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Der lange Weg an die Spitze

Karrieren von Führungskräften deutscher Großunternehmen im 20. Jahrhundert

AutorChristian Reuber
VerlagCampus Verlag
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl348 Seiten
ISBN9783593418438
FormatPDF
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis41,99 EUR
Industrielle Großunternehmen standen seit Beginn des 20. Jahrhunderts vor dem Problem, qualifiziertes Leitungspersonal zu rekrutieren. Christian Reuber untersucht, welche Instrumente und Verfahren entwickelt wurden, um die fähigsten Manager zu identifizieren und für ihre Leitungsaufgaben zu qualifizieren. Am Beispiel von Bayer, Siemens und Volkswagen zeigt er, dass durch die Verwissenschaftlichung und Professionalisierung des Personalwesens Quantität und Qualität des Managements erheblich gesteigert wurden. Zugleich aber wird der Weg an die Spitze bis heute von zahlreichen Zufällen und Unwägbarkeiten begleitet.

Christian Reuber, Dr. phil., promovierte in Sozial- und Wirtschaftsgeschichte an der Universität Frankfurt und ist Management Consultant in einer Unternehmensberatung.

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Leseprobe
Das öffentliche Interesse an Eigentümern und Führungskräften von Großunternehmen ist mindestens so alt wie ihr Berufsstand selber, gleichwohl es bis weit in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts in vielerlei Hinsicht ungenau war, in diesem Zusammenhang von einem klar definierten Berufsstand zu sprechen. Während die Frage nach dem Eigentümer einer Kapitalgesellschaft mit einem Blick auf die jeweilige Struktur der Kapitalseite des Unternehmens in der Regel leicht geklärt werden konnte, war die Definition von angestellten Führungskräften seit jeher eine etwas diffizilere Angelegenheit. Zwar war die Rollenzuweisung - besonders im 19., aber vielerorts auch noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts - ähnlich einfach geregelt wie bei den Eigentümern, das heißt, Führungskraft war, wer von dem oder den jeweiligen Eigentümern dazu bestimmt wurde. Aber eine eindeutige rechtliche Definition dieser exklusiven Belegschaftsgruppe existierte bis in die Anfänge der Weimarer Republik nicht.

Der stürmische Wachstumsprozess der Schwerindustrie im Zuge des Eisenbahnbooms hatte bis in die erste Hälfte der 1870er Jahre angehalten und dazu geführt, dass der Bürokratisierungsgrad der damals entstehenden Großunternehmen häufig in keiner Weise den Anforderungen der mittlerweile erreichten Größe von Produktion und Belegschaft entsprach. Ähnlich verhielt es sich mit den Leitungsgremien dieser neuen Großorganisationen. Die alles dominierende Figur war weiterhin der Eigentümer-Patriarch, der jedoch aufgrund des enorm angestiegenen Geschäftsumfangs allmählich gezwungen war, wichtige operative Tätigkeiten an Männer seines Vertrauens zu delegieren. Im Bereich von Produktion und Entwicklung waren das in der Regel Mitarbeiter mit einem technisch-handwerklichen Hintergrund, die sich vor allen Dingen aufgrund ihres fachlichen Könnens und ihrer über lange Jahre bewiesenen Loyalität gegenüber der Firma das besondere Vertrauen des Eigentümers erarbeitet hatten. Sie wurden zum Beispiel Werkstatt- oder Produktionsleiter. Im kaufmännischen Bereich hingegen waren weniger fachliche Qualifikationen, als vielmehr verwandtschaftliche bzw. familiäre Bindungen ausschlaggebend. Besondere Aufmerksamkeit besaß in dieser Hinsicht vor allen Dingen der frühzeitige Aufbau eines zukünftigen Nachfolgers. Dem Vorbild der Monarchie folgend, unternahm man daher in den meisten der damaligen Industrieunternehmen den Versuch, eine Primogenitur zu errichten. Einige Unternehmerfamilien gingen gar so weit, Nichtmitglieder, auch wenn sie zum Beispiel eingeheiratet waren, kategorisch vom Geschäftsbetrieb auszuschließen, während andere ihr Vertrauen durchaus in Schwiegersöhne oder Schwäger setzten.

