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Die Absprache im Strafverfahren

Historische Entwicklung, heutiger Diskussionsstand und Entwürfe zu einer gesetzlichen Regelung

AutorJosephine Scharnberg
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2010
Seitenanzahl102 Seiten
ISBN9783640520220
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis24,99 EUR
Studienarbeit aus dem Jahr 2009 im Fachbereich Jura - Strafprozessrecht, Kriminologie, Strafvollzug, Note: 17, Universität Passau, Sprache: Deutsch, Abstract: Obwohl sich die Absprache im Strafprozess längst etabliert hat, handelt es sich dabei um eine höchst umstrittene Praxis, dessen Diskussion sich vor allem um die Verfassungs- und Prozessgrundsätze rankt. Diese Problematik hat nicht zuletzt durch die mittlerweile erfolgte gesetzliche Regelung an Brisanz gewonnen. Die vorliegende Arbeit wurde im Rahmen des Schwerpunktseminars 'Neuere Entwicklungen im Strafprozessrecht - Prozessuale Willkür und Rechtsmissbrauch im Strafverfahren' verfasst. Dabei wird zunächst kurz auf die Entstehung und ihre Gründe eingegangen. Sodann erfolgt eine kritische Beleuchtung der Vereinbarkeit mit den Verfassungs- und Prozessgrundsätzen, eine Darstellung der Rechtsprechungsentwicklung, insbesondere der zentralen Entscheidungen des Bundesgerichtshofes aus den Jahren 1997 und 2005, aber vor allem auch eine Erörterung der Möglichkeit der Legitimierung durch eine gesetzliche Regelung, im Rahmen dessen einige der dazu vorgestellten Entwürfe besprochen werden.

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Leseprobe

V. Rechtsprechung[163]

 

Angesichts der „Absprache-Euphorie“ [164] war es nur eine Frage der Zeit, bis sich auch die Rechtsprechung mit dieser Thematik auseinandersetzen musste. Vor allem seit den Achtziger Jahren wurde mehrfach, zunächst nur indirekt, Stellung zur Zulässigkeit der Absprachepraxis genommen[165].

 

1. BVerfG

 

Gegenstand der wohl ersten höchstrichterlichen Entscheidung[166] zur Frage der Zulässigkeit von Absprachen im Strafprozess vom 27.01.1987 war eine vor Schluss der Beweisaufnahme außerhalb der Hauptverhandlung erfolgte Verständigung zwischen Gericht, Staatsanwaltschaft und Verteidigung über den Rechtsfolgenausspruch[167]. Die Kammer entschied, dass „bei der hier gegebenen besonderen Sachverhaltsgestaltung keine(n) durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken“ bestünden[168], zeigte im Folgenden aber auch die Grenzen einer solchen Handhabung auf. Auch im Rahmen einer Verständigung verdiene das Recht des Angeklagten auf ein faires, rechtsstaatliches Verfahren, der Gleichheitsgrundsatz, das Schuldprinzip, das Erfordernis einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege und insbesondere die Ermittlung des wahren Sachverhaltes Beachtung. In Hinblick auf § 136 a StPO stellte das Bundesverfassungsgericht fest, dass der Angeklagte zwar nicht zu einem Geständnis gedrängt werden dürfe, eine Belehrung oder ein konkreter Hinweis auf die strafmildernde Wirkung jedoch zulässig sei, sofern in der Hauptverhandlung dafür eine sachliche Grundlage bestünde. Ausgeschlossen sei somit die freie Disposition der Verfahrensbeteiligten über die richterliche Aufklärungspflicht, die rechtliche Subsumtion und die Grundsätze der Strafbemessung um einen „Vergleich im Gewande des Urteils“ und den „Handel mit der Gerechtigkeit“ zu verhindern[169].

