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Codename Brooklyn.

Jüdische Agenten im Feindesland. Die Operation Greenup 1945. Mit einem Fotoessay von Markus Jenewein.

AutorPeter Pirker
VerlagTyrolia
Erscheinungsjahr2019
Seitenanzahl368 Seiten
ISBN9783702237578
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis24,99 EUR
Eine Geschichte von Widerstand, Verfolgung und Befreiung In der Nacht auf den 26. Februar 1945 landen ein holländischer und ein deutscher Jude mit einem Tiroler Wehrmachtsdeserteur per Fallschirm in Tirol. Sie sollen dem US-Geheimdienst Informationen aus der Alpenfestung der Nazis liefern. Frauen aus Oberperfuss helfen ihnen. Die Gestapo foltert und tötet, um sie zu enttarnen. Über zwei Monate entspannt sich ein Drama, das in die kampflose Befreiung Innsbrucks mündet. Das Buch schildert die Beteiligten, die Ereignisse und das Vermächtnis der Geschichte, die Quentin Tarantino zu 'Inglourious Basterds' inspiriert hat.

Peter Pirker, Dr. phil., Historiker und Politikwissenschaftler an der Universität Wien, zahlreiche Publikationen zur NS-Herrschaft im Alpen-Adria-Raum, Widerstand, Exil und Geheimdienste im Zweiten Weltkrieg, zu Geschichtspolitik und Erinnerungskultur.

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Leseprobe

Damit sind die ursprünglichen Aufgaben der Operation ›Greenup‹ skizziert – eines geheimdienstlichen Unternehmens, das die OSS-Abteilung für Deutschland und Österreich im Frühjahr 1945 in Tirol durchgeführt hat. Zur spektakulärsten Spionagemission auf dem gesamten mediterranen Kriegsschauplatz, zu dem die österreichischen Alpen gehörten, wurde die Operation aus Sicht des OSS aber erst in den letzten Kriegstagen. Am 3. Mai gelang es den Agenten nach einer Abfolge dramatischer Ereignisse, im Kerngebiet der ›Alpenfestung‹ einen vorzeitigen Waffenstillstand herbeizuführen, den Leiter des Gaus Tirol-Vorarlberg und Obersten Kommissar der ›Operationszone Alpenvorland‹, Franz Hofer, und seinen Stab festzunehmen, Innsbruck den US-Truppen kampflos als ›freie Stadt‹ zu übergeben und damit das Leben vieler ihrer Soldaten zu retten.2 Am 25. April 2013 bezeichnet der demokratische Senator Jay Rockefeller bei einer Rede im Kongress der Vereinigten Staaten die Operation Greenup sogar als einen der erfolgreichsten OSS-Einsätze im Zweiten Weltkrieg überhaupt.

Die Geschichte der Operation Greenup wird in diesem Buch rekonstruiert. Der Fokus liegt dabei auf den beteiligten Akteuren: den Agenten, ihren Helferinnen und Helfern sowie ihren Gegenspielern in den Herrschafts- und Polizeiapparaten des NS-Regimes.