Darüber hinaus geriet der Staat auch in einer anderen Hinsicht immer stärker in den Fokus der Unternehmen. Sein Reservoir an gut ausgebildeten, in der Regel mit einem juristischen Abschluss ausgestatteten Verwaltungsspezialisten wurde von den Unternehmen ab Mitte des 19. Jahrhunderts immer häufiger als Rekrutierungspool für ihre bis dahin vernachlässigten Unternehmensverwaltungen in Anspruch genommen. Das führte zu einer stetigen Professionalisierung der Unternehmensorganisation und, als günstiger Nebeneffekt, zu einer Verbesserung und Vertiefung der Kontakte zu den staatlichen Stellen. Die Einführung mehrstufiger Verwaltungen hatte jedoch vor allen Dingen eine deutliche Zunahme der Managementposten zur Folge, was zwangsläufig die Nachfrage nach akademisch ausgebildeten Angestellten steigen ließ. Die Ausdifferenzierung der verschiedenen Leitungsebenen und der damit einhergehenden Managementtätigkeiten nahm bis zum Ende des Kaiserreichs und darüber hinaus kontinuierlich zu. Diese Entwicklung spiegelte sich schließlich in einer gleichzeitigen Ausdifferenzierung der innerbetrieblichen Statusgruppen wider. Neben die Arbeiter und Angestellten trat nun die Gruppe der in vielen Unternehmen so genannten Privatbeamten. Das waren zum einen die Leiter der Abteilungen für Forschung und Entwicklung zum anderen Angestellte in Produktion und Verwaltung, die neben ihrer fachlichen Aufgabe vor allen Dingen Arbeitgeberfunktionen wahrzunehmen hatten, wie zum Beispiel Einstellungen und Entlassungen bzw. in ihrem jeweiligen Bereich über eine hinreichende Zahl an Mitarbeitern und Investitionsmitteln verfügten. Im Bereich Forschung und Entwicklung handelte es sich in der Regel um Naturwissenschaftler, im Bereich der Produktion hatten diese Mitarbeiter überwiegend einen handwerklich-ingenieurwissenschaftlichen Hintergrund. Im kaufmännischen bzw. Verwaltungsbereich verfügten die Angehörigen dieser Belegschaftgruppe meistens über eine gewerbliche Ausbildung bzw. über einen juristischen Abschluss. In der Unternehmenshierarchie standen über ihnen nur noch die Mitglieder der Geschäftsführung, das heißt des Gremiums, das in den meisten Unternehmen als Direktorat bzw. in den seit Beginn der 1870er Jahre vermehrt in Erscheinung tretenden Aktiengesellschaften als Vorstand bezeichnet wurde.

Diese Einteilung von Belegschaftsgruppen wurde jedoch innerhalb der Unternehmen vorgenommen und dementsprechend durch interne Statuten, wie bereits für das Beispiel Krupp geschildert, festgeschrieben. Erst im Zuge des Betriebsräte-Gesetzes von 1920 kam es auch zu einer rechtlichen Anerkennung und Abgrenzung dieser Belegschaftsgruppe. Entscheidendes Zugehörigkeitskriterium wurde der Umfang der Arbeitgebertätigkeit, besonders im Hinblick auf Personalentscheidungen. Fiel ein Mitarbeiter aufgrund seiner Stellenbeschreibung unter diese Regelung, erlosch sein Recht, sich aktiv oder passiv an der Betriebsratswahl zu beteiligen. In den verschiedenen Neufassungen, ab 1952 unter dem Titel Betriebsverfassungsgesetz, kam es immer wieder zu kleineren und größeren Modifikationen, auf eine eindeutige, konkrete Formulierung wurde jedoch verzichtet. Die Auslegung des Definitionsbereichs wurde faktisch den Unternehmensleitungen überlassen. Den größten Einfluss während des Untersuchungszeitraums hatte schließlich die Verabschiedung des Mitbestimmungsgesetzes im Mai 1976. In dessen Folge begannen die Gewerkschaften massenhaft Verfahren anzustrengen, um von den Arbeitsgerichten den gesetzeskonformen Status tausender leitender Angestellter überprüfen zu lassen. Da sich nach mehrjähriger juristischer Auseinandersetzung am Ende des Jahrzehnts ein Erfolg für das Bestreben der Gewerkschaften abzeichnete, reagierten die meisten Unternehmen, indem sie die Bezeichnung leitende Angestellte für diese Belegschaftsgruppe zurücknahmen und sie fortan einheitlich als Führungskräfte bezeichneten.