 

In Hinblick auf die Praxis wird die „Überbetonung“ der Aufklärungspflicht bemängelt. Gerade der Verzicht des Angeklagten auf eigene prozessuale Rechte liege der „Belohnung“ zu Grunde. Darüber hinaus sei allen Beteiligten regelmäßig bewusst, dass die materielle Wahrheit ohnehin einer prozessualen weichen müsse. Außerdem dürfe nicht der Eindruck entstehen, die Absprachepraxis stünde der „Idee der materiellen Wahrheit“ entgegen. Vielmehr unterstütze eine Vereinbarung zwischen den Beteiligten gerade dieses Ziel und sei ein Hinweis für eine gerechte Entscheidung. Allerdings wird auch befürchtet, dass sich die Zahl der fehlgeschlagenen Absprachen auf Grund der Rügemöglichkeit der nicht ausreichenden Sachverhaltsermittlung erhöhe[170].

 

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass das Bundesverfassungsgericht die Verständigung im Strafverfahren nicht für grundsätzlich unzulässig hält, gleichwohl aber auf die Beachtung der Verfahrensgrundsätze Wert legt. Die Praxis erhält damit allerdings wenig „Orientierungshilfe“[171].

 

2. BGH-Rechtsprechung bis 1997[172]

 

Der Bundesgerichtshof war zunächst meist nur indirekt mir der Absprachepraxis befasst. Eine deutlich absprachefreundliche Tendenz[173] war aber spätestens in der Entscheidung vom 20.02.1996 erkennbar, in der der 5. Strafsenat betonte, dass „Rechtsgespräche“ zwischen Verfahrensbeteiligten grundsätzlich, auch wenn strafzumessungsrelevante Tatsachen zum Inhalt zählten, zulässig, und darüber hinaus sogar prozessfördernd und vereinfachend seien[174]. Die grundsätzliche Zulässigkeit der Urteilsabsprache erklärte der Bundesgerichtshof aber erst in der Grundsatzentscheidung[175] von 1997[176].

 

a. Richterliche Befangenheit

 

1984 entschied der Bundesgerichtshof, dass es einem Richter zwar nicht verwehrt sei zur Förderung des Verfahrens auch außerhalb der Hauptverhandlung mit Verfahrensbeteiligten „Fühlung aufzunehmen und sie zu einer bestimmten Prozeßhandlung anzuregen“, doch müsse dies stets auf einem sachlichen Grund beruhen. In dem zu entscheidenden Fall hatten der vorsitzende Richter und der Berichterstatter, ohne Wissen des Angeklagten und seines Verteidigers, dahingehend auf den Staatsanwalt eingewirkt, er möge seinen Beweisantrag zurücknehmen, ohne hierfür jedoch einen Ablehnungsgrund zu sehen, und ihm gleichzeitig eine Zusage bezüglich der Strafzumessung gemacht. Der Bundesgerichtshof sah darin ein Fehlverhalten des Richters, das geeignet sei, die Besorgnis der Befangenheit hervorzurufen[177].

 

Ein Ablehnungsgesuch der Staatsanwaltschaft sei darüber hinaus auch begründet, wenn der Richter vor der Hauptverhandlung dem Verteidiger erkläre, welche Strafe im Falle eines Geständnisses des Angeklagten zu erwarten sei[178]. Werde im Rahmen einer Absprache die Strafhöhe mit einem konkreten Verhalten des Angeklagten verknüpft, so widerspreche dies stets den geltenden Verfahrensvorschriften. „Wenn einzelne oder alle Mitglieder des Gerichts – vor allem über den Kopf eines Verfahrensbeteiligten hinweg – vertrauliche Absprachen für ein abgekürztes Verfahren treffen oder konkret anbieten, erwecken sie den Eindruck, daß ihnen an einer gerechten Abklärung aller für die Schuld und Strafe bedeutsamen Umstände nichts gelegen ist“[179]. Somit lässt es erkennen, dass Absprachen über das Verfahrensergebnis außerhalb der Hauptverhandlung grundsätzlich unzulässig seien[180].

