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E-Book

Die andere Gesellschaft

AutorHeinz Buschkowsky
VerlagUllstein
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl288 Seiten
ISBN9783843709552
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
In diesem Buch beschäftigt sich Heinz Buschkowsky mit der Frage, wie unsere Gesellschaft durch Migration verändert wird. Echte Integration versus Parallelgesellschaften. Werden wir einen gemeinsamen Weg finden? Auf welche Werte kommt es dabei an? Warum sind viele Einwanderer in ihrer neuen Heimat traditionsbewusster, als sie es am Herkunftsort waren? Warum zelebrieren sie oft das Anderssein? Was interessiert sie wirklich an Deutschland? Für sein neues Buch hat Bestsellerautor Heinz Buschkowsky mit Sozialarbeitern gesprochen; er lässt Imame und Islamaussteiger zu Wort kommen, verschleierte Frauen, die nicht allein ins Kino dürfen, und Männer, die von großen Autos träumen, aber Hartz-IV-Empfänger sind. Heinz Buschkowsky entwirft ein aufrüttelndes Szenario für die Zukunft. Wird sich unsere Gesellschaft zu einer anderen entwickeln?

Heinz Buschkowsky, Jahrgang 1948, ist Diplom-Verwaltungswirt. 1973 trat er der SPD bei. Von 2001 bis April 2015 war er Bezirksbürgermeister von Neukölln.

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Leseprobe

Wir und heute


Wer sich Gedanken über die Veränderungen in unserer Gesellschaft macht und beurteilen will, ob diese vorwärts- oder zurückgerichtet sind, muss zwangsläufig erst die Nulllinie finden. Den Ausgangspunkt, wie man unseren gesellschaftlichen Status quo einschätzt und definiert. Ich versuche das aus meiner Sicht.

Ich habe bereits im Vorwort das Bekenntnis abgelegt, dass ich ein Großstadtkind bin, nichts anderes kenne und das Stadtleben liebe. Das unterscheidet mich schon von einem Großteil der Menschen unseres Landes, die völlig anders sozialisiert sind. Die ihr gesamtes Leben in ländlicher oder kleinstädtischer Umgebung verbracht haben. Dort, wo die Familien seit Generationen ansässig sind und eigentlich jeder jeden kennt. Das sind komplett unterschiedliche Lebenswelten, die ich auch nur vage erahnen und beurteilen kann. Denn ich habe ja ein anderes Leben als das meinige nie erlebt. Allenfalls kann ich die nichtstädtische Gefühlswelt ein bisschen nachempfinden, seit meine Frau und ich uns vor 15 Jahren eine Ferienwohnung am Meer auf Usedom zugelegt haben. Dort ist plattes Land. Man merkt es schon bei der Anreise. Wenn Sie es mir einmal nachmachen, so werden Sie durch kleine Dörfer fahren. Früher sagte man »Fünf Häuser, sieben Spitzbuben«. Ich stelle mir immer wieder aufs Neue die Frage, was man hier um Gottes willen macht, wenn es abends dunkel wird. Wenn man es gut trifft, dann gibt es dort ein Dorfgasthaus, in dem sich eventuell ein paar Nachbarn treffen. Ansonsten bleibt nur der Fernseher, was manchmal die Höchststrafe sein kann.

Da, wo ich mein Zweitzuhause von 48 m2 gefunden habe, sind drei kleine Ortschaften zu einer Großgemeinde zusammengeschlossen worden. 9600 Einwohner zählt diese »Metropole« nunmehr. Nicht alle sind damit glücklich. Im Gemeinderat wird schon darüber gemault, was denn das Gemeinderatsmitglied X von den Bedürfnissen der Menschen im Ortsteil Y weiß. Bürgermeister wurde vor einigen Jahren das bis dato amtierende Oberhaupt einer der kleinen Ursprungsortschaften. In einem Interview hat er mittlerweile verlauten lassen, dass ihm der hektische Betrieb der Großgemeinde schon sehr zu schaffen mache und er sich nach dem übersichtlicheren Aufgabenfeld seiner früheren Tätigkeit zurücksehne.