Der Begriff der industriellen Führungskraft hat daher in den letzten anderthalb Jahrhunderten ein immer breiteres und zusehends heterogenes Interpretationspotential entwickelt. Gleichzeitig hat die fortgesetzte funktionale Ausdifferenzierung der Großunternehmen zu einem ebenfalls immer breiteren Spektrum an Führungsaufgaben geführt. Während die rechtlichen Vorgaben des Betriebsverfassungsgesetzes dem tatsächlichen Aufgabenbereich einer Führungskraft noch am ehesten in den operativen Geschäftsbereichen bzw. in der Produktion entsprechen, können sie im Bereich Forschung und Entwicklung bzw. in den verschiedenen Zentralfunktionen nur selten als Grundlage zur Abgrenzung leitender Tätigkeiten dienen. Da die Unternehmen jedoch auch diesen Mitarbeitern - neben der monetären Vergütung - eine immaterielle Wertschätzung in Form von Titeln zuteilwerden lassen wollen, sind die Rang- und Funktionsordnungen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts kontinuierlich ausgebaut worden, was das Heer der vermeintlichen Führungskräfte noch einmal zusätzlich hat ansteigen lassen. Außerdem kommt hinzu, dass die Zahl industrieller Führungskräfte, nicht nur durch das Wachstum der Großunternehmen, sondern besonders durch das enorme Wachstum des unternehmerischen Mittelstandes - wie es vor allen Dingen in Deutschland in den letzten 40 Jahren zu beobachten war -, noch einmal massiv angestiegen ist. Daher suggerieren pauschale Gruppenbezeichnungen wie unter anderem 'Führungskräfte' oder 'Wirtschaftselite' eine Homogenität, die den Realitäten in Wirtschaft und Unternehmen letztlich nicht mehr entspricht.

Dennoch, wird in diesem Buch der Begriff 'Führungskräfte' gemäß dem weit gefassten internen Sprachgebrauch der drei Beispielunternehmen verwendet. In allen drei Fallbeispielen wurde darunter die Gruppe der außertariflichen Angestellten verstanden, die als vorrangiger Rekrutierungspool für die zukünftige Unternehmensleitung betrachtet wurde. Entsprechend der hierarchischen Ausgestaltung der Rangordnungen wurde diese Gruppe von den Personalmanagern der Unternehmen zusätzlich in drei Kategorien - untere, mittlere und obere Führungskräfte - unterteilt. Lediglich die Mitglieder des Vorstands wurden als separate Mitarbeitergruppe behandelt. Gemeinsam mit den Unternehmens- bzw. Zentralbereichsleitern, die in den Unternehmenshierarchien direkt unterhalb des Vorstands angesiedelt waren, werden sie im weiteren Verlauf unter dem Begriff 'Topmanagement' zusammengefasst.

Blick ins Buch
Inhaltsverzeichnis
Inhalt6
Vorwort8
Einleitung10
Kontinuität und Aufbruch: Unternehmensführung und Führungskräfterekrutierung in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts26
1. Eine Einführung: Die IG Farbenindustrie AG und die beiden Siemens-Stammgesellschaften in der Zwischenkriegszeit28
1.1 Organisatorische Entwicklung der IG Farbenindustrie nach 192529
1.2 Organisatorische Entwicklung der beiden Siemens-Stammgesellschaften (S&H, SSW)33
1.3 Unternehmensführung und Nationalsozialismus39
1.4 Zusammenfassung51
2. Die Rekrutierung und Beurteilung von Führungskräften bis 194553
2.1 Zwischen Hauskarriere und persönlichem Regiment: Karriereverläufe und Personalentscheidungen im Führungskräftebereich der IG Farben55
2.2 Der Trend zur Verwissenschaftlichung: Das Beispiel Siemens63
3. Die unmittelbare Nachkriegszeit112
3.1 Zwischen Agonie und Selbsterhaltung: Die Industrie in den letzten Kriegsmonaten112
3.2 Das Ende der IG-Betriebsgemeinschaft Niederrhein115
3.3 Kriegsende und Wiederaufbau in den beiden Siemens-Stammgesellschaften131
3.4 Das Volkswagenwerk145
Die Rekrutierung industrieller Führungskräfte zwischen Korea-Boom und Beginn der globalisierten Moderne 1950 bis 1990166
4. Die Professionalisierung der Personalpolitik im Führungskräftebereich vor dem Hintergrund internationaler Expansion168
4.1 Das Beispiel Bayer168
4.2 Das Beispiel Siemens233
4.3 Das Beispiel Volkswagen297
Schluss326
Anhang334
Quellen und Literatur340

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