 

b. Faires Verfahren

 

Unter Berufung auf den Grundsatz des fairen Verfahrens entschied der Bundesgerichtshof 1989, dass eine vom Richter erteilte Zusage bei dem Angeklagten eine Vertrauensgrundlage[181] begründe. Sollte er im Folgenden davon abweichen wollen, so sei er verpflichtet dem Angeklagten einen diesbezüglichen Hinweis zu erteilen. In dem zu entscheidenden Fall hatte der Richter während einer Verhandlungspause dem Verteidiger zugesichert die Anträge der Staatsanwaltschaft nicht zu überschreiten, es letztlich aber doch getan[182]. Der 2. Strafsenat nutzte die Gelegenheit und stellte klar, dass es dem Vorsitzenden grundsätzlich nicht verwehrt sei, auch außerhalb der Hauptverhandlung Kontakt zu anderen Verfahrensbeteiligten aufzunehmen[183].

 

Der Grandsatz, dass gewisse Zusagen des Gerichts, aber auch der Staatsanwaltschaft, bei dem Angeklagten einen Vertrauenstatbestand[184] begründen, sodass bei der Abweichung von der Zusage der Grundsatz des fairen Verfahrens verletzt werde, sofern kein diesbezüglicher Hinweis erginge, wurde in nachfolgenden Entscheidungen des BGH bestätigt[185].

 

Konkretisiert wurde die Entscheidung später dahingehend, dass zum einen eine derartige Zusage keine Bindungswirkung entfalte[186] und zum anderen allen Verfahrensbeteiligen Möglichkeit zur Äußerung gegeben werden müsse[187], zumindest solange es sich nicht um bloße Rechtsgespräche, sondern um eine Zwischenberatung handele, durch die ein Vertrauenstatbestand begründet werde[188].

 

c. Verwertbarkeit eines Geständnisses

 

Zu der Frage, inwiefern ein auf Grund einer fehlgeschlagenen Absprache abgelegtes Geständnis verwertbar ist, entschied der Bundesgerichtshof, dass ein solches Geständnis zwar im Rahmen der Schuldfrage nicht zu Lasten des Angeklagten verwertet werden dürfe, gegen eine Verwertung zu Gunsten des Angeklagten bei der Strafzumessung jedoch keine Bedenken bestünden[189].

 

In dem zu entscheidenden Fall handelte es sich um einen versteckten Dissens zwischen den Beteiligten[190]. Solange dafür nicht allein der Angeklagte verantwortlich sei, bestünde kein Grund ihm allein das Risiko des Scheiterns der Absprache aufzubürden. Unter dem Gesichtspunkt des fairen Verfahrens sei vielmehr mit der Annahme eines Beweisverwertungsverbotes der Zustand wiederherzustellen, der vor den Absprachebemühungen bestand[191].

 

Insofern der 5. Strafsenat jedoch eine strafmildernde Berücksichtigung der Geständnisse annimmt[192], sieht er sich Kritik ausgesetzt, denn grundsätzlich erfahre nur der reuige und einsichtige Angeklagte Strafmilderung. Beruhe das Geständnis hingegen ausschließlich auf prozesstaktischen Motiven, so dürfe es keine strafmildernde Berücksichtigung finden[193]. Dies sei freilich schwer festzustellen, doch im vorliegenden Fall gegeben. Die Angeklagten hatten nach der Feststellung des Dissenses gerade nicht die Möglichkeit genutzt, sich (erneut) geständig zu zeigen[194]. Andere hingegen argumentieren, dass der geständige Angeklagte immerhin zur Sachaufklärung beitrage und daher schon im objektiven Vorliegen eines Geständnisses ein Strafmilderungsgrund liege. Komme es hingegen entscheidend auf die Motive des Gestehens an, so profitiere hiervon lediglich derjenige, der am überzeugendsten den „reuigen Sünder“...

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