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E-Book

Blödmaschinen

Die Fabrikation der Stupidität

AutorGeorg Seeßlen, Markus Metz
VerlagSuhrkamp
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl780 Seiten
ISBN9783518743799
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis29,99 EUR
»Fernsehen macht dumm«, »Unser Bildungssystem produziert karrieristische Fachidioten«, »Der Kapitalismus braucht Konsumtrottel« - Wenn eine Gesellschaft auf das in ihr (zu Recht) grassierende Unbehagen an »allgemeiner Verblödung« statt mit handfesten Gegenmaßnahmen bevorzugt mit kulturpessimistischen Slogans und Verschwörungstheorien reagiert, wird klar, wie sehr sie sich bereits in ihrem Dummsein eingerichtet, es gar zum System erhoben hat. Markus Metz und Georg Seeßlen analysieren die Mechanismen, mit denen Dummheit heute produziert wird, nebst den fatalen Strategien, mit denen die meisten Individuen sie »bewältigen« und dadurch noch verstärken. Wer sich der Dynamik der »Blöd-Maschinen« nicht blind oder - noch schlimmer - sehend ergeben möchte, muß ihre Strukturen begreifen. Nur so entsteht die Chance, sie zu zerschlagen.

<p>Markus Metz, geboren 1958 in Oberstdorf, Studium der Publizistik, Politik und Theaterwissenschaft an der FU Berlin, freier Journalist und Autor, lebt in München.</p>

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Leseprobe

1. KAPITEL

Dummes Wissen/Wissende Dummheit:
Dialektik der Blödmaschinen


1. Warum der freie Markt zugleich klug und dumm macht


Der weitläufigste Rohstoff des Kapitalismus ist die menschliche Dummheit. Das weitläufigste Produkt der menschlichen Dummheit ist der Kapitalismus. So wird dieser, wie man sich einbildet, zur »Natur«.

Und ist nicht alles andere als dieser Kapitalismus mit ein bißchen Demokratie drum herum ohnehin »schlimmer«, weil ja das andere System – wie immer es aussehen mag, nach unseren historischen und semiotischen Erfahrungen – die Dummheit keineswegs überwunden hat, wohl aber ihren ungehemmten Selbstausdruck unterdrückt? So daß sich gleichsam automatisch die Dummheit beim Bestreben, vernünftig zu wirken, in Terror verwandelt? Haben nicht alle Revolutionäre bislang das Ur-Verbrechen begangen, sich die Dummheit, statt sie zu bekämpfen, zunutze zu machen? Es gibt keine nützlichen Idioten! So wenig eine Herrschaft, die aus dem Terror entstanden ist, je den Terror wieder los wird, so wenig wird eine Herrschaft, die auf der Dummheit aufbaut, die Dummheit in sich selber los.

Also verhält es sich vielleicht ja auch genau anders herum: Der »freie Markt« wäre demnach die einzige adäquate Reaktion auf ein menschliches Grundverhalten, das sich aus so viel überraschender Intelligenz wie überraschender Blödheit zusammensetzt.

Wenn man anderen Menschen beim Einkaufen zusieht, egal ob es sich um die Zutaten für eine Gemüsesuppe oder um Finanzpakete handelt, so beobachtet man ein wunderbares Durcheinander von »Dummheiten machen« und »kluge Entscheidungen treffen«. Die Illusion, die uns dabei vermittelt wird, mittendrin und darüber hinaus, besteht darin, daß man »Dummheiten machen« und »kluge Entscheidungen treffen« spätestens bei den Folgen (leckeres Süppchen, Profit bzw. gelungene Altersversorgung) auseinanderhalten kann. Doch wenn der Gast die Fleischeinlage vermißt und der Dax einen seiner berühmten Sprünge macht, sieht alles wieder anders aus. (Und wir erinnern uns nur noch, bei all dem Chaos, das wir auf dem Markt und der Markt in uns angestellt hat, daß wir endlos geredet haben über das, was dumm oder vernünftig hätte gewesen sein können.)

