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Das Passagen-Werk

Die Straßen von Paris: Einer der Grundlagentexte materialistischer Kulturtheorie - Blick in die Jetztzeit des Spätkapitalismus

AutorWalter Benjamin
Verlage-artnow
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl160 Seiten
ISBN9788026829706
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis1,99 EUR
Dieses eBook: 'Das Passagen-Werk' ist mit einem detaillierten und dynamischen Inhaltsverzeichnis versehen und wurde sorgfältig korrekturgelesen. Walter Benjamin (1892-1940) war ein deutscher Philosoph, Literaturkritiker und Übersetzer der Werke von Balzac, Baudelaire und Marcel Proust. Inhalt: Exposés Paris, die Hauptstadt des XIX. Jahrhunderts Fourier oder die Passagen Daguerre oder die Panoramen Grandville oder die Weltausstellungen Louis-Philippe oder das Interieur Baudelaire oder die Straßen von Paris Haussmann oder die Barrikaden Paris, Capitale du XIXeme siecle Exposé Fourier ou les passages Grandville ou les expositions universelles Louis-Philippe ou l'intérieur Baudelaire ou les rues de Paris Haussmann ou les barricades Conclusion Aufzeichnungen und Materialien Passagen, magasins de nouveaute?s?, calicots Mode Antikisches Paris, Katakomben, demolitions, Untergang von Paris Die Langeweile, ewige Wiederkehr Haussmannisierung, Barrikadenkämpfe Eisenkonstruktion Ausstellungswesen, Reklame, Grandville Der Sammler Das Interieur, die Spur Baudelaire Traumstadt und Traumhaus, Zukunftsträume, anthropologischer Nihilismus, Jung Traumhaus, Museum, Brunnenhalle Der Flaneur Erkenntnistheoretisches, Theorie des Fortschritts Prostitution, Spiel Die Strassen von Paris Panorama Spiegel Malerei, Jugendstil, Neuheit Beleuchtungsarten Saint-Simon, Eisenbahnen Konspirationen, compagnonnage Fourier Marx Die Photographie die Puppe, der Automat Soziale Bewegung Daumier Literaturgeschichte, Hugo Die Börse, Wirtschaftsgeschichte Reproduktionstechnik, Lithographie Die Kommune Die Seine, ältestes Paris Müssiggang Anthropologischer Materialismus, Sektengeschichte Ecole polytechnique Erste Notizen Pariser Passagen Frühe Entwürfe Passagen Der Saturnring oder Etwas vom Eisenbau

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Leseprobe

Mode


»Mode: Herr Tod, Herr Tod!«

Giacomo Leopardi: Gespräch zwischen der Mode und dem Tod

»Rien ne meurt, tout se transforme.«

Honoré de Balzac: Pensées, Sujets, Fragments Paris 1910 p 46

Und Langeweile ist das Gitterwerk, vor dem die Kurtisane den Tod neckt ■ Ennui ■ [B 1, 1]

Ähnlichkeit der Passagen mit den gedeckten Hallen, in denen man Radeln lernte. In diesen Hallen nahm das Weib seine verführerischste Gestalt an: als Radlerin. So steht sie auf den damaligen Plakaten. Chéret der Maler dieser Frauenschönheit. Das Kostüm der Radlerin als frühe und unbewußte Vorform der Sportkleidung entspricht den traumgestalten Vorformen, wie sie, ein wenig früher oder später, für die Fabrik oder das Auto aufkamen. Wie die ersten Fabrikbauten sich an die überkommene Form des Wohnhauses klammern, die ersten Automobilkarosserien Karossen nachbilden, so ringt in der Kleidung der Radlerin der sportliche Ausdruck noch mit dem überkommenen Idealbild der Eleganz, und der Ertrag dieses Ringens ist der verbissene, sadistische Einschlag, der es für die Männerwelt dieser Jahre so unvergleichlich provokatorisch machte. ■ Traumhäuser ■ [B 1, 2]

»In diesen Jahren [um 1880] beginnt ja nicht nur die Renaissancemode Unfug zu treiben, sondern auf der anderen Seite setzt eine neue Freude der Frau am Sport ein, vor allem am Reitsport, und beides beeinflußt die Mode von ganz verschiedenen Richtungen her. Es wirkt originell, wenn auch nicht immer schön, wie so die Jahre von 1882 bis 1885 zwischen den Empfindungen zu vermitteln suchen, von denen die weibliche Seele hin und her gerissen wird. Man sucht sich zu helfen, indem man die Taille möglichst anliegend und schlicht, den Rock dafür aber umsomehr Rokoko gestaltet.« 70 Jahre deutsche Mode 1925 p 84-87 [B 1, 3]

