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E-Book

Das ewige Versprechen

Eine brasilianische Kulturgeschichte

AutorKersten Knipp
VerlagSuhrkamp
Erscheinungsjahr2013
Seitenanzahl383 Seiten
ISBN9783518730829
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis11,99 EUR
Brasilien boomt. Lange als Land der Zukunft beschworen, muss man mit Blick auf heutige Verhältnisse sagen: Die Zukunft ist jetzt! »Das ewige Versprechen« wirft einen lebhaften Blick auf die schillernde und faszinierende Vielfalt der brasilianischen Kultur, von den Anfängen bis in die Gegenwart. Ob in Musik, Malerei, Mode oder Architektur - Brasilien war immer schon stilprägend. Kersten Knipp geht der vitalen Geschichte dieser Kultur nach, deren Ausdrucks- und Strahlkraft gewaltiger ist denn je. Was also ist Brasilien, und wer sind die Brasilianer? Wie wurde Brasilien zu einem solchen Erfolgsmodell? Welche Verheißungen und Ideale halten bis heute ein so vielgestaltiges Land zusammen? Anekdotenreich, in großen und kleinen Geschichten erzählt Kersten Knipp von einem Land, das sein ´ewiges Versprechen` einzulösen begonnen hat.

<p>Kersten Knipp, geboren 1966, ist Kenner und ungehemmter Liebhaber Brasiliens. Er arbeitet als Journalist und Publizist und lebt in K&ouml;ln.</p>

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Leseprobe

Einleitung:
Versprechen auf Brasilianisch


Da war Farbe und Bewegung,
das erregte Auge wurde nicht müde zu schauen,
und wohin es blickte, war es beglückt.

Stefan Zweig, Brasilien: ein Land der Zukunft

Ein Akt gegen die Schwerkraft, eine Bewegung, die eigentlich scheitern müsste. Kaum denkbar, dass der Schwung groß genug ist, den Springenden nicht tatsächlich durch die Luft trägt und nicht mittendrin fallen lässt wie einen schweren Sack. Aber die Energie ist da, und sie kommt aus dem Stand. Sie muss aus dem Stand kommen, etwas anderes lässt die Physik nicht zu. Mit einem Ruck hebt der Springende vom Boden ab, schleudert die Füße Richtung Himmel, denen dann Beine, Oberkörper und schließlich der Kopf folgen. Den ganzen Körper reißt es nach oben, wie gezogen von ungeheurer Energie. In wildem Schwung dreht er sich einmal um sich selbst, lässt die Erde hinter sich, zeigt, was sich mit Kraft alles erreichen lässt. Ein paar Augenblicke feiert der Wille Triumphe, um sich dann doch wieder der Schwerkraft zu beugen. Nicht demütig allerdings, sondern im stolzen Bewusstsein, das Mögliche erreicht zu haben.

Das Titelbild dieses Buches zeigt eine Szene am Strand. Ein Mensch voller Lebensfreude, der er auf grandiose Art Ausdruck verleiht. Ein Sprung am Wasser, vor den glitzernden Wellen des Atlantiks. Der junge Mann springt allein, für sich selbst, ohne Unterstützung durch eine Gruppe, wie es eigentlich die Regel ist. Denn normalerweise sind solche Sprünge Bestandteil der Capoeira, des brasilianischen Tanzkampfes, dessen Wurzeln in die Zeit der Sklaverei zurückreichen. Damals dienten die schnellen, kräftigen Bewegungen den Schwarzen dazu, sich Respekt zu verschaffen?– untereinander, aber auch gegenüber der weißen Oberschicht, die massiv in der Sklavenwirtschaft engagiert war.