Das ausführende Team der Operation Greenup bestand aus drei jungen Männern. Fred Mayer, 23 Jahre alt, und Hans Wijnberg, 22 Jahre alt, waren Juden, die vor dem Rassenwahn der Nationalsozialisten in die USA geflohen waren – Mayer 1938 mit seiner gesamten Familie aus Freiburg im Breisgau, Wijnberg 1939 mit seinem Zwillingsbruder Loek aus Amsterdam. Beide landeten in Brooklyn, New York. Die Eltern der Wijnbergs hatten ihre Buben schweren Herzens, aber in Voraussicht des deutschen Überfalls auf die Niederlande über den Atlantik geschickt, ihre eigene Flucht mit dem jüngsten Sohn scheiterte jedoch: Die Nationalsozialisten ermordeten sie in Auschwitz und Tschechowitz. Der Dritte im Bunde war Franz Weber, ein 24-jähriger Wehrmachtsleutnant aus dem tiefkatholischen Bauerndorf Oberperfuss bei Innsbruck. 1940 durchaus begeistert in den Krieg gezogen, entschied er sich im September 1944 nach langen Einsätzen in Polen, Russland, Jugoslawien und zuletzt Italien, aus Hitlers Armee zu desertieren, die Seiten zu wechseln und nun auf möglichst effektive Weise zum Kampf gegen die Wehrmacht beizutragen, die in seinen Augen an der Dystopie eines ›KZ Europa‹ maßgeblich mitgewirkt hatte. Im Dezember 1944 erklärte er sich in einem Kriegsgefangenenlager in einem Gespräch mit dem OSS-Offizier Dyno Loewenstein, Sohn des Berliner Sozialisten und Pädagogen Kurt Löwenstein, bereit, Mayer und Wijnberg nach Tirol zu begleiten, sie in sein Heimatdorf zu führen, dort unterzubringen und die ersten Kontakte nach Innsbruck herzustellen, um das Ausspionieren des Eisenbahnverkehrs über den Brenner zu ermöglichen. Mehr als 60 Funksendungen tauschte Wijnberg, der Funker der Gruppe, mit der OSS-Basis in Bari aus.

Am 20. April 1945 wurde Fred Mayer von einem Sonderkommando des Befehlshabers der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdiensts der SS (BdS) Verona festgenommen und in der Gestapostelle Innsbruck schwer gefoltert. Hans Wijnberg und Franz Weber blieben bis zur Befreiung unentdeckt. Mayer gelang es aus der Gestapohaft heraus, in Verhandlungen mit Gauleiter Hofer zu treten und ihn zur Aufgabe der Verteidigung Innsbrucks zu bewegen. Das machte ihn zu einem Helden der amerikanischen Literatur zum Zweiten Weltkrieg. Die Geschichte der Operation Greenup wurde tatsächlich lange ausschließlich in den USA tradiert und im deutschsprachigen Raum kaum zur Kenntnis genommen. In dieser ›amerikanischen‹ Heldengeschichte stehen die außergewöhnlichen Leistungen Mayers im Zentrum, »one of the most spectacular individual soldiers of this war«, wie es im Blue Book, dem populären amerikanischen »Magazine of Adventure for Men, by Men«, schon im April 1946 in einer langen Story über die Operation Greenup hieß. Geschrieben wurde sie vom OSS selbst, von Lieutenant Alfred C. Ulmer, dem operativen Leiter der OSS-Abteilung für Deutschland und Österreich. Die seither in den USA in mehreren Büchern erschienenen Darstellungen folgen im Wesentlichen seiner Erzählung: Joseph E. Persicos Buch Piercing the Reich, Gerald Schwabs Band OSS Agents in Hitler’s Heartland und schließlich Patrick O’Donnells Drama They Dared Return.3 Ihre Rekonstruktionen beruhen fast ausschließlich auf Dokumenten des OSS und Interviews mit den beteiligten Agenten – also genau dem, was Ulmer neben seiner eigenen Beteiligung schon 1946 an Quellen zur Verfügung stand. Alle drei Bücher waren eine unverzichtbare Grundlage für das vorliegende Buch, auch um eine partiell andere Sichtweise auf die Operation Greenup zu gewinnen.

002 Erste Story über die Operation Greenup im Blue Book Magazine, April 1946.

Besonders wertvoll war Persicos ›oral history‹, die er in den späten 1970er- Jahren zu den OSS-Einsätzen im Deutschen Reich intensiv betrieben hat. Er befragte die Agenten und die Mitarbeiter des OSS zu den Motiven, Hintergründen und Verläufen der Spionageeinsätze. Nach seinem Tod wurden die Interviews im Archiv der Hoover Institution an der Stanford University hinterlegt, digitalisiert und für die Forschung zugänglich gemacht. Von den Greenup-Agenten interviewte Persico Fred Mayer und Franz Weber, außerdem den Ideengeber und Erfinder der Operation, Dyno Loewenstein, sowie Al Ulmer. Nachdem alle Beteiligten bereits verstorben sind, erwiesen sich diese Interviews als eine inspirierende Quelle sowohl für das Verständnis der historischen Ereignisse als auch für die Art und Weise der Erinnerung daran im Kontext der späten 1970er-Jahre, als sich die Geschichtsordnungen des Kalten Krieges aufzulösen begannen und der Holocaust in das Zentrum der Betrachtung des Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkriegs rückte.4