Vergegenwärtigt man sich den Tatendrang junger Menschen, so kann es eigentlich nicht wirklich überraschen, dass sie heute meist dem Ruf der Metropolen folgen. Fernsehen und Internet bringen bunte, aufregende Bilder in die Wohnstuben und Kinderzimmer, die den Hunger wecken, selbst einmal zu schauen, wie sich die Welt dort dreht. So ziehen die jungen Leute, und zwar insbesondere die toughen, die intelligenten, die mutigen und unerschrockenen, dorthin, wo es Action gibt und es nicht so langweilig ist, wie sie es zu Hause empfinden. Ich kenne das. Denn ich sehe ja die jungen Menschen, die aus diesen behüteten Gegenden nach Neukölln kommen. Wie sie hier ausbrechen aus den vermeintlichen Fesseln des provinziellen Lebens ihrer Eltern und ihrer Kindheit. Es zieht sie in die Stadt, wo die große weite Welt nach ihnen ruft und nur darauf wartet, dass sie sie anhalten. Allen finsteren Mächten – angefangen beim Spätkapitalismus über das Spießertum bis hin zum hausverwaltenden Miethai – werden sie die Zähne zeigen.

Die ländlichen Regionen leiden durchgängig unter Bevölkerungsschwund. Im Berlin umschließenden Brandenburg nimmt das inzwischen teilweise schon dramatische Formen an. Wer mit offenen Augen durch die Ortschaften fährt, sieht leere Häuser. Manchmal in größerer Zahl, als es bewohnte gibt. Das Technische Hilfswerk findet nicht mehr genug junge Leute, um überhaupt Ortsgruppen zu gründen. Das Handwerk und die Betriebe klagen über Nachwuchsmangel. Nicht nur der allgemeine Geburtenrückgang macht ihnen schwer zu schaffen, sondern auch die Abwanderung. Die Folge sind ein immer dünner werdendes Dienstleistungsangebot und eine sehr viel schlechtere Versorgungslage, als man sie in den Städten gewohnt ist.

Allein diese Entwicklung führt schon zu einer Veränderung im Land. Ich denke auch nicht, dass man die jungen Leute zurückholen kann. Wer einmal erlebt hat, welche Möglichkeiten zur Gestaltung des Alltags in den Zentren vorhanden sind, der möchte nicht mehr dorthin zurück, wo es nicht einmal einen Arzt gibt oder bei einem Herzkasper das Überleben davon abhängt, ob der Hubschrauber gerade frei ist oder nicht.

Der Stempel, den die Großstadt meiner Lebenserfahrung aufgedrückt hat, passt natürlich nicht überall. Sie werden beim Lesen des Buches die eine oder andere Stelle finden, an der Sie das, was ich schreibe, nicht werden bestätigen können. Sie werden es vielleicht sogar entsetzlich falsch finden oder als hysterisch und überspannt abtun. Schwarzmaler, Alarmist, dies wären dann so die einschlägigen Begriffe. Ich bin Ihnen deswegen gar nicht gram. Denn ich kann es nachvollziehen, dass die Welt eines Stadtmenschen, wie die meine, nur bedingt an die Gefühlswelt von Menschen anknüpfen kann, für die Sachen, die ich fast jeden Tag erlebe, kaum vorstellbar sind. Ich habe das immer wieder bei den Vorträgen gemerkt, die ich nach der Veröffentlichung meines ersten Buches quer durch die Bundesrepublik gehalten habe. Teilweise saßen mir Menschen mit ungläubigen Augen und fassungslosen Gesichtern gegenüber, wenn ich darüber berichtete, was es so alles gibt, nicht auf der großen weiten Welt, sondern als erlebbarer Alltag bei uns.

Es hört sich nahezu infantil an, wenn ich bei der Standortbestimmung die »überraschende« Feststellung mache, dass Deutschland in Mitteleuropa liegt. Ich persönlich möchte auch, dass das so bleibt. Diese Region der Erde hat sich in den letzten Jahrhunderten einen Zivilisationsstand und ein Wertegerüst erarbeitet, das auf den Einzelnen und seine unveräußerliche Würde abgestimmt ist. Mit einem Menschenbild geprägt von individuellen Freiheiten, die jedem Menschen zustehen und ihm durch nichts und niemanden genommen werden können. Wir nennen das die bürgerlichen Freiheitsrechte oder auch Menschenrechte. Die kollektivistische Vereinnahmung als »Volksgemeinschaft« oder »Arbeiterklasse«, die das Denken für uns übernehmen wollten, führte stets in die Diktatur und Unfreiheit.

