beschlossen, die die sofortige Stilllegung von acht Kernkraftwerken sowie ein schrittweises Abschalten aller Kernkraftwerke bis 2022 vorsieht [7]. In Tabelle 2.1 wird eine Übersicht über die unterschiedlichen Abschaltzeitpunkte nach alten und neuen Regelungen gegeben.
Tabelle 2.1: Geplante Abschaltzeitpunkte der deutschen Kernkraftwerke
Quelle:[7,8]
Die Kombination aus Neubauprogrammen und Laufzeitverlängerung bewirkte eine Überkapazität bei der Kraftwerksleistung von ca. 22% im deutschen Markt [9]. Obwohl die Laufzeitverlängerung mittlerweile in großen Teilen wieder zurückgenommen wurde, und durch das Abschalten von mehreren Kernkraftwerken gleichzeitig erhebliche Kapazitäten aus dem Markt genommen wurden, findet sich für Neubauten und ältere Kraftwerke zeitweise kein ausreichend hohes Preisniveau, um diese rentabel zu betreiben. Diese Entwicklung ist vor allem der starken Förderung erneuerbarer Energiequellen geschuldet. Um den Klimaschutzzielen der EU und der Bundesregierung Rechnung zu tragen, wurde im deutschen Gesetz für den Vorrang Erneuerbarer Energien (EEG) eine Vorrangeinspeisung für Strom aus regenerativer Erzeugung festgelegt (§ 21 und § 8 Abs.1 EEG). Darüber hinaus sind technologieabhängig feste Vergütungssätze über einen Zeitraum von bis zu 20 Jahren vorgesehen, die Investitionen in erneuerbare Technologien sicherer machen und somit deren Ausbau fördern sollen. Mittels einer Degression dieser Fördersätze werden darüber hinaus der technische Fortschritt sowie Lerneffekte im Umgang mit diesen Technologien berücksichtigt.
Durch ihren Vorrang im Netz müssen konventionelle Kraftwerke nur noch die Differenz zwischen regenerativer Einspeisung und Nachfrage, die sogenannte Residuallast, decken. Diese Auswirkung auf den börslichen Strompreis wird auch Merit-Order-Effekt genannt und ist in Abbildung 2.3 grafisch dargestellt [10].
Abbildung 2.3: Merit-Order-Effekt durch hohe Einspeisung erneuerbarer Energien
Besonders zu Peak-Zeiten bewirkt eine hohe Einspeisung von Strom aus Wind und Photovoltaik eine Verdrängung teurer Öl- und Gaskraftwerke, die ansonsten preissetzend gewesen wären. Für die Endverbraucher bedeuten diese niedrigeren...