Offensichtlich schluckt nur ein freier Markt das Durcheinander von Dummheit und Intelligenz, das möglicherweise zur »Natur« des Menschen gehört. Und nur er kann es, wie die Dinge zu stehen scheinen, als kreatives Echo zurückwerfen. Der Kapitalismus (oder besser gesagt: die vielen Kapitalismen, die seine Geschichte schreiben) ist zugleich abgrundtief dumm und überwältigend klug, daher kann er nicht zu Ende erklärt werden (und deshalb irren sich seine Kritiker wie seine Apologeten), und deshalb erklärt er sich schon gar nicht selber. Er reflektiert Dummheit und Klugheit seiner Elemente, das sind Maschinen, Menschen, Dinge, Märkte, Geld, Sprache und vieles mehr. Weil er aber nun Dummheit und Klugheit nicht als Entweder/oder sondern als Sowohl-als-auch enthält, benötigt der Kapitalismus Instrumente des Transfers. Wir nennen sie: die Blödmaschinen.

In einer Planwirtschaft müßten sich die Menschen entscheiden, ob sie nur klug oder nur dumm sein wollen. Diese Entscheidung ist unmenschlich.

Aber wer glaubt an ein freies Spiel der Kräfte (Nachfrage und Angebot, Blödes und Schlaues)? Natürlich ist jeder Markt eine Institution, die uns dazu drängt, Dummheiten zu machen. Denn wir gehen auf den Markt nicht, um ihn zu erkennen, wir gehen auf den Markt aus Interesse. Dieses doppelte Interesse – Neugier auf Dinge, die unsere Aufmerksamkeit erwecken sollen, und Hoffnung auf eine Situation, die uns Vorteil oder Lust bringt – wird uns schnurstracks in die eine oder andere Blödmaschine führen. Wenn ich vorhabe, jemanden zu verblöden, dann frage ich nicht nach seiner Intelligenz, ich frage nach seinem Interesse. Ein Gedanke bedeutet nichts, solange er nicht auf Interesse stößt, und umgekehrt bin ich zu jeder Blödheit bereit, wenn es meinem Interesse dient. Oder nur so tut.

Eine Dummheit macht auch der Gescheiteste. Weil das Erkenntnisinteresse nur eines von vielen ist, unter anderem. (Es ist im übrigen durchaus fraglich, ob eine blöde Tat von vornherein durch einen Traum und im nachhinein durch ihre skeptische Aufklärung gerettet werden kann.) Wie indes umgehen mit der vollendeten und erkannten Dummheit (bei mir und bei anderen)? Wir könnten sie, zum Beispiel, ins Theater tragen. Denn es gibt soziale Maschinen, die hauptsächlich dazu da sind, Dummheiten zu verzeihen. Ja mehr noch: Es gibt diese Maschinen, durch die Dummheiten unterhaltsam, schön, gemeinschaftlich, moralisch und menschlich gemacht werden. Auch dies nennen wir: die Blödmaschinen.

Und schon wissen wir, daß es ohne Blödmaschinen nicht geht. Mit ihnen aber auch nicht recht. Denn Blödmaschinen konstituieren Demokratie und Kapitalismus, sie bearbeiten, genauer gesagt, gerade die enorme Reibungsenergie zwischen beidem.

Wie es mit Maschinen so geht: Sie müssen sich amortisieren und zugleich erzeugen sie, nebst anderen Effekten, den tendenziellen Fall der Profitrate. So kämpft, von Anfang an, die Maschine auch um ihr eigenes Dasein. Sie wächst mit ihrem Verfall um die Wette – und trotzdem hat jede Maschine ihre Zeit und wird durch die »bessere« ersetzt. (Und wie alle Maschinen, so werden auch Blödmaschinen liebenswert und schön, wenn sie außer Gebrauch im Museum stehen. Die BILD-Zeitung von heute ist unerträglich, die von vor zwanzig Jahren eine Mischung aus Kunstwerk und Zeitdokument, ganz zu schweigen vom: Weißt du noch, damals!) Die »Metropolis«-Maschine war ein Moloch, der buchstäblich die Menschen fraß. Und trotzdem schöner als die Robotstraße heutiger Automobilfabrikation (obwohl die schon wieder schön aussieht gegenüber dem, was wir gerade kommen sehen). Maschinen, das müssen wir wohl seit der allerersten von ihnen im Kopf haben, drohen stets, sich der menschlichen Kontrolle zu entziehen, die Schöpfungsgeschichte umzudrehen, Ordnungen, deren Ausdruck sie sind, zu untergraben, und irgendwann sind Maschinen, wer weiß, die Zentren von Chaos und Terror. So fürchtet eine Gesellschaft, die zu ihrem Wohlbefinden und, ja, auch zu dem ihrer Mitglieder, die Blödmaschinen erfunden hat, immer auch die Herrschaft dieser Blödmaschinen, das Chaos, das sie anrichten. Eine Blödmaschine ist also zugleich eine Wohlfühl- und eine Angst-Maschine, anders funktioniert sie nicht.