Die Aktivitäten von Fred Mayer, Hans Wijnberg und Franz Weber waren ungemein voraussetzungsreich. Inmitten einer auf den ersten Blick ziemlich stabilen nationalsozialistischen Volks- und Kriegsgemeinschaft waren sie auf Menschen angewiesen, die unter Einsatz ihres Lebens bereit waren, sie aufzunehmen, zu versorgen, ihnen zu helfen, an die gesuchten Informationen heranzukommen, mit einem Wort: sich auf ihre Seite zu stellen oder sich zumindest partiell mit ihnen einzulassen. Mayer, der den Einsatz operativ leitete, ging jedoch weiter, als ihm das OSS formal aufgetragen hatte. Bereits in der Vorbereitung des Einsatzes vermittelte ihm Loewenstein den an die Pädagogik seines Vaters erinnernden Ansatz, selbst zu überlegen und zu beurteilen, was er machen wollte, und die Risiken abzuwägen. Nach drei Wochen erfolgreicher Berichterstattung sah Mayer die Chance, mehr zu tun, als Informationen zu sammeln, nämlich die Verbindungen, die er bis in die Kriminalpolizei, die Wehrmacht und sogar die Gestapo hinein aufgebaut hatte, in militanten Widerstand zu verwandeln – eine Untergrundorganisation zu bilden, die den amerikanischen Truppen bei der Befreiung der Region eine effektive Unterstützung geben konnte. Welche Menschen vor Ort an der Operation Greenup in welcher Weise beteiligt waren, soll in diesem Buch stärker als bisher ausgeleuchtet werden.

Durch eine unglückliche Fügung gelang es der Gestapo, in diese Verbindungen einen Spitzel einzubauen, was zu einer Razzia gegen dutzende tatsächliche und vermeintliche Regimegegner führte. Dabei wandten die Gestapo und das Sonderkommando des BdS Verona nicht nur gegen Fred Mayer, sondern auch gegen eine Reihe seiner lokalen Helfer brutale Gewalt an. Einer von ihnen, der Innsbrucker Radiohändler Robert Moser, starb in der Haft an den Folgen der Tortur. Die meisten Festgenommenen wurden in das Gestapolager Reichenau bei Innsbruck verbracht, wo sie bis Ende April von der Hinrichtung bedroht waren. Der Verrat durch einen V-Mann der Gestapo, der Tod Robert Mosers und die Gewalt gegen die lokalen Helfer und Kontakte kommen in der ursprünglichen, durch das OSS verbreiteten Geschichte gar nicht vor, in den darauf folgenden Varianten nur beiläufig, obwohl das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands (DÖW) bereits 1984 erste Dokumente dazu veröffentlicht hat.5 Um die Dimension der lokalen Ebene und der lokalen Akteure genauer zu erfassen, ist die Konsultation entsprechender Quellen notwendig. Diese finden sich nur in geringem Maße in den Archiven des OSS, fündig wird man hingegen in kommunalen, regionalen, in deutschen und österreichischen Archiven. Eine wichtige, wenn auch hinsichtlich der Rekonstruktion von Ereignissen mit Bedacht zu verwendende Quelle sind Dokumente der Nachkriegsjustiz, die vor allem im Tiroler Landesarchiv und in bayerischen Staatsarchiven verwahrt sind.

003 Ehrung von Fred Mayer im US-Senat, April 2013.

Im Jahr 2009 brachte Quentin Tarantino seinen Spielfilm Inglourious Basterds in die Kinos.6 In den Medien wurde das Epos über den intellektuellen SS-Offizier Hans Landa...

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