Und so hat die Capoeira neben aller Eleganz und Artistik auch etwas Bedrohliches. Die blitzschnellen Drehungen, Sprünge, die wirbelnden Arme und Beine, die ungeheure Kraft, die die Capoeira voraussetzt, mögen heute vor allem Kunst oder Spektakel sein?– ihr Ursprung verweist auf andere Zwecke. Und wenn sich der Tanz heute so großer Beliebtheit erfreut, verweist dies neben der Freude an Schönheit und Körperbeherrschung auch auf die spezifischen Umstände, unter denen er entstanden ist. Das ewige Versprechen: Für die Portugiesen, die Brasilien im Jahr 1500 zum ersten Mal betraten, war das vor allem eines auf Reichtum. Pero Vaz de Caminha, der Chronist in Diensten auf den Schiffen von Pedro Alvarez Cabral, der die portugiesische Flotte jenes Jahres leitete, mochte sich noch so freundlich über die brasilianischen Indianer äußern?– dass es letztlich um Gold und andere Schätze ging, daran ließ er keinen Zweifel. Die Kolonisierung Brasiliens war ein imperiales Projekt, von Anfang an auf Ausbeutung angelegt. Brasilien, das war eine Wette auf die Zukunft, darauf, dass sich in dem riesigen Land unter dem Tropenhimmel gewaltige Reichtümer ansammeln lassen würden. Schon der Name »Brasilien« deutet das an: Er geht auf das Brasilholz zurück, das man in Europa zum Färben brauchte und darum en masse aus der Neuen in die Alte Welt brachte.

Landschaft und Geschichte stehen darum in einem skurrilen Missverhältnis. Es gibt wohl nur wenige Länder, deren Natur ähnlich reich und schön ist. Die spektakuläre Kulisse von Rio de Janeiro, die schäumenden Wasserfälle von Iguaçu, die weißen Strände von Ceará oder die Weiten des Amazonas: Sie alle machen Brasilien zu einem wunderbaren, betörend anmutigen, furchteinflößend erhabenen Land. Und doch hat dieses Land unendlich gelitten?– wie alle Länder, die unter die Herrschaft der Portugiesen und Spanier fielen. Die allermeisten derer, die auf den Spuren von Christoph Kolumbus und Pedro Vaz de Caminha den frisch entdeckten Kontinent betraten, lockte die Aussicht auf Reichtum. Gold, Silber, Edelhölzer, Zucker, Kakao und Kautschuk: Mit vielem ließ sich in Brasilien Geld machen, und wer immer die Mittel und den Mut hatte, der versuchte sein Glück?– vorausgesetzt, er kam aus Europa, also aus den Ländern derer, die es als ihr selbstverständliches Recht ansehen, sich an dem Kontinent zu bereichern. Allen anderen, zuerst den Indianern und dann den verschleppten Afrikanern, war eine ganz andere Rolle zugedacht, nämlich durch ihrer Hände Arbeit den Reichtum zu fördern und ihren Herren dann zu überlassen. Und sputeten sie sich nicht, bekamen sie deren Unmut in drakonischen Strafen zu spüren.

Umso erstaunlicher scheint es, dass Brasilien eine solch reiche und wunderbare Kultur hervorgebracht hat. Seine Musik, allem voran der Samba, ist einzigartig. Ausgelassene Rhythmen, die zum Tanzen auffordern, sanft dahingleitende Melodien, in deren Schwung man sich wiegen möchte. Und doch ist gerade der Samba in einem schwierigen, ja feindlichen Umfeld entstanden. Er ist die Musik der Favelas, der schwarzen Vorstädte, genauer gesagt: der Elendsquartiere rund um die großen Metropolen. Der Samba berichtet von einem Leben unter Druck, von Menschen, die um ihre Existenz ringen müssen, mal in großen, meistens aber kleinen Kämpfen, der täglichen Sorge ums Brot, für das sie erst mal das nötige Kleingeld auftreiben müssen. Mag sein, dass im Samba auch etwas von der saudade der Portugiesen mitschwingt, dem diffusen Eindruck, im Leben nicht am rechten Platz zu sein, es vielleicht sogar zu verpassen. Im Fado, der portugiesischen Nationalmusik, hat die saudade zu ihrer schönsten Form gefunden. Ein Hauch von Fado schwingt auch im Samba mit?– aber der knöpft sich andere Themen vor. In eleganter und zugleich direkter Sprache greift er die Missstände seiner Zeit auf, spricht von Gewalt, Rassismus, Bestechung. Und natürlich von den kargen Umständen, in denen so viele Brasilianer leben. Für sie ist das ewige Versprechen ein ganz anderes: eines darauf, das schwierige Leben gegen ein zumindest etwas Leichteres einzutauschen.