Ich würde mich damit verheben, an dieser Stelle philosophische Betrachtungen über die Entstehung und den Wert dieser unabdingbaren Freiheitsrechte eines jeden Menschen anstellen zu wollen. Wie gesagt, die westliche Welt hat dazu Jahrhunderte benötigt. Absolutismus, Sklaverei, Feudalherrschaft und Tyrannei sind heute bei uns geächtet. Und dieses Heute hat noch nicht einmal eine allzu lange Tradition. Es reicht bei uns lediglich zurück bis 1945.

Ich halte unsere Gesellschaftsform mit der Freiheit des Einzelnen, dem Respekt vor dem Individuum und der Solidarität mit dem Schwächeren ein Stück weit für die Krone der menschlichen Entwicklung zum Gemeinwesen. Nicht von ungefähr erscheinen uns bestimmte gesellschaftliche Riten in anderen Ländern dieser Erde als geradezu barbarisch. Denken Sie an die Verstümmelung von kleinen Kindern, die Steinigung von Menschen wegen des Verstoßes gegen den Verhaltenskodex. Ganz zu schweigen von grausamen Bürgerkriegen mit Hunderttausenden Toten oder vom planmäßig durchgeführten Massenmord an als minderwertig angesehenen Volksstämmen. Wer die Berichte in den Medien verfolgt und aufmerksam zur Kenntnis nimmt, der kann sich nur wünschen, dass diese Teile der Welt es schneller als wir in unserer Demokratisierungsgeschichte schaffen, den Zivilisationsprozess zur freiheitlich-demokratischen Gesellschaftsordnung zu vollenden.

Es kann nicht als Fortschritt gelten, wenn die humanitären Errungenschaften und die demokratischen Rechte durch Einwanderung und Migration unter dem Deckmantel der kulturellen Bereicherung in Frage gestellt werden. Bereits an dieser Stelle bin ich weder zu Diskussionen bereit noch kompromissfähig. Kulturelle Identität findet dort ihr Ende, wo sie sich mit den Freiheitsrechten und der Menschenwürde auf Kollisionskurs befindet. Dem Kulturrelativismus darf kein Raum zur Entfaltung gegeben werden. Dazu jedoch später.

In unserem Land haben wir Regeln für das Zusammenleben der Menschen entwickelt, die dem friedlichen Miteinander aller dienen. Toleranz gegenüber dem Andersdenkenden und Respekt vor Lebensweisen, die sich von der eigenen unterscheiden, sind eigentlich selbstverständliche Dinge. Nun ist das aber immer so eine Sache mit der Toleranz und dem Re spekt. Eigentlich erwartet sie jeder für sich von anderen. Für viele ist das jedoch eine Einbahnstraße. Sie sind nicht bereit zu akzeptieren, dass auch ein anderer eventuell recht haben kann oder sein Leben durchaus sinnvoll gestaltet, obwohl er es völlig anders organisiert. Darüber, dass diese Dinge nicht unter die Maxime »Recht hat immer der Stärkere« fallen, wachen staatliche Institutionen mit demokratisch legitimierter und kontrollierter Macht. Sie allein verfügen stellvertretend für uns alle über das Monopol, im Zweifel auch Gewalt und Zwang auszuüben, um Recht und Gesetz – als Maßstäbe unseres friedlichen Miteinanders – durchzusetzen.

Die erste Instanz, die den Auftrag hat, dem Nachwuchs jene Regeln beizubringen, sind die Eltern. Außerdem vermitteln sie ihren Kindern üblicherweise die Umgangsformen unter zivilisierten Menschen – all das, was unter die Überschrift »Was man tut und was man nicht tut« fällt. Meine haben das jedenfalls getan. Manche Hinweise fand ich gut und habe sie befolgt, gegen andere, die mir eher lästig waren, habe ich rebelliert. Aus diesem Protest der Jugend gegen bestehende Leitsätze und Normen der...

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