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Die Grundzüge des gegenwärtigen Zeitalters

Vollständige Ausgabe

AutorJohann Gottlieb Fichte
VerlagJazzybee Verlag
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl294 Seiten
ISBN9783849612603
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis0,99 EUR
Dieser Band enthält Fichtes erste Schrift zur Geschichtsphilosophie, der er sich in den Jahren 1804-1808 mit großer Intensität zuwandte. Fichte veröffentlicht damit den Inhalt der im Winter 1804/05 in Berlin gehaltenen öffentlichen Vorträge einer 'philosophischen Charakteristik des Zeitalters'. (aus fichte.badw.de)

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Leseprobe

 


[Im Gegensatze mit dem Leben eines solchen Zeitalters bestehe das vernunftmässige Leben darin, dass das Individuum sein Leben an den Zweck der Gattung, oder an die Idee setze. Versuch an den Gemüthern der Zuhörer, ob sie sich entbrechen könnten, ein solches Leben zu billigen und zu bewundern; und was aus diesem Versuche, falls er gelingen sollte, folgen würde.]

 

 

Ehrwürdige Versammlung!

 

Nur allmählig kann Klarheit über unsere Untersuchung sich verbreiten – nur nach und nach die dunklen Partien derselben beleuchten, so lange, bis der Gegenstand als eine einzige Lichtflamme sich darstelle. Diese Beschränkung liegt, wie schon in der ersten Rede erinnert worden, in dem unveränderlichen Grundgesetze aller Mittheilung. Die Kunst des Vortragenden kann, ausser seiner unerlasslichen Pflicht, dass er jeden Gedanken an seinen rechten Ort stelle, dabei zur Erleichterung nur noch dies thun, dass sie bei den helleren Puncten, welche im Verlaufe des Vortrages aufstossen, sorgfältiger verweile, und von ihnen aus Licht über das vorhergegangene und nachfolgende verbreite.

 

Bei Einem dieser helleren Puncte in unserer ganzen unternommenen Untersuchung sind wir in der letzten Stunde angekommen; und es ist schicklich und zweckmässig, diesen Punct heute vollständiger auseinanderzusetzen. – Dass das Menschengeschlecht mit Freiheit alle seine Verhältnisse nach der Vernunft einrichte, war als Zweck des gesammten Erdenlebens unserer Gattung hingestellt; und der Charakter des von uns zu beschreibenden dritten Zeitalters wurde darein gesetzt, dass es sich von der Vernunft in jeglicher Gestalt entledige. Was aber Vernunft und insbesondere Leben nach der Vernunft, und welches die Verhältnisse seyen, die durch ein vernunftgemässes Leben nach dieser Vernunft eingerichtet werden sollten, ist zwar vielseitig angedeutet, noch nirgends aber klar in das Licht gesetzt worden. In der vorigen Stunde aber sagten wir: »Die Vernunft geht auf das Eine Leben. das als Leben der Gattung erscheint. Wird die Vernunft aus dem menschlichen Leben hinweggenommen, so bleibt lediglich die Individualität und die Liebe derselben übrig.« Sonach besteht das vernünftige Leben darin, dass die Person in der Gattung sich vergesse, ihr Leben an das Leben des Ganzen setze und es ihm aufopfere; das vernunftlose hingegen darin, dass die Person nichts denke, denn sich selber, nichts liebe, denn sich selber und in Beziehung auf sich selber, und ihr ganzes Leben lediglich an ihr eigenes persönliches Wohlseyn setze: und falls das, was vernünftig ist, zugleich gut, und das, was vernunftwidrig ist, zugleich schlecht zu nennen seyn dürfte, – so giebt es nur Eine Tugend, die – sich selber als Person zu vergessen und nur Ein Laster, das – an sich selbst zu denken; dass daher die in der vorigen Stunde geschilderte Sittenlehre des dritten Zeitalters auch hier, wie allenthalben, die Sache gerade umkehrt und zur einzigen Tugend macht, was in der That das einzige Laster ist, und zum einzigen Laster, was in der That die einzige Tugend ist.

 

Die soeben ausgesprochenen Worte sind genau zu nehmen, und nach der Strenge so zu verstehen, wie sie lauten. Die Milderung, welche etwa hier versucht werden könnte, dass man nur nicht an sich allein, sondern an die anderen zugleich mit denken müsse, ist ganz dieselbe Sittenlehre, welche wir als die des dritten Zeitalters aufgestellt haben, nur dass sie hier noch obendrein inconsequent ist, und sich zu verhüllen strebt, da, wo sie noch nicht alle Scham überwunden. Wer auch nur überhaupt an sieh als Person denkt, und irgend ein Leben und Seyn, und irgend einen Selbstgenuss begehrt, ausser in der Gattung und für die Gattung, der ist im Grunde und Boden, mit welchen anderweitigen guten Werken er auch seine Misgestalt zu verhüllen suche, dennoch nur ein gemeiner, kleiner, schlechter und dabei unseliger Mensch: dieses, also, wie wir es ausgedruckt haben, ist unsere Meinung, gegen welche auch wohl in alle Ewigkeit sich nichts Gründliches wird vorbringen lassen.