Dieses Versprechen hat sich in den letzten Jahren für zahllose Brasilianer erfüllt. Dank umfangreicher Sozialprogramme haben Millionen die Armut hinter sich lassen können. Wirtschaftlich hat Brasilien einen atemberaubenden Aufschwung genommen. Die Mittelklasse wächst, und mit ihr die Kaufkraft. Ebenso wächst mit ihr die Bildung. Brasilianische Techniker und Ökonomen zählen inzwischen zur Weltspitze, außenpolitisch fährt Brasilien einen sehr selbstbewussten Kurs, organisiert vor allem im Süden der Welt ein Lager, das den alten, etablierten Mächten Paroli bieten soll?– mindestens. Eigentlich aber ist geplant, die globale Polit-Architektur grundlegend zu verändern, den aufsteigenden Mächten, zu deren Spitze Brasilien sich zählt, ein entsprechendes Gewicht zukommen zu lassen.

Eine wunderbare Erfolgsstory also. Und doch hat sie die Übel des Landes nicht beseitigen können, ja manche sogar verschärft. Stefan Zweig, der auf der Flucht vor den Nazis nach Brasilien kam und dort knapp zwei Jahre lebte, bevor er in Petrópolis im Bundesstaat Rio de Janeiro aus Verzweiflung über die Selbstzerfleischung Europas freiwillig aus dem Leben schied, hat ein beeindruckendes Buch über Brasilien geschrieben. In ihm kommt er immer wieder auch auf den freundlichen und friedlichen Charakter der Brasilianer zu sprechen. Recht hat er, zumindest auf der einen Seite. Die Brasilianer, die meisten jedenfalls, sind sehr umgängliche Menschen?– offen, humorvoll, von mehr als nur formaler Höflichkeit. Unterhaltungen können sich über Stunden hinziehen, vom Hölzchen aufs Stöckchen kommen, die leichten Themen genauso aufgreifen wie die schweren, die kleinen wie die großen. Und wer die brasilianische Variante des Portugiesischen mag, die lang gedehnten Vokale, das auf einen satten Zischlaut auslautende »t« oder »d«, dazu die charmante, latent archaische Syntax der Alltagssprache?– für den ist Brasilien ein Paradies aus Worten, wechselseitiger Wertschätzung und warmen Willkommen. So hat auch Stefan Zweig die Brasilianer erlebt. Es gebe dort den wuchtigen, massigen, »starkknochigen« Typus des Nordens nicht, notierte er. »Ebenso fehlt im Seelischen?– und man empfindet es als Wohltat, dies vertausendfacht zu sehen innerhalb einer Nation?– jede Brutalität, Heftigkeit, Vehemenz und Lautheit, alles Grobe, Auftrumpfende und Anmaßende.«

Zweigs Buch erschien im Jahr 1941. Es ist das Buch eines Menschen, der vor der Barbarei in der Heimat floh, darum vielleicht einen besonders freundlichen Blick auf das Land wirft, das ihm Schutz gewährt. Brasilien hatte damals?– und hat bis heute?– einen einzigen Krieg geführt, nämlich von 1865 bis 1870 gegen Paraguay. Zweig war beeindruckt und angetan von dieser politischen Friedenskultur?– so sehr offenbar, dass er darüber die weniger friedlichen Seiten des Landes übersah. Wenn nämlich die brasilianische Literatur so faszinierend ist, dann darum, weil sie fast durchgehend von Menschen in schwierigen Situationen handelt. Die frühen Chronisten, allen voran die portugiesischen Ordensleute, berichten vom Leid der Indianer, einige?– allerdings weniger?– dann auch von dem der Schwarzen. Im 19. Jahrhundert häufen sich die Berichte, und wenn sie sich ins Kämpferische wenden, vehement die Abschaffung der Sklaverei fordern, scheint aus ihren Seiten mit das Großartigste, was in der brasilianischen Literatur je verfasst worden ist. Aber die Schriften ließen keinen Zweifel: Brasilien war ein Land, in dem Brutalität an der Tagesordnung war. Und auch das, was die Autoren des 20. Jahrhunderts vor Zweigs Brasilienaufenthalt schrieben, ist eindeutig. Der Staat ließ schlimme Willkür und Ungerechtigkeit zu, unterschied...

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