Hier hat die Mode den dialektischen Umschlageplatz zwischen Weib und Ware – zwischen Lust und Leiche – eröffnet. Ihr langer flegelhafter Kommis, der Tod, mißt das Jahrhundert nach der Elle, macht wegen der Ersparnis selbst den Mannequin und leitet eigenhändig den Ausverkauf, der auf französisch »révolution« heißt. Denn nie war Mode anderes als die Parodie der bunten Leiche, Provokation des Todes durch das Weib und zwischen geller memorierter Lache bitter geflüsterte Zwiesprach mit der Verwesung. Das ist Mode. Darum wechselt sie so geschwinde; kitzelt den Tod und ist schon wieder eine andere, neue, wenn er nach ihr sich umsieht, um sie zu schlagen. Sie ist ihm hundert Jahre lang nichts schuldig geblieben. Nun endlich ist sie im Begriff, das Feld zu räumen. Er aber stiftet an die Ufer einer neuen Lethe, die den Asphaltstrom durch Passagen rollt, die Armatur der Huren als Trophäe. □ Revolution □ Liebe □ [B 1, 4]

»Plätze, o Platz in Paris, unendlicher Schauplatz,

wo die Modistin, Madame Lamort,

die ruhlosen Wege der Erde, endlose Bänder,

schlingt und windet und neue aus ihnen

Schleifen erfindet, Rüschen, Blumen, Kokarden, künstliche Früchte –«

R. M. Rilke: Duineser Elegien Lpz 1923 p 23 [B 1, 5]

»Rien n’est tout à fait à sa place, mais c’est la mode qui fixe la place de tout.« L’esprit d’Alphonse Karr Paris 1877 p 129 »Si une femme de goût, en se déshabillant le soir, se trouvait faite en réalité comme elle a fait semblant d’être toute la journée, j’aime à croire, qu’on la trouverait le lendemain matin submergée et noyée dans ses larmes.« Alphonse Karr cit bei F. Th. Vischer: Mode und Zynismus Stuttgart 1879 p 106/107 [B 1, 6]

Bei Karr findet sich eine rationalistische Theorie der Mode, die denkbar nahe der rationalistischen Theorie vom Ursprung der Religionen verwandt ist. Den Anstoß zur Entstehung langer Röcke denkt er sich so, daß gewisse Frauen Interesse daran gehabt hätten, einen häßlichen 〈Fuß〉 zu verbergen. Oder er denunziert als Ursprung gewisser Hutformen und Frisuren den Wunsch, einen spärlichen Haarwuchs zu beschönigen. [B 1, 7]

Wer weiß denn heute noch, wo im letzten Jahrzehnt des vergangenen Jahrhunderts Frauen ihre verführerischste Gestalt, das intimste Versprechen ihrer Figur an den Mann brachten? In den gedeckten, asphaltierten Hallen, in denen man radeln lernte. Als Radlerin macht sie der Chansonette auf den affichen die Herrschaft streitig u⁠〈nd〉 gibt der Mode ihre gewagteste Linie an. [B 1, 8]

Das brennendste Interesse der Mode liegt für den Philosophen in ihren außerordentlichen Antizipationen. Es ist ja bekannt, daß die Kunst vielfach, in Bildern etwa, der wahrnehmbaren Wirklichkeit um Jahre vorausgreift. Man hat Straßen oder Säle sehen können, die in allen farbigen Feuern strahlten lange ehe die Technik durch Lichtreklamen und andere Veranstaltungen sie unter ein solches Licht setzte. Auch geht die Empfindlichkeit des einzelnen Künstlers für das Kommende bestimmt weit über die der großen Dame hinaus. Und dennoch ist die Mode in weit konstanterem, weit präziserm Kontakt mit den kommenden Dingen kraft der unvergleichlichen Witterung, die das weibliche Kollektiv für das hat, was in der Zukunft bereitliegt. Jede Saison bringt in ihren neuesten Kreationen irgendwelche geheimen Flaggensignale der kommenden Dinge. Wer sie zu lesen verstünde, der wüßte im voraus nicht nur um neue Strömungen der Kunst, sondern um neue Gesetzbücher, Kriege und Revolutionen. – Zweifellos liegt hierin der größte Reiz der Mode, aber auch die Schwierigkeit, ihn fruchtbar zu machen. [B 1 a, 1]