 

Was dieses Geschlecht, seitdem es existirt, dagegen vorgebracht hat, und dagegen vorbringen wird, so lange es existiren wird, kommt zurück auf die dreiste Versicherung, dass der Mensch sich selbst vergessen gar nicht könne, und dass die persönliche Selbstliebe mit seiner Natur innigst verwachsen und unaustilgbar in sie verweht sey. Ich frage diese Versicherer, woher sie denn wissen, was der Mensch könne, und was er nicht könne? Offenbar kann diese ihre Aussage durchaus auf nichts anderes sich gründen, als auf die Beobachtung ihrer selber; und es mag wohl wahr seyn, dass sie für ihre Person, nachdem sie nun einmal sind, was sie sind, und wenn sie es bleiben wollen, sich selbst zu vergessen nie vermögen werden. Aber was berechtigt sie denn, das Maass ihres Vermögens oder Nichtvermögens zum allgemeinen Maassstabe des Vermögens der Gattung zu erheben? Wohl kann der Edle wissen, wie dem Unedlen zu Muthe ist, denn wir alle werden im Egoismus erzeugt und geboren. und haben in ihm gelebt, und es kostet Kampf und Mühe, diese alte Natur in uns zu ertödten; keinesweges aber kann der Unedle wissen, wie dem Edlen zu Muthe ist, indem er nie in dessen Welt gekommen und durch sie den Durchgang gemacht hat, wie der Edle durch die seinige allerdings hindurch musste. Der letztere umfasset beide Welten, der erstere nur die Eine, die ihn gefangen hält; so wie der Wachende allerdings im Wachen den Traum, und der Sehende allerdings die Finsterniss zu denken vermag, der Träumende aber im Traume keinesweges das Wachen, noch der Blindgeborene das Licht. Erst nachdem sie in der höheren Welt angelangt seyn und in ihr Besitz genommen haben werden, werden sie können, was sie jetzt zu können läugnen und werden vermittelst dieses Könnens zugleich wissen, dass der Mensch es könne.

 

Darein also, dass das persönliche Leben gesetzt werde an das der Gattung, oder dass man sich selber vergesse in anderen, haben wir das rechte und vernunftmässige Leben gesetzt. Sich vergessen in anderen – es versteht sich, diese anderen gleichfalls nicht als Person, wo es doch immer bei der persönlichen Individualität bliebe, sondern als Gattung genommen. Verstehen Sie mich also: die Sympathie, die uns treibt, den persönlichen Schmerz anderer zu lindern und ihre Freude zu theilen und zu erhöhen, das Wohlwollen, das uns kettet an Freunde und Verwandte, die Liebe, die uns hinzieht zum Gatten und zu den Kindern, – alles dieses Bar oft mit beträchtlichen Aufopferungen an eigener Bequemlichkeit und an eigenem Vergnügen, ist der erste stille und geheime Zug des Vernunftinstincts, um vorläufig nur den hartesten und gröbsten Egoismus zu brechen, und die Entwickelung einer sich verbreitenden und umfassenden Liebe anzufangen. Doch geht diese Liebe immer nur auf individuelle Personen, weit entfernt, dass sie die Menschheit schlechthin, ohne allen Unterschied der Personen, und als Gattung umfassen sollte; und ohnerachtet sie allerdings den Vorhof des höheren Lebens ausmacht, und wohl keiner den Eintritt in dasselbe erhalten dürfte, der nicht erst in diesem Gebiete der sanfteren Triebe die Weihe empfangen, so ist sie doch nicht selbst das höhere Leben. Dieses umfasst eben die Gattung als Gattung. Das Leben der Gattung aber ist ausgedruckt in den Ideen deren Grundcharakter sowohl, als die verschiedenen Arten derselben wir im Verlaufe dieser Vorträge. sattsam werden kennen lernen. Die obige Formel: sein Leben an die Gattung setzen, lasst daher sich auch also ausdrücken: sein Leben an die Ideen setzen; denn die Ideen gehen eben auf die Gattung als solche, und auf ihr Leben; und sonach besteht das vernunftmässige und darum rechte, gute und wahrhaftige Leben darin, dass man sich selbst in den Ideen vergesse, keinen Genuss suche noch kenne, als den in ihnen und in der Aufopferung alles anderen Lebensgenusses für sie.

 

Soweit diese Auseinandersetzung. Gehen wir nun an ein anderes Vorhaben.

 

Ich sage: so gewiss nun etwa Sie selber, E. V., durch eine innere Gewalt genöthigt, sich nicht entbrechen könnten, ein Leben wie das beschriebene, welches sich selbst den Ideen aufopfert, zu billigen, zu bewundern und zu verehren, und es um so höher zu verehren, je sichtbarer und je grösser die Opfer sind, welche den Ideen gebracht wurden: so würde aus dieser Ihrer Billigung zu ersehen seyn, dass hl Ihrem Gemüthe unaustilgbar ein Princip läge, des Inhalts: dass die Person der Idee zum Opfer gebracht werden solle, und dass dasjenige Leben, in welchen dieses geschieht, das einzige wahre und rechte sey; demnach, dass, wenn man die Sache nach der Wahrheit und wie sie; an sich ist ansehe, das Individuum; gar nicht existire, da es nichts gelten, sondern zu Grunde geben solle; dagegen die Gattung allein existire, indem sie allein als existent betrachtet werden solle. Wir würden sonach auf diese Weise das Versprechen halten, welches wir in der vorigen Stunde für die gegenwärtige von uns gaben – das versprechen, Ihnen an sich selber auf eine populäre Weise zu zeigen, dass sie den damals ausgesprochenen und fürs erste paradox erschienenen Satz selber sehr wohl wüssten und zugeständen, und von jeher nicht anders als aus ihm heraus geurtheilt hätten, nur dass Sie sich desselben nicht so deutlich bewusst worden: und es würden auf diese Weise die beiden Zwecke, welche ich mit dem gegenwärtigen Vortrage habe, zugleich erreicht.

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