Daher benötigen die Blödmaschinen nicht nur den Nachweis ihrer ökonomischen und technologischen (ein wenig auch: moralischen und ästhetischen) Effizienz, sondern sie bedürfen auch der beständigen Legitimation. Über Blödmaschinen – natürlich nennt man sie dann nicht so – wird immer gestritten. Und immer entscheidet, mal lüstern, mal widerwillig, die andere Instanz (zugleich Regulativ und Ergebnis des Marktes) über ihr Funktionieren mit: der Staat.

Blödmaschinen sind ja nicht blöd! Was sie verarbeiten und was sie produzieren, ist die Reduktion der Fähigkeit, zu sehen, Schlüsse zu ziehen, zu kommunizieren und zu kritisieren, auf ein bekömmliches Maß. Aber sie drohen immer damit, das bekömmliche Maß der Blödheit zu verfehlen. Der Sozialingenieur wie der Ideologe in uns weiß nur zu gut: In Wahrheit streiten wir nicht um den Kampf zwischen der Klugheit und der Blödheit, sondern um die Produktion der richtigen Art und des richtigen Quantums an Blödheit. (Eine Frage wirft ihren Schatten voraus: Kontrollieren die Blödmaschinen die Maschinisten oder umgekehrt?) Kein Wunder, daß es oft dieselben Menschen sind, die ihren Zeitgenossen zuviel Wahrnehmung, Schlüsse, Kommunikation und Kritik vorwerfen und gleichzeitig vor den Folgen von zuviel Blödmaschinen warnen. Derselbe Mensch kann mit der gewohnten Impulsgeste in der Öffentlichkeit auf das »Scheißprivatfernsehen« und auf die »intellektuellen Besserwisser« schimpfen, vor der »Verblödung« wie vor der »destruktiven Kritik« warnen. Was meine Sinnmaschine ist, ist die Blödmaschine der anderen. Eine Blödmaschine ist so gut, wie sie meinen Interessen dient.

Man benötigt indes Blödmaschinen nicht nur aus Interesse und Bequemlichkeit, sondern eben auch vor lauter Angst. Man könnte sagen: Eine Blödmaschine verarbeitet Begehren und Angst zu einem reduzierten Weltbild. Die Angst, die eine Blödmaschine erzeugt, scheint erträglicher als die Angst, die einen im richtigen Leben blöd macht. Aber schon da argwöhnen nicht nur die Kulturpessimisten: Wir wissen nicht, wieviel Angst bei der Verarbeitung erst erzeugt wird. Zu unserer Verblödung gehört es, nicht einmal zu erkennen, wie zyklisch Erhitzung und Abkühlung im moralischen Rezeptionssektor organisiert sind. Heute: Skandal (Videospiele erzeugen Amokläufer!), morgen: Alles halb so schlimm. (Der inoffizielle Gruß unserer Diskursreste: »Den Ball flach halten«.)

Eine Blödmaschine spaltet das Gemenge von Dummheit und Klugheit, von Begehren und Angst, von Leben-Wollen und Nicht-leben-Können in reduzierte (eben: »verblödete«) Wahrnehmung und soziale Energie. Sie steht zwischen mir und der sicheren Katastrophe. Das Leben in einer Blödmaschine, vom Fernsehen bis zur Politik, von Sprache bis Bild (und BILD), bedeutet: Durch das Begehren so weit bewegt zu werden, wie durch die Angst gelähmt; Begehren und Angst definieren (schon jenseits der »Bedeutung«, wie wir sahen) meinen Bewegungsraum, mein »Ambiente«.

Die Blödmaschine, nur als Beispiel, verteidigt erst Demokratie, dann Postdemokratie, gegen jedwede Art von »Tat« (und Goethe hätte hier nichts verloren). Was immer eine...

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