»Übersetzt russische Volksmärchen, schwedische Familiengeschichten und englische Gaunerromane, wir werden in Dem, was für die Masse den Ton angibt, immer wieder auf Frankreich zurückkommen, nicht, weil es immer die Wahrheit, sondern weil es immer die Mode sein wird.« Gutzkow: Briefe aus Paris II 〈Leipzig 1842〉 p 227/228 Tonangebend nun ist zwar immer das Neueste, aber doch nur wo es im Medium des Ältesten, Gewesensten, Gewohntesten auftaucht. Dieses Schauspiel wie das jeweils Allerneueste in diesem Medium des Gewesenen sich bildet, macht das eigentliche dialektische Schauspiel der Mode. Nur so, als grandiose Darstellung dieser Dialektik, versteht man die merkwürdigen Bücher Grandvilles, die Mitte des Jahrhunderts Furore machten: wenn er einen neuen Fächer als éventail d’Iris vorstellt und sein neues Dessin einen Regenbogen darstellt, wenn die Milchstraße eine nächtliche von Gaskandelabern erhellte Avenue darstellt, »la lune, peinte par elle-même« statt auf Wolken auf neumodischen Plüschkissen liegt, so erfaßt man erst, daß gerade in diesem trockensten, phantasielosesten Jahrhundert sich die gesamte Traumenergie einer Gesellschaft mit verdoppelter Vehemenz in d⁠〈as〉 undurchdringliche lautlose Nebelreich der Mode geflüchtet hat, in d⁠〈as〉 der Verstand ihr nicht folgen konnte. Die Mode ist die Vorgängerin, nein, die ewige Platzhalterin des Surrealismus. [B 1 a, 2]

Zwei laszive Blätter von Charles Vernier stellen, als Gegenstücke, »Une noce en vélocipèdes« Aller – Retour dar. Das Rad gab eine ungeahnte Möglichkeit für die Darstellung des retroussé. [B 1 a, 3]

Eine endgültige Perspektive auf die Mode ergibt sich nur aus der Betrachtung, wie jeder Generation die gerade verflossene als das gründlichste Anti⁠〈a〉⁠phrodisiacum erscheint, das nur denkbar ist. Mit diesem Urteil hat sie nicht so durchaus Unrecht, wie man annehmen könnte. Es ist in jeder Mode etwas von bitterer Satire auf Liebe, in jeder sind alle sexuellen Perversitäten aufs mitleidloseste angelegt, jede ist von geheimen Widerständen gegen Liebe erfüllt. Es lohnt sich mit der folgenden Betrachtung von Grand-Carteret 〈sich〉 auseinanderzusetzen, so oberflächlich sie ist: »C’est avec les scènes de la vie amoureuse que l’on sent, en effet, apparaître tout le ridicule de certaines modes. Tels hommes, telles femmes ne sont-ils pas grotesques en des gestes, en des poses ni le toupet déjà extravagant en lui-même, ni le chapeau à haute forme, ni la redingote serrée à la taille, ni le châle, ni les grandes pamélas, ni les petits brodequins d’étoffe.« Die Auseinandersetzung mit den Moden der vergangenen Generationen ist denn auch eine Sache von viel größerer Bedeutung als man gewöhnlich vermutet. Und es ist eine der wichtigsten Seiten am historischen Kostüm, daß es, vor allem im Theater, das unternimmt. Über das Theater greift die Kostümfrage tief in das Leben der Kunst und der Dichtung ein, in denen die Mode zugleich bewahrt und überwunden wird. [B 1 a, 4]

Vor einem durchaus verwandten Problem stand man angesichts der neuen Geschwindigkeiten, die einen veränderten Rhythmus in das Leben trugen. Auch der wurde erst gewissermaßen spielerisch ausprobiert. Die montagnes russes kamen auf, und die Pariser bemächtigten sich wie besessen dieses Vergnügens. Um 1810 notiert ein Chronist habe eine Dame an einem Abend im parc de montsouris, wo damals diese Luftschaukeln standen, 75 Franken darauf vergeudet. Das neue Tempo des Lebens kündigt sich oft auf die unvermute⁠〈t〉⁠ste Weise an. So in den Affichen. »Ces images d’un jour ou d’une heure, délavées par les averses, charbonnées par les gamins, brûlées par le soleil, et que d’autres ont quelquefois recouvertes avant même qu’elles aient séché, symbolisent, à un degré plus intense encore que la presse, la vie rapide, secouée, multiforme, qui nous emporte.« Maurice Talmayr: La cité du sang Paris 1901...

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